Dystopischer Action-Spaß: Hotel Artemis (2018)
Die John Wick Trilogie hat eine Spur im aktuellen Actionkino hinterlassen, deren Folgen noch nicht ganz abzusehen sind, die aber nur zu begrüßen ist. World Building scheint plötzlich der heißeste Scheiß zu sein. Nachdem die 2010er Jahre actiontechnisch dominiert worden waren von lauten, bunten Marvel-Flicks auf der einen Seite und grimmigen – oft unfreiwillig komischen – Rescue- und Revenge-Actioneers auf der anderen, hat sich Dank John Wick eine neue Form der Fantastik ins Genre eingeschlichen. Ein guter Actionfilm darf endlich wieder mehr sein als Comic-Revue, Michael Bay Porno oder generische Entführungsgeschichte: Plötzlich wollen Actionfilme Welten entwerfen, deren Beschaffenheit peu à peu entblättert wird und die sich damit genug Mysterium für potentielle Fortsetzungen bewahren. Einer der Vertreter dieser New Wave of Action ist Hotel Artemis (2018) von Drew Pearce. Pearce hat durchaus Erfahrung mit dem Genre, zeichnet er sich doch als Drehbuchautor für Iron Man 3, Mission Impossible – Rogue Nation und Fast & Furious: Hobbs & Shaw verantwortlich, also für eine große Bandbreite an Actionfilm-Varianten, die in den letzten Jahren im Kino zu sehen waren. Bleibt die Frage, ob er mit seinem Regie Debüt auch als fantastischer World Builder überzeugen kann…
Das Hotel Artemis ist ein gut verstecktes Krankenhaus im Herzen Los Angeles‘ des Jahres 2028. Es handelt sich allerdings nicht um ein gewöhnliches Hospital, sondern um einen luxuriösen, etwas heruntergekommenen Ort für ein festes Klientel, das komplett aus Verbrechern besteht: Diebe, Auftragskiller, Gangbosse… jeder der Mitglied des Hauses ist und im Kampf auf der Straße in dieser dystopischen Zukunft verletzt wurde, darf den Service des Hotel Artemis in Anspruch nehmen. Geleitet wird der Gangster-Kurort von der resoluten Schwester Jean (Jodie Foster), die gemeinsam mit ihrem bulligen Pfleger und Bodyguard Everest (Der Ex-Wrestler Dave „Batista“ Bautista) den Laden im Alleingang schmeißt. Es scheint zunächst ein gewöhnlicher Tag im Hotel Artemis zu sein: Zwei Bankräuber (Sterling K. Brown und Brian Tyree Henry) checken ein, nachdem einer von ihnen bei einer missglückten Konfrontation mit der Polizei angeschossen wurde. Außerdem befinden sich noch ein großmäuliger Waffenhändler und eine mysteriöse Auftragskillerin (Sofia Boutella) in stationärer Behandlung. Der Tag nimmt eine abrupte Wendung, als sich der Gangsterkönig und Besitzer des Hotel Artemis Wolfking (Jeff Goldblum) als Patient ankündigt. Denn die beiden Bankräuber haben etwas gestohlen, was eigentlich ihm gehört. Außerdem treibt sich noch ein auf Wolfking angesetzter Killer im Hotel herum und eine alte Bekannte Jeans, eine Polizistin, versucht ebenfalls im Artemis versorgt zu werden. Und das alles während die Straßen von L.A. durch Demonstrationen und Unruhen brennen.
No non-members, no weapons, no killing of other guests…, bereits die Verlesung der wichtigsten Regeln des Hotel Artemis lässt erahnen, dass wir hier eine tief von John Wicks Etablissements inspirierte Geschichte vor uns haben. Spätestens wenn Jodie Foster dann zu den Klängen von California Dreaming durch die edel gestalteten Gänge des Artemis läuft, lassen sich die Einflüsse dieses Action-Überraschungswerkes nicht mehr leugnen. Ähnlich wie John Wick versucht sich Hotel Artemis am Bau einer kriminellen Parallelwelt, die ganz eigenen Regeln folgt und eine ganz eigene Ethik und Ästhetik besitzt. Allerdings gelingt es Drew Pearce nicht im geringsten die geheimnisumwitterte Klasse seines Vorbilds zu erreichen. Dafür ist Hotel Artemis einfach zu offen, zu geschwätzig. Die Welt von John Wick war vor allem so spannend, weil sich ihre Beschaffenheit dem staunenden Publikum nur peu à peu entfaltete. Oft wusste man als Zuschauer nie so ganz genau, was da gerade warum geschah, und musste sich ständig einen eigenen Reim aus den obskuren Ritualen und Gepflogenheiten der Auftragskiller-Welt machen. Hotel Artemis verzichtet auf diese Art von verschleiertem Storytelling und serviert seine Welt dem Publikum auf dem Silbertablett. Leider wird dabei mehr als einmal die goldene Filmregel Show, don’t tell! verletzt.
