A Prayer Before Dawn (2017) – Gefängnisdrama, Post-Actioneer, Anti-Sportfilm

Der Gefängnisfilm hat viele Gesichter. Exploitation und Sexploitation mal beiseite gelassen (Ja, ich schaue auf euch 70er) ist in dem Genre – wenn es denn überhaupt ein genuines Genre ist – so einiges möglich: Heist-Thriller, Survival-Action, pathetisches Drama, Realistisches und Dokumentarisches, ja sogar spitzbübische Comedy lässt sich hinter Gittern inszenieren. Die Schnittmengen zwischen den einzelnen Genre-Interpretationen halten sich dabei meistens in Grenzen. Wenn ein Film hinter Gittern den rauen Knastalltag realistisch darstellen soll, kommt es meistens einfach nicht gut, wenn er plumpe Actionsequenzen dazwischen wirft. Wenn ein Film mit großem Pathos das menschliche Drama in der Gefangenschaft sezieren will, wirkt es einfach unangemessen, wenn dieser plötzlich mit Humor aufgebrochen wird. Von einigen wenigen Genre-Querhüpfern wie der Serie Orange Is The New Black abgesehen, sind Gefängnisfilme meistens straight forward, entweder in dem einen oder dem anderen Bereich zu Hause. A Prayer Before Dawn (2017) versucht sich wie so viele seiner Kollegen ebenfalls nicht an einem Genrespagat, und dennoch ist er in seiner Gesamtheit deutlich holistischer als viele andere Filme seiner Art, und das obwohl sein Hintergrund, die realen Erlebnisse des Briten Billy Moore in einem thailändischen Gefängnis, dies keineswegs zwingend hergibt.

Dass dieser Billy Moore (im Film gespielt von Joe Cole) kein Heiliger ist, keine einfache Identifikationsfigur und erst recht niemand, der einfach so unschuldig in Probleme geraten ist, daran lässt A Prayer Before Dawn von Minute Eins an keinen Zweifel: Billy ist Boxer, abhängig von Amphetaminen, Drogendealer und Schmuggler und hat sich schon einige Zeit auf den Straßen Thailands im wahrsten Sinne des Wortes durchgeboxt, als er von der Polizei wegen eines Rauschgiftdeliktes festgenommen und ins berüchtigte Chiang Mai Gefängnis in Bangkok verfrachtet wird. Für den Ausländer, der nicht der thailändischen Sprache mächtig ist, wird der Aufenthalt in diesem Gefängnis zum Horrortrip. Eingepfercht in engen Gemeinschaftszellen vegetieren die Gefangenen vor sich hin: Gewalt gehört zum Alltag. Bereits in seiner ersten Nacht wird Billy neben einem Toten schlafen, er wird Zeuge einer Vergewaltigung und eines Selbstmords und muss versuchen, die brutale Hierarchie des Gefängnisses zu verstehen, das scheinbar komplett von den Gangs kontrolliert wird. Aber Billy, ausgerüstet mit einiger Straßen- und Knasterfahrung, weiß sich auch zu helfen: Mit schierer Körperkraft, dem Mut der Verzweiflung und einem unbändigen Überlebenswillen. Als er sich jedoch mit der Transfrau Fame (Pornchanok Mabklang) anfreundet und Mitglied des Muay Thai Kickboxteams des Gefängnisses wird, beginnt er sein Leben hinter Gittern zu ändern, mehr zu sehen als das bloße Überleben.

Was in Billy vorgeht, wohin er sich entwickeln und wie er hinter Gittern überleben will, bleibt lange Zeit hinter seinem Stoizismus, der nur hin und wieder von extrem aggressiven Perioden aufgebrochen wird, verborgen. Als Identifikationsfigur taugt er ebenso wenig wie als Guide durch das für westliche Augen extrem verstörende Leben in einem scheinbar unkontrollierten thailändischen Gefängnis. Dafür ist er zu abgeklärt, zu asozial und zu schweigsam uns gegenüber. Könnte dies in einem anderen Setup möglicherweise zu einer generellen Distanz des Publikums zum Geschehen führen, so gibt A Prayer Before Dawn diesbezüglich seinen Zuschauern keine Chance zur Flucht: Die Kamera agiert radikal subjektiv, evoziert eine durch und durch personale Perspektive, in der Desorientierung zum Konzept gehört: Wir stolpern wie der Protagonist durch überfüllte Räume, Menschen sprechen durcheinander in einer fremden Sprache, Dinge geschehen, die wir weder sozial noch kulturell einordnen können. Oft wissen weder wir noch unser Protagonist, was gerade geschieht und welche Auswirkungen es haben wird. Dies führt zu einem permanenten Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit, verstärkt durch die raue und realistische Darstellung des Geschehens: Als Gefängnisdrama bewegt sich A Prayer Before Dawn oft an der Schmerzgrenze, Momente von roher Gewalt und tiefer menschlicher Verzweiflung, demütigende, scheinbar sinnlose Rituale, Hilflosigkeit, Krankheit und nicht selten Tod. A Prayer Before Dawn hat keine Scheu davor, sein Publikum zu quälen und mit teils unerträglichen Szenarien ebenso wie den Protagonisten an die Schmerzgrenze zu bringen.

