Filmabriss: Red State, Sleeping Beauty, Chronicle, Monsters, The Hunger Games

So…  ich habe mal wieder Lust auf einen kleinen Filmabriss. Deser Artikel liegt schon seit Januar 2012 ohne größere textuelle Bestückung bei unseren Entwürfen rum und wartet geradezu darauf, endlich mit Lob und Verriss gefüllt zu werden. Dementsprechend gibt es hier keinen großen neuen Stoff zu finden. Kinogänger können gleich weiter wandern, das Haltbarkeitsdatum für die Leinwand ist bei diesen Filmen längst abgelaufen. Aber gerade Leute wie ich, die eine sympathische Videothek ihres Vertrauens in der Nähe haben und am Überlegen sind, was sie sich aus dem Filmprogramm der letzten 12 Monate als nächstes ausleihen könnten, dürften hier fündig werden: Tarantinoeskes von Kevin Smith in Red State, Arthausiges in Sleeping Beauty, Sci-Fi-Action mit einem Schuss Gesellschaftskritik in Chronicle und Monsters… und der große Teenager-Hype The Hunger Games. Ich versuche die entsprechenden Rezensionen ein wenig rough zu halten: Keine großen Inhaltsangaben, keine tiefschürfenden Analysen, stattdessen just my two cents zu dem DVD-Kram, den ich mir aus dem aktuellen Programm in letzter Zeit so gegeben habe. Viel Spaß.

Red State [Kevin Smith]

(USA, 2011)

Kevin Smith, der US Indie-Comedy-Veteran der 90er Jahre, macht also einen auf Quentin Tarantino. Im Grunde genommen keine schlechte Idee und zumindest von den Dispositionen her vielversprechend. Düstere Action, ein paar Torture-Porn-Anleihen, dazu eine bissige Satire auf religiösen Fanatismus in den USA und zu guter Letzt eine böse, spöttische Anspielung auf die verheerende Waco-Belagerung 1993. Schade, nur, dass der Film trotz enormem nerdy Coolness-Potential nie so richtig in die Gänge kommt. Die jugendlichen Protagonisten, die in die Arme einer christlichen Sekte fallen und sich angesichts deren Belagerung durch das ATF plötzlich zwischen den Fronten befinden, sind weder besonders sympathisch noch cool oder wenigstens originell inszeniert. Stattdessen bemüht sich Red State in seiner eigenen Verderbtheit zu baden, ohne zu bemerken, wie öde er dabei stetig wird.

Während der Hälfte seiner Laufzeit verliert sich der Film in angestrengt philosophisch absurden religiösen Mono- und Dialogen, die anschließend ausbrechende Gewalt ist zu harmlos um wirklich zu erschüttern und auch nicht comichaft genug, um gegen das pop-postmoderne Kino eines Quentin Tarantino bestehen zu können und gerade das Finale offenbart doch, dass weitaus mehr in dem apokalyptischen Szenario drin gewesen wäre. Immerhin überzeugen John Goodman als bärbeißiger, hartnäckiger ATF Special Agent und Michael Parks als wahnsinniger, fanatischer Priester. Trotzdem alles in allem ein Film der verpassten Chancen. Religionssatire hat Smith vor über 10 Jahren mit Dogma weitaus besser hingekriegt und was düstere Horrorvisionen des abgründigen, abseitigen Amerikas betrifft, sind die 70er Jahre mit ihren beäugten Hügeln und Kettensägenmassakern nach wie vor ungeschlagen. Schade Kevin, das kannst du doch besser.

Sleeping Beauty [Julia Leigh]

(Australien 2011)

Dornröschen-Topic meets Prostitutions-Drama meets Arthaus-Erotik… und das Ganze doch tatsächlich endlich mal wieder in gut. Wem Emily Browning noch aus der verstörend schlechten Nerd-Realsatire Sucker Punch bekannt ist, der wird kaum glauben können, zu welchen Glanzleistung diese Schauspielerin in der Lage ist. In diesem komplexen Drama wird man davon überzeugt. Mit einer gewaltigen Underperformance spielt sie eine fast schon grotesk passive, im wahrsten Sinne des Wortes in ihrem ganzen Sein schlafende Schönheit, deren Gleichgültigkeit gegen sich selbst und das Leben den Zuschauer mit voller Gewalt in den Magen trifft. Das Szenario in dem sie sich bewegt, erinnert mit seiner Mischung aus ruhiger, subtiler Erhabenheit und Schmuddel-Düsternis an die späteren Filme Igmar Bergmanns und Louis Malles und gefällt in seinem arthausigen Reduktionismus zwischen Märchen-Ästhetik und realistischem Sozialdrama. Ohnehin oszilliert der gesamte Film zwischen traumwandlerischer Abgehobenheit, dekadentem Chick und nahezu abartigem naturalistischen Setting, ohne dabei jedoch jemals konfus oder unentschlossen zu wirken. Dazu kommt ein gewagtes, mutiges Spiel mit Voyeurismus, Hochglanzerotik und Weltschmerz… und voilà: Ein australischer Film, der verdammt nahe am europäischen Kunstkino der 60er, 70er und 80er Jahre sitzt und dabei weder zu stoizistisch noch zu pathetisch daherkommt.

