Die besten Liebesfilme der 90er Jahre I

Wow! Die 90er waren ein mehr als sattes Jahrzehnt für gute Liebesfilme. Und dementsprechend bekommen sie hier, wie schon die Horrorfilme, gleich zwei Artikel spendiert. Diese Überfülle an hervorragenden Liebesfilmen – insbesondere aus den USA – lag vor allem daran, dass das romantische Kino in den 90ern nicht nur ein- oder zwei- sondern gleich mehrspurig fahren durfte: Romcom und Screwball erlebten eine unerwartete Renaissance, Hollywood durfte sich und das Massenpublikum mit epischen Schnulzen erfreuen, Independentregisseure entdeckten plötzlich die Möglichkeiten des romantischen Kinos, und ganz nebenbei erblickten noch ein paar schwarze, düstere und abwegige Liebesreigen das Licht der Welt. Die besten Liebesfilme der 90er: Wir haben sie geschaut, gesammelt und liefern auch hiermit die erste Portion feinstes Romantikkino…

Pretty Woman [Garry Marshall]

(USA 1990)

Jepp! Wir beginnen gleich mit einem absoluten Romcom-Instantklassiker. Pretty Woman dürfte die Blaupause des postmodernen Hollywood-Dornröschenmärchens. Pretty Woman ist Big Budget Kitsch aller erster Güte: Unrealistisch, überstilisiert, mit rosaroter Brille, euphemistisch, ohne Bezug zu den dargestellten Millieuproblemen… und gerade dadurch das perfekte Liebesmärchen. Die Blauäugigkeit mit der die Romanze zwischen dem Straßenmädchen und dem Finanzmogul dargestellt wird, lässt Pretty Woman zum perfekten Märchenstoff mutieren. Wer braucht schon Realismus, Sozialkritik und komplexe Charaktere, wenn es sich einfach nur wunderbar, leicht, romantisch schwelgen lässt? Eben! Hollywoodgesäusel in Reinkultur, im wahrsten Sinne des Wortes zu schön um wahr zu sein, und damit eben genau das, was von dieser Sorte Film erwartet werden darf.

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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Leaving Las Vegas [Mike Figgis]

(USA 1995)

Und gleich das passende Gegenstück. Romantik in den Tod, mit Blick auf den Tod und ohne Chance gegen den Tod. Die Geschichte vom suizidalen Alkoholiker und der Las Vegas Prostituierten verzichtet auf jeglichen Hollywoodcharme und zeichnet stattdessen eine bittere Gecshichte an einem viel zu frühen Lebensabend, die konsequent ihrem eingeschlagenen Weg folgt. Nicolas Cage und Elizabeth Shue überzeugen hier als hoffnungslose Romantiker, deren Hoffnungslosigkeit auch im Glanze einer neuen Liebe nicht aufgelöst werden kann. „Leaving La Vegas“ ist bedrückend, trist, verbittert und zugleich wunderschön, warmherzig und trotz seiner permanent düsteren und trostlosen Grundstimmung irgendwie auf irgendeine krude Art und Weise optimistisch und sogar lebensbejahend.

Chasing Amy [Kevin Smith]

(USA 1997)

Unabhängig von allen Romantikkonventionen und dem üblichen Hollywoodgedöns arbeitet auch Kultregisseur Kevin Smith (Clerks). Auch wenn er sich einem romantischen Thema annähert. Die herrlich charmant erzählte Slacker-Geschichte „Chasing Amy“ ist Nerdromantik allererster Güte: Es geht um die Liebe zum Pop, die Liebe zu Comics und dann ganz nebenbei auch noch die Liebe zur titelgebenden Frau. Dass auch diese Liebe – von beiden Seiten – alles andere als konventionell ist, offenbart sich in zahlreichen skurrilen Szenen, absurden Wortgefechten, gegen die die Screwballdialoge vorangegangener Jahrzehnte wie brave Debattierclubsitzungen wirken. Ohnehin ist hier alles erlaubt, zwischen den Geschlechtern, unter den Geschlechtern, zu zweit, zu dritt… aggressiv, narzistisch, romantisch und derart ungewöhnlich, das es betörender wirkt als jede große Hollywoodliebe.

