Die besten Dramen der 80er Jahre III

Mensch, jetzt muss ich ja doch drüber nachdenken, ob ich so einiges in den 80er Jahren verpasst habe. Gerade mal drei lausige Artikel zu dem Genre, das ich wahrscheinlich als mein Liebelingsgenre bezeichnen würde. Möglichkeit 1: Als in den frühen 80er Jahren Geborener hatte ich einfach noch nicht genug Zeit, die ganzen verborgenen Perlen des dramatischen Kinos dieser Zeit nachzuholen. Möglichkeit 2: Die 80er Jahre waren einfach kein so dolles Jahrzehnt für diese Art von Film. Für die zweite Erklärung spricht die Tatsache, dass ich gerade die 70er Listen zusammenstelle und es dort definitiv mehr starke Dramen zu finden gibt als in der folgenden Dekade. Anyway, ich habe bestimmt das ein oder andere Meisterwerk vergessen und freue mich sehr darüber, wenn es mir in den Kommentaren nahegelegt wird. Bis dahin folgt hier die letzte größere Mussmansehen-Liste der Epoche. Dieses Mal mit Steven Spielberg in Die Farbe Lila auf (zumindest damals) ungewohnt ernsten Pfaden und Rainer Werner Fassbinder mit seinem Spätwerk Lola. Außerdem eine faszinierende Umsetzung von Klaus Manns Roman Mephisto, Ann Huis kontrovers rezipiertes Meisterwerk des Hong Kong Kinos Boat People und Ingmar Bergmanns letzter großer Kinofilm Fanny und Alexander.

Die Farbe Lila [Steven Spielberg]

(USA 1985)

Mitte der 80er Jahre hatte Steven Spielberg noch keine große Expertise im dramatischen Film und war stattdessen viel mehr Blockbusterdarling mit seinen Genrewerken wie Indiana Jones, E.T. oder Der weiße Hai. Die Farbe Lila ist ein erster Vorgeschmack auf die großen dramatischen Filmwerke wie Das Reich der Sonne oder Schindlers Liste, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten folgen sollten. Und was ist das für ein dramatischer Einstand: Die Lebensgeschichte der jungen Celie (herausragend gespielt von Whoopi Goldberg), die im frühen 20. Jahrhundert in eine toxische, von Gewalt geprägte Ehe gezwungen wird, ist ein großes Melodram über die Widrigkeiten des Lebens, aber auch ein Manifest dafür, nie den Mut zu verlieren. Themen wie Sexismus und Rassismus werden elegant in das epische Drama eingeflochten, das immer wieder mit überraschenden Wendungen, unerwarteten Bündnissen und in den richtigen Momenten auch der notwendigen Brise bittersüßen Humors zu begeistern weiß. Manche Darstellungen mögen (nicht nur) aus heutiger Perspektive überholt und stereotyp wirken, ändert aber nichts daran, dass The Color Purple ein faszinierendes, universelles menschliches Drama vor historischem Hintergrund ist.

Lola [Rainer Werner Fassbinder]

(Deutschland 1981)

Mit Lola schloss der legendäre Regisseur des Neuen Deutschen Films Rainer Werner Fassbinder ein Jahr vor seinem Tod seine ausdrucksstarke BRD-Trilogie ab. Und was ist das für ein fulminanter Abschluss! Noch einmal darf Fassbinder alles das auffahren, wofür er in der deutschen Filmgeschichte so berühmt und berüchtigt ist: Eine extrem pessimistische, verbitterte Weltsicht, die sich in grantigem Humor dennoch immer ein Augenzwinkern und ein kleines Stück Hoffnung bewahrt; die Episierung der piefigen, spießigen und kleinen Konflikte, die es in der Bundesrepublik zu finden gibt; das Spiel mit der Moral als höchste Instanz, die immer wieder berufen, aber auch gebrochen und sogar durch den Kakao gezogen wird; und am wichtigsten, der genaue, sezierende Blick auf den Menschen, der in kleinsten Nuancen seine Schwächen, seine Fehler, seine Unmenschlichkeit aber auch seine Verzweiflung offenbart. Lola ist ein kleines bayrisches Diorama über Lust, Korruption und Verdorbenheit, das an seinen Rändern allerdings so offen ist, dass sich die lokale Tragödie jederzeit zum holistischen großen Drama aufschwingen kann. Ein großer Abschluss eines ebenso großen Regielebens.

