Virtueller Zauber – Rezension zu Steven Spielbergs Ready Player One

Es ist ein beliebtes Narrativ der Nerdkultur, in irgendeiner Form zur kulturellen Avantgarde zu gehören: Die dummen Mainstreamschafe sind halt doch die anderen. Wir dagegen, die wir unseren Campbell gelesen, unser klingonisch studiert und unseren Stan Lee gesammelt haben, haben in den letzten Jahrzehnten unseren ganz eigenen, distinguierten Geschmack entwickelt: Wir kennen diverse Marvel-Multiversen, wir wissen, wie Star Wars verkümmern konnte und wie es gerettet werden sollte, wir haben alles gespielt, von Space Invaders bis Uncharted und können es uns daher auch erlauben, mit gewisser Verachtung auf all die Blockbustergänger, Michael-Bay-Fans und Fifa-Zocker herabzublicken. Dabei übersieht man doch allzu gerne, dass die Nerdkultur nicht nur einfach Teil des Mainstreams geworden ist, sondern schon immer Teil der Mainstreamkultur war. Bei Back to the Future, der Figur des Supermans und dem Nintendo Entertainment System handelt es sich eben nicht um besonders avantgardistische Nischenkunstwerke, sondern seit jeher um Unterhaltung für die breiten Massen mit beträchtlichem Erfolg (was sie freilich nicht weniger wertvoll macht). Auftritt: Steven Spielberg. Dieser tritt nämlich mit der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ernest Cline – Ready Player One (2011) – den endgültigen Beweis an, dass sich Nerd- und Popkultur nicht nur perfekt vertragen, sondern auch eine wundervolle Ehe ohne Wenn und Aber eingehen können.

Die Erde im Jahr 2045: Während große Umweltkatastrophen und Wirtschaftskrisen dazu geführt haben, dass der ärmste Teil der Menschheit in dystopischen, aufeinandergestapelten Slums dahin vegetieren muss, hat sich parallel dazu eine technisch beeindruckende Virtuelle Realität entwickelt, in der so ziemlich jeder Erdenbürger sein Second Life findet: OASIS ist eine Mischung aus Virtual Reality, Internet, Online-Spielarena und virtuellem Marktplatz. Die Besucher sind dort mit ihren selbsterstellten Avataren unterwegs, sammeln Coins, spielen miteinander und gegeneinander und investieren das so verdiente Geld, um sich mit allerlei virtuellen Gütern auszustatten. Erfinder dieses Wunderlandes ist James Donovan Halliday, der kurz vor seinem Tod ein Easter Egg in OASIS versteckt hat: Der Spieler, der als erster drei Schlüssel findet, erhält das gesamte Erbe des Schöpfers, inklusive voller Kontrolle über dessen Schöpfung. Kein Wunder, dass sich – mittlerweile seit mehreren Jahren – zahllose Spieler auf die Suche nach dem verborgenen Schatz begeben. Einer davon ist Wade bzw. Parzival, der Haliday abgöttisch verehrt und dementsprechend einen großen Wissensschatz über sein Idol aufgebaut hat. Gemeinsam mit seinen Freunden – der großen Streamerin Artemis und dem Mechaniker Aech – kommt er dem Schatz erstaunlich nahe. Allerdings hat sich bereits die evil Corporation IOI an ihre Fersen geheftet: Deren CEO Nolan Sorrento setzt alles daran, die OASIS in seine Finger zu bekommen und geht dabei über virtuelle und sogar reale Leichen.

