Kurzrezensionen: The Master, Side Effects, Häppchenweise

Ich habe zwar mit dem Jahr 2012 filmtechnisch immer noch nicht abgeschlossen – und dementsprechend warten hier noch sehr viele Rezensionen ebenso wie Want-Sees in der „Packe ich alles nach der Magisterarbeit“-Warteschleife – aber es kann ja nichts schaden zwischendurch auch mal etwas zu aktuelleren Filmen zu schreiben. Der Kino-Verwertungszeitraum ist zwar (sofern überhaupt vorhanden) für die in diesem Artikel kurz abgerissenen Filme bereits abgelaufen, aber ich glaube, ich habe im letzten Jahr oft genug einen leicht in mir aufkeimenden Widerwillen gegen die Institution „Kino“ geäußert, weswegen ich alle drei ohne schlechtes Gewissen für einen gemütlichen Filmabend zu Hause empfehlen kann. Also dann: Drei sehenswerte, etwas andere, aber auch komplett verschiedene Filme: Mit The Master versucht sich Paul Thomas Anderson erneut an der Verbrüderung von Arthaus-Anspruch mit epischem Kinodrama, in Side Effects versucht Style-over-Substance-Legende Steven Soderbergh gerissenen Mindfuck-Thrill zu inszenieren, und mit Häppchenweise inszeniert Maike Brochhaus ein postpornografisches Filmexperiment, das genau das tut, was alle Erotikfilme wollen, im Gegensatz zu den meisten anderen jedoch mit erstaunlichem Erfolg.

The Master [Paul Thomas Anderson]

(USA 2012)

Dass ich P.T. Anderson für einen der größten noch lebenden Regisseure halte, wenn nicht sogar den besten des US-Kinos, daran hat sich auch nach The Master nichts geändert. Und doch konnte mich der epische – mehr als 2 Stunden dauernde – Zweikampf zwischen einem Sektenguru und einem traumatisierten Soldaten nicht so sehr begeistern wie die vorherigen Filme des begabten Dramatikers. Woran liegts? Wohl kaum an den Bildern. Diese sind, wie von den Meisterwerken Andersons gewohnt, wieder erstklassig: Fantastisch aufgebaut, geschickt mit viel Symbolismus angereichert und in epischer Breite ausdekliniert. Nach wie vor ist Anderson, was Präzision betrifft, die Speerspitze des amerikanischen Kinos und reicht mit seiner Detailverliebtheit und Akribie gar an die großen Meister des europäischen Kinos heran. Auch die Schauspielleistung von The Master entzieht sich jeder Kritik. Philip Seymour Hoffman gelingt es wie immer unfassbar gut, in seine Rolle einzutauchen. Zwischen Gelassenheit, Forschungsdrang, sublimer Romantik und eruptiven Wutausbrüchen leistet er ein faszinierend subtiles Porträt eines durch und durch ambivalenten Menschen. Weniger subtil, dafür umso beeindruckender ist das Spiel Joaquin Phoenix‘, der sich gebiert, als wäre der Teufel hinter ihm her: Fluchen, Nuscheln, sich Zurückziehen, plötzlich Ausbrechen: Trotz extremer Expressivität wirkt der von ihm verkörperte Exzentriker nie wie eine Karikatur, sondern bleibt stets greifbar und glaubwürdig.