Before Sunrise [Richard Linklater]

(Österreich, USA 1995)

Und noch eine herrlich unkonventionelle Romanze: Ein Mann, eine Frau, eine europäische Großstadt und zahllose Gespräche über Gott und die Welt, Belanglosigkeiten, frühere Liebschaften, gutes Essen und gute Musik… mehr braucht Richard Linklaters „Before Sunrise“ nicht um eine wunderbar einfache Liebesgeschichte in Echtzeit zu erzählen. „Before Sunrise“ ist ein Talk-Movie und nicht mehr, dabei aber so charmant, dass der Zuschauer gar nicht anders kann, als mit den Protagonisten mitzulachen, mitzuschwärmen, mitzufiebern und mitzuträumen. Die teiweise spontan entstandenen Dialoge, die den gesamten Film tragen, sind ungemein authentisch, direkt dran am Leben und den Protagonisten und sorgen so für gehobene romantische Unterhaltung, die gänzlich ohne Kitsch und Gesäusel auskommt.

Vier Hochzeiten und ein Todesfall [Mike Newell]

(Großbritannien 1993)

Jaja… der Hugh Grant, stottert und tollpatscht sich über vier Hochzeiten von einem One Night Stand zur großen Liebe, darf dabei immer very british und very charmant lächeln und mit seinem glänzenden Lausbubenlächeln scharenweise Frauen betören. Der bunte Reigen um Briten, Amerikaner und Schotten, Dauersingles, verzweifelt Suchende, obsessiv Liebende und hysterische enttäuschte Exfreundinnen ist ein ganz und gar wunderbarer Hybrid aus leichtfüßiger Komödie und angenehm lakonischer Romanze. Bis in die kleinste Nebenrolle perfekt besetzt und inszeniert und gegen Ende auch ohne Furcht vor großen Emotionen. So gelingt es Vier Hochzeiten und ein Todesfall auf ungemein organische Weise sowohl britpoppig unterhaltend als auch anspruchsvoll und fesselnd zu sein. Romcom jenseits aller Klischees und billigen Gag. Ein Liebeskomödienfest für Filmgourmets.

Alle sagen: I love you [Woody Allen]

(USA 1996)

Für gehobenen, kulinarisch wertvollen Filmgenuss steht auch Workaholic und Großstadtneurotiker Woody Allen. Dabei hatte es der einst umworbene Starregisseur in den 90er Jahren alles andere als leicht. Viele mittelprächtige, vom Feuilleton verrissene Filme, Sorgerechtsstreitigkeiten und formal strenge Neuorientierungen. Spätestens mit seinem erneuten Turn zur spritzigen, leichten Unterhaltung konnte er aber wieder viele Kritiker versöhnen. Das ebenso leichte wie neurotische Romcom-Musical „Alle sagen: I love you“ begeistert mit herrlich schrägen Gesangs- und Tanzeinlagen sowie einer außerordentlich charmant vorgetragenen Geschichte, die geschickt zwischen burlesker Komik und romantischem Drama balanciert. Ein herrlich leichtfüßiges Prä-Spätwerk, indem alles versammelt zu sein scheint, was Allens (unendlich lange) Filmographie vorzuweisen hat… und damit der perfekte Film um den Regisseur kennen und lieben zu lernen.

Eiskalte Engel [Roger Kumble]

(USA 1999)

Klassische Romantik für die MTV-Generation I: Die Teen-Neuinterpretation des Romans „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos ist stylish, trendy, ungemein schick und mit einem zeitgemäßen Pop-Score (Placebo, Faithless, Fatboy Slim…) ausgestattet. Man würde Roger Kumbles Adaption allerdings Unrecht tun, sie einzig auf den nicht zu leugnenden MTV-Faktor zu reduzieren. Eiskalte Engel ist eine fantastische, heißblütige und kaltblütige Romanze in einer dekadenten und glitzernden High Society Welt. Natürlich ist hier alles überzeichnet, aber das war es auch schon in der Vorlage von 1782. Eiskalte Engel überträgt die Stilisierung der Liebschaften von einst perfekt auf die Karikatur einer gelangweilten und zynischen Teenageroberschicht, spielt mit Snob- und Luxusklischees und ist dabei einfach ungemein clever und schick inszeniert. Kein realistisches Gesellschaftsporträt, dafür aber ein mitreißender, hervorragend gespielter und inszenierter Sex and Crime Reigen.

Romeo und Julia [Baz Luhrmann]

(USA 1996)

Klassische Romantik für die MTV-Generation II: Das Drama William Shakespeares um die Liebenden aus verfeindeten Familien erhält in Baz Luhmanns Adaption eine deftige Umfärbung: Hipper Popscore, grelle Farben, rasante Schnitte und hinein verirrt haben sich dann doch tatsächlich die Dialoge des Originals. Ob das ein Sakrileg ist? Scheiß egal: Denn Romeo und Julia fetzt und fängt nebenher die Stimmung von Shakespeares Original wahrscheinlich weitaus besser ein, als jede andere filmische Umsetzung. Der exzessive Liebesrausch zwischen Leonardo DiCaprio und Claire Danes ist ein wildes, zügelloses postmodernes Märchen voller Leidenschaft, voller Brutalität, voller Liebe und voller Hass. Die fatalistische Tragödie ist postmoderne Neuinterpretation par Excellence, mit ordentlichem (oft übersehenen) Respekt vor der Vorlage und zugleich ohne jegliche Scheuklappen vor schreiendem Eskapismus. Das ist Punk, das ist Pop, das ist Klassik… das ist einfach nur großartig.

