Die besten Science Fiction Filme der 70er Jahre II

Wir nähern uns weiter in Trippelschritten dem Epizentrum des 70er Jahre Science Fiction Kinos mit der großen Space Opera Star Wars und ihren Epigonen. Jetzt wird es aber erst einmal dreckig und dystopisch: Soylent Green wirft einen Blick auf eine überfüllte, verarmte Gesellschaft in einem fiktiven Jahr 2022. In Mad Max sind die Straßen Australiens von Anarchie und Gewalt heimgesucht und in Der Junge und sein Hund und The Noah ist die Erde Dank eines nuklearen Krieges gleich komplett out of order. Etwas ambivalenter ist die Zukunftsvision Westworld, in der die Eskalation eines technischen Fortschritts, der sich gegen die Menschen richtet, in den Mittelpunkt gerückt wird. Und Dark Star gelingt mit einer ähnlichen Thematik eine ganz und gar verzückende Parodie auf 2001 – Odyssee im Weltraum, die allerdings nicht zum albernen Spoof-Fest verkommt, sondern spannend und düster genug ist, um auch als grotesker Science Fiction Trip zu funktionieren. Die fiktive Zukunft der 70er Jahre ist rau und erbarmungslos, sie zu erleben ist auch heute in der realen Zukunft noch fesselnd und mitreißend.

… Jahr 2022 … die überleben wollen [Richard Fleischer]

(USA, 1973)

Soylent Green – so der Originaltitel – ist schon so ziemlich Blaupause und Referenzwerk für dystopische Filme der Marke Hollywood: Eine Zukunftsvision, die zutiefst pessimistisch und düster ist, zugleich aber als Tableau für einen packenden und spannenden Neo Noir, inklusive brutalem Plottwist, dient. Eine breit aufgestellte, epische Mischung aus Ökothriller, Science Fiction Panorama, Noir-Krimi und zwischendurch sogar zynischer Satire, die dennoch immer genug Platz für großen Pathos und Schönheit findet, so wie es sich für die Traumfabrik gehört. Ja, das ist dann bisweilen ziemlich sentimental, kitschig und auch ein bisschen albern. Aber neben all den Zugeständnissen an klassische dystopisch dramatische Thrillerklischees bietet das hier dargestellte Jahr 2022 doch eine Menge herrlich bissiger schwarzhumoriger Spitzen und bösartige Mindfuck-Momente, die das dargestellte Szenario äußerst unterhaltsam machen. Kein Wunder, dass nicht wenige Szenen, inklusive der fiesen Endauflösung, ikonisch geworden sind, und Soylent Green mittlerweile zu den großen, viel zitierten, Mem-fähigen SciFi-Klassikern zählt.

Westworld [Michael Crichton]

(USA 1973)

Michael Crichtons Westworld erhielt vor wenigen Jahren ein Serienremake, das tatsächlich in die Kategorie „Besser als das Original“ fallen dürfte. Aber auch wenn dem 70er Kinofilm die Tiefe der 2010er Serie fehlt, so ist er doch eine spannende Auseinandersetzung mit den potentiellen Möglichkeiten künstlicher Intelligenz und den Gefahren, die sich dahinter verbergen. Angesiedelt in einem überzeichneten Westernszenario entwickelt sich Westworld von einer ziemlich launigen, entspannten SciFi-Komödie mit Neo Western Anstrich zu einem grimmigen Horrorthriller mit pessimistischem Grundton. Westworld macht zuerst vor allem Spaß als wortwörtlicher „Was wäre wenn…“-Freizeitpark, dann sorgt er für Spannung als unheimlicher „Und wenn dabei etwas schief geht…?“-Thriller, um schließlich einfach nur noch Angst zu machen als düsterer „Wie komme ich hier lebend raus…“-Slasher. Funktionieren tut Westworld in jeder seiner Kostüme und erweist sich darüber hinaus fast schon als Prototyp eines Science Fiction Subgenres, das bis zum heutigen Tag – von Terminator bis Matrix – Fantasie und Nerven des Publikums zu kitzeln weiß.

Dark Star [John Carpenter]

(USA 1974)

