Rezension zu Captain Marvel (2019)

Nein! Ich habe keine Lust mich schon wieder mit dem Diskurs um einen vermeintlich aus der Reihe tanzenden Blockbuster zu beschäftigen. Echt jetzt! Muss das schon wieder sein? Ich meine, bei dem Ghostbusters-Reboot war es ja noch ganz nett, sich mit dem Gezeter lange vor Kinostart auseinanderzusetzen, da habe ich sogar noch fröhlich mitdiskutiert. Und bei Black Panther (2018) habe ich die Shitstorms zumindest mitlesenderweise verfolgt. Aber hier habe ich nun wirklich keinen Bock drauf. Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, das einem ein aufgebrachter Internetmob entgegenwirft. Das ist einfach nur verschwendete Zeit. Ich werde das einfach ignorieren und… verdammt! Zu spät. Jetzt habe ich doch gegraben und fühle mich nur in meiner Verweigerungshaltung bestätigt. Really? Eine Superheldin, die angeblich zu wenig lächelt? Ein aus dem Kontext gerissenes Zitat einer Hauptdarstellerin, nicht einmal des Regisseurs, um einen Film von vornherein abzulehnen? Wieder massenhaft Downvotes, bevor der Film überhaupt zu sehen war (Jaja, es geht um die „Will ich sehen“-Kategorie bei Rotten Tomatoes, macht aber letzten Endes auch keinen Unterschied)? Und dann rumheulen, wenn die Medien das Spiel „Wir wollen, dass ein Film Misserfolg hat, weil er nicht in unsere Blase passt“ nicht mitspielen? Das ist mir echt zu dumm, daran groß Energie zu verschwenden.

Es ärgert mich vor allem, weil ich das Gefühl habe, nur deswegen vor die – Achtung! Triggerwarnung für alle feminismushassenden Crybabies – jetzt sehr wohlwollend ausfallende Rezension den Disclaimer setzen zu müssen, dass ich Ghostbusters (2016) arg unterdurchschnittlich fand, obwohl ich mich bezüglich der Idiotie im Vorfeld voll auf die Seite der SJWs, Feministinnen und Mobkritiker geschlagen habe. Dass ich absolut auf der Seite derer bin, die es idiotisch finden, einen Film im Vorfeld abzuwerten, nur weil der Trailer nicht passt. Und dass ich es absolut unglaubwürdig finde, dass der abwertende, den Film verdammende Mob andere Motive als verklausulierten Sexismus hat. Dass ich glaube, dass die konservativen Nerds, die Filmen wie Captain Marvel oder Ghostbusters größtmögliches Scheitern wünschen, einfach einen Stock im Arsch haben und einfach nicht damit klarkommen, dass es neben den fucking zahllosen männlichen Heroen jetzt auch mal ein oder zwei Blockbuster gibt, in denen Frauen im Zentrum stehen. Und dass ich diesen Film dennoch unvoreingenommen bewerten kann. Dass ich mir natürlich einen guten Film wünsche (Echt mal, wer tut das nicht). Aber trotzdem keine Scheu habe zu schreiben, dass der Film Murks ist, wenn er denn Murks ist. NACHDEM ich ihn gesehen habe. Verdammt nochmal! Echt jetzt, ihr seid Idioten, und solltet aufhören, euch mit Filmen, Filmkritik und Filmdiskurs auseinanderzusetzen; einfach, weil ihr es nicht könnt und das mit einer dummen Mobmentalität zu kompensieren versucht.

