Netflix-Filmempfehlung: Velvet Buzzsaw – Die Kunst des toten Mannes (2019)

In der Dialektik der Aufklärung (1944) nutzen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno den Begriff der Kulturindustrie um die Entwicklung der Kunst zur Ware zu kritisieren: Kunst verlöre in der Moderne ihren ideellen Wert und würde zum bloßen kapitalistischen Spielball, zum Tauschobjekt auf Märkten, nicht mehr der Genuss der Kunstzähle, sondern das sich mit Kunst umgeben, Netzwerken und eben auch der Handel mit der Kunst. Das verlockende an einem Begriff wie Kulturindustrie – der im gesamten 20. und 21. Jahrhundert als Kampfbegriff der Linken gegen jede Art von Eskapismus und Popkultur benutzt wurde – ist, dass sich in ihm so eine wundervolle Dichotomie eröffnet: Auf der einen Seite Kunst und Kultur, die ideell, idealistisch, vermeintlich zu höherem berufen sind; und Industrie auf der anderen Seite: Kalt, berechnend, pragmatisch bis hin zum Opportunismus. Und radikal zu Ende gedacht führt diese Dichotomie zum Sodom und Gomorrha für die Kunst an und für sich: Die Kulturindustrie wird zum Ort, an dem die Kunst siecht, geopfert wird auf einem Altar der Eitelkeiten, der Habgier und Niedertracht, ein Ort, der wie das mythische Sodom und Gomorrha nur durch einen radikalen, apokalyptischen, mörderischen Sturm gereinigt werden kann. Genau einen solchen Sturm entfacht Regisseur Dan Gilroy (Nightcrawler) in seiner Horrorsatire Velvet Buzzsaw mit der Kunst eines toten Mannes.

Morf Vandewalt (Jake Gyllenhall) ist einer der gefürchtetsten und angesehensten Kunstkritiker in Kalifornien. Wenn er nicht gerade die neuesten Kunstwerke und Ausstellungen zerreißt, genießt er eine on/off-Affäre mit seiner Freundin und Kunstkennerin Josephina (Zawe Ashton), die für die mächtige Galeriebesitzerin Rhodora (Rene Russo) arbeitet. Josephina ist unzufrieden mit ihrer Position als Rhodoras Handlangerin, wittert allerdings die Chance zu einem schnellen Aufstieg, als sie durch Zufall auf die Werkre ihres kürzlich verstorbenen Nachbarn Vetril Dease aufmerksam wird. Dieser extrem zurückgezogene Künstler besaß weder Familie noch Freunde und wollte als letzte Handlung vor seinem mysteriösen Tod alle seine Werke vernichten. Von diesen geht eine unheimliche und zugleich hypnotisierende Aura aus und Josephina ist sich sicher, dass sie auf dem kalifornischen Kunstmarkt eine Menge Geld einbringen können. Sie stiehlt die Werke und arbeitet zusammen mit Morf und Rhodora einen Plan aus, das unentdeckte Genie Deases in Gold zu verwandeln. Hinter den Bildern jedoch verbirgt sich ein düsteres Geheimnis, das sie nicht nur zu lukrativen Handelsobjekten sondern auch zu tödlichen Waffen macht.

Und dann gibt es da noch den ehrgeizigen Galleristen Dondon, den lethargischen und zugleich geschäftstüchtigen Altstar der Szene Piers, die naive wie gerissene Assistentin Coco, die hysterische Kuratorin Gretchen, den korrupten Best Boy Bryson, den Nachwuchskünstler Damrish… und einen ganzen Haufen anderer skurriler, gieriger, skrupelloser, narzisstischer, psychopathischer und verkommener Personen, die sich im kalifornischen Kunstbetrieb tummeln und auf die ein oder andere Weise Gefahr laufen, Opfer der mysteriösen Kunst des Vetril Dease zu werden. Auch wenn das digitale Netflix-Plakat zu Velvet Buzzsaw groß das Konterfei Jake Gyllenhaals ziert, darf man sich davon nicht täuschen lassen. Die Kunst des toten Mannes ist ein astreines Ensemblestück, das einer Menge Protagonist*Innen eine Menge Raum gibt, gar nicht so unähnlich der grandiosen Hollywoodsatire The Player (1992) von Robert Altman. Konsequent werden dann auch die übernatürlichen und grausamen Geschehnisse nicht einer sondern gleich einem Dutzend Personen entgegen geworfen, munter springt die Erzählperspektive von Protagonist zu Protagonistin zu Protagonist zu Protagonistin und wieder zurück. Und so scheint Velvet Buzzsaw auch mehr als einmal sein Gesellschaftspanorama wichtiger zu sein als sein eigenes Horrorsujet, das sich ganz gerne – und oft absolut berechtigt – der bitterbösen Satire auf Kunsthandel, Ausstellungsgeschäft, Kritik und Agenturirrsinn unterordnet.

