Monos – Zwischen Himmel und Hölle (2019): Jugend, Naturzustand und Krieg

Bellum omnium contra omnes – Der natürliche Zustand des Menschen ist ein Krieg aller gegen alle. Jeder einzelne ist in erster Linie auf sein eigenes Überleben ausgerichtet. Um dieses zu gewähren, wird vor keiner Schandtat zurückgeschreckt. Der Mensch, der des Menschen Wolf ist, lügt, betrügt, raubt und mordet, um seine maximale Stärke gegenüber allen anderen zu behaupten. So sieht die menschliche Gesellschaft im Naturzustand aus, zumindest wenn es nach dem britischen Philosophen Thomas Hobbes (1588 – 1679) geht. Vor allem sein berühmtestes Werk Leviathan (1655) ist der radikale Gegenentwurf zu all den optimistischen und humanistischen Politik- und Moralphilosophen der Aufklärung. Wo bei Rousseau der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, ist er bei Hobbes eine animalische, brutale Entität. Wo Menschen bei Locke zu einer Gesellschaft zusammenfinden, müssen sie bei Hobbes in einen solchen Rahmen gezwungen werden. Der monströse Leviathan bedeutet dabei sowohl Unterdrückung des Individuums als auch Ermöglichung einer funktionierenden gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung. Was jedoch, wenn der ungeheuerlichen Ordnung selbst das Kriegerische immanent ist? Und was, wenn diesem Leviathan, der seine Untertanen in ein kriegerisches System gepresst hat, der Kopf abgeschlagen wird? Alejandro Landes‘ Monos (2019) geht dieser existenziellen Frage nach, irgendwo zwischen Herr der Fliegen, Apocalypse Now, Frühlingserwachen und Hobbes’scher Naturphilosophie.

Monos das sind in der spanischen Sprache die Affen, aber auch die Hampelmänner und Scheusale. Die, die sich aufplustern, angeben, eitel und selbstverliebt sind. Monos, so nennen sich die Jugendlichen, die im Zentrum dieses Kriegsdramas stehen. Vielleicht werden sie auch so genannt und haben es schließlich als Selbstbezeichnung übernommen. Was von außen und was aus dem Inneren der heranwachsenden Krieger kommt, ist nie so ganz sicher: Patagrande, Rambo, Leidi, Sueca, Pitufo, Perro, Bum Bum und ihr Anführer Lobo leben ein martialisches Leben in einer abgelegenen bolivianischen Bergregion. Sie erhalten Drills von einem raubeinigen Boten (Wilson Salazar), trainieren für einen virtuellen Krieg und kümmern sich um ihre Geisel, die Doctora (Julianne Nicholson). Aber sie sind auch Jugendliche mit jugendlichen Wünschen und Bedürfnissen. Sie möchten feiern, leben und lieben und versuchen sich so gut es geht, neben ihrem militärischen Leben ein zweites typisches Teenagerdasein zu aufzubauen. Der Grat zwischen verträumtem Erwachsenwerden, harmonischer Naturerfahrung und Auseinandersetzung mit den inneren und äußeren Dämonen ist stets ein schmaler. Landes erzählt uns diesen Grat zwischen trockenem Realismus und hypnotischem Surrealismus, er scheint sich selbst nie sicher zu sein, ob die Bilder, die er uns präsentiert, eskapistisch und ästhetizistisch oder roh und düster sein sollen. Ebenso scheint er sich stets unsicher zu sein, ob die omnipräsente Gewalt, die die Jugendlichen und ihre Welt umspielt, nun eine interne oder externe sein soll.

Die Ambivalenz dieser Gewaltdarstellung, dieser Gewalterfahrung ist die große Stärke von Monos. Sie begleitet ihn sowohl als Fragezeichen als auch als Ausrufezeichen. Mal scheint die Gewalt, die Aggressivität, die wir erleben, ein direktes jugendliches Initiationsritual zu sein: Die Konfrontation mit den eigenen Dämonen als Teil des Heranwachsens. In diesen Momenten ist Monos durch und durch eine traditionelle Coming of Age Geschichte mit all den Topoi, die die narrative Verarbeitung des Erwachsenwerdens kennt. Dann wiederum ist nichts anderes als eine Indoktrination von außen, etwas, das den unschuldigen Kindern und Jugendlichen aufgezwungen wird. Sie ist der Krieg, der in die eigentlich unbedarfte Harmonie der Jugend hineingetragen wird. Das omnnipräsente Funkgerät und der Bote fungieren dabei als die Stellvertreter des großen Anderen, der nichts weniger als die brutale Erwachsenenwelt ist. Ihr haben sich die jugendlichen Protagonisten und Protagonistinnen unterzuordnen. Ihr können sie nicht entkommen, selbst in dem Moment, in dem sie gegen das System aufbegehren. Und das tun sie schließlich, allerdings auf die Art und Weise, wie sie die Welt verstehen. Im brutalen Kampf. Nachdem sie bei einer wichtigen Aufgabe, der Bewachung und Pflege einer Milchkuh, gescheitert sind, kommt es zum größtmöglichen Unglück. Einer der Jugendlichen stirbt. Die Gruppe stellt sich gegen den großen Anderen, zuerst, indem sie ihren Vorgesetzten anlügt, schließlich, indem sie ihn aus ihrer Welt verbannt, sich zur unabhängigen Armee erklärt. Dem Leviathan wird der Kopf abgeschlagen und von nun an sind die jungen Menschen auf sich allein gestellt.