Und ich werde jetzt diesen Film schauen, und wenn ich ihn schlecht finde, werde ich das schreiben, und wenn ich ihn gut finde, werde ich das auch schreiben… und ihr ganzen Anti-SJW-Heinis, Gamergater und Mistgabel- und Fackelhochhalter könnt mir mal gehörig den Buckel runterrutschen. Und weiter gehts…

Die unter Gedächtnisverlust leidende Kree-Soldatin Vers (Brie Larson) kämpft an der Seite ihres Mentors und Commanders Yon-Rogg (Jude Law) in einem intergalaktischen Krieg gegen die Skrulls, die durch ihre formwandlerischen Eigenschaften eine große, terroristische Bedrohung für die gesamte Kree-Zivilisation darstellen. Dabei versucht sie ihre außergewöhnlichen Kräfte – Photonenstrahlen, die sie aus ihren Händeb feuern kann – besser kontrollieren und einsetzen zu können. Bei ihrem jüngsten Einsatz gerät Vers jedoch in einen Hinterhalt und wird von dem Skrull Talos (Ben Mendelsohn) gefangen genommen. Mit einer ebenso komplexen wie mächtigen Maschine wirft dieser einen Blick in die Erinnerung von Vers. Denn anscheinend kannte Vers in ihrer Vergangenheit eine Erdenwissenschaftlerin (Annette Bening), deren Erfindung den Skrulls im Krieg zum endgültigen Sieg verhelfen könnte. Die Maschine offenbart nicht nur das, sondern auch, dass Vers selbst eine ausschweifende Vergangenheit auf der Erde hatte, von der sie wegen ihrer Amnesie bisher nichts wusste. Doch bevor sich weitere Erinnerungen offenbaren, gelingt es Vers sich aus der Maschine zu befreien. Auf ihrer Flucht stürzt sie gemeinsam mit Talos und einigen anderen Skrulls auf der Erde der 90er Jahre ab. Diese ergreifen natürlich die Gelegenheit, um nach Lawsons Erfindung zu suchen, während Vers alles daran setzt sie aufzuhalten. Unterstützung erhält sie dabei von Nick Fury (Samuel L. Jackson) und seiner Organisation S.H.I.E.L.D.

Um das gleich vorweg zu sagen, bevor ich hier tiefer eintauche: Allen Unkenrufen zum Trotz, Captain Marvel gehört meiner Meinung nach mit Sicherheit in die Top 10 der MCU-Filme, wahrscheinlich sogar in die Top 5. Überraschend ist dabei vor allem, dass er als Prequel auf irgendwie alles, was mit den Avengers zusammenhängt, verdammt überzeugend funktioniert. Nichts wirkt hier auf den Avengerskosmos draufgepfropft, nichts schreit nach künstlichem Überbau oder gewolltem Bindeglied zwischen Infinity War und Endgame. Nein, obwohl er der jüngste Marvel-Film ist und zugleich lange Zeit vor den ersten Avenger-Ereignissen angesiedelt wird, reiht er sich äußerst anschmiegsam in die Franchise ein. Und was dann obendrauf noch passiert: Er ist nicht nur Bindeglied sondern funktioniert auch als eigenständiger Superheldinnenfilm ganz und gar hervorragend.

Leicht hat er es dabei nicht: Denn Captain Marvel – die Comicheldin – kämpft im Grunde genommen mit dem Superman-Problem. Sie ist eigentlich hoffnungslos overpowert und deshalb müssen die Geschichten um sie herum einen Weg finden, ihre Kräfte in Zaum zu halten, zu stören oder einfach mal komplett zu rauben. Captain Marvel – der Film – löst dies, indem er Marvel als eine Reckin präsentiert, die ihr Potential erst noch entfalten bzw. grundsätzlich kennenlernen muss. Dabei gelingt es ihm bis zum großen Finale, die Protagonistin nie zu stark, aber auch nie zu schwach erscheinen zu lassen. Allerdings ist der Wandel von der in Ketten gelegten zur voll ausgespielten Stärke etwas zu ruppig, zu direkt. Eine tatsächliche Entwicklung findet dadurch weniger statt und wir landen zu schnell von 50% auf 100%. Eine hundert Prozent, die – das sei noch angemerkt – erwartungsgemäß so stark ist, dass es zukünftige Filme mit Captain Marvel deutlich schwerer haben werden, eine nicht zu überstarke Heldin das Kampfgeschehen dominieren zu lassen.

