Die besten Horrorfilme 2018: Das Suspiria-Remake von Luca Guadagnino

Der ungewöhnliche, gegen den Strich gebürstete Horrorfilm boomt derzeit gewaltig. Nein, an dieser Stelle werde ich mich nicht schon wieder in Gedanken über den so genannten Post Horror verlieren. Es sei nur festgehalten, es gibt im Kino-Mainstream eine Nachfrage nach Horrorfilmen, die von ihrer Art und Weise alles andere als publikums- oder blockbusteraffin scheinen. Und das haben die späten 2010er Jahre durchaus mit den 70er Jahren gemein. Auch damals wurden Filme zu großen Erfolgen, die sowohl herausfordernd als auch verstörend waren, die nicht einfach darauf abzielten, das Publikum mit angenehmen Gruseleinheiten zu sedieren, sondern die schocken, irritieren und auch verändern wollten: Man denke nur an Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973), Wes Cravens The Hills Have Eyes (1977) oder Romeros Dawn of the Dead (1978). Natürlich hatte auch diese Zeit so wie unsere ihre leicht zu konsumierenden Horror-Blockbuster wie Spielbergs Der weiße Hai (1975), aber damals wie heute gab es plötzlich eine Nachfrage nach groteskem, progressiven und bewusst gegen den Strich gebürsteten Genrekino. Und zu dessen Vertretern zählt natürlich auch Suspiria (1977) von Dario Argento: Der prototypische und zugleich über die Kategorie hinausweisende Giallo, im Grunde genommen der Film, der die gesamte Reputation des italienischen Horrorkinos der damaligen Zeit allein rettet (sorry, aber so viel sehenswertes gab es daneben nunmal einfach nicht). Und wenn schon der Mut des 70er Jahre Horrors auch den 2010er Horror beseelt, und wenn es schon in diesem Trend ein Spiel mit der Ästhetik der damaligen Zeit gibt (Man denke z.B. an Mandy), warum dann nicht gleich DEN Klassiker aus Italien mit einem Remake versehen?

Verantwortlich für das Remake von 2018 zeichnet sich Luca Guadagnino… und der hat damit nach dem sinnlichen A Bigger Splash (2015) und dem sinnlichen und bewegenden Call me by your name (2017) seinen dritten Toptreffer in Folge gelandet. Und so lehnt man sich wohl auch nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man feststellt, hier einen der besten Regisseure unserer Zeit vor sich zu haben. Dabei bewegt sich Guadagnino mit Suspiria durchaus auf ungewohntem Terrain. Standen seine vorherigen Filme im Zeichen eines romantischen Ästhetizismus und Eskapismus, ist Suspiria auf Schmerz, Grauen und auch Hässlichkeit hinter vordergründig schönen Fassaden ausgelegt. Wer das Original nicht kennt: Es geht um eine Tanzschule (im Original in der deutschen Provinz, im Remake in der aufgepeitschten Stimmung des Berlins der 70er Jahre). Schülerinnen dieser Tanzschule kommen auf mysteriöse Weise ums Leben. Die Oberinnen, Lehrerinnen und Mütter der Schule verhalten sich merkwürdig, nehmen an bizarren Ritualen teil, schotten sich und ihre Schützinnen von der Außenwelt ab. Es geht um Mord, Okkultismus, um das Böse, um das Verschwimmen von Traum und Realität und um das Verschwimmen von Mystik und Fantastik.

Das Suspiria von 2018 erzählt mehr oder weniger die gleiche Story wie das Original. Und doch erzählt Guadagnino weitaus mehr als Argento: Er interpretiert die surrealen, episodischen Geschehnisse des Originals und spinnt sie weiter. Wo Argento Motive, parabolische Momente, Narration und Struktur ausließ, um seinen Film ganz dem Rhythmus des tanzenden Schauspiels hinzugeben, hat Guadagnino eine Menge zu erzählen. Seine Schülerinnen sind kein bloßes Killerfutter, sondern neugierige, diverse und emotional verhandelte Protagonistinnen. Seine Hexen sind keine abstrakt morbiden Erscheinungen, sondern besitzen Motivation, Gefühl und Verlangen. Wo das Original Tanz war, wird das Remake zum Diskurs, wo das Original komplett aus der Geschichte fiel, bezieht sich das Remake bewusst auf diese. Suspiria wirft das geteilte Berlin der 70er Jahre, die Bewältigung der Nazivergangenheit, Feminismus, Misogynie, Tradition und Moderne auf die Tanzfläche. Und anstatt sie einfach tanzen zu lassen – oder komplett zu ignorieren um bewundernd dem Tanz des entworfenen Horrors beizuwohnen, so wie Argento dies tat – diskutiert er sie, versieht sie mit Brüchen, Ambiguitäten und Widersprüchen. Das mag im Gegensatz zum 1977er Suspiria dann mitunter langatmig sein, nicht ganz dessen hypnotischen, schrillen Rhythmus besitzen, es macht den Film aber so viel tiefer, intelligenter und dichter.

