Die besten Vampirfilme der 70er Jahre I
Na denn… ich habe mir fest vorgenommen bei den 70er Jahre Bestenlisten kleinteiliger vorzugehen als bei den vorherigen Jahrzehnten. Und so wird es im Bereich des Horrorfilms noch die ein oder andere Nische und Subkategorie geben. Der Versuchung, eine Extraliste für die besten Lesbenvampirhorrorfilme zu machen, konnte ich gerade noch widerstehen (Yes, It’s a thing), und so werden es immerhin zwei allgemeine Listen, die Dracula und seiner teuflischen Vampir-Brut gewidmet sind. Aber auch in diese haben sich die erotischen Abenteuer weiblicher Blutsauger verirrt, hier vertreten durch die Hammer-Produktion The Vampire Lovers, die ein bisschen Schund, ein bisschen nackte Haut, ein bisschen Gewalt, vor allem aber viel Gothic Horror Hammer’scher Prägung bietet, sowie das mutigere – partiell fast feministische – belgische Horrormärchen Blut an den Lippen. Deutlich traditioneller als diese Neuinterpretationen des Genres ist die Bram Stoker Verfilmung Nachts, wenn Dracula erwacht, die sich eng an die Vorlage anlehnt und mit Christopher Lee als Dracula zu den klassischsten Vampirstreifen überhaupt gehört. Ansonsten waren die Vampire der 70er Jahre ganz schön wild: Circus der Vampire (ebenfalls von Hammer) vermischt Gothic Horror mit surrealen, traumartigen Ästhetizismen. Und noch experimenteller ist dann Ganja & Hess, der den Vampirmythos mit Blaxploitation-Storytelling und einer Menge verwobener Bildsprache anreichert…
Nachts, wenn Dracula erwacht [Jess Franco]
(Deutschland, Spanien, Italien 1970)
Dass der klassischste, das vampiristische Filmjahrzehnt einleitende Draculafilm ausgerechnet eine europäische Koproduktion (ohne britische Beteiligung) ist, kann schon als kleine Überraschung verbucht werden. Ebenfalls, dass Christopher Lee hier, gut zwölf Jahre nach seinem Auftritt in Dracula (1958), noch einmal in die Rolle des berühmtesten Blutsaugers springt. Alles andere an Jess Francos detailverliebten Umsetzung des großen Romans ist weniger überraschend. Für mich, als Kind der frühen 80er Jahre, war Nachts, wenn Dracula erwacht immer der Dracula-Prototyp schlechthin (bevor mich Francis Ford Coppolas Version in den frühen 90er Jahren dann komplett aus den Socken gehauen hat). Alles was man von edlem, gediegenen Gothic Horror erwartet, ist hier vertreten: Die Kulissen, die Kostüme, das Blut, und dann natürlich noch Christopher Lee als beängstigender Graf und Klaus Kinski als verrückter, Käfer verspeisender Renfield. Die Atmosphäre stimmt hier, die Geschichte Stokers wird an den richtigen Stellen zusammengekürzt, und man hat stets das Gefühl, dass der Film den klassischen Stoff respektiert. Ja, das ist dann hier und da ein wenig bieder, vielleicht sogar feige, aber eine gute Abwechslung zum sonstigen 70er Jahre Vampirkino, das einfach mal drunter und drüber war.
Gruft der Vampire [Roy Ward Baker]
(Großbritannien 1970)
Habe ich gerade drunter und drüber gesagt? Proudly Introducing the Lesbian vampire movie of the 70’s. Ja, das gibt es wirklich und hat bei der englischen Wikipedia sogar einen eigenen Artikel. Roy Ward Bakers The Vampire Lovers hierzulande ziemlich geistlos, generisch übersetzt in Gruft der Vampire dürfte dabei zu den berühmtesten Filmen dieses Subgenres gehören, ist er doch immerhin Hammers erste von drei Verfilmungen der Geschichten um die Vampirin Carmilla (1872). Um das gleich klarzustellen: Wir haben es hier nicht mit einer LGTBQ-Empowerment-Geschichte zu tun (auch wenn es durchaus spannend ist, die Carmilla-Saga aus diesem Blickwinkel zu betrachten). Aber das Setup einer in eine irdische junge Dame verliebten Blutsaugerin ist in diesem Fall doch eine gekonnt genutzte Bühne, um Themen rund um Eros, Liebe und gesellschaftlichen Druck auszubreiten. Das ganze erzählt mit viel Exploitationcharme, inklusive nackter Haut, Blut und subtilen – mit Kritik und möglicher Zensur spielenden – Andeutungen. Und obwohl Gruft der Vampire seine Erotik, seinen (offensichtlichen) Subtext, seine Gereiztheit genüsslich zelebriert, verbirgt sich dahinter doch ein durch und durch klassischer Hammerfilm mit edlen Kostümen, edlen Kulissen, ner ganzen Menge Blut und viel Edeltrash-Flair.
