Avengers Infinity War – Und der Preis für das größte Spektakelkino geht im Jahr 2018 an…

…Marvel. Natürlich wieder Marvel. Wie sollte es auch anders sein. Ganz ehrlich, hat irgendwer etwas anderes erwartet? Seit dem großen – und zugleich nach wie vor herausragenden – 2008er Blockbuster Iron Man (Oh mein Gott, das ist wirklich schon 10 Jahre her!) ist die Comic/Film_Schmiede ein Garant für die gigantischsten, furiosesten und spektakulärsten Popcornfilme des Jahres. Egal ob in Fortsetzungen wie Captain America 2, der Etablierung neuer Superhelden wie Black Panther oder den gigantischen Crossover-Verfilmungen der Avengers-Reihe, Marvel dominiert derzeit einfach die Blockbusterlandschaft. Und ganz nebenbei ist es ihnen auch noch gelungen ein eigenes Cinematic Universe zu kreieren, woran sich derzeit sowohl DC als auch Universal die Zähne ausbeißen.

Nee, man muss einfach mal neidlos anerkennen, dass das Studio einfach weiß, wie man gelungene Filme für das große Publikum inszeniert, und dabei sowohl qualitativ hochwertig als auch finanziell lukrativ zu sein. Das wirklich erstaunliche daran: Mit jedem weiteren Film, der im Marvel Universe spielt, wird die Produktionsschmiede mutiger und dabei auch ein bisschen dreister: Große Erklärbärszenen, Expositionen, Vorstellungen der Protagonisten und Protagonistinnen gab es bereits in den letzten Avenger-Filme nicht mehr; stattdessen gingen die Macher in der Tat davon aus, dass der geneigte Zuschauer Helden und Bösewichte, Vorgeschichte und erlebte Schicksale schon kennen dürfte und daher mit Einordnungen und Orientierungspunkten nur unterfordert wäre. Das sorgt in der Tat dafür, dass Marvelfilme zumindest narrativ mit jeder Iteration sperriger und einsteigerunfreundlicher wären, da aber ebenso ganz gut drüber hinwegbügeln, indem sie einfach so viel Spektakel abliefern, dass niemand mehr nach Kohärenz oder Stringenz fragt. Einen Höhepunkt dieses ebenso unverschämten wie charmanten und erfolgreichen Prinzips stellt nun der 2018er „Jetzt-darf-aber-jeder-mal-ran“-Streifen Infinity War dar.

Das Asen-Raumschiff, in dem sich unter anderem Thor, sein Bruder Loki sowie Bruce „Hulk“ Banner befinden, wird von dem Schurken Thanos angegriffen, der auf der Suche nach den Infinity-Steinen ist. Nachdem die Helden im Kampf gegen den übermächtigen Gegner eindeutig unterlegen sind, gelingt es zumindest Banner noch, in letzter Sekunde zur Erde teleportiert zu werden, wo er die dort ansässigen Superhelden vor der Ankunft Thanos‘ warnen kann. Denn die Erde ist das nächste Ziel des Eroberers, der dort zwei weitere Infinity-Steine vermutet, die er für die Umsetzung eines ebenso größenwahnsinnigen wie grausamen Vorhabens braucht. Und so versuchen die Avengers u.a. Iron Man und Captain America mit Hilfe von Spider-Man, Dr. Strange, Black Panther sowie den irgendwann ebenfalls zu dem Kampf stoßenden Guardians of the Galaxy den mächtigen Thanos aufzuhalten.

