Die besten Filme der 90er Jahre für Musikliebhaber

Wie schon bei den 00er-Filmretrospektiven gibt es auch für die 90er noch einen kleinen Nachschlag für Musikliebhaber. Warum dieser im Vergleich zu den letzten beiden so dünn ausfällt… I don’t know. Vielleicht waren die 90er im Gegensatz zu den 00ern einfach nicht das große Jahrzehnt für Musikfilme, vielleicht habe ich diesbezüglich auch einfach noch verdammt viel Nachholbedarf. Falls ihr an dieser Stelle also dieses oder jenes Meisterwerk vermisst, habt keine Scheu davor, diese Lücke in den Kommentaren lauthals kundzutun. Nach dem Klick gibts dann erstmal Nostalgie mit den Beatles, ein eindrucksvolles Neil Young Musikerporträt von Jim Jarmusch, Videoclipästhetik auf Filmlänge, Radiohead auf der Suche nach sich selbst, zwei Slacker in  Wayne’s World, sowie Abgesänge auf den Glam Rock, den Grunge und das 18. Jahrhundert.

Year of the Horse [Jim Jarmusch]

(USA 1997)

Verdammt… Jim Jarmusch hat es einfach drauf. Trotz ungemein ruhiger Erzählweise strahlen seine Filme immer eine unglaubliche Empathie und Leidenschaft für das dargestellte Sujet aus. Wer wäre also besser dazu geeignet einen Neil Young Konzertfilm zur Vorlage für einen poetischen Abgesang auf die „wahrhaftige“ Rockmusik zu nutzen? Genau! Jim Jarmusch begleitet nicht einfach nur die Band bei ihren großartigen Live-Auftritten, er begnügt sich auch nicht damit Skurrilitäten und Lebenslust zwischen den Shows zu dokumentieren, es geht ihm auch nicht einfach darum einen Blick hinter die Kulissen des Rockstar-Lebens zu werfen. Das ist alles Teil des Neil Young Porträts… und doch geht es um so viel mehr: Die Liebe zur Musik, das Erzittern vor der Menge, der Genuss des musikalischen Augenblicks, das ungefilterte Live-Erlebnis. Year of the Horse ist ein fantastischer Doku Road Movie, ein beeindruckender Konzertfilm und eine einzige Huldigung an den großartigen Rock N Roll Way of Life.

Backbeat [Iain Softley]

(Großbritannien, Deutschland 1994)

Once there were the Beatles… eine kleine, aber leidenschaftliche Band, die für einen Hungerlohn durch Deutschland zu ihren ersten Live-Gigs reist und von der großen Karriere träumt. Der fiktionale Backbeat zeichnet die Erlebnisse der Beatles nach, bevor es den Beatle-Hype gab, reist mit der Band durch Deutschland und beobachtet künstlerische und persönliche Konflikte unter den Pilzköpfen. Die Beatles selbst waren von dem Ergebnis weniger angetan, sehr wohl aber die Freunde von Musikfilmen. Denn auf dem erstklassigen Soundtrack versammeln sich musikalische Größen der 90er wie Mitglieder von Soul Asylum, R.E.M. und Nirvana. Kein Wunder: Backbeat lebt und atmet die Musik, gibt sich auch gerne mal als überstilisierte, überemotionales Drama, findet aber immer den richtigen Ton, um zu zeigen… es lohnt sich immer für den musikalischen Traum zu kämpfen.

Farinelli [Gérard Corbiau]

(Frankreich, Italien 1994)

Musikalischer Traum oder Alptraum? In der Verfilmung der Lebensgeschichte des berühmten Kastratensängers Carlo Broschi „Farinelli“ (1705 – 1782) fließt beides nahtlos ineinander über. Dabei stoßen die Gier nach Leben und künstlerischen Ausdrucksweise aufeinander, die Opernbühne selbst wird zum Schlachtfeld, auf dem sich Lebensschicksale entscheiden… und im Mittelpunkt steht doch auch hier die Liebe zur Kunst, die Leidenschaft und fast schon pathologische Obsession für die Musik und den eigenen musikalischen Ausdruck. Farinelli ist ein bombastischer, epischer Kostümfilm, dem die musikalische Leidenschaft wahrlich ins Fleisch geschnitten ist. Ein beeindruckender Rückblick auf eine Zeit, in der Musik der fundamentalste Lebensinhalt sein konnte. Dionysisch/Apollinisches Kino der ganz großen Sorte, die Wiedergeburt des Filmepos aus dem Geiste der Musik.