Was folgt ist ein Schaubild, eine Fabel der Gewalt. Wie zuvor bleibt auch in dieser die Ambivalenz der Monos’schen Erzählhaltung bestehen. Die Eskalationsspirale, in die die Jugendlichen schließlich geraten, ist sie ein Ergebnis des Verlustes der Führung und Kontrolle? Oder ist sie nicht viel mehr die konsequente Fortführung des von dieser eingeimpften Gedankens? Ist die sich immer mehr steigernde Gewalt etwas, was in den impulsiven Heranwachsenden von jeher schlummerte? Oder ist es der Krieg, der ihnen von der Erwachsenenwelt in die Köpfe gepflanzt wurde. Monos gibt auf diese Fragen keine einfachen Antworten. Obwohl er vor dem Hintergrund des kolumbianischen Guerilla- und Bürgerkriegs zwischen dem Staat und den diversen revolutionären Streitkräften Kolumbiens angesiedelt ist, bleibt er in seiner Ausführung vage. Gegen wen die Jugendlichen kämpfen sollen, wer ihre Befehlshaber, wer ihre Freunde und wer ihre Feinde sind, wird nie ausdekliniert. Der eigentliche Krieg bleibt ein anonymes, abstraktes Phänomen, aber dennoch ein Phänomen, dass das Leben der Minderjährigen prägt. Der Feind ist immer ein anonymer Feind, ungesehen, ungenannt, sein feindliches Wesen besitzt er nur dadurch, dass die Erwachsenen Autoritätsfiguren den Kindern diese Feindschaft immer wieder einreden. Umso mehr wird es zum Moment der Selbstermächtigung, der Autonomie, wenn diese Kinder sich schließlich gegen die sie befehligenden Erwachsenen auflehnen und sie zu ihrem aktuellen Feind erklären. Plötzlich ist der Krieg kein abstrakter Schatten mehr, der über ihrer Jugend liegt, sondern ein ihr immanenter Teil.

In diesem Moment schlägt die Handlung dann auch um, von Apocalypse Now zu Herr der Fliegen. Die Selbstermächtigung der Jugendlichen, die ihr Leben lang für den Krieg gelernt haben, ist ein kriegerischer Akt, in dem sie all das umsetzen können, was sie zuvor gelernt haben. Die militärische Indoktrination durch die Erwachsenenwelt und das anarchische, aggressive Element des Heranwachsens gehen eine verhängnisvolle Symbiose ein. Indem sie zum ersten Mal ihre eigenen Regeln festlegen können, sind die Protagonisten Rebellen gegen den Krieg, der ihnen von ihren Autoritätsfiguren aufgezwungen wurde. Zugleich können sie in dieser Rebellion aber auch nur mit dem arbeiten, was sie ihr Leben lang gelernt haben. Und das ist der Krieg. Die Ambivalenz des vorherigen militärischen Lebens führt sich nahtlos im anarchischen, selbstbewussten Leben fort. Es ist sowohl Selbstbefreiung als auch Unterordnung unter eine neue, gewalttätige Ordnung. Es ist Subversion wie logische Fortführung des zuvor erfahrenen Militarismus. Seit Michael Hanekes Das weiße Band (2009) hat kein Film so beeindruckend gezeigt, wie fatal sich militärisch, autoritäre Erziehung auf den Nachwuchs ausüben kann. Im Gegensatz zur deutschen Kindergeschichte erzählt Monos parallel aber auch immer das atavistische, anarchische Moment, das nicht aus der militärischen Erziehung entwächst sondern aus dem impulsiven jugendlichen Geist.

Monos lebt von seiner Ambivalenz: Zwischen Himmel und Hölle ist sein mehr als passender deutscher Untertitel. Er präsentiert Himmel und Hölle des Lebensabschnitts Jugend. Und er entzieht sie ihrem alltäglichen Umwelt, um das Archaische ihres Wesens hervorzukehren. Es ist seine ästhetische Ambivalenz – zwischen Traum und Alptraum -, die ihn auszeichnet. Aber auch seine inhaltliche Ambivalenz zwischen sozialer und natürlicher Determination. Als Blick auf den Hobbes’schen Naturzustand eines animalischen Menschen und als Blick auf einen durch die Umstände zum Krieger erzogenen Menschen. Am Ende bleibt ein Fragezeichen: Wie sehr ist die Gewalt ein natürliches Element unseres Seins? Wie sind wir mit ihr geboren, wie wird sie uns anerzogen? Leichte Antworten kennt Monos auf diese Fragen nicht. Vielleicht weiß er sogar überhaupt keine Antwort. Genau dies ist aber seine größte Stärke.

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