Besser als die Kräfteentwicklung ist die emotionale Entwicklung der Heldin gelöst, auch wenn es hier ebenso zu einigen Stolpereien kommt. Das Gimmick des Films schlechthin sind hierbei seine Flashbacks, mit denen Vers/Carol/Captain nach und nach Vergangenheit und Charakter bekommt. Hier offenbart der Film nie zu viel und nie zu schnell, wirft auch die ein oder andere – nicht nur für Fans der Comics leider vorhersehbare – Überraschung ein und entfaltet sehr geschickt die Hintergrundgeschichte der Heldin, ohne sie zu platt und zu ausführlich ausdeklinieren zu müssen. Wenn die Teile sich schließlich in ihren Kernszenen zu einem großen Ganzen zusammenführen, erhält das Publikum eine sehr glaubwürdige, organische und runde Story Arc, in der zudem noch viel Potential für zukünftige Stärke und Ambivalenz des Charakters steckt. Gestolpert wird dann auch weniger in den Flashbacks als viel mehr in der Hier-und-Jetzt-Handlung, in der einige emotionale Bindungen etwas zu holprig übers Knie gebrochen werden und nie so ganz glaubhaft rüberkommen. Das betrifft vor allem die revitalisierte Freundschaft zwischen Carol und Maria (Lashana Lynch). Spannender als emotionales Epizentrum jenseits der Flashback sind da schon das gelungen eingebaute Refugee-Thema und der weibliche Empowerment-Subtext, die beide gut in die Handlung integriert sind, nie störend hervorgehoben werden und dennoch für einige herzerwärmende Momente gut sind.

Das liegt vor allem am exzellenten Schauspiel. Ja, man kann Brie Larsson durchaus eine gewisse Steifheit und auch Hölzernheit unterstellen. Die passt allerdings äußerst gut zu ihrem Charakter. Das ganze Fish-out-of-water-Szenario wird hier Gott sei Dank nicht wie in Wonder Woman (2017) mit peinlicher Naivität oder wie in Thor (2011) mit derbem Holzhammerhumor erzählt, sondern stattdessen mit einer großartigen Lakonik und Gelassenheit, die noch am ehesten an Terminator 2 (1991) erinnert. Auch wenn Vers keine Maschine ist, steht ihr diese Haltung ausgesprochen gut zu Gesicht: Immerhin handelt es sich hier um eine kalte und überlegene Weltraumsoldatin, für die die Erde auch nur ein weiterer Kriegsschauplatz darstellt. Larsson setzt diese lakonische Überlegenheit mit viel grimmigem Charme und einer herrlichen Badass-Attitüde um. Unterstützt wird sie dabei von einem großartigen, gut gelaunt aufspielenden Samuel L. Jackson, dessen mit CGI verjüngtes Gesicht derart überzeugend umgesetzt ist, das die Tricktechnik dahinter eigentlich gar nicht erwähnt werden müsste. Aber auch die Nebencharaktere überzeugen. Ben Mendelsohn verkörpert seinen Talos sowohl ambivalent als auch charmant und präsentiert damit einen der sympathischsten Villains des MCU überhaupt. Und auch Jude Law und Annette Bening überzeugen als zwielichtige Verbündete/Antagonisten, deren wahren Motive man sich nie so ganz sicher sein kann. Und einen Akteur wollen wir nicht vergessen: Die 90er Jahre. Klar, wird hier ein wenig auf den Retro/Nostalgie-Zug von Stranger Things und Konsorten aufgesprungen, aber auch in diesem Fall funktionieren die Referenzen und Reminiszenzen und lassen das ganze Szenario zu einem unterhaltsamen Vergnügungspark für alle jenseits der 30 – und ein absurdes Kuriositätenkabinett für alle Jüngeren – werden