Dass bedeutet allerdings nicht, dass die Welt von Hotel Artemis ohne Charme wäre: Der Film präsentiert eine raue Zukunftsvision, die dennoch nah genug am heutigen Amerika ist, um nicht komplett unplausibel zu sein: Auf den Straßen herrscht Krieg, große Konzerne scheinen die Welt unter sich aufzuteilen, die kleinen und großen Kriminellen spielen bei diesem Spiel nur allzu gerne mit, und wer zu schwach ist, um in dieser sozialdarwinistischen Welt zu bestehen, kommt unter die Räder. Ein bisschen Cyberpunk im Stile von Shadowrun, ein wenig Strange Days… das passt schon alles, und hält sich gleichsam mit übertrieben Fantastischem und allzu Obskurem angenehm zurück. Die Science Fiction und Dystopie von Hotel Artemis dient dann auch in erster Linie als Tableau für das, was der Film eigentlich ist: Ein reinrassiger Adrenalinfilm, ein Actionthriller, der sein Publikum stets fesseln und mitreißen will und kaum eine Verschnaufpause zulässt. Getragen wird das spannende, adrenalingetragene Vergnügen von Jodie Foster, die ihrer einsamen Heldin genau die richtigen Macken und Ticks mitgibt, um sie nachvollziehbar und sympathisch zu halten. Vor allem ihre Agoraphobie wird dabei exzellent in Szene gesetzt und hilft zielsicher mit, die Spannungskurve nicht abflachen zu lassen. Neben ihrer Darbietung macht vor allem der Auftritt von Dave Bautista Spaß, der natürlich als Comic Relief angesetzt ist, dessen Rolle aber genug Menschlichkeit besitzt, um auch als Sympathieträger zu funktionieren. Einem (Ex-)Wrestler eine zentrale Filmrolle zu geben ist immer ein Wagnis, umso erfreulicher wenn es mal gelingt. Ansonsten bleiben die Figuren eher blass, dienen größtenteils als Staffage für die eigentliche, sich immer rasanter entwickelnde Handlung. Insbesondere Jeff Goldblums Rolle scheint ein wenig verschenkt, erhält er doch kaum Leinwandzeit, und darf er während dieser nicht viel mehr machen als bluten und palavern. Ein bisschen mehr Exzentrik und Expressivität hätte dem Film an dieser Stelle gut getan.
Und der Rest steht dann ganz und gar im Dienste des Adrenalinrausches, des hektischen Geschehens. Hotel Artemis ist in seinem Herzen ein ziemlich überladener B-Movie Actionflick. Eine ganze Reihe von unzusammenhängenden Erzählfäden will irgendwie, lautstark und wild zusammengeführt werden. Dass dabei so manches Mal die Plausibilität auf der Strecke bleibt, dass sich so manches Plothole offenbart, ist nicht sonderlich überraschend und stört auch nicht weiter. Immerhin sorgen die verschiedenen Charaktere, von denen die meisten früher oder später von der Handlung über den Jordan geschickt werden, für eine Menge spaßiger Action, launiger Gangsterromantik und viel coolem Flair, das auch im finalen Feuerwerk nicht verloren geht. So oberflächlich Hotel Artemis ist, so ist er dennoch ein unterhaltsamer und kurzweiliger Film. Weder für seine Erzählhaltung noch für seine Charakterzeichnung noch für seine verschlungene, überkomplexe, überzeichnete Story verdient er große Lorbeeren; aber sehr wohl dafür, dass er letzten Endes in seinem wesentlichen Punkt erfolgreich ist: Einfach auf stylische, schicke und mitreißende Art Spaß zu machen und 90 Minuten ohne Längen solide Actionkost abzuliefern. Da das Actiongenre in den vergangenen Jahren eine solche Brachlandschaft war, reicht das in diesem Fall vollkommen. Kein Meisterwerk, aber durch und durch unterhaltsamer Action Fast Food für den schnellen Genuss ohne Reue.