Inherent Vice (2014) – Wenn Paul Thomas Anderson auf Thomas Pynchon trifft…

Ja mei, das ist schon ein bisschen so etwas wie eine US-Traumhochzeit: Thomas Pynchon, großer amerikanischer Autor und großes amerikanisches Mysterium der Postmoderne trifft auf Paul Thomas Anderson, einen der begabtesten amerikanischen Filmemacher der Jahrtausendwende und darüber hinaus. Dabei scheint das Zusammentreffen der beiden Künstler keineswegs ein selbstverständliches zu sein. Denn wenn wir ehrlich sind, haben die beiden eigentlich nicht viel gemein. Pynchon steht mit seinen obskuren, diversifizierten Romanen wie die Enden der Parabel oder Mason & Dixon für eine verspielte Verbindung von Pulp und Kunst, von Fantasy und großer Erzählung, von Mysterium, Spiritualität und ironischer Brechung. Paul Thomas Anderson auf der anderen Seite hat zwar auch seine verspielte Seite, ist aber eigentlich ein sehr strenger Regisseur, ein großer traditioneller Erzähler, der auf ausufernde Epen setzt, auf perfekt choreographierte Ensemblefilme, auf große Geschichten, die sich langsam zusammenfügen und mit viel Pathos zu einem wesentlichen Punkt kommen. Während Thomas Pynchon in seinen Werken ganz bewusst verloren geht – und das Publikum in diese Verlorenheit mit hinein zieht – will Anderson immer zum wesentlichen vordringen und scheint dabei mehr von der Literatur der Moderne inspiriert zu sein, als von dem, was Pynchon mit deren Erzähltechniken anstellt. Aber hier sind wir nun, Inherent Vice (2014), der große Filmerzähler setzt den großen literarischen Dekonstrukteur auf die Leinwand um. Und dann auch noch ausgerechnet das Werk von Pynchon, das laid-back ist wie kaum ein anderes seiner Werke. Traumhochzeit, ja, aber doch eine von der skurrilen, unerwarteten Sorte und mit offenem Ausgang…

Larry „Doc“ Sportello (Joaquin Phoenix) ist Privatdetektiv und lebt dauerentspannt – und dauerbekifft – in Gordita Beach am Stadtrand des Los Angeles der 70er Jahre. Sein ruhiges, zurückgezogenes Leben wird jäh gestört, als seine Exfreundin Shasta Hepworth (Katherine Waterston) wieder in sein Leben trifft und ihn um Hilfe bittet. Ihr Liebhaber, der Milliardär Mickey Wolfmann (Eric Roberts), ist in Gefahr. Seine Frau und ihr Liebhaber wollen ihn in eine Psychiatrie einweisen lassen, mutmaßlich um sich an seinem großen Vermögen bereichern zu können. Doc soll dies verhindern. Aber das ist erst der Beginn einer äußerst turbulenten Woche für den Privatdetektiv: Nicht nur, dass Hepworth und Wolfmann kurz darauf wie vom Erdboden verschluckt verschwinden, darüber hinaus wird Doc auch noch bei einem Job für die Black Guerrilla Family ausgeknockt und wacht neben der Leiche von Wolfmanns Bodyguard auf. Der Polizist Christian „Bigfoot“ Bjornsen (Josh Brolin), der Doc ohnehin schon auf dem Kieker hat, verdächtigt diesen nun des Mordes. Ohne es zu ahnen wird der Privatermittler immer weiter hineingezogen in ein Netz aus Verschwörungen, Drogenhandel und die mysteriöse Organisation Golden Fang, die hinter all dem zu stecken scheint.