Gleichzeitig erhält der Horroraspekt durch diesen Fokus auch eine verdammt charmante Berechtigung. Velvet Buzzsaw ist nämlich nicht nur Satire, Spukgeschichte und Splatterkomödie, sondern auch Parabel. Erzählt wird hier wie sich die Kunst gegen die sie umschließende Kunst- und Kulturindustrie auflehnt. Die unheimlichen Bilder des toten Mannes werden nicht nur einfach lebendig, sie verbrüdern sich mit ihren Geschwistern um mörderisch auf all die Dilettanten, Scharlatane und Dampfplauderer loszugehen, die ihren tatsächlichen Wert nicht zu schätzen wissen. Und die haben es – so viel kann nach dem Blick auf den ganzen Wahnsinn sicher sein – absolut verdient. Eiskalt seziert Velvet Buzzsaw die Oberflächlichkeiten und Abgründe, die sich in der Kulturindustrie von Los Angeles finden lassen. Jede auf den ersten Blick noch so sympathisch wirkende Person besitzt ihre dunklen Abgründe, ihre Korrumpierbarkeit, ihre Gier, ihre Gehässigkeiten… und kaum jemand interessiert sich für das, worum es in dem ganzen Spiel eigentlich gehen sollte: Die Kunstwerke, die auf kalten Galeriewänden für gierige Investoren feil geboten werden. Der Wahnsinn ist omnipräsent in Velvet Buzzsaw, auch und gerade weil er auf einer extrem schicken Fassade stattfindet.

Inszenierungstechnisch ist Velvet Buzzsaw top-notch: Bunt, kalt, elegant und skurril. Sowohl in seiner Kameraführung als auch Farbgebung versprüht er nicht selten gewisse Giallo Vibes, allerdings nie ins hysterische übersteigert. Stattdessen ist er mild exzentrisch, bunt und zugleich edel inszeniert. Das ist eine teils konfuse teils verdammt attraktive Mischung. Velvet Buzzsaw ist manchmal albern, manchmal überspitzt, manchmal satirisch spitz direkt auf den Punkt, manchmal aber auch tollpatschig, fast schon trashig und dadurch eine wirklich gelungene Mischung, die sich nicht dafür schämt, ihr Sujet durch diverse Genres zu schleifen. Gerade der Horroranteil bleibt dabei größtenteils brav, will gar nicht die Beklemmung und das Unwohlsein auslösen, das so vielen heutigen Posthorrorwerken immanent ist. Stattdessen will er unterhalten, ein bisschen provozieren, ja auch ein bisschen erschrecken, dabei aber immer bizarr genug sein, um nicht zur Dutzendware zu werden. Leider schafft es der Film dennoch nicht auf billige, abgedroschene Jump Scares zu verzichten, die mitunter absurd anachronistisch wirken. Dieser Rückgriff auf platte Horrortropes und Klischees wirkt komplett unpassend in dem sonst so spitzbübigen, sich selbst nie zu ernst nehmenden Setting.

Besetzt ist der Streifen mit der Creme de la Creme aktueller (Horror-)Schauspieler, die allerdings alle nicht so wirklich gewillt sind, ihre Fähigkeiten bis zum Exzess auszuspielen. Insbesondere Jake Gyllenhaals Protagonist bleibt erschreckend schwach, schafft es nie konsequent Arschloch zu sein, schafft es nie konsequent Antiheld oder Sympathieträger zu sein. Auch Rene Russo als eiskalte Agentin und John Malkowich als Künstler in der Schaffenskrise wirken ungewohnt gelangweilt, als würden sie ihre Rollen mit dem Minimum an Engagement abspielen. Allenfalls Toni Collette kann als vordergründisch hysterisch überdreht freundliche und im Hintergrund bitterböse Networkerin ihr Potential ausspielen, kommt dafür aber dann doch viel zu selten vor in diesem Ensemblestück. Abgesehen davon ist Velvet Buzzsaw der beste Beweis dafür, dass auch ein theoretisch hervorragender Cast in einem zu braven zu berechenbaren Setting komplett untergehen kann. Trotz der beeindruckenden Namensliste schafft es das Schauspiel in Velvet Buzzsaw nicht über solides Mittelmaß hinaus.

Ansonsten dominiert hier die Oberflächlichkeit, nicht nur auf inhaltlicher Ebene, nicht nur im fiktionalen Rahmen, in dem der Film angesiedelt ist, sondern in seiner Ausführung selbst. Es ist blanke Ironie, dass ein Film, der sich über die Oberflächlichkeit seiner Welt lustig macht, selbst permanent Stil über Substanz stellt. Ihrer großartigen Bilder und exzentrischen, parabolischen Projektionen beraubt ist die Story von Velvet Buzzsaw ein ziemlich plumpes Schauermärchen, das sich bei allzu vielen allzu bekannten Tropes bedient: Flüche, groteske Todesfälle, das Verschwimmen von Realität und Fiktion, die Vermischung von Wahrnehmung und Wahnsinn, Geister, Schatten der Vergangenheit… das übliche eben. Aber so wie die Kunstwelt die Freude am schönen Schein nicht leugnen kann, so kann man als Zuschauer dieses Mummenschanzes nicht leugnen, dass das Prinzip „Style over Substance“ hier verdammt gut funktioniert, trotz aller Schwächen und Stolpereien. Velvet Buzzsaw ist eine Scharlatanerie, die sich hinter einem Horrorfilm verbirgt, der sich hinter einer Satire auf die Kulturindustrie verbirgt, die in sich selbst wiederum von einer nicht originellen aber allemal vergnüglich bösen Parabel gespeist wird; nichts was außergewöhnliche Gedanken evozieren oder dem Genre irgendetwas neues geben könnte. ABER, verflucht gut inszeniert, in seinen besten Momenten brüllend komisch und mit dem richtigen Gespür für skurrile, sexy Bilder. Ein exzentrisches Horrormärchen, das gerne etwas weniger brav hätte sein können, alles in allem aber solide Unterhaltung zwischen Satire und Grusel bietet.

Ähnliche Artikel