Mephisto [István Szabó]

(Deutschland, Österreich, Ungarn 1981)

Klaus Manns Roman Mephisto (1956) gehört wohl zu den schmerzhaftesten Auseinandersetzungen mit Kolportage und Korrumpierung in Zeiten des Nationalsozialismus. Dass die (leidlich) versteckte Anklage gegen den Schauspieler Gustav Gründgens so überzeugend auf die Leinwand adaptiert wird, ist vor allem einem Namen zu verdanken: Klaus Maria Brandauer. Dieser spielt den von den nationalsozialistischen Machthabern korrumpierten Protagonisten Hendrik Höfgen mit derart viel Detailversessenheit, Elan und eine exzentrischen Diabolität, dass einem als Zuschauer nur schwindelig werden kann. Ohnehin ist Mephisto weitaus mehr als nur eine gelungene Romanverfilmung: Regisseur István Szabó schnappt sich den Stoff und verwebt ihn audiovisuell mit einer überladenen, mystizistischen Ästhetik, lässt seinen Star in dunklen, kontrastreichen Bildern zum – unfreiwilligen – Teufel höchstpersönlich werden und erzählt so über den engen zeitlichen Rahmen hinaus eine holistische Geschichte um Besessenheit und Anpassungsdruck.

Boat People [Ann Hui]

(Hong Kong, China 1982)

Nicht unumstritten war seinerzeit Ann Huis Drama Boat People, in dessen Zentrum die Reise eines Fotografen in den kommunistischen Teil Vietnams nach dem Krieg steht. In der Tat ist das, was Boat People so schwierig macht, gleichzeitig das, was ihn so faszinierend werden lässt. Gemeint ist sein Oszillieren zwischen Dokumentarischem und Fiktivem, zwischen Naturalismus und emotionalisiertem Drama. Boat People kommt in großen Teilen seiner Laufzeit, insbesondere zu Beginn ungemein roh, unstilisiert und dokumentarisch daher. Wir begleiten den Protagonisten, wie er im wahrsten Sinne des Wortes Bilder einfängt, Bilder auf sich und auf uns wirken lässt. Erst in seiner narrativen Genese wandelt sich das Drama langsam von den Fakten zu den Fiktionen, allerdings nicht nur narrativ, sondern auch ästhetisch. Ja, Boat People hat einen klaren Standpunkt, eine eindeutige Haltung zu dem Geschehen im kommunistischen Vietnam, ihm deshalb Propaganda vorzuwerfen wäre aber weit an der Realität vorbei: Dafür kämpft er in sich viel zu sehr mit den Diskrepanzen der Wahrnehmung, mit dem Zwiespalt des Journalismus, mit dem Dilemma des Dokumentierenden. Er wirft – ziemlich transparent – in seine oberflächliche Objektivität eine tiefgreifende Subjektivität, indem er mit fortlaufender Dauer nicht nur narrativ radikaler – oder eben auch propagandistischer – wird, sondern ebenso ästhetisch diversifizierter, mitunter mit fast schon traumwandlerischen Momenten aufgebrochen. Diese Ambiguität, diese Ambivalenz ist es, die ihn auszeichnet und ihn geradezu dazu prädestiniert mit unserem heutigen historischen Abstand neu entdeckt zu werden. Ohne Zweifel einer der besten Filme des chinesischen / Hong Konger Kinos.

Fanny und Alexander [Ingmar Bergmann]

(Schweden 1982)

Das zweite große Alterswerk dieser Liste: Auch Ingmar Bergmann schließt in Fanny und Alexander noch einmal mit seinem Œuvre ab, und wie Rainer Werner Fassbinder fährt er noch einmal alles auf, was sein filmisches Lebenswerk auszeichnet. Das bedeutet in diesem Fall: Eine wundervolle Kombination aus Realistischem und Magischem, aus Psychologischem und Spirituellem, aus großer Narration und gewaltiger Dramaturgie. In Fanny und Alexander ist das Tableau, auf dem diese Momente der Bergmann’schen Filmkunst ausgebreitet werden, das Leben einer Theatergroßfamilie, im Zentrum die eingeheirtatete Emilie und ihre beiden Kinder und Fanny und Alexander. Aber natürlich ist deren Leben nur die vordergründige Geschichte. Dahinter entfaltet sich ein episches Sittengemälde über das Leben in freiwilligen und aufgezwungenen Gemeinschaften, über die pure Freude am Leben, über den Widerstreit zwischen Hedonismus und Askese, über das Glück im Kleinen und das Glück im Großen, über Fantasie und Wirklichkeit und über die Kraft der Imagination. Wie für Bergmann typisch sind das keine leichten Themen und sie werden auch nie auf die leichte Schulter genommen, aber ebenso wie für Bergmann typisch inszeniert er diese mit einem unglaublichen Gespür für Schönheit, erzählt wie im Rausch, elegisch, dramatisch, artifiziell und stilverliebt. Ein letztes großes existenzialistisches Aufbäumen des europäischen Arthaus-Kinos und ein letztes Winken des vielleicht stärksten Regisseurs des 20. Jahrhunderts.

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