Die besten Filme 2016: I am not a serial killer – Und der ewige Kampf Böse gegen Böse

2016 war ein gutes Jahr für die Verknüpfung von Horror und Young Adult Drama. Unter anderem mit dem folkloristischen Antimärchen The Witch, Nicolas Winding Refns Neon Demon und dem Kannibalismus-Flick Raw gab es gleich mehrere Filme, die die Tragik junger Erwachsener (oder erwachsener Jugendlicher) mit klassischen Horrormotiven und absurden Mysterysettings kreuzten. So angesehen diese Filme bei der Kritik und dem Genrepublikum auch waren, abgesehen von The Vvitch, der ungefähr das zehnfache seines Budgets einspielte, war keiner dieser Filme an den Kinokassen sonderlich erfolgreich. Selbst in Zeiten des Stranger Things Erfolgs ist die Kombination Coming of Age und Horror eben doch eine riskante, insbesondere wenn sie sich im Gegensatz zum Netflix-Hit trotz junger Protagonistinnen kein junges Publikum zum Ziel gewählt hat, sondern mit extremer Gewaltdarstellung und düsteren Motiven bewusst ein Erwachsenes Publikum anspricht. In diese Nische fällt auch Billy O’Briens I Am Not a Serial Killer (2016), die Verfilmung des gleichnamigen Romans aus dem Jahr 2009, der selbst im Vergleich zu den anderen Werken nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Dabei ist es vielleicht gerade er, dem die Erzählung des Alptraums Pubertät hinter einer gnadenlosen Horrorfassade am besten gelingt.

Der Teenager John Wayne Cleaver (Max Records) lebt in einer kleinen, verschlafenen Stadt im mittleren Westen der USA. Seine Jugend ist alles andere als ungetrübt: Als Außenseiter und Weirdo wird er von anderen Kids seines Alters entweder gemieden oder gar gemobbt. Vor einiger Zeit wurde ihm eine Soziopathie diagnostiziert und er leidet unter dem Gefühl, ein potentieller Massenmörder oder Serienkiller zu sein. Nicht nur, dass er immer wieder von Gewalt- und Mordfantasien heimgesucht wird, darüber hinaus ist seine ganze Umgebung vom Tod geprägt, ist doch seine Mutter (Laura Fraser) Bestatterin und ist er dadurch immer wieder bei der Präparierung diverser Leichen zugegen. Doch John ist nur ein Massenmordtheoretiker, der Ort in dem er lebt wird im Gegensatz dazu von einem Praktiker der gleichen Profession heimgesucht. Es beginnt mit merkwürdigen Leichenfunden; den Opfern fehlen Organe, manchmal ganze Körperteile und eine seltsame, schwarze und ölige Flüssigkeit ist am Tatort zu finden. Ohne Zweifel, ein Serienmörder treibt in dem Ort sein Unwesen, und wer wäre besser geeignet, diesen zu entlarven und aufzuhalten als John, der alles über den Topos weiß, was man wissen muss?

I am not a serial killer mäandert zu Beginn zwischen Coming of Age Drama, Detektivgeschichte, Psychothriller und Mysteryhorror. Er lässt die Zuschauer aber keineswegs so lange im Unklaren darüber, wo die Reise hingeht, wie der schwermütige Prolog vermuten lässt. Nachdem er sich seine Karten zurechtgemischt hat, spielt er diese überraschend offen aus und verzichtet dankenswerterweise darauf, sich selbst in all zu vielen Mysterien zu verheddern. Wer hier Feind und wer Freund ist, was es mit dem mysteriösen Nachbarn Bill Crowley (Christopher Lloyd mit einer der besten Leistungen seiner langen Karriere) auf sich hat, wird hier schneller aufgelöst, als der Zuschauer Zeit hat, die ersten Puzzleteile zusammenzufügen. Für einen Film, der zumindest partiell mit den Mitteln des Neo Noir spielt, ist diese Serienkillerballade überraschend unmysteriös und pointiert. Im Grunde genommen haben wir es hier mit einem Film zu tun, der vorgibt ein Rätsel zu stellen und dann ganz schnell die Lösung parat hat, geradeso, als wolle er seine Zuschauer mit seinen Antworten hinters Licht führen. Und genau dies gelingt ihm auch. Denn im Schatten seiner transparent gespannten Handlungsbögen entwickelt sich eine ganz und gar schaurige Tragikomödie über den Alptraum Jugend, über den Horror Kleinstadt und über das enge Korsett von Persönlichkeit und Gesellschaft.