Lola rennt [Tom Tykwer]

(Deutschland 1998)

Ich habe echt lange überlegt, wo ich Lola rennt bei der 90er Retrospektive reinhauen kann. Zu den Fantasyfilmen? Den Dramen? Den Surrealismen? Dabei liegt es doch so nahe: Lola rennt ist DAS genuine Musical der 90er Jahre, DER Musikfilm der Rave-, Techno- und Trance-Dekade. Dank der fiebrigen Videoclip-Ästhetik Tykwers ist die rennende Lola verfilmtes MTV der besten Sorte, mit einem Schuss Avantgarde, viel Berlin-Liebe und einer simplen Geschichte die Dank der berauschenden Bilder und Inszenierung, dank des nach vorne peitschenden Soundtracks fast vergessen wird. Eskapismus in reinform eben, für die Generation Rave, und damit DIE legitime Tochter des klassichen Musicals. Fast schon seltsam, dass diese Stilistik so gut wie nie wieder aufgegriffen wurde, denn in Lola rennt funktioniert sie perfekt: Story, Schnitt, Musik bilden einen mitreißenden Sog, einen ganz eigenen musikalischen Rhythmus, ein Film auf Speed, auf Beats, auf Lust for Life… ein schier atemberaubender Trip.

Velvet Goldmine [Todd Haynes]

(USA 1998)

Achja… der Glam Rock der ausgehenden 70er Jahre. Irgendwie pompös kitschig, irgendwie progressiv, irgendwie rebellisch. Velvet Goldmine setzt dieser kurzen, konfusen, wilden Episode der Musikgeschichte ein würdiges Denkmal. Zwischen David Bowie und Lou Reed bewegt sich die nostalgische Geschichte der Musiker Brian Slade und Curt Wilde, die sich sukzessive zu einem surrealen Trip wandelt, in dem das Leben peux a peux ästhetisiert wird, bis die Realität in einzelne Videoclip-Fragmente zerfällt. Ja, Velvet Goldmine pervertiert, sich, seine Geschichte, das musikalische Leben, die dargestellte Zeit… und findet so zu der ursprünglichsten Wahrheit die in der Musik des avantgardistischen Glam Rocks verborgen liegt, zum reinsten Hedonismus… nur um dann wiederum brutal aufzuschlagen und in düsteren, nahezu apokalyptischen Bildern das Ende einer Ära zu porträtieren. Velvet Goldmine ist ein gnadenloser, facettenreicher und wahnwitziger Trip in die Musik und die ebenso verlockende wie gefährliche Gier, die hinter ihr und in ihr schlummert, jederzeit bereit durch sie auszubrechen.

Wayne’s World [Penelope Spheeris]

(USA 1992)

Jepp… auch den packe ich hier rein. Keine Widerrede. Obwohl weder Musical noch Konzertfilm noch Musikerporträt, ist Wayne’s World ein absoluter Film für Musikliebhaber. Keine Frage, wenn in dieser furiosen Komödie Queens Pomprock-Klassiker Bohemian Rhapsody im Auto eine Revitalisierungskur erhält, wenn die Protagonisten vor Alice Cooper auf die Knie sinken, wenn Tia Carrere die grimmige Punksängerin mimen darf und in einem Musikladen kein „Stairway“ erlaubt ist, lacht das Musikerherz. Wayne’s World ist vielleicht DIE Komödie schlechthin für alle 90er Slacker-Musikliebhaber. Zwischen Hard Rock, Grunge und Metal spielt Wayne’s World mit der Befindlichkeit einer musikhörenden, musikmachenden, musiklebenden Generation und zaubert daraus eine herrliche, sau komisch und lebendige Komödie. Party On Dudes!

