Once upon a time in Hollywood… – Quentin Tarantino der Märchenonkel

Once upon a time… Der Titel von Quentin Tarantinos – nach selbstgewählter Zählweise – neuntem Film sagt bereits, wohin die Reise geht. Tarantino schreibt schon lange keine Geschichten mehr, er schreibt Geschichte um. So ließ er in Inglorious Basterds (2009) in einem fulminanten, komplett von der Realität entfremdeten, Showdown, Hitler und all seine Nazischergen in einem Massaker umkommen, so ließ er in Django Unchained (2012) einen einsamen schwarzen Helden auf radikale Weise die Sklaverei mit einem Handstreich zerstören und so feierte er in The Hateful Eight (2015) in einem dramatischen Blutbad die Versöhnung zwischen dem schwarzen und dem weißen Amerika. Tarantino ist schon lange nicht mehr einfach nur der postmoderne Brutaloprovokateur, er ist viel mehr so etwas wie der Märchenonkel des postmodernen Referenzkinos. Und im Grunde genommen war er das schon immer. Hat er nicht bereits in Kill Bill die Kinogewalt praktisch unter einer Tonne Comicsauce begraben? Hat er nicht bereits in Pulp Fiction und Jackie Brown aus dem Gangsterkino eine Nummernrevue gemacht, inklusive Tanz- und Gesangseinlagen? Und hat er nicht selbst bereits in seinem Debüt Reservoir Dogs das Narrativ über dem Geschehen triumphieren lassen, indem er Zeit einfach zu erzählter Zeit werden ließ. Das mag etwas verklärt und zurecht gerückt wirken, aber wie könnte man auch anders, wenn er in Once upon a time in Hollywood (2019) derart selbstverständlich wie ein Märchenonkel daherkommt. Es war einmal… und das ganz ohne Zynismus und derbe Note… Naja… fast… schließlich handelt es sich hier ja immer noch um Quentin Tarantino.

Im Hollywood des Jahres 1969 hat der Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) seine beste Zeit längst hinter sich. In den 50er Jahren war er der Star der beliebten Westernserie Bounty Law. Abgesehen davon, dass in das Anwesen neben seiner Villa in Beverly Hills gerade Regielegende Roman Polanski und seine Frau Sharon Tate (Margot Robbie) eingezogen sind, gibt es aber nur noch wenig Glamour in seinem Leben. Statt den Helden zu verkörpern darf er in aktuellen Western nur noch den Bösewicht geben, und das Angebot des Agenten Marvin Schwarz (Al Pacino) ab sofort Spaghettiwestern zu drehen, treibt ihn in den Wahnsinn. Wenigstens hat er noch sein ehemaliges Stuntdouble Cliff Booth (Brad Pitt), der für ihn mittlerweile Fahrer, Hausmeister, Handwerker, Mädchen für alles und bester Freund ist. Während Rick wieder einmal den Schurken im neuesten Western mimt, trifft Cliff auf den Straßen von L.A. die junge hübsche Anhalterin Pussycat (Margaret Qualley), die mit ihren Freunden auf der Spahn-Ranch lebt. Da auf diesem Gelände früher Bounty Law gedreht wurde, begleitet Cliff sie zu ihrem Hause und trifft dort auf eine obskure Ansammlung von Hippies, die auf die Rückkehr ihres Gurus Charles Manson (Damon Herriman) warten.

