Und was zur Hölle sind jetzt eigentlich Post-Horror-Filme?

Poststrukturalismus, Postmoderne, Postrock, Postwestern, Post Post something… die Zeit der Poststationen sollte doch eigentlich mal so langsam vorbei sein und in den Geschichtsbüchern landen: Als künstlerische Epoche, die irgendwann nach 1945 begonnen hat und deren Markenkern es vor allem war, an alle ästhetischen und thematischen Konzepte der Moderne ein „Post“ anzuhängen. Eine Zeit lang war das ja alles ganz spaßig und auch irgendwie verführerisch, konnte man mit dem Post-Präfix doch Traditionen vergangener kultureller Errungenschaften weiter pflegen und sich zugleich kritisch von ihnen distanzieren. So wie die Dekonstruktion, wenn man gehässig sein will, als fauler Kompromiss zwischen Destruktion und Konstruktion betrachtet werden kann, kann alles was Post-Irgendwas ist, als fauler Kompromiss zwischen Traditionalität und Aufbruch definiert werden. Vielleicht nicht einmal faul, sondern viel mehr feige, so ein bisschen der kleinste gemeinsame Nenner aus Konservatismus und Subversion. Und wenn man so richtig gemein ist, stellt man einfach fest, dass es sich bei den ganzen „Posts“ in erster Linie um Kreationen ideenloser Kunst-, Musik- und Filmkritiker handelt, die einfach irgendeine Schublade brauchen, um eine Menge X künstlerischer Werke in diese packen zu können. Sollte das stimmen, dann ist das Präfix wohl nie totzukriegen. Irgendein „Post“ findet man immer; so wie neuerdings immer öfter im cineastischen Diskurs den Post-Horror. Also dann, hier schreibt ein ideenloser Filmkritiker und versucht eine überzeugende Begründung zu finden, warum eine Schublade Post Horror gebraucht wird. Zehn Thesen zur neuesten Sau, die durchs filmfeuilletonistische Dorf getrieben wird. Zehn Thesen zum Post Horror…

1.) Post Horror ist prätentiös

Und wie! Eigentlich reicht schon das Post-Präfix, um diesen Befund zu untermauern. Horror mit einem Post davor, darf nicht einfach erschrecken und unterhalten, er will verdammt nochmal zum Nachdenken anregen, oder am besten gleich die Gesellschaft umkrempeln. Folgerichtig ist Get Out dann auch kein einfacher Schocker, sondern ein satirisches Manifest, das sich mit viel Spott und Gehässigkeit mit dem verborgenen Rassismus der nur scheinbar liberalen amerikanischen Mittelschicht auseinandersetzt. Deshalb will uns The VVitch (stilisiert mit Doppel-V. Geht es denn noch prätentiöser?) eine Lektion in amerikanischer und protestantischer Geschichte erteilen und deshalb haben Hereditary und Babadook ihre Freuds und Jungs und Hellingers gelesen und fest mit an Bord, inklusive Tiefenpsychologie und Familienaufstellungs-Schnickschnack. Post Horror ist selbstverliebtes Zeigefingerkino, beseelt vom eigenen Intellekt, der eigenen Tiefe und Größe und weiß in jeder Sekunde, dass es besser ist als all die anderen Horrofilme da draußen. Ein akademischer Snob mit Foucault unterm Arm und Jason-Maske mit Monokel auf dem Gesicht.

2.) Post Horror ist Kunst

Ja, aber irgendwie darf es sich der Post Horror auch erlauben selbstverliebt zu sein. Immerhin kommt er nicht aus der Horror- sondern aus der Arthaus-Ecke und scheut sich auch nicht davor mehr zu sein als bloße Horrorunterhaltung. So spielt Lars von Trier in seinem Antichrist mit Hexenmythen und -legenden, mit dem Male Gaze auf Female Empowerment und verpflanzt diese Themen in ein düsteres Wald-Setting, umwoben von radikalen Zeitlupen und der Musik Georg Friedrich Händels. So schickt Darren Aronofsky seine Protagonistin in mother! auf eine Tour de Force durch die Genesis, die Menschheits- und Bibelgeschichte, und Hereditary verfrachtet seine Protagonisten und Protagonistinnen in ein klaustrophobisches Diorama, in dem die Enge der familiären Konflikte versinnbildlicht wird. Im Post Horror arbeiten Inhalt und Stil zusammen, um Filme immer auch zu kleinen oder größeren Kunstwerken zu machen, weit über die Filmhandlung und das Filmgeschehen hinaus. Das bedeutet auch, dass sich Post Horror von Horrortopoi lossagt, obwohl diese im aktuellen Genrekino sehr gefragt, wenn nicht gar Hitgaranten sind.