Dennoch ist der Film von Jean-Stéphane Sauvaire keine auf bloßen Shock Value ausgelegte Tragödie. Viel mehr besitzt er einen faszinierenden Zug zum Post Action und zu einem radikalen Gegenentwurf zum klassischen Sportfilm. Letzteres liegt in seiner Geschichte: Immerhin geht es hier um einen Underdog, der sich letzten Endes mit Hilfe des Sports nach oben – oder zumindest zurück ins Leben – kämpft. Im Gegensatz zum traditionellen Film dieses Typs, wie er insbesondere in den sportlichen 80er Jahren gehegt und gepflegt wurde, gibt es hier aber kein Ruhm und keine Ehre, es gibt keinen reellen Aufstieg, kein pathetisches Mehr, kein großes Aufbäumen. A Prayer Before Dawn ist fast so etwas wie ein Anti-Sportfilm, indem er sich in seiner Sportgeschichte gegen alles auflehnt, was das Genre sonst auszeichnet. Und das bedeutet eben nicht nur den Verzichtet auf geladene Trainings oder Erfolgsmmontagen, sympathische Charaktere, klar definierte sportliche Gegenspieler etc., sondern mindestens genau so der Verzicht auf das klimaktische Emporklettern, auf den großen Triumph und auf die universelle Hoffnung. Der Sport in dieser Geschichte ist in letzter Instanz immer ein Werkzeug, um den Kampf ums Überleben leichter zu machen. Er besitzt keine Schönheit, keinen Glanz und keine übermenschliche Aura.

Das selbe gilt für das Action-Moment des Films. Auch dieses ist zweifelsohne vorhanden. Die gehetzte Inszenierung, die roughen Schnitte, die dramaturgische Desorientierung und die narrativen wie ästhetischen Blackouts tragen nämlich nicht nur den Realismus der Handlung sondern diktieren ebenfalls ihren Rhythmus. Und dieser ist mitunter enger mit dem Actiongenre verwandt, als man bei dem schweren Topos vermuten könnte. Ohne in traditionelle Knast-Actioneer-Gefilde abzurutschen ist A Prayer Before Dawn verflucht temporeich, adrenalin- und auch actiongeladen. Aber er nutzt dies nicht, um zu unterhalten, um Spannung oder gar Spaß zu evozieren. Stattdessen entsteht die „Action“ ganz genuin, quasi zwingend aus dem Szenario. Und wenn ich das Post Action nenne, dann eher aus der Verlegenheit heraus, dass mir kein besserer Begriff einfällt: In vielen Momenten besitzt A Prayer Before Dawn den rauen Charme eines Rocky, ohne dessen Pathos zu adaptieren, die Gehetztheit eines John Wick, ohne sich dessen Glamour einzuverleiben, das Chaotische, Orientierungslose eines Michael Bay, ohne dessen Fetischismus zu kitzeln, oder auch die Geschwindigkeit eines Baby Driver, ohne damit Rock N Roll und Coolness versprühen zu wollen. A Prayer Before Dawn ist ein Actionfilm, der kein Actionfilm sein will, viel mehr ein Drama, das zwischendurch unfreiwillig wie gezwungenermaßen zum Actionfilm wird, und damit versteckt hinter seinem naturalistischen Anspruch eines der spannendsten Genrecrossover unserer Zeit.

So oder so ist es A Prayer Before Dawn wert, entdeckt zu werden. Wen die realistische Rohheit der Geschichte nicht abschreckt, erlebt hier ein großartiges, düsteres und mitnehmendes Actiondrama zwischen Naturalismus und Erhabenheit, zwischen Schmerz, Ohnmacht und Kampf, ein düsterer Trip in menschliche wie soziale Abgründe, den man so schnell nicht wieder vergisst.

Ähnliche Artikel