Das – immer noch unvollständige – Namedropping lässt es bereits erahnen: In Avengers Infinity War darf praktisch fast jede(r) Mal ran, der/die in den letzten Marvelfilmen einen Auftritt oder einen eigenen Streifen hatte. Entsprechend bunt gemischt ist der Cast, entsprechend divers sind die hier aufeinander treffenden Charaktere und entsprechend lustig, spannend und oft auch unübersichtlich sind die dabei herauskommenden Konflikte und Bündnisse. Der Spaß bei den Avenger- bzw. Crossoverfilmen war es ja eigentlich schon immer, zu sehen, wie Superhelden, die sich vom Charakter sehr ähnlich – oder eben auch grundverschieden – sind, aufeinandertreffen und miteinander interagieren. Und davon gibt es hier reichlich. Insbesondere der Zusammenprall der beiden Alpha-Zyniker Tony Stark und Dr. Strange liefert dabei genau die charmanten Buddy-Hero-Komponenten, die man von einem guten Marvel-Crossover erwartet. Aber auch die gewitzten Verbalduelle zwischen Thor und Star-Lord, sowie das ungewöhnliche Bündnis zwischen Rocket und Bucky Barnes können sich sehen lassen. Aber Marvel bricht hier – Gott sei Dank – mit der Tradition, den Charakteren Verschnaufpausen zu geben, in denen sie sich kennenlernen, miteinander unterhalten und gemeinsam Pläne schmieden können. Stattdessen gehen Spektakel und Interaktion eine im Comicfilm so noch nicht gesehene Fusion ein. Dialog, Action, Kampf, Anfreunden und Spektakel finden gleichzeitig statt. Im Grunde genommen sind die großen Actionszenen immer auch Charakterexpositionen und Charakterzusammenführungen. Und damit ist der Film so dicht am Prinzip (Marvel-)Comic wie noch keine Comicverfilmung zuvor. Denn seien wir doch mal ehrlich, die meisten – sowohl klassischen als auch modernen und postmodernen – Marvelcomics bieten genau das: Panels auf denen die Dialoge während der Handlung stattfinden: Helden die kämpfen, fliegen, Probleme lösen und sich gleichzeitig unterhalten, gerade so als wollten sie auf Teufel komm raus ihre Multitaskingfähigkeiten unter Beweis stellen. Es liegt natürlich an den divergierenden Dispositionen der Medien Comic und Film, dass Superheldenfilme die narrativen Konzepte der Vorlagen nie 1:1 umgesetzt und stattdessen immer Verschnaufpausen zwischen den Spektakelszenen geliefert haben, eben so wie man es vom klassischen Blockbusterkino kennt. Das ist bei Infinity War anders:

Marvel ist es endlich gelungen, das Prinzip seiner Comics vollends ins große Blockbusterkino zu übertragen. Infinity War ist ein Film für Kenner. Wer die vorherigen Filme des Marvel Cinematic Universe nicht gesehen hat, dürfte sich des öfteren überfordert fühlen, angesichts der zahllosen Figuren, ihrer Beziehungen zueinander und den Geschichten, die sie miteinander oder unabhängig voneinander erlebt haben, auf die innerhalb der großen Actionszenen immer wieder referiert wird. Denn ruhige Exposition gibt es hier nicht: Stattdessen setzt der Film voraus, dass man mit den Figuren, ihren Handlungen und ihrer Geschichte einigermaßen vertraut ist, um dann zu dem zu kommen, was auch die meisten Shared Universe Comics auszeichnet: Pure Action, pures Spektakel. Panel für Panel, Seite für Seite: Ein Konzept, das bis dato absolut ungeeignet schien für das breite Kinopublikum, das bei aller sinnlosen Unterhaltung eben doch auch Erklärung, Nachvollziehbarkeit und die Möglichkeit zur Empathie fordert. All dies gibt der Film nur denen, die das Universum und seine Protagonisten kennen. Das ist in dem Fall keineswegs negativ zu verstehen, denn wie gesagt, es trifft das Prinzip der Comicvorlagen wie kein Marvel-Film zuvor.