I am not a serial killer wird – so viel sei verraten – dieses Korsett im Laufe seiner Geschichte gleich mehrfach sprengen. So tragisch seine Disposition ist, immerhin haben wir es hier mit einem durch und durch depressiven unter zahllosen psychischen und sozialen Problemen leidenden Teenager zu tun, so augenzwinkernd balanciert der Film um diese herum. Die Geschichte von Johns Jagd nach einem wahrhaftigen Monster steckt voller kleiner Spitzfindigkeiten, offenbart immer wieder einen bitterbösen rabenschwarzen Humor, aber auch ein ironisches Augenzwinkern, das die Tragik des Gesamtszenarios geschickt auffängt und abfedert. Die Geschichte um natürliche und übernatürliche Bedrohungen einer vermeintlichen kleinstädtischen Idylle ist bizarr, unheimlich und mitunter nervenaufreibend angespannt. Vor dem Stolpern bewahrt diesen Balanceakt Hauptdarsteller Max Records, der bereits in Where the wild things are (2009) eigentlich viel zu unverschämt gut für sein Alter gespielt hat. Er gibt dem Charakter John eine unfassbare Tiefe und Ambivalenz, so dass sich auch der Zuschauer trotz der transparenten Handlung nie ganz sicher sein kann, wie ihr Protagonist wirklich tickt.

Diese Unsicherheit evoziert nicht zuletzt der spannende Twist, den der Film seinem Antagonistenpaar aufzwingt. Vordergründig ist das alles vielleicht ein klassisches Märchen: Kind beziehungsweise Jugendlicher gegen Monster. Aufgeweckte Kinder- gegen ignorante Erwachsenenwelt. Aber in seinem Kern dreht I am not a serial killer den Spieß um. Der vermeintliche Held dieser Geschichte ist kein unschuldiges Kind sondern ein Soziopath, jemand der voller Verachtung auf seine Umwelt blickt, dem es schwer fällt menschliche Bindungen einzugehen und der mit seinen Schulkameraden so spricht, dass sie Alpträume von ihm bekommen. Auf der anderen Seite steht der Nemesis der Geschichte, das vermeintliche Monster, das im Laufe der Spielzeit mehr und mehr menschliche Züge offenbart: Es fürchtet sich, es möchte leben, es möchte überleben; vor allem aber denkt es nicht nur an sich selbst, sondern hat eine eindeutige Motivation für sein Handeln, die bei all dem Schrecken mitunter gar moralisch legitim scheint. Der Killer, das Monster, der Schrecken bilden dann auch ausgerechnet das emotionale Epizentrum des Films. Die Lakonik und emotionale Kälte des Protagonisten steht im direkten Kontrast zur Verletzlichkeit des monströsen Gegenspielers. So sehr wir auch John wünschen, dass es ihm gelingt, den Alptraum zu beenden, der das kleine Städtchen heimsucht, so sehr empfinden wir auch Mitleid und gar Verständnis; nicht für ihn, sondern für das Wesen, das er jagt. Konsequenterweise läuft I am not a serial killer dann auch nicht in die Klischeefallen anderer Horrorfilme hinein. Das Böse ist hier dem Guten nicht immer einen Schritt voraus, ganz im Gegenteil, der vermeintlich Gute kann es sich erlauben mit dem Bösen zu spielen, dieses gar zu dominieren und ihm eine Heidenangst einzujagen. Das ist keine „David gegen Goliath“-Geschichte mit eindeutig definierten Rollen, sondern der Tanz zweier außergewöhnlicher Antagonisten, nicht nur gegeneinander sondern auch miteinander, ungesehen am Rande der Gesellschaft.

Regisseur Billy O’Brien inszeniert diesen Tanz als unheimliche Fabel im schweigsamen grautristen Gewand. Ähnlich wie in der blutsverwandten kleinen, großen Schwester Let the Right One In (2008) tauchen seine Bilder tief in diffuser Dunkelheit, ruhen lange auf eindringlichen Nahen und direkt auf den Gesichtern der Protagonisten. Das Geschehen wird weniger erzählt als viel mehr in Reaktionen eingefangen. Bei der Beobachtung eines Mordes sind wir ganz nahe am Blick Johns. Während das eigentliche Geschehen verschwommen, kaum erkenntlich im Hintergrund abspielt, erschließt sich der Grauen vor allem durch seinen Blick, durch sein Sehen und Verstehen. Auch in den Dialogen müssen wir uns oft mit dem Peripheren, mit dem Unscheinbaren begnügen, während dieses äußerst elegant zum Kern des Geschehens führt. I am not a serial killer gelingt es auf ganz erstaunliche Weise, ohne jemals kryptisch zu werden, in sekundär Gezeigtem, in peripher Gesprochenem, im Verdunkeln und Verschleiern eine pointierte Horrorgeschichte zu erzählen, die keine Fragen offen lässt. Es gibt nur wenige Momente, in denen er abstrakt oder diffus wird, und dennoch entgeht er jedem platten Erzählmuster, jeder allzu aufdringlichen Dramaturgie.

Und damit haben wir es dann tatsächlich mit einem der besten Horrorfilme des Jahres 2016 zu tun. Vollkommen zu Unrecht im Kino und Verleih untergegangen (in Deutschland hat er praktisch gar nicht stattgefunden): Eine aufregende, bescheidene Genreperle, ein fantastischer Hybrid aus Drama und Horror und zudem ein filigranes und augenzwinkerndes Vexierspiel um Gut und Böse, und wie ähnlich sich die beiden Extreme doch mitunter sind.

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