Really Fucked Up Super Heroes – Rezension zu „Super“ von James Gunn (2010)

Zu den Filmen, die mich zu Beginn der 2010er am meisten enttäuscht haben, gehört auf jeden Fall die halbgare, möchtegerncoole und sich dem Nerdtum anbiedernde Superheldensekonstruktion Kick-Ass (2010). Eine nette Idee, der allerdings in letzter Konsequenz die Eier fehlten, um mehr zu sein als ein lauer tarantinoesker Reißer ohne Biss. So viel Potential, so viel Mindfuck-Möglichkeiten… einfach verschenkt. Ein Glück, dass die Idee des simplen Next-Door-Superhelden nicht nur den Kick-Ass-Machern in den Sinn kam, sondern ebenso Slither-Regisseur James Gunn. Und dieser James Gunn hat Eier… und was für welche. Super (2010), der sträflicherweise immer noch keinen deutschen Kinostart-Termin hat, ist das bösartigsten und abgefuckteste Stück Nerd-Film, das mir in letzter Zeit untergekommen ist. Indie Komödie, Actionspaß, Referenzfest… Und nicht nur das: Nebenbei zertrümmert dieser infame Streifen auch die gesamte Superheldenmythologie im Vorbeigehen, tritt ordentlich rein in die Zwiespältigkeit von selbsternannten Rächern und wandelt sich mehr und mehr zur düsteren, tragischen und zutiefst pessimistischen Parabel auf Verbrechen und Strafe, auf Schicksalsgläubigkeit und Wahn.

Aber wir wollen das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Denn zu Beginn scheint Super erst einmal eine klassische Comic-Dekonstruktion, wie sie in den letzten Jahren das ein oder andere Mal zu sehen war: Sympathischer aber vertrottelter und schräger Naivling wird von seiner Frau wegen eines Kleinkriminellen verlassen, beschließt, dass es an der Zeit ist ein Superheld zu werden und für Recht und Ordnung zu sorgen… und stellt fest, dass das gar nicht so leicht ist, wie erwartet, wenn man weder Superkräfte hat, noch der Cleverste auf den Straßen der Stadt ist. Wenn unser Naivling Frank zum ersten Mal in sein Kostüm schlüpft, um als Crimson Bolt für Recht und Ordnung zu sorgen, ist das einfach mal schreiend komisch, angesichts der Hilflosigkeit des Nachwuchs-Helden, angesichts der schallenden Ohrfeigen, die ihm die Realität ein ums andere Mal verpasst. Aber schon in diesen ersten Sequenzen wird klar, dass etwas ganz und gar nicht stimmt mit diesem lustigen, einsamen Rächer: Protagonist Frank ist weder der coole Außenseiter noch der liebenswerte Trottel. Stattdessen haben wir hier einen uneinsichtigen, brutalen und impulsiven Typen vor uns, geplagt von absurden Wahnvorstellungen und beängstigenden Rachegelüsten. Jepp, Super ist bereits zu Beginn fast so etwas wie eine Superhelden-Pathologie: Paranoia, Schizophrenie, Depression… eigentlich klassische Symptome eines No-Name, der in ein albernes Kostüm steigt, um Drogendealer zu verprügeln. Dadurch wird der Film annähernd zur psychopathologischen Studie, die mit grimmigem, nachdenklichem und ironisch distanziertem Blick ihr „Studienobjekt“ begleitet.

Aber Super geht noch ein gutes Stück weiter und wird dadurch zum richtig perfiden Trip: Ohne Rücksicht auf Genre-Grenzen springt er munter über Independent Komödie, krudes Selbstfindungsdrama, Selbstjustizthriller, Comic-Dekonstruktion zur brutalen Versuchsanordnung, und lässt dabei nichts unversucht, seine Zuschauer zu foppen. Super ist eine Parabel über Einsamkeit möchte man sagen, wenn Frank und sein Sidekick Boltie (Ellen Page) planlos alleine herumsitzen und nur darauf warten, dass etwas passiert, was ihrer Superhelden-Existenz Sinn verleiht… Und im nächsten Moment färben sich die Bilder bunt und es ploppen lustige Comicsprechblasen auf, Action kracht mit voller Gewalkt in das Geschehen und der Zuschauer weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Super ist eine sau lustige Komödie, möchste man sagen, wenn Frank alias Crimson Bolt komplett hilflos und ungelenk in sein Kostüm schlüpft, nur um trotzdem von jedem, der ihn kennt, erkannt zu werden… Und im nächsten Moment wird einem einfachen Bürger der Schädel eingeschlagen, findet eine Quasi-Vergewaltigung statt und stirbt jemand, einfach weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Super ist brutal, möchte man sagen, wenn Schädel zertrümmert, Körper zerissen werden… und dann bricht mit aller Kraft der Pathos in das Geschehen, und alles, alles alles scheint plötzlich wieder gut zu sein.

Super macht es seinem Publikum nicht leicht mit diesem fulminanten Genre-Spagat. Aber er funktioniert. Nicht zuletzt Dank des großartigen Casts: Rainn Wilson darf sich als selbsternannter Rächer die Seele aus dem Leib freaken, Ellen Page als Freundin und späterer Sidekick Boltie wandelt leichtfüßig von sympathischem Nerd zu erschreckender Amokläuferin, Kevin Bacon darf das, was er am besten kann – fies sein – und Rob Zombie hat einen kurzen – aber erinnerungswürdigen – Auftritt als Gott persönlich. Nicht nur Dank des Casts, sondern ebenso wegen der schnittigen, hippen Inszenierung, der eleganten Schnitte und des bunten Look&Feels bewegt sich Super trotz manchem expliziten, überdeutlichen und realistischen Gore-Effekts, trotz Vergewaltigungsszene und dunklen Wahnvorstellungen, trotz einer pesismistischen Grundstimmung die dem Geschehen immament ist, stets auf Unterhaltungspfaden. Klar, das zu Sehende ist mitunter brutal, abgefuckt, räudig, deprimierend… aber eben ungemein locker inszeniert, sau witzig und auch immer schön in Adrenalin getaucht.

Das ist wohl die größte Leistung von Super: Er macht Spaß. Mehr Spaß als der brave Kick-Ass. Und das obwohl er im Grunde genommen weitaus perfider und thematisch schwerer ist. Dadurch wird er zum perfekten dark-what-the-fuck-entertainment-trip für Nerdfilm-Liebhaber und Freunde von abseitigen Filmen. Super ist mit Sicherheit nicht, was man bei dem Plakat und den Trailern erwartet, dafür aber umso wertvoller und großartiger. Endlich wieder richtig großes, wagemutiges und unterhaltsames Indie-Kino made in USA… Und jetzt gebt dem verdammt nochmal endlich einen Deutschland-Start!

Erstveröffentlichung: 2011

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