Suspiria 2018 ist anders als sein 1977er Pendant wegen seiner omnipräsenten Anspielungen auf Zeit und Raum. Wo Argento diese immer entglitten sind, will Guadagnino sie nicht verlieren. Und so fliegen ständig Spiegel-Titelbilder, Nachrichtenausschnitte und historische Orte durch das Bild. Und so referieren Protagonistinnen und Protagonisten immer wieder auf Vergangenheit und Gegenwart, auf den Druck der Zeit und den Druck der Außenwelt. Suspiria 2018 ist ebenfalls anders als sein 1977er Pendant wegen seines Umgangs mit den Protagonistinnen. In Argentos Vision mussten sich sowohl Charaktere als auch Schauspielerinnen dem gesamten Tanz unterordnen, mussten im schlimmsten Fall als Staffage herhalten. Hier dürfen sie glänzen: Allen voran Tilda Swinton, die gleich drei zentrale Charaktere verkörpern darf… und das auf beeindruckende Weise löst; so beeindruckend sogar, dass sie sowohl hinter Maske als auch Spiel fast vollkommen verschwindet. Ebenfalls fantastisch ist Dakota Johnson: Ihre Sara ist nicht einfach nur das unverschuldet in Gefahr geratene Last Giallo Girl, sondern eine von Widersprüchen geplagte, mal unsichere, mal extrem selbstbewusste junge Frau, die es nie akzeptiert Opfer zu sein. Es zahlt sich aus, dass Guadagnino mit beiden Schauspielerinnen bereits in A Bigger Splash gearbeitet hat. Er scheint zu wissen, was er aus ihnen herauskitzeln kann, und noch mehr scheinen sie zu wissen, wie sie sich über seinen Rahmen hinausbewegen können. Suspiria atmet nämlich durch ihr extrem physisches, vitales Spiel, stets zwischen Choreografie und Improvisation, stets zwischen Bodennähe und Abgehobenheit.

Dramaturgisch und inszenatorisch greift Luca Guadagnino auf vieles zurück, was das Suspiria von 1977 auszeichnet. Auch hier finden wir die für den (italienischen) Horror- und Mysteryfilm der 70er Jahre so markanten Whip Zooms, auch im Jahr 2018 darf es einige Achsensprünge, stolpernden Schnitte, Zeitlupen und nervöse Kameraschwenks. Ehrensache, dass der Film ebenfalls im 35mm Format gedreht wurde. Aber Suspiria ist weder ein Giallo-Film noch eine Hommage an das Original. Im Gegenteil. Und das gereicht ihm sehr zum Vorteil: Keine oberflächliche Sexualisierung, kein Style over Substance, stattdessen werden Ideen des Genres dekonstruiert: Aus der Objektifizierung des ursprünglichen Genres wird eine bizarre Form von Empowerment, aus der Grelle, dem Kitsch und dem Pathos wird Kälte und Distanz. Aus dem Giallo wird eine Art Anti-Giallo, die Perspektive wird transzendiert – statt eines klassischen ich-perspektivisch erzähltem Giallo-Mörders kommt der Schrecken aus dem Nichts, aus der Umgebung und von überall. Der Inhalt wird zugleich geerdet: Keine grellen Farben, keine hypernervöse Kamera. Statt des Rots dominieren braun, grau und schwarz, satt dem kreischenden Giallo Groove der progrockigen Goblin gibt es atmosphärisch minimalistische Soundfetzen aus der Feder von Thom Yorke. Wenn man unbedingt die Genrekarte spielen wollte, könnte man Suspiria als einen Post Giallo bezeichnen, eine Antwort auf das Giallo Genre, die eigentlich nicht gebraucht wurde, da das Genre – nunja – seit über 30 Jahren tot ist. Gleichzeitig darf er dann aber noch einmal exemplifizieren, was das Genre so faszinierend, bizarr und auch abstoßend machte, eben indem er dessen Kernelemente zerreibt und aus den Spänen etwas stärkeres macht. Ja, an dieser Stelle darf dieser Kritik gerne Blasphemie vorgeworfen werden, aber dank seiner mutigen, dekonstruktiven – und zugleich dennoch wertschätzenden – Ader ist Suspiria von 2018 der bessere Film. Nicht nur, weil Dario Argentos Meisterwerk eben doch auch gealtert ist, sondern auch, weil das 2018er Remake inhaltlich und thematisch weitaus mehr zu erzählen hat als seine opernhafte Vorlage.

Im letzten Viertel lässt sich Suspiria 2018 dann doch von den Konventionen seines Genres verführen: Plötzlich gibt es sie, die grellen Farben, die Nacktheit, die Gewalt, getaucht in ein bizarres Ballett zwischen Fantastik, Fantasterei und Horror. Vielleicht muss man das als finale Verbeugung vor dem Genre und dem Original verstehen, das zuvor gebrochen, verdreht und zwischenzeitig für die Kenner sogar vorgeführt wurde. Man kann es aber auch als finale Katharsis lesen, nachdem lange der Diskurs, die Dekonstruktion und Erdung vorherrschten. Der Schlussakkord des Films ist purer, greller Eskapismus, ein apokalyptisches, überinszeniertes Gemälde aus Sex, Blut und Schmerz, die das maximal Künstlerische aus der Vorlage zieht und herausragend und würdevoll in eine postmoderne Ästhetik überträgt. Ja, das finale Urteil dieser Rezension ist Suspiria von 1977 so blasphemisch gegenüber wie das Suspiria von 2018 seinem Original gegenüber blasphemisch ist. Guadagnino ist es nicht nur gelungen ein herausragendes Remake eines „Don’t Touch!“-Klassikers zu drehen, ihm ist es gelungen, einen der wegweisendsten und faszinierendsten Horrorfilme des 20. Jahrhunderts zu toppen. Es ist ihm gelungen, einen Film zu drehen, der das Meisterwerk in vierlei Hinsicht übertrumpft und weit hinter sich lässt. Oh welch tolle Zeit für dieses Genre, in der wir leben!

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