Ja, vielleicht ist das dann hin und wieder zu unspektakulär und in seiner erhabenen Langsamkeit zu schmerzhaft. Für cineastische Gourmets, die endlich mal wieder gediegenes „Scheiß auf die Unterhaltung“-Arthaus-Kino sehen wollen, genau das Richtige. Sowohl von der Regisseurin Julia Leigh als auch der Hauptdarstellerin Emily Browning können wir in Zukunft wohl noch einiges Großes erwarten.

Chronicle [Josh Trank]

(USA, Großbritannien 2012)

Found-Footage-Filme sind eigentlich ziemlich tot. Zumindest lässt ihr schlechter Geruch darauf schließen. Und wenn wir ehrlich sind, ist seit Blairwitch Project in dem Genre auch irgendwie nichts wesentlich neues mehr passiert. Josh Tranks Low-Budget Superhelden-Film beweist aber, dass sich in dem Mock-Bereich doch einiges mehr erzählen lässt, als man glauben könnte. Seht her, ihr Cloverfields und Paranormal Activities, es geht auch ohne Wackelkamera, ohne visuellen Brechreiz und unfähige Kameramänner! Dank des geschickten Einsatzes der telekinetischen Kräfte seiner Protagonisten gelingt es diesem unterhaltsamen Teenager/Action/Sci-Fi/Drama-Flick doch tatsächlich so etwas wie den auktorialen Erzähler in die Gattung einzuschreiben, und das Ganze ohne allzu unglaubwürdige Konstruktionen und übertriebene Selbstrechtfertigungen. Nope: Mit Hilfe von fliegenden Kameras, verschiedenen Erzählperspektiven (Überwachungskameras, Handycams, Videoblogs und eben vor allem den cineastischen Superkräften der Hauptdarsteller) ist Chronicle trotz konsequenten Mock-Charakters verdammt hübsch anzuschauen und überzeugt durchgängig auf einer gekonnt satirischen metamedialen Ebene.

Auch über die Selbstreferenzialität hinweg macht der Low-Budget-Media-Mix, der sich von Spiderman über Carrie bis hin zu Cloverfield bei gleich einem Dutzend Vorbildern bedient, verdammt viel Spaß. Teenager, die durch mysteriöse Ereignisse plötzlich über Superkräfte verfügen, sind natürlich ein alter Hut. Aber Dank seiner Mischung aus Coming-of-Age, Mystery und Actiondrama gelingt es dem Film nahezu spielerisch all diese Topoi in ein ausreichend eigenständiges Setting zu verpflanzen. Und in diesem kann er sich dann so richtig austoben: Das Erlernen der Kräfte, die Flugszenen, der witzige Einsatz des neuen Könnens und der schließlich sich anbahnende – absehbare – Konflikt zwischen „gut“ und „böse“ … alles verdammt sauber inszeniert und mit einer Menge fantastischer, abgehobener Ideen ordentlich punktend. Dass im letzten Viertel dann doch ganz klassische Comic-Superhelden-Klischees bedient werden? Geschenkt. Chronicle ist unterhaltsame, bewegende, spannende und auch überraschend originelle Mystery-Unterhaltung mit ordentlich Wumms und Schmackes… Und in diesem Fall sieht man dann sogar der bereits abgesegneten Fortsetzung mehr als optimistisch entgegen.

Monsters [Gareth Edwards]

(Großbritannien, 2010)

Science Fiction Monsterhorror in dystopischem Setting mit einem Hauch Gesellschaftskritik? Nice. Gott sei Dank versucht Monsters keine Aufwärmung von District 9 zu sein sondern geht seinen eigenen Weg. Und der besteht in einer angenehm unspektakulären Dramaturgie, einem Verzicht auf überzogene Action und apokalyptische Horrorszenarien. Stattdessen ist die Wanderung der beiden Protagonisten durch den von Aliens besetzten Sperrbezirk ein nahezu nostalgischer Abenteuerfilm, in dem in ruhigen und poetischen Bildern von der Niederlage des Menschen gegen die (außerirdische) Natur erzählt wird. Die titelgebenden Monster gibt es dabei so gut wie nie zu sehen, spannender ist ohnehin das aufgebaute Drohszenario durch Nachrichtenbilder und die unsichere Anpassung der Einheimischen an die neuen Begebenheiten. Trotz des Verzichts auf überzeichnete Action entsteht so dennoch ein permanentes Bedrohungsszenario, ein vages Gefühl von Angst und Schutzlosigkeit.

