Es ist schwer ein Gott zu sein (2013) von Alexei German – Meisterwerk mit Überwältigungsstrategie

Acht Jahre Dreharbeiten, fünf Jahre Schnitt, der Wunsch etwas Episches zu erschaffen, permanent konfrontiert mit dem Unvollständigen. Es ist schwer vorstellbar, was im russischen Regisseur Alexei German vorgegangen sein muss, während er versuchte, Es ist schwer ein Gott zu sein (2013) als sehr freie Verfilmung des 60er Jahre Science Fiction Romans von Arkadi und Boris Strugazki zum Leben zu erwecken. Für German sollte es leider kein Happy End dieses schweren und langwierigen Schaffensprozess geben. Er starb vor der Vollendung des Werkes. Diese bittere Note dieses mühsamen Schaffensprozesses lässt sich nicht ignorieren, auch wenn das Kunstwerk – im Gegensatz zu seinem Künstler – doch noch ein Happy End erhalten sollte. Germans Sohn – ebenfalls Filmemacher – griff sich den Film, irgendwo im Zustand zwischen „eigentlich seit Jahren fertig“ und „überambitioniertes Fragment“, und machte einen finalen Schnitt. Fast drei Stunden ist das daraus entstandene Werk lang, und jeder einzelnen Sekunde, jedem Bild, jedem Geräusch sieht man den entbehrungsreichen Schaffensprozess an. Трудно быть богом ist ein Monstrum von einem Film. Der Titel wirkt dabei schon fast prophetisch: Denn in all seinem Größenwahn, in seiner schmutzigen Opulenz, in seinem Mäandern zwischen Experimentalfilm und Epos ist die filmische Dekonstruktion des literarischen Bastards aus Science Fiction und Mittelalterdokument vor allem eine große Demonstration eines zu Viels, eines Determinismus zum Scheitern, der gegen alle Erwartungen nur als Erfolg verbucht werden kann.

Was zur Hölle geschieht hier? Auch wenn sich Es ist schwer ein Gott zu sein in seiner Exposition äußerst geschwätzig gibt und jedem Zuschauer genau erklärt, wo und wann wir uns befinden, bleibt bei den ersten Bildern doch nur eine Frage übrig. Was zur Hölle geschieht hier? Wo zur Hölle sind wir? Oder besser: In welcher Hölle sind wir? Aber springen wir nochmal kurz zur Prämisse zurück: In einer nicht allzu fernen Zukunft entdecken die Menschen einen Planeten, dessen Entwicklung im Spätmittelalter stehen geblieben ist, da Ansätze der Renaissance bereits im Ansatz brutal unterdrückt werden. Die Menschen beschließen, diesen Planeten genauer zu observieren, mischen sich inkognito unter die Bevölkerung, um diese stagnierende Gesellschaft verstehen – und vielleicht auch etwas mehr über sich selbst erfahren – zu können. Von all dem sehen wir übrigens nichts. Und wir werden auch nichts davon sehen. Der Science Fiction Aspekt der Romanvorlage aus dem Jahr 1964 ist Alexei German ziemlich egal. Auch der globale Blick auf die außerirdische, mittelalterliche Gesellschaft, die so sehr der menschlichen Gesellschaft von vor tausend Jahren gleicht, ist German schnuppe. Es ist schwer, ein Gott zu sein ist kein Sozialepos und keine Science Fiction Saga, sondern ein Wühlen im Schmutz, in menschlichen Abgründen, eine Lektion in Nihilsmus.

Unser Reiseleiter auf diesem Höllentrip ist Don Rumata (Leonid Jarmolnik), einer der eingeschleusten Wissenschaftler, der von den Eingeborenen dieses Planeten wie ein Gott verehrt und gefürchtet wird. Don Rumata weiß um die Direktive, sich nicht in den Verlauf der Geschichte dieses so nahen und zugleich so fremden Planeten einzumischen. Aber so ganz mag er sich nicht daran halten: So bringt er einige der verfolgten Gelehrten in Sicherheit, versucht so etwas wie dekadenten Genuss und Lebensfreude in dieser extrem trostlosen Welt zu finden, und manchmal will er auch einfach nur mit Gewalt gegen die vorgehen, die das spätmittelalterliche Leben so unerträglich machen. Im Grunde genommen ist Don Rumata ein Widerling, ein arroganter, verfressener, selbstverliebter Schuft. Er ist nicht frei von Moral, aber komplett korrumpiert von der Umgebung, in der er mittlerweile schon länger lebt. Diese Umgebung ist der eigentliche Schuft, der eigentlich Protagonist, das eigentliche Zentrum des Films. Und wer sich nicht an sie gewöhnen kann, wird in diesem Anti-Epos sehr unglücklich werden. Die Welt von Es ist schwer ein Gott zu sein ist ein Alptraum in schwarz-weiß: Eine spätmittelalterliche Welt, in der Morast und Schmutz zum Alltag gehören, in der Gewalt, Krankheit und Tod an jeder Ecke lauern, eine Welt, in der kaum Menschlichkeit vorhanden ist, eine düstere, dreckige und stinkende Welt. Und wie gesagt, wir erleben diese Welt nicht im globalen Blick, sondern in einer zähen, intimen Begegnung, die sich in radikaler Nähe zum Sujet abspielt und uns jede Orientierung verwehrt.