3.) Post Horror ist vor allem Post Jump Scare Kino

Wenn es ein langweiliges, überreiztes Stilmittel im Horrorkino der letzten zwanzig Jahre gibt, dann sind es Jump Scares, und noch viel schlimmer Fake Jump Scares. Mitte der 90er Jahre unter anderem mit Scream hat es angefangen; und von da an ging es nur noch bergab. Wurde das Mittel des Zuschauers Erschrecken – und anschließenden gemeinsamen Lachen – in Wes Cravens schlitzohriger Slasher-Saga noch ironisch und mit Augenzwinkern eingesetzt, wurde es im Laufe der 2000er Jahre – zunächst primär im großen Slasher-Revival – zu einem essentiellen, äußerst ernst zelebrierten, Bestandteil des Horrorkinos. Vor allem die ganzen Paranormal Activities und Conjurings dieser Welt lebten geradezu vom exzessiven „Buh!“-Rufen mit anschließendem Lachen, selten nur noch mit, stattdessen meistens über die Zuschauer. Aber die lassen es sich viel zu oft gefallen, fiebern den Jump Scares sogar freudig entgegen, um im kollektiven „Huch!“ eine Art kleinsten gemeinsamen Sinn stiftender Katharsis zu erleben. Jump Scares funktionieren so gut, weil sie aus Horrorfilmen ein gemeinsam gefeiertes Event machen, Jump Scares sind so etwas wie die Rettung des Kinosaales innerhalb des Genres und Jump Scares sind tierisch nervig. Post Horror Filme ignorieren (fast) vollkommen dieses effektive Werkzeug. Statt zu erschrecken wird der Schrecken hier langsam aufgebaut. Die Filme verzichten – wie im Falle von It Follows auf die laute Erlösung und quälen stattdessen mit nie enden wollenden Spannungsbögen. Hier gibt es durchaus Parallelen zu einem ebenfalls mit dem Post versehenen Genre, in jenem Fall im musikalischen Bereich: Den Postrock. Wie diese spezielle Musik sind auch Post Horrorfilme getragen von einer sich nicht auflösenden Spannung, viel mehr sogar von einer Anspannung, einer audiovisuellen Folter, deren Intensität von Minute zu Minute stärker wird. Gerade weil das kurze Aufschrecken, das erschrockene Zucken, das knappe „Hilfe!“ fehlen, wird der Schrecken umso dichter und beklemmender. Es gibt keinen Ausweg, der Jump Scare, der uns aus dem Horror rausreißt und aus dem Horrorfilm einen Witz macht, wird uns versagt. Wir müssen weiter fiebern, schwitzen und uns unwohl fühlen.

4.) Post Horror verschleppt den Exzess

Statt exzessiven Schreckschrauben zu produzieren, zieht der Post Horror Film lieber die Daumenschrauben an. Langsam und gnadenlos. Slow Burning Horror ist in diesen Fall das Zauberwort. In Midsommar wohnen wir fast zwei Drittel des Films dem gemächlichen Treiben eines skandinavischen Kultes bei; dazu gehören zwar auch einige verstörende Momente, diese sind aber weit entfernt von den Schock- und Splatterorgien des Mainstreamhorrors. Zwischendurch fragt man sich sogar, ob man überhaupt in einem Horrorfilm gelandet ist (aber dazu gleich mehr). In The Witch wird das puristische Landleben des 19. Jahrhunderts in mitunter schmerzhaft langsamen Panoramablicken ausgebreitet, und selbst dessen Bedrohung und Zerstörung wird nicht laut gefeiert, sondern langsam über der im Zentrum stehenden Familie ausgewälzt. The Lighthouse arbeitet mit radikal in sich ruhenden Schwarzweiß-Bildern, die den schwelenden Wahnsinn andeuten, aber aus diesem nie ein Horror- oder Gorefest werden lassen. Die ikonischsten Filme des Post Horror sind langsame Filme, langatmige Filme würde wohl so mancher Genrepurist hier sagen. Denn wer auf den großen Knall, auf die deftigen Schocks und die derben Destruktionen wartet, der kann hier mitunter lange warten.