Was Captain Marvel aber so richtig stark macht und auch in meiner generellen MCU-Topliste nach oben katapultiert ist sein Pacing, seine Art mit den verschiedenen Genreeinflüssen und Motiven umzugehen. Marvel-Filme jonglieren seit jeher mit unterschiedlichen Komponenten und versuchen diese in Einklang zu bringen. Oft gibt es jedoch Momente, die dominieren. Bei den letzten großen Marvel-Filmen war das z.B. der absurde Humor (Thor Ragnarok) das epische Drama (Black Panther) oder die atemlose Action (Infinity War). Selbst wenn Captain Marvel nicht der beste aller MCUs ist, so ist er doch der, am besten die verschiedenen Genres unter einen Hut bringt.
– Das Epische: In dem vorgelagerten Science Fiction Szenario, zu dem er später im Finale wieder einen großen Bogen schlägt.
– Das Emotionale, Dramatische: In den absolut gänsehauttauglichen Flashbacks, aber auch in dem politischen Subtext rund um Flucht, Vertreibung und die bedingungslose Liebe für die eigene Familie
– Das Komische, Absurde: Natürlich in den 90er Referenzen, aber auch in dem sau lustigen Buddymovie-Mittelteil, in dem sich Fury und Vers verbalen Schlagabtausch um verbalen Schlagabtausch liefern, in den großartigen Villain-Momenten von Talos und zuletzt in dem wohl irrsten Catcontent der gesamten Filmgeschichte
– Die Action… natürlich die Action: Die darf bei Marvel-Filmen nicht fehlen. Die kommt hier zwar zwischendurch ein bisschen kurz, glänzt dann aber doch unter anderem in einer fantastisch bizarren Verfolgungsjagd kurz nach der Landung auf der Erde, und natürlich im – wie (fast) immer – atemberaubenden Finale.

Captain Marvel findet hier ein verflucht gutes Pacing, lässt alle Komponenten miteinander, gegeneinander und auch durcheinander spielen. Darf zwischendurch absurde, schreiend komische Komödie sein, zurück zum menschlichen Drama finden und dann doch wieder eine Menge Spektakel mit viel Action abfeuern. Selbst wenn er mal weit in eine Richtung kippt – und das kommt mehr als einmal vor – findet er immer genau im richtigen Moment den richtigen Knopf, um seine Balance wieder herzustellen. So harmonisch, so ausgereift und ausgeglichen war Marvel noch nie. Das mag dann mitunter allerdings ein wenig auf Kosten der Einzigartigkeit gehen. Wo andere Marvels sehr eigenständige Charakteristika hatten, wirkt Captain Marvel mitunter fast wie eine Blaupause für einen gelungenen Superheldenfilm, dem ein wenig das eigene Gesicht fehlt. Wäre man böse, könnte man das generisch nennen, irgendwie passt diese Konsensästhetik allerdings zu dem Film, der sich dezidiert als Bindeglied zwischen den beiden großen Avenger-Spektakeln versteht. Ja, ein bisschen mehr Mut wäre schön gewesen, ein bisschen mehr Eigenständigkeit auch; wenn aber derart gekonnt alles zusammenfließt, was das Marveluniversum auszeichnet, darf auch mal über einen Mangel an unique eye candy hinweg geschaut werden.

Captain Marvel ist ein bockstarker MCU-Film, der perfekte Einstand für Carol Danvers und ein großes Versprechen für die Zukunft. Wenn es Marvel selbst im 21. Film noch schafft derart kurzweilig, unterhaltsam, spannend, actionreich, dramatisch, spektakulär etc. zu sein, dann dürfen sie auch gerne noch 20 weitere solcher Filme rausbringen. Es bleibt dabei: Die besten Blockbuster der letzten Jahre kommen einfach aus der Comicschmiede; egal ob Sommer, Herbst, Winter, oder wie in diesem Fall Frühling.

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