Dass The Master nicht ganz so gut funktioniert wie There will be blood oder der alles überragende Magnolia hat andere Gründe. Und diese liegen in diesem Fall ausgerechnet an einem eigentümlichen Back to the roots Habitus des Regisseurs. Mit seiner Konzentration auf zwei Charaktere, mit der Verdichtung der Geschichte auf das Innere, mit seinen Psychospielchen und Seelenschauen scheint The Master beinahe wie eine regressive Spiegelung von Andersons Last Exit Reno (1996): Um hier nicht falsch verstanden zu werden, das Langfilmdebüt Andersons war ein großartiger Film: Spannend, enervierend, dicht… und doch fehlte ihm die epische Breite über den Subjektivismus hinaus, den alles nach Boogie Nights auszeichnete, was dem genialen Verstand Andersons entschlüpfte. The Master ist fast schon eine nostalgische Verbeugung vor dem eigenen Frühwerk: Innerlich, fokussiert, dadurch aber auch extrem verkürzt, mitunter beinahe monoton in seiner Gleichgültigkeit gegenüber dem gesellschaftlichen und politischen Kontext. Obwohl spannende Motive wie Kriegstraumata, Sektenwesen und die eklektische Aufbruchsstimmung des mittleren zwanzigsten Jahrhunderts vorhanden sind, bleiben diese doch nur Leinwand für das pittoreske Porträt der beiden ganz im Zentrum stehenden Männer. Diese Verdichtung aller Motive auf die individuelle Psyche lässt The Master dabei oft apolitisch, ahistorisch und in letzter Konsequenz auch asozial wirken. Anderson ist so fasziniert von seinen im Zentrum stehenden Menschen, dass er in seiner anthropologischen Inszenierung zum Anthropozentrismus greift, dass letzten Endes alles reduziert wird auf das Empfinden der Psyche. Das ist anders als in den motivisch überbordenden Vorgängern… und irgendwie auch kürzer, weniger komplex und dadurch auch weniger befriedigend. The Master ist immer noch ein wahnsinnig guter Film, und auch unbedingt empfehlenswert… vielleicht auch eine Brücke zwischen Früh- und Mittelwerk Andersons. An seine letzten Meisterwerke reicht er allerdings nicht heran.

Side Effects [Steven Soderbergh]

(USA 2013)

Ich muss an der Stelle mal eine Lanze für Steven Soderbergh brechen: Ja, Rinko hat schon recht, wenn er meint, dass der nichts außere Style over Substance fabrizieren würde. Die meisten Kritiker haben Recht, wenn sie ihm Bildverliebtheit und seelenlosen Eskapismus vorwerfen. Und dass er selbst aus einem Scifi-Meisterwerk wie Solaris ein glattgebügeltes Hollywood-Drama macht, spricht nicht unbedingt für die Progressivität des oft geschmähten Regisseurs. Die Stärken Soderbergh liegen woanders. Und diese Stärken sorgen dafür, dass ich jeden seiner Filme erneut spannend und unterhaltsam finde. Soderbergh kann einfach inszenieren. Punkt. So gut wie kaum ein anderer Regisseur der selbstverliebten US-Filmindustrie. Und diese Handwerkskunst (genau das ist es bei ihm, im wahrsten Sinne des Wortes) sorgt dafür, dass seine Filme immer Spaß machen. Mehr vielleicht nicht, aber manchmal braucht man auch einfach nicht mehr.

In die Kategorie „Mehr brauche ich nicht!“ fällt dann auch sein 2013er Drama/Psychothriller/Heist-Bastard Side Effects, der storytechnisch zwar relativ belanglos ist, dafür aber interessantes Genre-Hopping für sich verbuchen kann. Wie dieses Crossover aus verschiedenen Einflüssen letzten Endes umgesetzt wird, muss an dieser Stelle größtenteils offen bleiben, gehört Side Effects doch mindestens genauso in die Kategorie „Don’t spoiler!“ wie in die Kategorie „Surprise, Surprise!“. Nur so viel sei hier dennoch gesagt: Der Film beginnt als klassisches Psychodrama über Depressionen, entpuppt sich dabei mehr und mehr als lockerflockige Satire auf die amerikanische Obsession, jedes Problem mit Medikamenten zu beheben, und betritt dabei sukzessive schwarze Thriller-Gefilde, bis der Zuschauer sich plötzlich in einem raffinierten Ganoven-Stück wähnt. Die Spoiler-Gefahr sollte an dieser Stelle jedoch nicht überbewertet werden, denn so routiniert dieser kleine cineastische Zaubertrick daher kommt, so sehr macht er dann doch Spaß, selbst wenn mancher Plot-Twist bereits lange vor der Ausdeklinierung erahnt werden kann. Woran es liegt? Soderbergh nimmt sich in all seinen Sprüngen und Spagaten nicht im geringsten ernst, und greift dabei tief in die Trickkiste des Trash- und Exploitation-Kinos. Wer eine seriöse, realistische Auseinandersetzung mit den Sujets des Films erwartet, wird spätestens ab der zweiten Hälfte bitter enttäuscht sein, werden doch hier gnadenlos billige Thrillerklischees gewälzt, vom betrogenen Betrüger über Lesbensex bis hin zu „Wer fickt hier eigentlich wen?“-Wendungen. Klar, das kann man doof finden… aber eben auch sehr unterhaltsam. Und wenn man nicht erwartet, anspruchsvoll durch eine komplex erzählte Welt geführt zu werden, ist Side Effects genau das Richtige für einen launischen Videoabend. Kein Meisterwerk, aber ein großes Vergnügen auf schmutzigstem Niveau. Edeltrash der Marke Soderbergh: Jepp, kann man machen.