5.) Post Horror lebt den Exzess dafür in seinem Schlussdrittel um so exzessiver aus.

Aber der Exzess kommt; meistens deutlich gewaltiger und gewalttätiger als man es von anderen Genrevertretern kennt. Das nimmt mitunter fast schon bizarre, überspielte, überambitionierte Züge an. So zum Beispiel in mother!, der im Schlussdrittel zu einer gewaltigen Farce wird, die die Realität parabolisch aus den Angeln hebt und im anarchischen dekadenten Fegefeuer versinkt. So auch im wohl bald als Genreklassiker geltenden Hereditary, der seine sachte entworfene Familientragödie in den letzten Minuten von einem wilden Berserkerdämonen zerfetzen lässt, inklusive absurder Bilder und hysterischem Gekreische. Post Horror mag sich mitunter lange Zeit lassen, bis er es knallen lässt. Sein Knall kann dafür aber wirklich mitreißend sein. Nicht einfach nur mit netten Jump Scares und einigen verstörenden Splatterattacken, sondern im wahrsten Sinne des Wortes mit Blut, Schweiß und Tränen, und das in einem solchen Stakkato, dass sich auch der hartgesottene Zuschauer überwältigt fühlt. Man denke an die explizite Gewaltdarstellung in Antichrist, das bizarre Befruchtungsritual in Midsommar oder die verstörende Unterwelt in Us. Post Horror tarnt sich gerne als langsam erzähltes Drama, um plötzlich mirnichtsdirnichts zur grotesken Farce, absurden Parabel oder zur dionysischen Tragödie zu werden.

6.) Post Horror ist Horrorkino für Menschen, die keine Horrorfilme mögen

Mit seiner Vorliebe für antike dramaturgische Kniffe, für parabolischen Symbolismus und großes menschliches Drama stoßen Post Horror Filme so manchem Genrefreund vor den Kopf; und öffnen sich zugleich für ein breiteres oder zumindest ein anderes Publikum. Wer Hereditary schaut, sieht eben in erster Linie ein düsteres Familiendrama voller verborgener Geheimnisse und dunkler Flecken. Wer Get Out sieht, sieht in erster Linie eine äußerst raffinierte Parabel auf die ebenso arrogante wie rassistische American Upper Class. It comes at night verzichtet komplett auf Zombies und nutzt den bedrohlichen apokalyptischen Rahmen für ein Kammerspiel, das mitunter deutlich mehr Bergmann als Romero, mehr Louis Malle als Sam Raimi ist. Ich seh, ich seh stammt nicht nur von einer Ulrich Seidl Vertrauten, sondern fordert auch von der Machart geradezu heraus, vom österreichischen Arthaus-Publikum rezipiert zu werden. Und das Suspiria-Remake von Luca Guadagnino nimmt sich gar ganz dreist einen nun wirklichen Horrorklassiker und verwandelt ihn in ein Coming of Age Drama, bereit für die Analyse von all den Filmkunststudenten dieser Welt. Post Horror will oft gar nicht Horror sein, sondern Satire, Parabel, Tragödie, Drama, Coming of Age, Liebesfilm… alles, eben bloß kein Horror.

7.) Post Horror ist nur etwas für Menschen, die Horrorfilme mögen

Aber natürlich funktioniert das so nicht. Man mag in Raw einer interessanten Coming of Age Parabel über Unschuld und Naivität, über das Erwachen der Sexualität folgen, spätestens wenn er dann explizit wird, wähnt man sich aber im Genrekino. Und das gehorcht gewissen Regeln, die für Außenstehende nur schwer zu ertragen sind: Ekel, Angst, Schock, Schmerz und Explizität gehören dazu. Egal wie witzig das Verhalten der weißen Möchtegern-Liberalen in Get Out ist, wenn sie beginnen zu foltern und zu morden, bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Egal, wie gekonnt The Lighthouse Melville und andere Seemansgarnerzähler zitiert, wenn eine Nixe unter hohngelächter ihrem sukkubischen Treiben nachgeht, ist jedes Moment von Hochkultur vorüber: Horror ist laut, pervers, manchmal sogar pornografisch, auf jeden Fall aber erschreckend, Angst machend, blutig und brutal. Und wer sich von so etwas nicht unterhalten fühlt, der wird auch mit Post Horror Filmen seine Probleme haben. Selbst wenn sie zu zwei Drittel als Nicht- oder Anti-Horrorfilme perfekt funktionieren, es gibt dann eben doch den Moment, an dem sie umschlagen, und dann sind sie einfach mal ganz traditionelles Genrekino. Love it or leave it.