Benny und Joon [Jeremiah S. Chechik]

(USA 1993)

Weitaus weniger episch inszeniert sich die Liebesgeschichte zwischen der sensiblen, psychisch kranken June und dem verwirrten Traumtänzer Sam. Dafür ist die Dreiecksbeziehung um Bruder, Schwester und unangepassten Freund umso märchenhafter und verzaubender. Immer ganz knapp an der Schwelle zur Naivität erzählt „Benny und Joon“ seine Geschichte herrlich leichtfüßig, traumtänzelnd und romantisierend ohne jedoch dabei den Blick für das Dunkle und Bedrohliche zu verlieren. Johnny Depp darf hier die Charmekarte als autistischer Clown ohnehin voll und ganz ausspielen und trägt den gesamten Film dadurch fast schon alleine. Aber auch der Rest an diesem bezaubernden Liebesfilm weiß durch Sensibilität, Genauigkeit und Gespür für das Menschliche in jedem Charakter zu begeistern. Einmal warm ums Herz, bitte.

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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Rendezvous mit Joe Black [Martin Brest]

(USA 1998)

Zurück zum Epos… Und was für eins! Kritiker lästerten ja seinerzeit ganz gerne mal über die oberschicke, bombastische Schnulze, in der man dem Sensemann (Brad Pitt) fast drei Stunden beim Erdnussbutteressen zuschauen musste. „Rendezvous mit Joe Black“ ist ein Liebesepos wie es im Buche steht. Der Tod, der auf Erden wandelt und sich natürlich in eine junge Frau verliebt: Das geht gar nicht anders als groß, größer am größten. Trotz seiner Längen ist Joe Black eine tieftraurige, tatsächlich maßlose Liebesgeschichte, die geschickt Romantikmotive mit Reflexionen über das Leben und dessen Ende kreuzt. Mal ungehörig kitschig, mal schauderhaft exzessiv bebildert, mal einfach nur Over the Top und dennoch immer wieder wunderschön, eskapistisch, ästhetizistisch und überladen episch. Ein Liebesfilm, der nichts anderes will als die ganz großen Gefühle und diese auch ohne Scham – dafür mit umso mehr Schönheit – offensiv von seinem Publikum einfordert.

Frankie und Johnny [Garry Marshall]

(USA 1991)

Und es geht Gott sei Dank auch leichter und entspannter. Die Liaison des Ex-Sträflings Johnny mit der zurückgezogenen und in sich gekehrten Frankie pendelt stetig zwischen romantischem Märchen, realistischem Großstadtporträt, charmanter Tragikomödie und großem Hollywood Melodram. Mitunter scheint sich der Film überhaupt nicht entscheiden zu können, welches dieser Elemente den dominierenden Part spielen soll… Muss er auch gar nicht. Dafür lebt die ans Herz gehende Liebesgeschichte einfach viel zu sehr von ihren charmanten und zugleich authentischen Charakteren, ihrem verliebten Blick auf das Leben und die Einsamkeit in der Großstadt und dem träumerischen Nebel, der sie die ganze Zeit umgibt.

Lebe lieber ungewöhnlich [Danny Boyle]

(USA 1997)

Romantik in den Zeiten der Schrille und der grellen Farben… Der ungewöhnliche Fantasy/Liebesfilm/Groteske-Bastard ist ein wildes und absurdes Reigen, in dem letzten Endes doch die Frage im Mittelpunkt steht: Kriegen sie sich, oder kriegen sie sich nicht? Ein verzweifelter Verlierer, eine verwöhnte Milliadärstochter, eine ungewöhnliche Entführung und zwei vollkommen neben der Spur fahrende Engel mit Killerambitionen bilden den Rahmen um eine mal lockere, mal sperrige, meist vor allem hektische und surreale Liebeskomödie, die wie ein Derwisch zwischen MTV-Ästhetik und durchgeknalltem Psychotrip hin und her pendelt. „Lebe lieber ungewöhnlich“ ist ein ekstatisches Schaulaufen der postmodernen Ästhetik: laut, bunt, schrill, vollkommen überzogen, heterogen, zerfetzt und dabei doch tiefst romantisch, herzlich und empathisch.

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Erstveröffentlichung: 2011