Im Prinzip lässt es sich ja schon ganz gut an der dünnen Story erkennen: Diese steht hier nicht im geringsten im Mittelpunkt. Steven Spielberg geht es in Ready Player One um etwas anderes: Schauwerte, Schauwerte und natürlich auch viel Spektakel. Verübeln kann man es ihm nicht, eignet sich doch kaum ein anderer Stoff derart gut, um eine riesige, bunte, laute und überdrehte Spielwiese hochzuziehen, voll mit Action, Staunen und voller nerdkultureller Referenzen. Von diesen Möglichkeiten macht Spielberg in der Folge dann auch ordentlich Gebrauch. Dass der große Meisterregisseur ein Freund von Zitaten, Hommagen und Reminiszenzen ist, hat er in der Vergangenheit ja oft genug unter Beweis gestellt, so wie hier durfte er aber seit Indiana Jones nicht mehr aus den vollen schöpfen: Akira, Zurück in die Zukunft, Atari, Nintendo, Unreal, Godzilla… die Liste an zitierten Kunstwerken ist lang und muss natürlich jedem selbsternannten Nerd einfach die Freudentränen in die Augen treiben. Dabei geht Ready Player One aber nicht den Weg vieler Nerdfilme, seine Referenzen als Insider Jokes für die Eingeweihten gut zu verstecken. Im Gegensatz zu Filmen wie Scott Pilgrim ist Ready Player One keine „Entdecke das Zitat“-Schnitzeljagd, stattdessen gibt es die Zitate gleich „In your Face“, nicht selten auch gleich mit der passenden Kontextualisierung. Das sorgt dafür, dass der Film auf dieser Ebene mitunter fast wie ein „Nerdkultur für Dummies“ daherkommt, tatsächlich verbergen sich in all der Action zahllose Infotainment-Schnipsel, die mal so eben en passant den Zuschauer einiges über die Geschichte der Videospiele lehren, oder ihm erklären, was Gefährt XY kulturell und historisch so besonders macht. Das geht dann leider auch an der ein oder anderen Stelle so weit, dass man sich als Zuschauer unweigerlich für dumm verkauft fühlt und sich etwas weniger Exposition und Explaination wünscht; immerhin soll das ganze doch Spaß machen und nicht zu einer Einführungsveranstaltung für die letzten 40 Jahre Nerdkultur verkommen.

Keine Sorge, trotz seines Infotainment-Charakters macht Ready Player One in erster Linie Spaß und das liegt natürlich an den bereits erwähnten Schauwerten und dem großen Spektakel. Obwohl sowohl Welt als auch Charaktere im Großteil des Films am Computer entstanden sind (spielt er doch zu 70% in der virtuellen Welt OASIS), gelingt es ihm den Zuschauer von Anfang an gefangen zu nehmen. Kein Wunder: Selten war im Kino eine derart organisch faszinierende künstliche Welt zu sehen: Die OASIS ist bunt, unfassbar bunt, leuchtend, schillernd und geizt nie mit großen optischen Reizen. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, warum praktisch die gesamte Menschheit von dieser Virtual Reality besessen ist, ist sie doch einfach eine riesige Wundertüte, in die man sich genüsslich hineinwerfen und in der man ohne Probleme verloren gehen kann. Da stört es auch nicht, dass die entworfene Welt – sowohl die virtuelle als auch die reale – im Grunde genommen voller Logiklöcher steckt, auf der narrativen Ebene komplett unplausibel ist; nie über den Status einer wilden Fantasterei hinauskommt, egal ob ökonomisch, sozial oder politisch. Geschenkt: Sie sieht einfach so gut aus, dass man als Zuschauer ohne Probleme die Suspension of Disbelief aktiviert und sich verzaubern lässt.

Der klassische Spielberg-Zauber ist hier tatsächlich omnipräsent: Trotz CGI, trotz Achterbahnspektakel, trotz neumodischem Schnickschnack und Nerdyness: Ready Player One weiß es, sein Publikum zu verzaubern und damit auch über zahllose Schwächen hinwegzuzaubern: Die ziemlich simplen Charaktere? Geschenkt. Die Nebenfiguren, die zur reinen Staffage verkommen? Hex Hex. Die viel zu plumpe Schwarz-Weiß-Zeichnung und das abgedroschene Gut/Böse-Schema? Abrakadabra. Die ständig verpasste Chance, tiefgehende Sozialkritik zu üben oder metatextuell clevere Witze zu reißen? Tada! All das verblasst angesichts des großen Leinwandzaubers, der hier rund um die Uhr stattfindet. Ready Player One hat ein unglaublich vereinnahmendes Pacing, einen grandiosen Rhythmus, einnehmende Dialoge und – man kann es gar nicht oft genug sagen – faszinierende Bilder. Klar, das ist alles flach; flacher geht es kaum. Aber wenn es eine Blaupause für einen flachen und dennoch mitreißenden Nerdkulturblockbuster gibt, dann ist es dieser hier. Auch in Zeiten von Playstation 4, Oculus Rift und dem Mavel Cinematic Universe ist die Referenz für große, zauberhafte und epische Blockbuster immer noch Steven Spielberg. Und so bleibt erneut einfach nur zu sagen: Vielen Dank du großer Magievirtuose!

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