Circus der Vampire [Robert Young]
(Großbritannien 1972)
Bleiben wir kurz noch bei Hammer, die zu Beginn der 70er Jahre eigentlich ihre besten Zeiten schon hinter sich hatten. Durch Horrorfilme wie Night of the Living Dead auf der einen und die Mainstreamisierung der Gewalt durch das New Hollywood auf der anderen Seite, schien es im großen Kino der frühen 70er Jahre keinen so richtigen Platz mehr für die Mischung aus traditionellem Gothic Horror und brutaler Exploitation zu geben. Hammer Films reagierte auf die Konkurrenz genau richtig, indem sie ihr Repertoire vorsichtig, aber mit umwerfendem Ergebnis erweiterten. Man kann über die Spätzeit von Hammer lästern, wie man will, in dieser experimentellen Phase der Horrorschmiede entstanden einige der feinsten Hammerfilme überhaupt. Vampire Circus ist in seiner Prämisse eine sehr klassische, üppige, pittoreske und blutige Hammer-Vampirgeschichte, wandelt sich aber nach einem kleinen Plottwist zu einem deutlich üppigeren, dekadenteren und verschlungeneren Inferno. So als hätte sich jemand das klassische Rezept geschnappt und dann so lange Gewürze hinzugefügt, bis der Geschmack aus allen Poren des fertigen Mahls heraustritt. Dazu gehören auch surreale, traumartige Sequenzen, clevere vermaledeite Windungen und eine angenehme Bombastnote, die in Kombination mit dem üblichen Schund und Glamour für ungebrochenes Vergnügen sorgt. Vielleicht sogar der beste Hammer-Vampirfilm überhaupt, auch jenseits der sonst etwas glanzlosen 70er Jahre.
Blut an den Lippen [Harry Kümel]
(Belgien 1971)
Lesbische Vampirfilme, die zweite. Der belgische Gruselfilm Les lèvres rouges mag auf den ersten Blick wie seine Artgenossinnen erscheinen, kommt aber deutlich progressiver als diese daher. Das liegt vor allem daran, dass es ihm recht gut gelingt den lesbischen Vampirismus vom Male Gaze zu befreien. Natürlich steckt auch in diesem Horrormärchen eine Menge schwülstiger Erotik, es gibt eine Femme Infantile, eine Femme Fatale, nackte Haut und alles andere, was sich Männer von einem solchen Erotikflick wünschen. Aber es gibt eben auch den ziemlich gehässigen Blick auf die heteronormative Beziehung, es gibt eine erstaunlich reflektierte Haltung zur Fragilität des romantischen Miteinanders überhaupt, es gibt einige starke Empowerment-Momente, es gibt ein Gefühl von Freiheit und Grenzenlosigkeit. Ja, Blut an den Lippen macht auch Spaß, weil er mit Tabus aufräumt in einem Genre, das seine eigenen Tabus nicht sehen kann, weil es sich gerne selbst als tabulos inszeniert. Das alles macht er mit der unverfrorenen Leichtigkeit eines Exploitation- und Schundstreifens, der sich nicht allzu ernst nimmt, aber dennoch blutig und frivol zu unterhalten weiß.
Ganja & Hess [Bill Gunn]
(USA 1973)
Der erste und berühmteste Blaxploitation-Horrorfilm der 70er Jahre dürfte ohne Zweifel Blacula (1972) sein. So wichtig dieser für das Genre war, hat er doch nichts in dieser Liste verloren: Für ein Blaxploitation-Meisterwerk zu stillos, zu unoriginell, vor allem aber zu öde, zu sehr in die Länge gestreckt. Den Klassikerstatus behält er, die Empfehlung kriegt ein anderes Biest von einem Blaxploitation-Film: Ganja & Hess von Bill Gunn, den Spike Lee einst als einen der meist unterschätzten Regisseure des 20. Jahrhunderts bezeichnete. Unter der Oberfläche haben wir es erst einmal mit einem eigentlich traditionellen Blaxploitation-Film zu tun: Der Vampirmythos wird aus seinem europäischen Erbe gerissen und mit afrikanischer Mythologie neu interpretiert. Die Protagonisten und Protagonistinnen sind wie die Macher durchgängig schwarz, und eine ordentliche Menge an Blut und Shock Value sorgen für den Anschluss ans Mainstream-Exploitation-Kino der frühen 70er Jahre. Ganja & Hess ist aber deutlich mehr: Die Erzählhaltung oszilliert zwischen grellem Horrorschocker, düsterem Drama und experimenteller Bild/Ton-Komposition, die halb dokumentarisch, halb traumwandlerisch daherkommt. Im Zentrum stehen weniger die, die gegen den Vampirismus kämpfen, als viel mehr die, die ohne eigenes Verschulden davon infiziert sind. Folgerichtig ist der Vampirismus hier auch mehr Krankheit, mehr Leid und Einsamkeit denn übermenschliche Bedrohung. Die Betroffenen sind Verlorene, die an ihrem eigenen übernatürlichen Leben verzweifeln, der Bloodsucker Way of Life bietet wenig Glanz, viel mehr Einsamkeit, Desorientierung und Hoffnungslosigkeit. Dem folgt auch die Inszenierung mit ihrer wilden, schwindelerregenden Kamera, mit ihrem Blick für das Profane im Mondänen und ihrer Auslassung sowie ihrem Spiel mit der Asynchronität. Ganja & Hess ist ein ebenso merkwürdiger wie mitreißender Film, ein Experiment am Genre und Publikum, und vielleicht einer der mutigsten, introspektivsten Blaxploitation-Schocker überhaupt.
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