Die beiden größten Probleme, die sich dabei ergeben, löst Marvel auf äußerst elegante Weise: Problem Nummer eins: Es wird fucking unübersichtlich, oft chaotisch, oft hektisch und der Zuschauer verliert schnell den sowieso nur lose vorhandenen roten Faden. Problem Nummer zwei: Kein Held bekommt ausreichend Leinwandzeit um als narratives oder gar emotionales Zentrum des Films den Zuschauer an der Hand zu nehmen. Die Lösung beider Probleme verbinden sich in Infinity War mit einem Namen: Thanos. Mit seinem aberwitzigen Plan und größenwahnsinnigen Eifer diesen umzusetzen bekommt ausgerechnet der Villain hier die meiste Leinwandzeit spendiert. Aber mehr noch: Gerade durch seine familiäre Verbindung mit einer der Heldinnen – und einer großartig traurigen Szene zwischen den beiden – wird Thanos zum emotionalen Fixpunkt des übervollen Spektakels. Viel wurde vorher spekuliert, ob die Rolle des galaktischen Oberbösewichts den großspurigen Ankündigungen (immerhin warten Fans dank diverser Teaser schon mehrere Filme lang auf seine Ankunft) und dem daraus entstandenen Hype gerecht werden würde. Sie tut es. Thanos ist ein großartiger, charismatischer Oberbösewicht, dessen Motivation stets nachvollziehbar – und damit umso beängstigender – ist. Zudem ist er verdammt charmant, gleichzeitig getrieben, durchaus ambivalent und dazu noch – zumindest wenn man diversen Fanzines glaubt – verdammt sexy. Ob es sich nun wirklich um den besten Superbösewicht der Marvel-Filme handelt, sei dahin gestellt, aber noch nie konnte ein Villain derart einen Film dominieren, was wie bereits erwähnt einfach daran liegt, dass die Guten sich weitaus weniger Leinwandzeit weitaus paritätischer teilen müssen, während Thanos selbst in seinen Szenen alleinig glänzen darf.

Also alles richtig gemacht? Nee, ein bisschen Gemecker muss sein, und so spektakulär und vor allem konsequent Infinity War auch ist, gehört er dann doch nicht zu den allerbesten Filmen des Marvel Universe, zieht auch gegen den diesjährigen Black Panther und den letztjährigen Thor Ragnarok den Kürzeren: Zum einen ist es gerade die spektakuläre Seite des Films, die weitaus unverhohlener als in vorausgegangenen Werken deutlich aufzeigt, wie Marvel gerne mal die narrative Substanz auf dem Weg zum größten Spektakelkino verloren geht: Klar, das hier ist immer noch eine Comicverfilmung und allzu große Tiefe braucht man dabei nicht zu erwarten. Aber vorangegangenen Filmen – zum Beispiel selbst den schwächeren Teilen der Iron Man Reihe oder auch dem großen Crossoverstreifen Civil War – ist es weitaus besser gelungen, ein wenig politische oder zumindest moralische Fragestellung innerhalb des Storygerüsts zu platzieren. An dieser versucht sich Infinity War zwar auch, bleibt dabei aber weitaus offensichtlicher an der Oberfläche als seine Ahnen. Zum zweiten endet Infinity War mit einem großen Knall, und der muss – ohne zu viel zu spoilern – natürlich ein Cliffhanger epischen Ausmaßes sein. Passt ja zur radikalen Orientierung an den Comicheftchen: Wir starten mitten im Geschehen, wir enden mit einem großen Fragezeichen. Hier überspannt dieser Avengers-Film den Bogen allerdings so sehr, dass wenig von der bemühten Aufregung übrig bleibt. Das Ende von Infinity War ist einfach zu krass, zu episch und damit eben auch ein Strang der ganz offensichtlich ins Nichts führt, ins Achselzucken, weil klar ist, dass die Auflösung des Cliffhangers eben auch so radikal sein muss wie der Cliffhanger selbst und damit leider eine gewisse Beliebigkeit in das gesamte Universum pflanzt.

Aber genug gemeckert: Avengers Infinity War ist großes, unterhaltsames Spektakelkino und zudem verdammt mutig und auch ziemlich unverschämt bei seinem Haupttrademark, dichter am Prinzip eines Marvel Comicheftes zu sein als jeder Marvel-Film davor. Mit Sicherheit nicht der beste Blockbuster des Jahres und auch nicht der beste Film aus dem Marvel Cinematic Universe, aber auf jeden Fall der lauteste, pompöseste und wagemutigste. Und zudem ein großes episches Finale für 10 Jahre und 18 Filme tolles Marvel-Superheldenkino.

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