Schlingensief-Retrospektive – „Terror 2000“ (1992)

Meine Damen und Herren, liebe Jungen und Mädchen, genießen Sie mit uns in den nächsten Minuten eine Welt voller Liebe, Angst, Sexualität und Tod. Genießen Sie mit uns die Welt, in der wir leben. Gute Unterhaltung.

Christoph Schlingensief ist dank Bayreuth und der Medialisierung / Theatralisierung seiner eigenen Krebserkrankung mittlerweile endlich in der Hochkultur angekommen. Völlig zurecht wird er von Feuilletons und Kulturinteressierten umworben und seine Arbeiten zählen zu den wichtigsten Beiträgen der deutschen Kulturlandschaft. Das dies allerdings nicht immer so war, zeigt Teil 1 unserer Schlingensief-Retrospektive: Der 1992 veröffentlichte Film „Terror 2000“

Damals war Schlingensief als Provokateur, Aktionskünstler und Trashspezialist wohl einer der umstrittensten deutschen Künstler. Seine Filme spielten mit sämtlichen Urängsten des deutschen Durchschnittsbürgers, hatten keine Probleme damit Sex und Gewalt innerhalb der Hochkultur zu etablieren und kümmerten sich nicht das geringste um klassische inszenatorische Konventionen. Für besondere Aufregung sorgte dabei Schlingensiefs „Deutschlandtrilogie“, die bewusst Salz in die tiefen Wunden der Bundesrepublik der ausgehenden 80er und beginnenden 90er schüttete und dabei für so manchen kulturellen Eklat sorgte. Nach dem deutschen Kettensägenmassaker und der Führerbunker-Perfomance ist „Terror 2000“ von 1992 der dritte Film aus dieser sozialkritischen Reihe und macht dort weiter, wo die beiden Vorgänger aufgehört haben.

In der Nähe des deutschen Städtchens Rassau ist eine polnische Familie, die auf dem Weg zum Asylantenheim war, spurlos verschwunden. Zusammen mit ihrem Sozialarbeiter wurden sie offenbar von randalierenden Neonazis überfallen und es gibt keine Gewissheit, ob sie überhaupt noch leben. Der abgehalfterte Polizist Körn (Peter Kern) wird auf den Fall angesetzt und ermittelt direkt vor Ort, in dem postapokalyptischen Szenario des deutschen Spießerstädtchens. Rassau präsentiert sich als Prototyp all dessen, was Pessimisten und Defätisten Deutschland schon lange prognostizieren: Die Stadt wird von brutalen neonazistischen Organisationen terrorisiert, die Staatsgewalt ist machtlos, in den Asylantenheimen vegetieren Asylbewerber vor sich hin, ohne Arbeit oder Lebensziele; die Bürger sind verunsichert, aggressiv, latent rassistisch und die Menschen werden mehr und mehr zu Tieren, getrieben von der Lust auf Sex und Gewalt. Hinzu kommen die sensationsgeilen Reporter, die jeden Schritt der gewaltbereiten Nationalisten und hilflosen Polizisten mitverfolgen. In seinem verzweifelten Kampf gegen die Gewalt, wird Körn mehr und mehr selbst zum Faschisten und greift schließlich auch zu rabiaten Methoden, um seinen Erzfeind Jablo (Udo Kier) zur Strecke zu bringen.