Was für eine Steilvorlage für allerlei Groteskes, Düsteres und Abgedrehtes: Das Hollywood der ausgehenden 60er Jahre mit all seinem Schein und Sein, mit all seinen verdorbenen Exzessen, das Leben eines ehemaligen Filmstars, der nur noch ein Schatten seiner selbst ist, selbstverliebte Emporkömmlinge, abgefuckte Sektenjünger, brodelnde Gewalt unter der Decke der Traumfabrik und natürlich das apokalyptische Verbrechen der Manson-Sekte, das diesem Ort schließlich jeglichen Rest Unschuld rauben sollte. Was für eine Vorlage, aber Quentin Tarantino vollzieht hier einen kleinen Zaubertrick. Vor den Augen seines Publikums lässt er all das potentiell Verdorbene, Dreckige und Hässliche verschwinden und erzählt ein romantisches Märchen, das im Grunde genommen von zwielichtigen aber dennoch durch und durch sympathischen Figuren bevölkert wird. Da ist zum Beispiel dieser Cliff Booth, der zwar verdächtigt wird seine Frau umgebracht zu haben, dessen womöglich dunkle Vergangenheit allerdings gerade für ein paar augenzwinkernde Sekunden ausgebreitet wird. Viel wichtiger ist an diesem Charakter sein (schreiend komischer) Zweikampf mit einem abgehobenen, selbstverliebten Bruce Lee, seine wundervolle Beziehung zu seinem ergebenen Hund und die enge – nie in Frage gestellte – Freundschaft zu Rick. Da ist dieser Rick Dalton, eigentlich ein abgehalfterter Ex-Actionstar. In Wirklichkeit aber ein Darsteller der noch ehrlich für seinen Beruf brennt, selbst die albernste Bösewicht-Travestie in ein beeindruckendes Schauspiel verwandelt und sich ehrlich um das Wohl seiner jungen Schauspielkollegin sorgt. Ein herzensguter Mensch mit Ecken und Kanten. Da ist dieses zauberhafte Wesen Sharon Tate, die ihren eigenen Film The Wrecking Crew (1968) im Kino schaut und sich mit kindlichem Vergnügen an den Reaktionen des Publikums auf ihre Slapstick- und Kampfszenen erfreut. Da sind die Manson-Töchter, die weniger psychopathisch gefährlich als viel mehr verloren und trotzig eigensinnig wirken und auch mal kurz vor einem geplanten Terrorakt kalte Füße bekommen und das Weite suchen. Da ist ein scheinbar schmieriger Filmagent, der allerdings dazu bereit ist, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um seinem Schauspieler doch noch einen zweiten Frühling in Übersee zu ermöglichen. Und da sind die zahllosen Stars und Sternchen, die ihren Beruf lieben, ihre Berufung und das Leben im prachtvollen Los Angeles dennoch in vollen Zügen genießen wollen.

Once upon a time in Hollywood steckt voller sympathischer, angenehmer Charaktere. Noch nie hat man in einem Tarantino-Film derart wenig Dubioses, Zwielichtiges und Bösartiges gesehen. Und der Zaubertrick endet an dieser Stelle keineswegs. Denn Tarantino hat hier eine Mission, die tief in seinem „Es war einmal…“ verborgen – letzten Endes aber ziemlich offen – liegt: Er will der Traumfabrik ihre Unschuld zurückgeben. Und wenn es sein muss, dann über das Genre des Märchens. Dieses in Hollywood spielende Märchen ist eine bonbonfarbene, durch und durch optimistische Tragikomödie, die Kusshände in alle Richtungen von Beverly Hills verteilt. Once upon a Time… fürwahr. Hier gibt es keinen Zynismus, keinen Hass und keine Verachtung. Hier wird nicht nach unten gespuckt und getreten und – ausgerechnet in einem Tarantino-Film, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – haben sich irgendwie alle lieb. Rick hegt keinen Groll gegen die neuesten Nachwuchsstars, die ihm den Rang ablaufen, Cliff ist Rick nicht einfach nur ergeben, sondern sieht in ihm tatsächlich einen Freund, mit dem er durch dick und dünn geht. Natürlich darf Sharon Tate kostenlos in ihren eigenen Film gehen und natürlich darf sie mit dem Filmvorführer vor dem Wrecking Crew Plakat posieren. Natürlich lieben die Zuschauer ihren Film, so wie sie die Zuschauer liebt, und natürlich öffnen sich auch für Rick später wieder die Tore zum Glück. Selbst als Cliff einen Job vergeigt und Rick ihm daraufhin nicht mehr wirklich neue Jobs zuschanzen kann, wird das eher mit einem Schulterzucken quittiert als mit einem großen Drama. Denn schließlich ist das Hollywood, das Land der Träume, und dort haben sich alle lieb, dort dürfen alle träumen.

Und dann gibt es natürlich noch die Manson-Sekte, die auch als potentielles Störfeuer des Hollywood’schen Glücks nicht fehlen darf. Und in der Tat darf diese für die zwei spannendsten und düstersten Szenen des Films herhalten. Aber selbst das! Was ist das für ein teuflisches Unterminieren, das Quentin Tarantino hier ihrer bizarren Weltsicht antut! In seiner märchenhaften Vision werden die Mansons zu einem Haufen herumlungernder, desorientierter Hippies. Jedes sich aufbauschende Bedrohungsszenario zerstören sie mit ihrer Inkompetenz, und auch wenn Tarantino sein Publikum zwischendurch zittern und bangen lässt, verlässt er dabei nie den Pfad des komischen Märchenhaften. So wenig Thriller gab es noch nie in einem Tarantino-Streifen zu sehen, so wenig Horror und so wenig Gewalt. Ja, es gibt einem inneren und äußeren Zwang folgend eine Gewalteruption, aber selbst diese bleibt herrlich unbekümmert, geradezu grotesk unbedarft und bettet sich auch sehr schmeichelnd in den Rest des Films ein.

