Genre-Döner mit Alles (und scharf) – Rezension zum deutschen Genrebastard „Schneeflöckchen“

Ist der deutsche Genrefilm tot? Hat er je gelebt? Oder ist er vielleicht einfach noch nicht geboren worden? Ist er eine Tot- oder zumindest Frühgeburt? Oder einfach ein Kind, dass ein bisschen langsamer ist als seine Spielkameraden, dem man einfach noch ein bisschen mehr Zeit geben muss? Egal wie die Antwort aussieht, alle paar Jahre kommt ein Film aus Deutschland in die Welt (oder zumindest nach Deutschland), der als ultimativer nationaler Beitrag zum Genrekino betrachtet, zumindest in der Nische ordentlich gefeiert und von den Nerds auch gerne zum besten Genrebeitrag seit blabla erklärt wird. Oft geht er dann doch irgendwie in der Filmgeschichte verloren und bleibt am Schluss nur eine Randnotiz neben – zweifelsohne existierenden – herausragenden deutschen Filmen, die nicht auf Teufel komm raus versuchen gutes Genrekino zu sein und stattdessen einfach ihr eigenes Ding durchziehen. Das klingt eigentlich als Urteil viel zu zynisch, geben doch gerade die letzten Jahre durchaus Grund zum Optimismus: Der furiose Romantikthriller Victoria, der düstere Fiebertraum Der Nachtmahr, der gelungene Zombiefilmbeitrag Rammbock… ja, doch, da ist in den 10er Jahren dieses Jahrhunderts doch einiges Sehenswertes passiert. Und nun… fast schon als krönender Abschluss des Jahrzehnts, Schneeflöckchen; quasi der Versuch einer Quintessenz des neuen deutschen Genrefilms, und dabei vor allem ein wilder Bastard aus gleich unzähligen Genres.

Berlin in einer – ziemlich abstrakten aber der Inszenierung nach zu urteilen – nicht allzu weiten Zukunft: Der Staat ist partiell zusammengebrochen, auf den Straßen herrscht Anarchie, das Recht des Stärkeren dominiert den Alltag. Die beiden Freunde Tan und Javid gehören zu den typischen gesetzlosen Kleinganoven, die sich in der Berliner Unterwelt durchschlagen. Nach einem eskalierten Konflikt in einer Dönerbude finden die beiden ein Drehbuch, in dem exakt die Ereignisse der letzten Stunden und sogar die gerade stattfindenden Ereignisse (bis zum lauten Vorlesen des Drehbuchs selbst) festgehalten sind. So erfahren sie auch, dass die Reporterin Eliana unterwegs ist, um einen Auftragskiller auf die beiden anzusetzen, weil sie sie für den Tod ihrer Eltern verantwortlich macht. Es folgt das Übliche: Kannibalen mit Schweins- und Hühnermasken, blutverschmierte Engel, blinde Auftragsmörder mit AGBs, die über mehrere Seiten gehen, eine Killerikone, die sich für Gott hält und einen eigenen Kult begründet hat… und natürlich viele Meta-, Metameta- und Metametametaebenen.

Jepp, Schneeflöckchen ist nicht nur ein Beitrag zum Genrekino sondern gleich ein Beitrag zum dekonstruktivistischen, destruktiven Genrekino. Was in Adolfo Kolmerers Film zumindest in den ersten Sekunden noch wie ein Rip Off von Reservoir Dogs wirkt, wird schon innerhalb weniger Minuten komplett auseinander gesprengt: Natürlich muss der Film in einer parabolischen Zukunft spielen, natürlich wird er dabei von einem netten Märchenonkel erzählt, natürlich ist das vor allem eine Satire auf düstere Zukunftsvisionen, zumindest für ein paar Minuten; dann wird es zum postmodernen, selbstreferenziellen Trip der Marke Stranger than Fiction. Muss es aber nicht lange bleiben, immerhin warten noch ein paar dutzend andere Vorbilder hinter der nächsten Ecke, die zitiert, ausgeschlachtet, durch den Fleischwolf gedreht werden wollen.
Wenn man diesem deutschen Genrefilm gerecht werden will, besitzt Namedropping immer noch die besten Chancen, schnell auf den Punkt zu bringen, wo dieser Film herkommt, was er macht und was er will. Also, heyho, let’s go: Tarantino, Stranger than Fiction, Dogma, Pulp Fiction, Watchmen, From Dusk Till Dawn, Snatch, Tatort: Im Schmerz geboren, noch mehr Tarantino, Lola rennt, Kick-Ass, Knocking on heavens door, ein bisschen Punk, ein bisschen Gangsterrap, ein bisschen Berlin Porno, viel amerikanisches Exploitation und dabei doch so deutsch wie ein Döner (Salat alles, und scharf) mit Fritz Cola .

Bemüht ist er ja… und irgendwie will man ihn mögen, eben weil er so bemüht ist. Letzten Endes ist er aber vor allem ein wüstes Konvolut aus diversen Vorbildern, ohne dabei jemals eine eigene Identität zu entwickeln. Dafür ist einfach zu viel Zitat offensichtlich, zu viel Plagiat und zu wenig Reminiszenz, zu viel Flickenteppich und zu wenig genuines Erlebnis. Ist er deshalb ein schlechter Film? Keineswegs. Irgendwie kommt man als Zuschauer dann doch nicht drumherum, dem Film Respekt zu zollen; zum einen für seine Schamlosigkeit beim Ausschlachten der Vorbilder. Zum zweiten für seinen dringenden Mut, etwas wirklich Undeutsches bemüht undeutsch und dabei doch ziemlich deutsch zu erzählen. Aber auch für seinen Mut auf Kohärenz, Plausibilität und Konsumierbarkeit zu scheißen. Gar nicht zu versuchen, den Fokus zu halten oder einen einheitlichen Stil zu kreieren sondern stattdessen durch alle Genres, Referenzen und Ikonographien zu hüpfen wie ein aufgekratztes Kind auf Speed, LSD oder Methamphetaminen. Denn sind wir ehrlich: It’s a mess. But a really entertaining one. Schneeflöckchen ist einfach mal kaputt, überladen, überambitioniert, übervoll, dabei unfassbar infantil, größenwahnsinnig und vollkommen aus der Reihe tanzend. Und ja, das macht ihn – wenn schon nicht zu einem guten Film, so doch – fucking sympathisch. Man will diesen Schund aus Deutschland einfach liebhaben… und ja, warum eigentlich nicht? Klar, das ist ziemlicher Trash, das ist wirklich kein guter Film, aber er macht so Spaß dabei, nicht gut zu sein, hat so viel Spaß dabei, nicht gut zu sein und fährt dabei nicht nur einfach gegen die Wand, sondern reißt diese gleich mit derartiger Gewalt sich ein, dass man sich einfach nur vor ihm verbeugen will.

Genau solche Filme braucht die deutsche Filmlandschaft mehr: Mutige Filme, waghalsige Filme, Filme die einfach druff und drüber sind und damit verdammt viel Spaß machen. Das nächste Mal dann gerne bitte in wirklich gut und vielleicht sogar fokussiert. Bis dahin bleibt der hier aber erst einmal stehen, als irrster deutscher Film seit längerer Zeit und bester schlechter deutscher Film seit einigen Jahren. Und selbst wenn er – wie so viele seiner Kollegen – vielleicht in ein paar Jahren nahezu vergessen sein wird, jetzt – und zwar genau jetzt – sollte er genau deswegen unbedingt gesehen werden.

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