Terror 2000 ist, so viel steht fest, der bekömmlichste Film der anarchistischen, provokanten Deutschlandreihe Schlingensiefs. Dabei ist er aber alles andere als gewöhnlich und erst recht nicht leicht konsumierbar. Der Regisseur Schlingensief und sein Drehbuchautor Oskar Roehler gehen ans Eingemachte. Da das Thema der extremistisch motivierten Gewalt ein durch und durch Physisches ist, haben sie auch keine Probleme damit dies filmisch auf physische Weise umzusetzen. Und somit verlangen sie den Darstellern und den Zuschauern einiges ab: Es fließt Blut in rauen Mengen, ganze Körperinhalte verteilen sich nach tödlichen Schüssen auf der Leinwand, Körperteile werden abgerissen, Menschen übergeben sich, baden in Fäkalien und Männer stürzen sich auf Frauen wie wilde Tiere. Der Übergang zwischen Avantgarde und unerträglicher Pornographie ist hier fließend. Schlingensief zeigt ein Milieu, in dem die Menschenwürde keine Rolle mehr spielt und verzichtet somit auch gleich darauf diese in der filmischen Umsetzung zu Wort kommen zu lassen: Mord ist hier ebenso legitim wie Vergewaltigung. Der Held der Geschichte Körn, ist ebenso ein abscheuliches Monster wie seine Kontrahenten. Er flucht, schlägt wild um sich, erniedrigt seine Frau, begeht eine Quasivergewaltigung an einer Hauptzeugin und mutiert schließlich selbst zur Bestie, indem er in eine Wehrmachtsuniform steigt. Sex und Gewalt sind omnipräsent. Ebenso wenig wie es zwischenmenschliche Liebe gibt, gibt es liebevollen Sex. Jede soziale, physische Handlung, jeder Akt ist eine vulgäre, ekelerregende Rammelei ohne jegliche Erotik oder Emotionalität. Auch der Rest der Handlung ist schmutzig und abstoßend. Klassische Schönheit gibt es in Schlingensiefs Welt nicht, stattdessen hässliche Menschen, unkontrollierte Aggression und unbändiger Hass von allen Seiten. „Bestie Mensch“, wie Zola sagen würde.

Das ist die eine Seite dieses Films, es gibt aber mindestens noch zwei andere. Die eine davon ist der bissige, gesellschafts- und medienkritische Humor, der sich wie ein roter Faden durch den gesamten Stoff zieht. Die Neonazis sind ein desolater Haufen von Schwachköpfen, irgendwo zwischen Ku Klux Clan, Skinheadszene, Pseudointellektualität und Gewaltfetischismus. In den Reden ihrer Führer (u.a.: als rassistischer Südstaatenverschnitt Alfred Edel) zeigt sich auf überspitzte Weise die ganze Lächerlichkeit, die dieser Subkultur immanent ist. So darf auch gleich der (mittlerweile tote) Kühnen über eine köstliche Parodie seiner Person als schwuler Neonaziredner freuen. Auch der deutsche Innenminister bekommt als desinteressierter und panischer Bürokrat sein Fett weg. Spätestens wenn die Beerdigung der getöteten Asylanten zur rassistischen Farce wird (Udo Kier darf hier als Mischung aus Priester und Goebbels die Grabrede halten), hat Schlingensief die Lacher auf seiner Seite, auch wenn diese dem Zuschauer ein ums andere Mal im Hals stecken bleiben. Nicht zu übersehen ist dabei der medienkritische Aspekt: Angelehnt an die Berichterstattung des Banküberfalls und der Geiselnahme in Gladbeck 1988 ist der gesamte Film als riesiges Medienereignis zwischen „Aktenzeichen XY ungelöst“ und amerikanischen Cop-Serien inszeniert. Immer wieder eingeblendete Schlagzeilen im BILD-Stil durchbrechen die Handlung und geben dem Geschehen das Aussehen einer einzigen Klatschpressen-Sensationsmeldung. Das Medium wird dadurch zum Komplizen und Vollender der Gewalt, so drastisch überzeichnet, dass es sich selbst bloßstellt und als inhuman demaskiert.