Dank der überzeugenden Leistung der beiden Darsteller – die im wahren Leben ein Paar sind – übertragen sich diese Angst- und Bedrohungsgefühle nahtlos auf den Zuschauer, dem es durch den Realismus und die Bezüge auf unsere Zeit, leicht gemacht wird, das Szenario für plausibel und überzeugend zu halten. Etwas anders sieht es da allerdings bei der aufkeimenden Romanze zwischen den Wandernden aus. Obwohl die Chemie zwischen beiden stimmt, suhlt sich der Film hier doch zu sehr in African-Queen-Klischees, kann einfach nicht davon lassen, in gewohnte Hollywood-Erzählmuster abzurutschen. „Warum?“, fragt man sich da, gerade weil der Film in seinem zurückgelehnten Realismus ansonsten doch so gekonnt auf alle Verführungen der Traumfabrik verzichtet. Anyway, als spannender Sci-Fi-Abenteuerfilm weiß Monsters dennoch zu unterhalten, und auch wenn man ihm Etikettenschwindel vorwerfen könnte („Gibt es auf eurer Monster-Tour auch Monster zu sehen?“) so ist er alles in allem dank seiner Subtilität und seinem realistischen Charme die bessere Alternative zu District 9 und Cloverfield. Wer viel Action und viele Monsterattacken sehen will, ist hier aber definitiv falsch.

Die Tribute von Panem – The Hunger Games [Gary Ross]

(USA, 2012)

Achja… The Hunger Games. Den wollte ich mir ja auch noch die ganze Zeit reinziehen, allein schon, weil auch von prominenter Seite immer mal wieder eine Empfehlung für das angebliche Battle-Royale-Rip-Off gekommen ist. Um es kurz zu machen: Ernüchternd. Die Tribute von Panem funktionieren weder als Satire auf den Casting-Show-Wahn noch als brutaler Sci-Fi-Actioneer. Während die erste Stunde Dank diverser satirischer Spitzen und eines herrlich überzeichneten Decadence/Rokoko-Szenarios immerhin noch ein wenig Spaß macht, verliert der Film anschließend von Minute zu Minute mehr am Boden. Ich bin jetzt zwar echt kein Verfechter übler Gore-Szenen, aber PG13 und sich gegenseitig abschlachtende Teenager, das beißt sich doch irgendwie, nech? Statt einer spannenden Tour de Force durch menschliche Abgründe werden die Hunger Spiele zum müden Abenteuerfilm. Die ganze Perversion der Gewalt-Inszenierung, die Hunger Games zumindest scheinbar kritisieren will… nichts dergleichen. Stattdessen erliegt er selbst der Faszination der „Brot und Spiele“-Taktik und vergibt dabei sogar einen Elfmeter, indem er selbst die zuerst vermeintlich inszenierte Liebesgeschichte – mit Anbiederung Richtung Teenager-Publikum – in eine echte, schwülstige Romanze umwandelt.

Schuld daran sind vor allem die völlig blassen Charaktere. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, die Protagonistin soll eben doch auf Teufel komm raus zur Rebellin stilisiert werden, was einfach mal misslingt, wenn dieser vollkommen passive Teenager so ziemlich jedes Spielchen mitspielt, das ihm von der Obrigkeit vorgesetzt wird. Auch die angedeutete Rebellion gegen das System geht im kids-gerechten Action-Schnickschnack  vollkommen verloren. Schade, böten sich doch so viele Möglichkeiten des Bruchs mit den eigenen Klischees, so viele Chancen zur medialen Reflexion und zur dystopischen Gesellschaftskritik. Sie bleiben alle ungenutzt und so pendelt der Film unentschlossen zwischen platter Hollywood-Action und ungewollter Kritik an sich selbst. Das Ergebnis ist weder tiefgründig noch differenziert, sondern tumbe Scheinunterhaltung von der Stange, die sich zudem ungewollt stets selbst als das entlarvt, was sie ist. Achja, die ganze Battle-Royale-Aufregung ist dabei natürlich auch vollkommen unangebracht: Dieser kleine, fiese Dreckbatzen war wenigstens ein brutaler, gehässiger B-Movie-Flick, der sich selbst nie allzu ernst nahm. Die Tribute von Panem dagegen fährt sein eigenes Sujet mit vollem Pathos und nervigem Kitsch voll gegen die Wand. In den Fortsetzungen soll es angeblich besser werden und das Buch soll auch mehr zu bieten haben. Ganz ehrlich, mir egal. Den biederen, braven und vor allem langweiligen Schmonz brauch ich nun wirklich nicht.

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