Scream-Retrospektive zur Einstimmung auf Teil 4 der Slasher-Saga I: Das Original

Wes Craven muss schon ganz schön dicke Eier haben oder ein hoffnungslos naiver Optimist sein, dass er es sich tatsächlich traut einen vierten Teil der Scream-Franchise ins Kino zu bringen. Immerhin war Scream von Anfang an als Trilogie angelegt, was der Stoff an und für sich keinesfalls selbstverständlich hergibt. Dann die Tatsache, dass die Scream-Filme von Teil zu Teil dünner und unspannender wurden. Ganz zu schweigen von der miesen Erfahrung, die aus der Geschichte der Slasher-Fortsetzungen resultieren dürfte: Jason? Totgemetzelt. Freddy? Irgendwann nur noch ein Schatten seiner selbst. Mike Myers? … Sprechen wir nicht darüber. Und schließlich der letzte und wesentliche Punkt. Scream, damals schon das Revival eines totgesagten Genres, wirkt in Zeiten der Saws und Hostels gleich wie ein doppelter Anachronismus. Die darin gezeigte Gewalt, die im Mainstreamkino der 90er tatsächlich noch ungewöhnlich war, wurde für ein Massenpublikum mittlerweile derart pervertiert, inflationiert oder einfach detaillierter aufbereitet, dass Scream selbst in der uncut-Version scheinbar wie der brave Großvater heutiger Blutorgien wirkt. Sei es drum… Wes Craven beweist Mut (oder Dummheit); und so startet Scream 4 diese Woche in unseren Kinos. Und für alle, die sich auf ein nostalgisches Wiedersehen mit dem – in diesem Fall gleich doppelt nostalgischen – Slasherklassiker freuen (so wie ich), gibt es an dieser Stelle eine kleine kritische Würdigung der drei Vorläufer. Wir beginnen mit Scream 1, dem Klassiker von 1996. Die beiden Fortsetzungen folgen in einem seperaten Artikel.

Scream – Schrei! [Wes Craven]

(USA 1996)

Scream (mit dem überflüssigen deutschen Beititel Schrei!) ist der erste und zugleich auch der beste Teil der Slasher-Franchise. Das hat gleich mehrere Gründe. Als Vorreiter des großen Teenhorror-Revivals gelingt es ihm (im Gegensatz zu seinen zahlreichen Epigonen) nostalgisch, jedoch nie anachronistisch zu wirken. Das liegt vor allem in der im Grunde genommen tiefstdüsteren, pessimistischen Stimmung, die trotz Selbstreferenzialitäts-Späßen nie vollends gebrochen wird. Die Protagonistin Sidney ist ein unsicheres, von Ängsten gebeuteltes Mädchen, das unter dem Verlust seiner Mutter leidet. Ihr Boyfriend wird von Beginn an als suspekt geschildert, ihre ganze Welt ist beherrscht von Unsicherheit, klassischen Teenängsten (an oberster Stelle natürlich die Entjungferung sowohl bildlich als auch konkret) und der Furcht die sich aus der besonderen Situation ergibt. Dadurch wirkt Scream weitaus grimmiger und dreckiger als viele andere 90er Slasher oder Teenhorrorfilme.

Diese Grimmigkeit verdankt der erste Teil der Franchise auch der bewussten Entscheidung auf „Stars“ zu verzichten und stattdessen eher unbekannte Jungschauspieler auflaufen zu lassen. Das bekannteste Gesicht – Drew Barrymore – wird bereits in den ersten zehn Minuten getötet, danach dürfen sich frische unverbrauchte Gesichter frei entfalten. Neben dieser Grimmigkeit, die auch mit dem gefühlt höchsten Blutgehalt (während der Dreharbeiten wurden 210 Liter Kunstblut vergossen) und Gorefaktor der Serie einhergeht, bricht Scream gleich mit mehreren Slasher-Gesetzen und schafft sich so seine eigene Tradition. Die Kombination von eindeutigem Motiv und absoluter Motivlosigkeit der Killer sollte auch in den weiteren Teilen der Serie eine wesentliche Rolle spielen. Dann das Who-dunnit-Szenario, eigentlich unüblich für einen Slasher alter Schule. So anonym und arbiträr der Killer in seiner ausdruckslosen Maske auch scheint, so spezifisch wird er bei seiner Offenbarung. Waren Jason  und seine Mutter aus Freitag der 13. getrieben von unfokussiertem Rachedurst, war Mike Myers einfach nur auf aggressiver Teeniejagd, so hat einer der Haupttäter in Scream ein klares Motiv – und ist auch nicht verlegen darum dieses zu artikulieren, während der zweite Täter ein Spiegelbild metamedialer Gewalt darstellt.

Genau, das Metamediale. Das darf natürlich nicht unterschlagen werden. Neben seiner Eigenheit als grimmige Renaissance des Ur-Slasher, reflektiert und dekonstruiert Scream das Genre, was ihn interessanterweise massentauglicher und anschmiegsamer werden lässt. Die selbstreferenziellen, zitierfreudigen Bezüge lockern das Geschehen mit publikumswirksamem Humor auf, in der nerdigen Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen Vorbildern wird Scream zum Mainstream-Horrorfilm – und dadurch folgerichtig zur Inspirationsquelle zahlloser folgender 90er-Slasher. Und in dieser integrierten Geschmeidigkeit bleibt er dennoch gewitzt und überzeugt als intelligent konstruierter Metafilm. Allem voran natürlich die herausragende Szene, in der der Horrorfilm-Freak Randy vor dem TV-Gerät Halloween verfolgt, Jamie Lee Curtis anbettelt sich umzudrehen, während hinter ihm selbst – unbemerkt – der Killer lauert. Dieses selbstreferenzielle Moment wird potenziert durch die daran anschließende Szene, in der Sidney und ein – dem Tode geweihter – Nebenakteur eben genau jenes Spiel auf dem Monitor mit Zeitverzögerung verfolgen und Randy eben genau jene Warnung zurufen, wie dieser der Scream-Queen Jamie Lee Curtis. Ein metamedialer Dreiklang der Extraklasse, der durch die von den beiden Beobachtern vergessene Zeitverzögerung, die den Nebenakteur in die Opferrolle befördert, noch einmal gesteigert wird.

Scream sollte übrigens Scary Movie heißen, der Titel wurde später bei der (unterbelichteten) Direktparodie wiederverwertet. Es ist erstaunlich wie spurlos die Zeit an Scream – im Gegensatz zu seinen Epigonen, Parodien und Fortsetzungen – vorbeigegangen ist. Auch heute funktioniert der Film noch hervorragend als grimmiger Slasherbastard, ebenso als humorvolle, augenzwinkernde Verbeugung vor dem Genre. Und in dritter Instanz schließlich selbst als nostalgisches urwüchsiges 90er Jahre Werk, kurz bevor das Gewaltniveau im Mainstream-Horrorkino eine neue Dimension erreichen sollte.  Scream, eine Verbeugung vor dem Kanon des Slashergenres, ist mittlerweile selbst vollkommen zurecht in diesen Kanon eingegangen. Jeder, der sich für Horrorfilme interessiert, sollte ihn gesehen haben.

 

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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