Only God Forgives: Ein offener Brief an Nicolas Winding Refn

Nein, lieber Herr Refn, wirkliche Freunde werden wir in diesem Leben wohl nicht mehr. Dabei will ich Ihnen nicht einmal vorwerfen, dass sie der wohl überbewertetste Regisseur unserer Tage sind. Schließlich können sie dafür nun wirklich nichts, oder? Okay, die ein oder andere ästhetizistische Hipster-Masturbation haben Sie in ihren letzten Filmen schon verbrochen, von kalkulierter Jagd nach Stimmvieh (bei der Wahl um den größten lebenden Regisseur) ist das dennoch weit entfernt. Nein, ich nehme Ihnen den Hype um sie wirklich nicht übel, im Grunde genommen mag ich Ihre Filme ja auch: Den düsteren transzendentalen Trip, Valhalla Rising, der ist wirklich großes Kino, das Slow Motion Actiondrama Drive, ja auch das hat seine Momente… und ja, auch die Pusher-Filme und Bronson sind düstere Action-Bastarde, in denen verdammt viel Kreativität steckt. Ich glaube Ihnen sofort, dass sie mit Herzblut dabei sind und ihre Filme tatsächlich – ohne jede Kalkulation – anders erzählen wollen. Aber um Gottes Willen, müssen sie dabei immer so dick auftragen? Müssen sie dabei immer so sehr den Style- und Design-Göttern huldigen, sich derart in ihren glänzenden und zugleich schmutzigen Bildern verlieren, dass sie drumherum vollkommen vergessen, irgendetwas mit Substanz zu erzählen?

Irgendwie ist es Ihnen gelungen, mit nur ein paar Filmen zum Darren Aronofsky der Gewaltstudien zu werden. Darren dreht jetzt übrigens eine Noah-Verfilmung, die ich nach wie vor für einen schlechten Scherz halte. Wollen Sie auch irgendwann so enden? Sie sind auf dem besten Weg dazu. Auch Sie kennen die große Geste, die einen Film zum Kunstwerk macht. Auch Sie wissen, wie man „ambitioniert“ buchstabiert und wie man das Medium zum Gottesdienst und den Kinosaal zur Kirche werden lässt. Entschuldigen Sie bitte, bei all der Sorge um ihren beruflichen Werdegang hätte ich jetzt fast vergessen, dass hier auch noch einige Sterbliche mitlesen, die brennend am Inhalt und der Qualität ihres aktuellen Bewegtbildsstreifen interessiert sind. Deshalb muss ich ganz kurz abschweifen und diese einweihen, worum es denn in Only God Forgives überhaupt geht: Es handelt sich um eine – Sie würden wohl sagen „transzendentale“ – Rachegeschichte. Es geht um zwei Brüder, von denen der eine maximal als geisterhafte Erscheinung – ohne wirklich je richtig zu erscheinen – im Raum steht. Es geht um eine übermächtige Mutterfigur (tatsächlich grandios gespielt von Kristin Scott Thomas). Es geht um die düsteren und schmutzigen Seiten von Bangkok, um einen sinnlos erscheinenden Mord, eine folgende Rache und schließlich die Rache an der Rache, die dann einen Strudel von Gewalt nach sich ziehen wird. Es geht natürlich um Schuldfragen, um Verantwortung, um reverse Revenge, so wie sie Park Chan-wook in seinen Filmen immer ganz und gar beeindruckend erzählt hat. Aber eigentlich geht es Ihnen persönlich nicht darum, in erster Linie geht es um Bilder, um Atmosphäre… und Sie versuchen auch gar nicht, uns irgendetwas anderes weis zu machen. Dafür gebührt Ihnen auf jeden Fall Respekt.

Nein, nicht die Geschichten, die tänzelnden, irrenden, träumenden und brutal auf den Boden gerissenen Bilder stehen im Zentrum des Films. Konsequent nur, dass Sie in den Credits dann auch Alejandro Jodorowsky danken. Den können sie bei Gelegenheit gerne fragen, wie man mit Symbolismen arbeitet, ohne dass sie zum Selbstzweck verkommen. Mit dem sollten Sie auf jeden Fall noch einmal darüber diskutieren, wie sich der klassische filmische Surrealismus von seinen Epigonen unterscheidet, indem er eben nicht bloß die Style-Idee hat und dann im psychoanalytischen Lexikon nachschlägt, wie diese eine perfekte Einstellung mit Freud gelesen werden könnte, sondern indem er eine wirklich kraftvolle Idee hat und diese auf die Leinwand bringt, zur Not eben auf jeden vermeintlichen Überbau verzichtet. Fragen Sie ihn bei Gelegenheit, es könnte ihrem nächsten Film gut tun. Sie glauben ich bin zu hart zu Ihnen? Das denke ich nicht. Sie sind ja auch selbst schuld, wenn Sie sich auf ihren Hybriden aus Design, Kunst und Spiritualität ausruhen und dabei letzten Endes unfassbar flache Allegorien produzieren, die sich ganz gut im surrealen Nebel verbergen lassen. Und das meine ich durchaus als Kompliment: Ihre Bilder sind wieder einmal fantastisch. Ihr Wandeln zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Vision und Hypervision, zwischen dreckiger Brutalität und Hochglanzoptik fasziniert auch in Only God Forgives: Ja, ich habe geklatscht bei so mancher fantastischer Bildkomposition, habe mich treiben lassen in dem Meer aus Traum und Alptraum, habe nach Erlösung gesucht in ihren mäandernden, metaphysischen Trips, ich habe aufgeschrien bei den unerwarteten Gewalterruptionen… das ist großes Kunstkino… aber eben auch prätentiöses Kunstkino, und leider – wie mindestens einmal zu oft in ihrem Fall – seltsam mystifiziertes und, sobald um den Mythos gebracht, leeres Kunstkino.

