Der Babadook (2014) – Post-Horror-Camouflage

Gehen wir mal kurz davon aus – und es spricht einiges dafür – dass die Kategorie Post Horror wirklich eine Berechtigung hat und nicht bloß Erfindung gelangweilter Filmkritiker ist. Dann ist eine seiner größten Stärken, dass er eigentlich klassische Dramenstoffe als Horrorfilm camoufliert erzählen kann. Praktisch die beste Möglichkeit, den ästhetischen Horizont cineastisch eingeschränkter Genre-Kinogänger um Geschichten zu erweitern, die diese sonst nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würden: Die Probleme einer alleinerziehenden Mutter? Eine dysfunktionale Mutter-Kind-Beziehung und der Kampf darum, diese zu retten? Klingt nicht gerade nach dem passenden Stoff für Conjuring- und Saw-Fans. Jennifer Kents Der Babadook (2014) erzählt genau diese Topoi und verkleidet sich dabei so schamlos als klassischer Jump Scare Horrorflick, dass er zum Releasezeitpunkt durchaus so manche Kinobesucher ratlos zurückgelassen haben dürfte. Menschen, die einen klassischen Spukfilm mit ner Menge Erschrecken und schön für alle dargelegter übernatürlicher Erklärung erwarten, haben hier eher das Nachsehen, wer allerdings eine – mitunter surreale – Kombination aus Tragödie und Horror zu schätzen weiß, darf hier einen der aufregendsten Horrortrips der 2010er Jahre erleben.

Nach dem Verlust ihres Mannes vor einigen Jahren muss sich die Altenpflegerin Amelia (Essie Davis) allein um die Erziehung ihres sechsjährigen Sohnes Samuel (Noah Wiseman) kümmern. Doch das Mutter-Sohn-Verhältnis ist mehr als kompliziert: Amelia fällt es schwer, ihrem Kind die Zuneigung entgegen zu bringen, nach der es verlangt. Sie ist oft überarbeitet, übermüdet und hat nicht verarbeitet, dass sie Samuel eine Mitschuld am Tod ihres Mannes gibt. Außerdem gilt Samuel als Einzelgänger, Sonderling und sozial unangepasst. Eines Tages entdeckt Amelia ein Bilderbuch mit dem Titel „Mister Babadook“ und liest es Samuel abends vor. Der Inhalt des vermeintlichen Kinderbuches ist grausam: Es handelt von dem Schreckgespenst Babadook und warnt alle, die das Buch lesen, dass das unheimliche Monster auch sie besuchen und quälen wird. Nicht nur, dass das Buch sowohl Samuel als auch Amelia tief verängstigt, tatsächlich werden sie kurz darauf von seltsamen Geschehnissen und Visionen heimgesucht. Der Babadook scheint sich bei ihnen eingenistet zu haben und zieht die Schlinge immer weiter zu.

Selbst die Zusammenfassung der Handlung könnte noch auf die falsche Fährte locken; schließlich sind hier alle Ingredienzen für eine traditionelle – oder auch moderne – Haunted House Spukgeschichte versammelt: Merkwürdige Geräusche unbekannter Herkunft in der Nacht, düstere Vorahnungen, eine immer gespenstischer werdende Atmosphäre. Tatsächlich hat sich der Babadook einiges aus bekannten Horrorfilmen entliehen und erzählt an der Gruselfront nichts sonderlich Neues. Muss er aber auch gar nicht, denn alles was den Horror im Namen trägt, dient ihm nur als Fassade, als Camouflage, mit der er seinem Publikum eine viel erschreckendere Geschichte injizieren kann. Der Babadook handelt von einer kaputten Mutter-Sohn-Beziehung, von einem kaputten Haushalt und der radikalen Trostlosigkeit, die diesem Haushalt innewohnt. Der Babadook dient dabei von Anfang an als Externalisierung des Schreckens, der das Innere seiner Protagonisten im Grunde genommen schon viel länger befällt. Amelia, herausragend gespielt von Essie Davis, ist ein durch und durch zerbrochener und durch und durch zerrissener Charakter. Sie will das richtige tun, will ihrem Kind Geborgenheit und auch Liebe geben, ist von dieser Aufgabe aber hoffnungslos überfordert. Immer wieder flieht sie sowohl emotional als auch physisch vor ihrem Sohn, kompensiert ihre angestaute Verzweiflung mit beängstigenden Wutaus- und tieftraurigen Zusammenbrüchen. Samuel – ebenfalls herausragend gespielt von Noah Wiseman – ist ebenso Opfer seines Umfelds wie er von Beginn an das Zerrbild eines unheimlichen Kindes ist. Wir wissen nie so ganz, wie er tickt, was er weiß oder nicht weiß, welches Verhalten von ihm Manipulation oder einfach nur ehrliche Verzweiflung ist.

Da wirkt es fast wie eine Erlösung, wenn der einfache, zu fassende Horror um die Ecke kommt. So undurchschaubar und zugleich beängstigend diese Familienkonstellation ist, so erlösend scheint es doch, wenn sich Amelia und Samuel gegen die Gefahr von außen zusammenraufen müssen. Der Babadook als greifbares Monster, als eindeutige Bedrohung, der jegliche Ambivalenz von Mutter und Kind fehlt, ist in diesem Kontext so etwas wie das kathartische Böse, der Schrecken, der uns ironischerweise zeigt, dass die Welt doch noch ganz in Ordnung ist. Ohne sein übernatürliches Spukmoment wäre Der Babadook deutlich schwerer zu ertragen. Aber natürlich begnügt sich der Film nicht damit den alltäglichen Horror mit dem übernatürlichen Horror zu kontrastieren. Der Plot von Jennifer Kent folgt einer erbarmungslosen Logik, in der die Familie zu schwach ist, um sich gegen den Schrecken wehren zu können: Zu dieser Logik gehören Misstrauen, Ungläubigkeit und Ignoranz, Schuldumkehr und schließlich ein ganz und gar realer, destruktiver Zorn, der sich hinter dem geisterhaften Zorn in Stellung bringt. Kent spielt mit diesen Kontrasten in beeindruckend düsteren Szenen, lässt sie gegeneinander und übereinander laufen und schließlich in einem unheimlich brutalen, unheimlich unheimlichen Finale kulminieren. Hier verlässt der Babadook auch vollends die Bahnen des traditionellen Horrorkinos und wird zu einem bösartigen Hybriden aus Surrealismus, Farce, Symbolismus und invertiertem Home Invasion Flick. Wer einen klassischen Horrorfilm sehen will, sollte sich zweimal überlegen, ob der Babadook der richtige Ort für ihn ist. Alle anderen erwartet hier eines der aufregendsten Regiedebüts der letzten Jahre und definitiv einer der besten Horrorfilme des Jahres 2014… obwohl und gerade weil er so viel mehr ist als ein einfacher Horrorfilm.

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