Bleibt die Frage: Ist das dann überhaupt noch ein Tarantino? Doofe, relativierende Antwort: Ja und Nein. Wer auf Tarantinos Kombination aus ausuferndern Dialog/Monologen mit eruptiven Gewaltexzessen steht, könnte sich hier ein wenig gelangweilt fühlen. Nicht nur, dass Tarantino in Once upon a time in Hollywood auf so gut wie jeden Thrilleraspekt seines Œuvres verzichtet, er verzichtet auch fast komplett auf die nerdigen Gespräche mit 0-Inhalt und 0-Bezug zur Handlung. Obwohl das Hollywood der späten 60er diesbezüglich eigentlich total viel Futter geben würde, gibt es keine Dialoge wie die unvergessene „Like a Virgin“-Analyse aus Reservoir Dogs, das Fußmassagengespräch aus Pulp Fiction oder das „Wer bin ich?“-Spiel aus Inglorious Basterds. Wofür das „Ja“ allerdings bedingungslos gelten kann, ist das Spiel mit den Referenzen. Tarantino überschlägt sich hier praktisch mit popkultureller Verliebtheit, wirft Referenz um Referenz auf sein Publikum, so dass es diesem fast den Atem verschlägt: 50er Jahre Western, Spaghettiwestern, 60er Jahre Commercials, Actionserien, Actionfilme, A-Movies, B-Movies, Martial Arts, Radiojingles, Popmusik und und und… Es kann einem zwischendurch schon mal schwindelig werden bei dieser Hollywood-Faktenflut von der man – Hand aufs Herz – als normalsterblicher Zuschauer maximal 50% versteht, geschweige denn überhaupt erst mitbekommt. Da ist der Großmeister voll in seinem Element und darf wie immer mehr als sonst kindlichen, kindischen Spaß haben.

Im Grunde genommen ist es aber egal, wie viel Tarantino in diesem Tarantino steckt. Denn zweifelsohne ist Once upon a time in Hollywood ein fantastischer Film: Eine stilverliebte, pointierte und trotz epischer Länge nie langatmige Tragikomödie über das Beverly Hills der 60er Jahre, eine wundervolle Liebeserklärung an Good old Hollywood, eine Verbeugung vor der Popkultur und ein Märchen, das wieder einmal Geschichte umschreibt, inklusive ironischem, referenzfreudigem Augenzwinkern. In der Einleitung habe ich ein relativierendes „fast“ an die Erwähnung des fehlenden Zynismus gesetzt. Wenn Once upon a time in Hollywood mit jemandem hart ins Gericht geht, dann mit der Proteskultur und der Gegenkultur. Wenn Rick Dalton gegen die Hippies schimpft, die in seiner Auffahrt parken, dann schimpft nicht einfach nur Tarantinos Figur, sondern Tarantino selbst. Wenn alles, was sich gegen diese bunte Version der Kulturindustrie richtet, in Manson-Sekte, Mord und Totschlag kulminiert, dann zeichnet Tarantino hier einen klaren Kontrast zwischen der heilen Filmwelt, die er umarmt und der politischen Gegenwelt, die ihre Unschuld bedroht. So gesehen ist der Zynismus der in Once upon a time vorkommt, ein regressiver Zynismus. Wenn Hollywood so schön glänzt, wie es nie glänzte, dann müssen seine Feinde und Spötter natürlich so pauschal böse sein, wie sie es nie waren. Tarantino sagt mit diesem Film zu ihnen auch „Schaut mal, wogegen ihr ankämpft und auf welcher Seite ihr damit steht!“ Once upon a time… der Titel sagt alles. Tarantinos neunter Film ist ein Märchen, mit all dem Positiven und Negativen, was ein traditionelles Märchen mit sich bringt: Versöhnlich aber konservativ; unterhaltsam aber oberflächlich; triumphal optimistisch aber auch verklärt und realitätsleugnend. Man wäre aber ein Narr, würde man dieses Märchen wegen seiner negativen Seiten ablehnen.

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