Ihre Filme sind immer wieder wie kleine Gottesidenste, in denen dem Medium gehuldigt wird. Sakrale Rituale am Film, die allerdings entblättert offenbaren, dass sie nicht viel mehr sind als bloße Rituale: Für Spiritisten eine Bereicherung in der täglichen Gottsuch-Routine, für Atheisten ab einem gewissen Grad der Selbstverliebtheit unerträglich. Only God Forgives ist ein Höhepunkt dieses cinematographischen Ritus, insbesondere weil ihm alles andere außerhalb der Huldigung des Mediums egal zu sein scheint: Die Konsequenzen der Handlungen bleiben in ihrer eigenen Metaebene gefangen, die Protagonisten werden zu Märtyrern für das Medium, die sich wie Pappsoldaten durch den Alptraum des Films treiben lassen. Only God Forgives ist ein zutiefst inhumaner Film: Nicht nur Ihnen sind die Menschen egal, auch ihrem Film; ja selbst den Menschen in dem Film sind die Menschen egal… und vor allem, sind sie sich auch selbst egal. Leid existiert im Grunde genommen in ihrem – vom Leid erfüllten – Kosmos nicht, einfach weil es mit einem desinteressierten Blick, mit einer künstlerischen, künstlichen, gekünstelten Geste weggewischt wird, weil es sich dem Artifiziellen des filmischen Augenblicks unterordnet, um bloß noch eine Variable im transzendierenden Filmkosmos zu sein. Sie wollen hinforttragen, wollen hypnotisieren, wollen aufschrecken… Bloß, zu bewegen, gelingt ihnen nie. Einfach weil alles egal ist, bis auf die Kunst des Augenblicks.

Only God Forgives ist ein Despot von einem Film, der seine Protagonisten nicht einfach nur quält, sondern sich geradezu an ihnen verlustiert. Mehr noch, er missbraucht sie, macht sie zu seinen Gespielen, zu seinen Kunstobjekten, der Schritt zur Vergewaltigung des Menschen durch die Kunst ist dann auch nicht mehr weit. Das mag harsch klingen… ist es auch. Viel zu harsch. Immerhin sprechen wir hier von fiktionalen Wesen, ohne Seele, ohne Empfinden. Und mit denen dürfen wir natürlich machen, was wir wollen. Und dass Sie diese Möglichkeit ausreizen, ist eben nicht bloß Fluch sondern auch künstlerischer Segen. Oh ja, ich habe genau deshalb auch diesen ihren neusten Film wieder genossen, habe mich treiben lassen von seinen grausamen, überspitzten Bildern, bin eingetaucht und erst zu seinem konsequenten Ende wieder wach geworden. Aber ich habe auch versucht hinter diese trippige, stylishe, attraktive Fassade zu blicken. Und wie schon bei Drive habe ich dort nichts gefunden. Nichts, was es wert wäre, länger betrachtet zu werden. Klar, es spricht nichts gegen die Verteidigungshaltung, einfach zu sagen: „Mehr will ich nicht! Der Film spricht für sich selbst!“ Wenn es denn so ist: Glückwunsch. Auch hier ist das Ihnen erneut gelungen. Und viele ihrer Fans oder Jünger oder Gottesdienstbesucher werden auch damit wieder mehr als glücklich sein. Aber bitte, versuchen Sie doch beim nächsten Mal darüber hinauszugehen. Ich sage Ihnen das als potentieller Bewunderer: Wenn man so viel Potenzial wie Sie besitzt, so viel Leidenschaft für das Medium und einen solch großen Pool an Ideen, dann sollte man dies nicht damit vergeuden, indem man immer und immer wieder die selben cineastischen Muster abfährt, ohne dabei an Gehalt zu gewinnen. Es gibt weitaus mehr hinter der Sakralität der Sakralität, es gibt mehr als die Transzendenz der Transzendenz, Filme müssen nicht bloß Ritus sein, und selbst wenn sie es sind, spricht nichts dagegen, wenn sie versuchen dabei über sich hinauszugehen. Transzendentale Medialität ist nicht alles.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit und PS.: Grüßen Sie auch den Ryan von mir. Sie wissen schon, der Ryan, der mit dem immer gleichen traurigen Hundeblick durch ihre Filme irrt. Nehmen Sie ihn einmal von mir in den Arm. Ich glaube, das wird ihm gut tun.

Ähnliche Artikel