Häppchenweise [Maike Brochhaus]

(Deutschland, 2013)

Egal was dieses Jahr noch an Filmen auf uns wartet: Das Label „Raffinierteste Genre-Mogelpackung“ dürfte Maike Brochhaus‘ Dokumentation Häppchenweise bereits sicher sein. Sich selbst bezeichnet der Film als „postpornographisches Filmexperiment“ und dürfte damit zumindest das Interesse des Arthaus-Publikums auf seiner Seite haben. Dabei entspricht weder das „post“ noch das „Experiment“ der Realität dieses bezaubernden Films. Hand aufs Herz: Häppchenweise ist ein Porno… und wahrscheinlich der beste Porno, den es in den letzten Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten zu sehen gab. Natürlich könnte man an dieser Stelle jetzt ausgiebig über Definitionen und Definitionshoheiten des Porno-Labels diskutieren: Filme, die gegen die Sitten verstoßen, gegen die Moral, die Frauen herablassend behandeln, Erregung triggern? Bei einem historisch derart vorbelasteten Genre-Begriff ist es vielleicht doch am sinnvollsten, sich auf die nächstliegende Definition zu verlassen und unter diesem Label alles zu subsumieren, was unsimulierten Sex darstellt, mit der Hauptintention, das Publikum zu erotisieren.

Genau diese Intention ist auch in Häppchenweise zu finden, allen Experimenten zum Trotz: Brochhaus bringt sechs sexuell experimentierfreudige – und obendrein sehr schöne – Protagonistinnen zusammen und lässt sie bei gemeinsamem Abendessen und Flaschendrehen über Sex sprechen sowie die eigenen sexuellen Grenzen ausloten. Und das Ergebnis ist nicht nur Dank der (unbezahlten) „Laien“ ein großer, sinnlicher Genuss: Die Gespräche sind auf gehobenem Niveau und finden dennoch immer den richtigen Punkt zur sexuellen Stimulans. Trotz zahlloser Improvisationen sind die Kameras immer dicht am Geschehen und fangen den Reigen perfekt ein… und darüber hinaus knistert es an allen Ecken und Enden. Während andere experimentelle Porno-Regisseure den Weg aus der Porno-Falle suchen, indem sie ihre Filme mit komplexen Subtexten, düsteren Twists oder prätentiösen Diskursen aufladen, umarmt Brochhaus mit ihrem Team das Thema Sex und stellt es derart unbefangen, frei und unverklemmt dar, dass man alle an dem Film beteiligten am liebsten in den Arm nehmen und fest drücken möchte. Derart unverkrampft war Real Sex schon lange nicht mehr inszenatorisch zu sehen: Häppchenweise ist in seiner Anspruchshaltung weder prätentiös noch provokant, weder zu zurückhaltend noch zu forsch. Weder zu stilisierend, noch zu sehr um Naturalismus bemüht. Er stellt dar, auf die schönste und verträumteste Art und Weise, die man sich denken kann, und schafft dabei sein eigenes kleines pornographisches Utopia. Wer dann letzten Ende mit wem überhaupt Sex hat, und wie viel nackte Haut es tatsächlich zu sehen gibt, ist eine vor dem Filmgenuss am besten offen bleibende Frage, die nicht zuletzt für den großen Reiz dieses postmodernen Reigens verantwortlich ist.

In seinem Ansatz mag Häppchenweise subversiv sein, in seinem Fundament intellektuell, vielleicht sogar verkopft, in seiner Ausführung ist er aber beste erotische Unterhaltung, die neben der sexuellen Spannung auch noch ein großes Stück Herzenswärme mitbringt. Kudos an Maike Brochhaus, der mit diesem so bescheidenen Film etwas gelungen ist, woran sich bis dato so viele Regisseure die Zähne ausgebissen haben: Ein wirkliches Porn-Meisterwerk zu drehen, das gleichermaßen erotisiert wie unterhält, die Gedanken in Schwung bringt und zugleich den Körper in Wallung. Ein Meisterwerk, das jeder Liebhaber, jede Liebhaberin des erotischen Films gesehen haben sollte.

Mehr Infos + Bestellmöglichkeit unter: http://www.haeppchenweise.net

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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