Das „Wird hineingezogen“ gehört im Falle von Inherent Vice fettgedruckt. Thomas Pynchons Geschichte und Paul Thomas Andersons Film bemühen sich gar nicht erst darum eine klassische, kohärente Detektivgeschichte zu erzählen. Im Gegensatz zu traditionellen Noir- oder Neo Noir Werken ist ihr Protagonist eine äußerst schwache Person, die wenig detektivisches Gespür und noch weniger detektivischen Eifer an den Tag legt. Doc ist weder Held noch Antiheld sondern nicht viel mehr als ein phlegmatischer Kiffer, der seiner Arbeit eher widerwärtig nachgeht und stets besseres tun zu haben scheint. Entsprechend passiv geht er auch bei seinen „Ermittlungen“ vor. Wenn sich ihm ein neues Ziel eröffnet, wenn er auf einen neuen Hinweis stößt, dann in den meisten Fällen mehr durch Glück als durch Verstand. Gerade im Mittelteil des Films ist es schon sehr irritierend, wie passiv sowohl Protagonist als auch Handlung sind. Es wird weniger getan als viel mehr erlebt. Die Aufdeckung der großen und kleinen Verschwörungen geschieht eher en passant, in den krassesten Fällen geradezu beliebig. Sobald Detektiv und Handlung in einer Sackgasse gelandet sind, wird eben einfach eine neue Person mit einem neuen Auftrag, einem neuen Handlungsfaden oder schlicht und ergreifend mit einer neuen Anekdote eingeführt, die die Handlung vorantreiben soll. Das ist dann doch meistens ziemlich gewöhnungsbedürftig, irgendwo zwischen Lazy Storytelling und ironischem Bruch mit den Konventionen des Genres. Wie ihr Protagonist will die Geschichte von Inherent Vice wenig und gibt sich wie ihr Protagonist auch wenig Mühe irgendwo hinzugelangen. Wer Pynchons literarisches Werk kennt, weiß, dass diese Ruhelosigkeit, diese Desorientierung durchaus Konzept haben, in einem Mysterythriller dieser Machart wirken sie aber oft merkwürdig deplatziert.

Diese Lazyness kann Inherent Vice nie so ganz auffangen, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass die Handlung äußerst dünn, äußerst flach ist: Ihre Verschwörungen bewegen sich im Rahmen eines leichten Mysterypuzzles, ihre Verknüpfungen scheinen zwischendurch fast randomisiert zu sein, und ihre Auflösung verliert sich in einem Nebel aus Sex und Weed. Dafür trumpft die Paarung von Anderson und Pynchon an anderer Stelle auf: Style over Substance is das Zauberwort. So substanzlos die ganze aufgeblähte Geschichte um Milliardäre, Drogenhandel und Korruption ist, so wunderbar wird sie auf die Leinwand umgesetzt. Mit seiner lässigen, ironischen Art versprüht der ganze Film ordentlich Tarantino- und Coen-Vibes, ohne jedoch deren Bildsprache zu kopieren. Stattdessen gibt es einen tiefen Rückgriff auf den Glanz und Glamour des einfachen Hippielebens, es gibt viele kleinste Anekdoten aus der Protest- und Gegenkultur der 70er Jahre, aus dem Kampf gegen das Establishment, selbst wenn dieser Kampf primär darin besteht, sich um seinen eigenen Scheiß zu kümmern und die Welt einfach Welt sein zu lassen. So ein bisschen ist Inherent Vice auch der progressive Gegenentwurf zu Quentin Tarantino. Wo dieser in seinen Referenzen gerne mit der Lust und den Träumen des kleinen bürgerlichen Durchschnittsamerikaners spielt, kümmert sich Inherent Vice deutlich mehr um die Outsider, die Liegengebliebenen, die, die der Gesellschaft den Rücken kehren. Das macht er mit viel Humor, einer eleganten Coolness und Spaß an der eigenen Faulheit. Diese überträgt sich übrigens Gott sei Dank nicht auf die Schauspielerinnen und Schauspieler, die hier alle exzellente Arbeit abliefern. Vor allem Brolin als bärbeißiger Cop und Joaquin Phoenix als heruntergekommener Privatermittler sind mal wieder eine Augenweide. Auch Kamera, Sets und Beleuchtung sind exzellent und helfen dabei, die manchmal zu zähe, manchmal zu ruhelose, manchmal einfach zu konfuse Handlung mitzumachen.

Alles in allem ist Inherent Vice Paul Thomas Andersons bis dato schlechtester Film. Und ohne die Vorlage gelesen zu haben, scheint es auch die Verfilmung einer der schwächeren Thomas Pynchon Novellen zu sein. Aber so wenig die Story auch hergibt, so sehr sie sich auch im Beliebigen verliert, merkt man diesem kleinen, großen, verschwurbelten Pulp-Filmchen dann eben doch die Klasse seine Schöpfer an. Sowohl Pynchon als auch Anderson verstehen ihr Handwerk und selbst Mittelmäßiges kann in ihren Händen noch glänzen. Inherent Vice ist ein lustiger, verkiffter und schnodderiger Mysterythriller, irgendwo zwischen Anti-Noir, Historical Period Comedy, Hippie-Slacker und ironischer Krimikomödie. Sicherlich kein Meisterwerk aber ein spaßiger Zeitvertreib für Freunde von obskurer, ungeschliffener und aus der Art geschlagener Mystery-Filmkost.

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