8.) Post Horror hat schon immer existiert

Bleibt eine entscheidende Frage: Reicht das, um als einzigartige, eigenständige und vor allem neue Kategorie zu funktionieren? Wohl kaum. Die ganzen Tropes des Post Horror Kinos sind nämlich in der gesamten Horrorfilmgeschichte präsent. Horror als Camouflage für die Erzählung großer Familientragödien? Wie wäre es mit Stanley Kubricks Shining, der in entscheidenden Punkten von seiner Vorlage abweicht, um mehr Tragödie denn Killerstory zu sein. In Horror versteckte Gesellschaftssatire? Natürlich, jeder gottverdammte Zombiefilm seit Night of the Living Dead. Horror als Slow Burning Drama? Das hat Takashi Miikes Audition gut fünfzehn Jahre vor dem Posthorrortrend zur Perfektion gebracht, nicht zuletzt auch, weil er zwei Drittel seiner Laufzeit mehr Großstadtdrama als Horrorfilm und im letzten Drittel mindestens ebenso gleichberechtigt Farce und Satire ist. Ohnehin besitzt das asiatische Horrorkino der späten 90er und frühen 2000er Jahre eine Menge Topoi, die nun im Post Horror als der neueste Shit gefeiert werden. Man denke nur an die als Horrorfilm getarnte Familientragödie A Tale of two Sisters oder den die Leere umarmenden Großstadtschocker Kairo. Post Horror war schon immer da; sobald sich ein Horrorfilm bestimmten Konventionen entzog, sobald das Genre seine Grenzen öffnete, neues auslotete, sich nicht auf den simpelsten Schrecken verließ und mehr erzählen wollte als bloß irgendeine nette Gruselgeschichte. Im Grund genommen ist Post Horror nichts anderes als ein Synonym für guten Horror, eine Bezeichnung für Filme, die das leisten, was das Genre immer leisten sollte. Nicht unbedingt die Langsamkeit, nicht unbedingt die Inspiration durch andere Genres, nicht unbedingt das parabolische, satirische, gesellschaftskritische Moment… aber wenigstens etwas davon, wenigstens eines dieser Momente. Denn erst wenn ein Horrorfilm etwas davon besitzt, wird er zu einem guten Horrorfilm.

9.) Das Label Post Horror scheint also ziemlich überflüssig…

Wie gesagt, siehe oben: Post Horror ist nichts anderes als guter Horror. Irgendwie schon immer da, nur plötzlich mit einem neuen Label versehen. Also ziemlich überflüssig. Oder?

10.) …Und ist gerade heute mehr als nötig.

Nein, wir brauchen den Post Horror: Als Antwort auf die Sackgasse, in die das Horrorkino geraten ist. Als Reaktion auf die ganzen Splatter und Shock Value Filme der 2000er Jahre, auf all die Saws und Hostels, aber auch die Horrorfilme der New French Extremity, die Horror nur noch als Auslotung von extremen Visualisierungen begriffen haben; auf all die Martyrs und Insides und solche Genreperversionen wie The Human Centipede und A serbian Film, die die Filmkunst ganz ganz weit hinten anstellten, um einfach nur so extrem wie möglich zu sein. Ebenso allerdings auch als Antwort auf die – nicht viel besseren – aktuellen Trends der Mainstreamisierung des Horrors; auf die It und Insidious-, auf die Conjuring- und Ouija-Epigonen; auf die Horrorfilme, die das Genre nur als Ansammlung plumper (Fake) Jump Scares verstehen, die glauben Erschrecken funktioniert nur, wenn es in schneller Taktfolge auftritt und immer mit einem erleichterten Lachen des Publikums abgeschlossen wird. Ja, Post Horror ist einfach guter Horror; aber in einer Zeit, in der es so viel durchschnittliche Massenware an Horrorfilmen gibt, ist es genau das richtige Label, um uns daran zu erinnern, dass Horror zu so viel mehr in der Lage ist. Und damit hat es meinen vollen Segen. Soll die Produktionsseite, die Kritik, das Feuilleton und das Publikum ruhig noch ein wenig damit spielen. So lange es eine Marke für solch erstklassige Filme bleibt, ist Post Horror nicht nur ein Segen für die Filmwelt, sondern als Kontrapunkt zu all den Horrorhorrors mehr als notwendig.

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