Die dritte Seite, die den Film von bloßen Kulturpessimismus weit entfernt, ist der Aspekt der Schönheit. Zwischen all dem Fleisch und Blut, dem Kot und Urin, den animalischen Trieben und der Fäkalsprache blitzt plötzlich Humanität und gar Liebe auf. Was zu Begin noch wie eine bösartige Karikatur und pure Perversion wirkt, offenbart mehr und mehr eine stille, ästhetische Seite. So selten sich die Menschlichkeit, die Güte und das Schöne zeigen, so kathartisch wirken sie dann, wenn sie aufblitzen. Das Hässliche, Vulgäre und Ekelhafte entfaltet in der Welt Schlingensiefs eine ganz eigene Schönheit, die zwar konventionelle ästhetische Muster sprengt, dem Zuschauer aber immer wieder einen gewissen Halt gibt und den Film gar erträglich macht.

Womit wir bei der Gretchenfrage wären. Wie erträglich ist dieser Film? Fakt ist, dass er neben anderen Trash-Werken des Regisseurs und seines Autors mit zu den Konsumierbarsten zählt. Fakt ist aber auch, dass er trotzdem alles andere als leicht ist. Eine kohärente Handlung gibt es nur partiell: Rückblenden, Texteinblendungen, offensichtliche Lücken in der Geschichte und seltsame Zwischenspiele, die nichts mit der Handlung zu tun haben reihen sich aneinander und machen es schwierig dem eigentlichen Handlungsstrang zu folgen. Wie für Schlingensief typisch findet hier eine Kollision von B-Movie, Avantgarde, medialer Präsentation und Gossenkunst statt. Der Film ist teilweise physisch bis zur Unerträglichkeit und gerade sensible Gemüter werden bei all dem Blut, der (sexuellen) Gewalt und der pornographischen Darstellung keine Freude an dem Film haben. Fans puren Splatterklamauks wird die Story zu anstrengend und zu anspruchsvoll sein, zu dissoziativ und dissonant. Und konservative Kunstfreunde werden hier wie immer bemäkeln können, dass Schlingensief nichts anderes als ein dumpfer Provokateur ist, der mit billigen Effekten arbeitet, um die Zuschauer für sich zu gewinnen. Alle drei Fraktionen dürften auf ihre Weise Recht haben.

Die Ablehnung, die Schlingensief damals mit dem Film auslöste, ist verständlich, da hier nichts mehr heilig ist. Das Medium Film dekonstruiert sich selbst, indem es sich der Lächerlichkeit preis gibt. Die Kunst kollidiert mit Dilettantismus und entzieht sich jeder gängigen Kategorisierungsmöglichkeit, da sie das Nicht-Können bzw. Nicht-Wollen zum Stilmittel macht. Und die Sozialkritik führt sich innerhalb des Werkes selbst ad absurdum, indem sie auf jegliche Positionierung verzichtet, mehr noch, jede Position für eine Zeit annimmt, und diese so überspitzt darstellt, dass jede Form der Wahrheit zum albernen Klamauk umgearbeitet wird. Ob diese waghalsige Kombination von Trash und Hochkultur funktioniert, muss jeder für sich selbst entscheiden. Schlingensief wird weiter polarisieren, und die Frage, ob das jetzt Kunst, oder bloß selbstverliebte Kunstkacke ist, kann einfach nur unbeantwortet bleiben, insbesondere, weil uns auch der Macher wohl eine Antwort schuldig bleiben würde. Dass der Film, genießbar oder nicht, einen wichtigen Beitrag zur Debatte um den Kampf der Kulturen Deutschlands liefert, und damit aktuell wie eh und je ist, steht allerdings außer Frage. In einer symptomatischen Szene fährt ein Motorradfahrer mit voller Wucht gegen ein Wahlplakat der CDU und verspritzt literweise Blut auf der Fotografie Helmut Kohls. Provokation? Oder doch ein doppelter Boden, der mit Interpretationen vollgeladen werden kann? Auf jeden Fall hat man kurz das Gefühl, Christoph Schlingensief den verschrockenen Zuschauer für einen Moment schelmisch anlächeln zu sehen, und in diesem Moment scheint die Botschaft klar: „Du bist Deutschland! Und Deutschland sagt: ‚Gute Nacht!’“

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Erstveröffentlichung des Textes (2010)