Dark Star ist wirklich ein merkwürdiger Film. Eigentlich ist der Low Budget Flick als Parodie auf Stanley Kubricks Klassiker 2001: Odyssee im Weltraum (1968) angelegt. In dieser Funktion macht er sich auch mehr als oft genug gehässig über Klischees des Genres lustig und hat dabei auch keine Angst vor Albernheiten und Dummheiten. Hinter der Fassade der dummdreisten Komödie verbirgt sich aber ein zutiefst verstörender Trip in die Abgründe des Weltraums und die Abgründe der Zukunft. Wo Filme wie 2001 oder Solaris steril und sauber sind, suhlt sich Dark Star geradezu im technischen und zwischenmenschlichen Dreck, thematisiert auch die Frage nach genügend Klopapier in den Weiten des Alls und wird gegen Ende dennoch hochphilosophisch. Die epistemologischen Debatten zwischen Astronaut und selbstbewusster Bombe erreichen dabei eine akademische Tiefe, die sich auch vor Kubricks Film nicht zu verstecken braucht. Klar, dass es hier auch ein Beachball-Alien und einen Surftrip durch die Leere des Alls gibt, von diesen Momenten darf man sich aber nicht täuschen lassen. Dark Star ist ein hochkomplexer, mutiger und intelligenter Film, und im Grunde genommen viel zu gut, um als Komödie oder Parodie abgetan zu werden.

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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Mad Max [George Miller]

(Australien 1979)

Puh… wie weit Mad Max überhaupt in die Kategorie Science Fiction gehört, darüber kann wohl lang und breit diskutiert werden. Mad Max ist eigentlich ein Action- und Revengethriller, wie er im Buche steht. Große technische Spielereien gibt es keine und auch die Dystopie, die dieser Film entwirft, bleibt – im Gegensatz zu den Fortsetzungen – im vagen. Mit einigen Abstrichen könnte George Millers Actioneer auch in unserer Zeit spielen. Aber gerade in seinem subtilen SciFi-Mitklang besitzt Mad Max etwas Erschreckendes, Fesselndes und Abstoßendes. Es ist das Gefühl eines „Science Fiction direkt vor der Haustür“, das archaische Antlitz der Gesellschaft, das wir aus den täglichen Nachrichten nur allzu gut kennen, entfesselt in einer brutalen, anarchischen Vision. Mad Max ist eine so überzeugende Dystopie, weil er so eine kleine Dystopie entwirft, er ist so ein glaubwürdiger Blick in die Zukunft, weil seine Zukunft in unserer Gegenwart stattfindet. Er ist so eine erschreckende Vision, weil das was er sieht nur einen Katzensprung entfernt scheint. Diese Nähe von Gegenwart und Zukunft, von Atavistischem und Progressivem macht ihn zu einem der besten Science Fiction Streifen des Jahrzehnts, selbst wenn er das Genre im Grunde genommen nur touchiert.

A Boy and His Dog [L. Q. Jones]

(USA 1975)

Fast fünf Jahre vor Mad Max und über fünf Jahre vor dessen zweitem Teil gab es mit Der Junge und sein Hund eine makabere Action-Dystopie, die in nicht wenigen Momenten mit den australischen Klassikern den Boden aufwischt. Wo Mad Max sich zurückhält (was selten genug vorkommt), da dreht L. Q. Jones trashiger Trip in eine postnukleare Welt noch einmal so richtig auf. A Boy and His Dog ist ein zutiefst verstörender Bastard aus schwarzer Komödie, burleskem Actionfeuerwerk und knallhartem Endzeitthriller: Bitter ironisch, makaber, durch und durch verdorben, zynisch, gehässig und meistens einfach nur bösartig. Dabei kann die Reise eines verwegenen wie kaputten Protagonisten mit seinem telepathischen Hund durch eine zerstörte und durchgeknallte Welt sowohl unterhalten als auch mitreißen, verliert trotz ihres exploitativen Charakters nie die Verbindung zu seiner Geschichte, und bei all dem Schund, den er mit sich trägt, ist er doch ein ungewöhnlich konkreter, origineller Science Fiction Trip durch eine knallige, überzeichnete Postapokalypse.

The Noah [Daniel Bouria]

(USA 1975)

Postapokalypse die Zweite… allerdings vollkommen anders gedacht als bei A Boy and His Dog. The Noah ist die Robinsonade eines in der Endzeit Gestrandeten, ein voyeuristischer Blick auf den letzten Menschen auf der Erde. Dabei befreit sich das in schwarz-weiß gedrehte minimalistische Seelenkammer-Spiel von jeglichem narrativen Ballast und zeigt stattdessen einfach den Aufbau einer persönlichen Zivilisation in einer persönlichen Apokalypse. Im Zentrum des Films steht dabei die Psyche des einzelnen Menschen, der komplett auf sich zurückgeworfen eine neue Gesellschaft imaginiert, um nicht komplett wahnsinnig zu werden, selbst wenn seine Imagination Teil eines aufkommenden Wahnsinns ist. Es wird schon deutlich, The Noah ist vor allem ein Psychodrama, dessen Wesen darin besteht einem verlorenen Soldaten der Endzeit bei Selbstgesprächen zuzuschauen. Das hier entworfene Zukunftsbild ist ein trostloses, ein verheerendes, und gerade in seiner Intimität vielleicht der stärkste postapokalyptische Entwurf, den das 70er Science Fiction Genre zu bieten hat.

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