Hype! [Doug Pray]

(USA 1996)

GRUNGE! Obwohl dieses Genre nicht über Mitte der 90er hinauslebte (von einigen Epigonen und Last Survivors abgesehen) hat es sich wie kaum ein anderes im kollektiven Musikgedächtnis eingebrannt. Lag es vielleicht gerade an der Kurzlebigkeit, daran, dass der Grunge mit seiner niedrigen Verweildauer perfekt das von Cobain propagierte Lebensgefühl des „Live Fast! Die Young!“ verkörperte? Ohne Zweifel hat uns der Grunge einige großartige Alben beschert, die auch heute immer noch große Rockzeugnisse darstellen. Hype! wirft einen Blick auf die Geburt, die Musik und den Hype rund um die Seattler Musikszene, gibt sich sowohl leidenschaftlich als auch ironisch gebrochen und lässt die wichtigsten Musiker des frühen 90er Rock von der musikalischen Peripherie bis zum Mainstream zu Wort kommen.

1991: The Year Punk Broke [Dave Markey]

(USA 1992)

Und noch einmal early 90’s Rock, in diesem Fall jedoch weit hinaus über die Seattler Musikszene. Auch in The Year Punk Broke wird Nirvana ein gewisser Platz eingeräumt, allerdings bevor sie mit Nevermind zu Weltstars werden sollten. Darüber hinaus stehen vor allem die Noise Rocker von Sonic Youth im Mittelpunkt, ebenso Indie-Größen wie Dinosaur JR. und Musdhoney. Der Blick auf deren Tourneen und Live-Auftritte ist ein leidenschaftliches Manifest für die Kraft des Rock N Rolls und Punks, eine Liebeserklärung an die lautere, unkonventionellere Musik, an den Impuls und den Riff-Exzess. Vielleicht sogar das authentischste, dichteste und unmittelbarste Porträt dieser spannenden und ambivalenten Musikergeneration.

Meeting People is easy [Grant Gee]

(Großbritannien 1998)

Wenn es ein bisschen artifizieller sein soll… Zwischen Künstlerporträt, Musikvideosammlung, Live-Impressionen und atmosphärischen, verwobenen Mood-Sequenzen bewegt sich der filmische Blick auf das Wirken Radioheads, während diese Dank OK Computer allmählich zu Avantgarde-Rock-Größen aufsteigen. Die Ratlosigkeit der Band angesichts des plötzlichen Erfolgs ist greifbar, die Paradoxien zwischen Rampenlicht und künstlerischer Selbstfindung werden angerissen, ebenso wie die Leidenschaft der Band zum Obskuren, Ungesagten, weiß Gelassenen. Meeting People is easy ist alles andere als ein gewöhnlicher Tournee-Film… ein faszinierendes Kaleidoskop, fragmentarisch, nach Orientierung suchend und musikalische Hingabe findend. Definitiv arty, prätentiös und selbstverliebt…. und gerade deswegen, wie die Musik der Band herausragend anders.

The Beatles Anthology [Geoff Wonfor, Bob Smeaton]

(Großbritannien 1995)


Elf Stunden, fünf DVDs, unzählige Live-Aufnahmen, Filmschnipsel, Interviews etc… The Beatles Anthology gehört zu den akribischsten Dokumentationen einer Band überhaupt. Von der Jugend und der wachsenden Liebe zum Rock N Roll über die ersten Erfolge über die gigantische Beatlemania bis hin zum letzten Album Abbey Road begleitet die Doku-Serie den Werdegang der Beatles. Klar, das ist mitunter etwas unkritisch, gigantomanisch und zweifellos ein unfassbar langes Fanvideo… aber gerade diese Akribie, diese Obsession für eine einzige Band, die in dem Material steckt, fasziniert und betört und hat durchaus die Fähigkeit auch Unbeteiligte mit dem Beatles-Fieber zu infizieren. Große Momente gibt es jedenfalls zu Hauf, egal ob die perfekt arrangierten Konzertaufnahmen, die Anreißung des Rausch-Themas oder eine letzte Session der drei verbliebenen Beatles in den 90ern. Die Anthology ist ein Muss für jeden Beatles-Fan  und ein gefundenes Fressen für jeden Musikhörer, der sich dem Phänomen annähern will.

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Erstveröffentlichung: 2011