Totalen, die Überblick über das Geschehen oder den aktuellen Handlungsort geben könnten, kennt Alexei Germans Film kaum. Meistens sind wir ganz dich bei Don Rumata, manchmal sind wir hinter ihm, manchmal direkt neben ihm, manchmal haben wir ihn aus den Augen verloren und hängen irgendwo orientierungslos fest: Gegenstände hängen ins Bild, manchmal Menschen, manchmal Leichen, manchmal auch überdimensionale tierische Genitalien. Und wenn nichts in die Kamera reinhängt, dann fliegt schon irgendwas irgendwann daran vorbei: Spucke, Schweiß, Blut und vor allem Schlamm… meistens Schlamm. Die Welt dieses Films ist ein einziges Drecksloch und wir hängen mittendrin, werden selbst schmutzig, werden unweigerlich hineingezogen in diesen unmenschlichen Morast. Dazu tragen auch die unzähligen Statisten bei, die immer wieder unseren Weg kreuzen. Sie reißen die vierte Wand ein, indem sie fragend zu uns blicken, manchmal grinsen sie uns auch einfach debil an, so als wollten sie sich lustig darüber machen, dass wir uns tatsächlich freiwillig in diesen Höllenpfuhl begeben haben, der für sie gezwungenermaßen das alltägliche Leben ist. Distanz kennt dieser Trip nicht. Wir sind genötigt, durch diese Welt zu reisen, werden angerempelt, angespuckt, mit hinein in den Schlamm gezogen. Es ist schwer ein Gott zu sein ist ein extrem übergriffiger und gnadenloser Film. Musik gibt es keine, eher eine spartanische Geräuschuntermalung der brutalen und hässlichen Bilder. Diese sind nicht nur gewalttätig, sondern auch gewaltig, stecken voller Details, sind übervoll, überladen und eigentlich in jeder Sekunde zu viel für Publikum wie Protagonisten.

Alexei Germans Film lebt von seiner Atmosphäre, der er sich voll und ganz verschreibt. Auch die Geschichte wird dem Abgründigen dieser Odyssee untergeordnet. Oder anders gesagt: Es gibt keine richtige Geschichte. Lose werden einzelne Episoden aus dem Dasein Don Rumatas miteinander verbunden. Begegnungen mit Feinden, Begegnungen mit Verbündeten, Begegnungen mit dem alltäglichen Wahnsinn. Wenn man es runterbricht, ist der Film eine einzige Anthologie des Wühlens im Dreck, deren einziger roter Faden ihr Protagonist ist. Natürlich werden Themen gestreift: Der freie Wille, der Kampf des Menschlichen gegen das Unmenschliche, Macht und Machtmissbrauch, der animalische Kern des Menschen, die Verzweiflung des Mächtigen und zugleich Ohnmächtigen… Obwohl der Film keine klare Struktur hat, kommt er oft geschwätzig daher. Dabei wechselt er allerdings so gekonnt zwischen Tiefgründigem und Trivialen, dass der Text wie die Handlung im Rausch der Eindrücke verloren geht. Und dann liegt es eben auch am Zuschauer, ob er sich von diesem pessimistischen Mahlstrom mitreißen lässt oder sich angewidert abwendet, die Flinte ins Korn wirft und die Dystopie einfach Dystopie sein lässt. Und diese Entscheidung kann niemandem übelgenommen werden, ist Es ist schwer ein Gott zu sein doch eine cineastische Herausforderung in jeglichem erdenklichen Sinn des Wortes.

Vielleicht lässt sich der Kern dieser grotesken Bizarrerie mit einem leicht abgewandelten Zitat Friedrich Nietzsches auf den Punkt bringen: Wenn du lange genug in einen Abgrund blickst, schreit der Abgrund irgendwann: „Ich werde dir jetzt dein Ohr abschneiden, dir die Augen auskratzen und in deinen Schädel scheißen!“ Es ist schwer ein Gott zu sein ist eine ganz eigene Kategorie von Film. Selbst wenn man hier und da Einflüsse des avantgardistischen Kinos des 20. Jahrhunderts findet – die Liebe zum Schmutz, die er mit dem frühen Lars von Trier teilt, der Hang zur absurden Stagnation, die auch bei einem Béla Tarr gerne ausgereizt wird, die Zerfledderung des Narrativen, ein Markenzeichen Andrei Tarkowskis – so bleibt dieser Film doch sein ganz eigenes Werk: Ein schmutziger, düsterer Monolith, dessen Nachwirkung auf die Filmgeschichte womöglich weitaus stärker ist, als derzeit abgeschätzt werden kann. In Deutschland wird der Film vom großartigen Label Bildstörung vertrieben, und genau dort passt er auch hin: Als Herausforderung für Augen, Ohren und Gehirn des Publikums, als überwältigendes Epos, aber eben auch als Film, der seinen eigenen Status sehr ernst nimmt und nie den leichten Weg geht. Es ist nicht leicht ein Gott zu sein, diesem Film gelingt es dennoch.

Ähnliche Artikel