Nerdfilm-Kurzrezensionen: Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt, Sucker Punch, Kick-Ass

Üblicherweise kommen die Filme bei den Kurzrezensionen ja aus den verschiedensten Genres und haben keinen direkten Zusammenhang untereinander. Das ist in diesem Fall anders. Die drei Filme, die ich hier rezensieren möchte, fallen nicht nur in ein gemeinsames vages Genre, das man mit Fug und Recht als Nerdfilm bezeichnen könnte, sie leiden auch alle drei genau deswegen – mal mehr, mal weniger – unter dem selben Problem: Dem forcierten Awesomeness-Faktor, der in einem Fall die Qualität des Films eher steigert, in dem anderen die gute Grundidee torpediert und im dritten Fall schließlich für ein peinliches Beinahe-Disaster sorgt. Scott Pilgrim vs. the World, die Verfilmung eines in Nerdkreisen kultig verehrten Comics, Kick-Ass die Reinterpretation von Superheldenmythen in Zeiten des Nerds und Sucker Punch, das versuchte und gescheiterte Metastatement sind für sich jeweils Filme, die direkt am Puls der Zeit sitzen, den aktuellen kulturellen Diskurs der Popmoderne – oder eben Nerdkultur – widerspiegeln und zugleich für ihre eigene Vermarktung ausnutzen. Aber wie viel steckt tatsächlich hinter diesen Streifen?

Kick-Ass  [Matthew Vaughn]

(USA 2010)

Als ich mich zu Ende des 00er Jahrzehnts auf kommende potentielle Kultfilme freute, stand Kick-Ass ganz oben auf der Liste. Kein Wunder: Die Geschichte von dem Durchschnittsteenager Dave, der beschließt Superheld zu werden – ohne dass er irgendwelche besonderen Kräfte oder Fertigkeiten besäße – besitzt an und für sich schon mehr als genug nerdy Power, um ein vergnügliches Filmerlebnis zu garantieren. Hinzu kommen eine um sich schießende zwölfjährige Göre, die zusammen mit ihrem zwiespältigen Vater für den nötigen Schub Kontroverse sorgt und natürlich ein schön durchgeknalltes Setting mit Möchtegernhelden, Möchtegernvillains und viel Freak-Potential. Oh Mann, ich habe mich auf diesen Film gefreut, ich wollte ihn lieben und er erwies sich als eine der großen Enttäuschungen des letzten Jahres. Viel Nerd-Power und nichts dahinter? Woran liegts?

Kick-Ass leidet genau unter jenem Problem, das ich in der Einleitung bereits angesprochen habe… wahrscheinlich sogar am stärksten unter den hier genannten Filmen. Er ist ein Zielgruppenwerk par Excellence. Nerds und Geeks aller Länder vereinigt euch, oder so ähnlich. Dieser Film will – um jeden Preis – die Comicjunkies und Internetgeeks, die Nerds und postmodernen Exploitationfans erreichen. Dabei überschreitet er ein ums andere Mal die Grenzen zur prätentiösen Anbiederung. „Ich bin awesome, ich bin awesome!“, schreit er dem Zuschauer ein ums andere Mal ins Gesicht, und dieser hat irgendwann gar keine andere Möglichkeit als sich leicht angewieder ob so vielen Geschleimes zurückzuziehen. Es ist eine Sache, Themen und Motive der Nerdkultur aufzugreifen. Eine völlig andere ist es, diese penetrant und durchkalkuliert herunter zu dividieren, ohne Gefühl für die richtige Stimmung und vor allem die notwendige Portion Zurückhaltung.

Aber Kick-Ass leidet noch unter einem anderen Problem, und mit diesem befindet er sich in guter Gesellschaft mit dem missglückten Anti-Superheldenfilm Hancock (2008). Genau wie die Will Smith One-Man-Show beginnt Kick-Ass spaßig, dekonstruktivistisch, parodiert perfekt Formeln und Klischees des Superheldenkinos. Und genau wie sein Bruder im Geiste ruiniert er diese guten Ansätze während seiner Laufzeit: Er wird ernst, spannend, versucht doch noch eine klassische Superheldengeschichte zu erzählen und landet dabei in den selben Genre-Fallstricken, die er zuvor noch so genüsslich zerrissen hat. Hancock war bis zu der – viel zu frühen – Wandlung seines Superhelden eine sau unterhaltsame Parodie voller Action und Spaß. Dann wurde er zum unerträglichen düsteren Pathoswerk. Ganz so schlimm trifft es Kick-Ass nicht, aber auch dieser fährt sich selbst in den Spaß, spätestens mit dem Auftauchen von Big Daddy und Hit Girl. Trotz Provo-Faktor wird er dabei bieder, fast schon formelhaftes Heldenkino; und jeder dekonstruktivistische Spaß ist beinahe vergessen.

Kick-Ass ist kein schlechter Film, bleibt aber weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Der aufgesetzte Nerd-Faktor, der großflächige Wandel von der Satire zum bemühten Actioneer schießt sich selbst ins Bein. Ein leider gerade mal mittelmäßiger Film und ein ärgerlicher Genreschwenk, der viel zu bemüht darum ist, awesome zu sein, um jemals richtig fesseln zu können.

Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt [Edgar Wright]

(USA 2010)

Was bei Kick-Ass so gar nicht gelingen mag, funktioniert bei der tolldreisten Comicverfilmung „Scott Pilgrim vs. the World“ erstaunlich gut. Dabei sind die Voraussetzungen fast identisch. Auch Scott Pilgrim vs. The World basiert wie Kick-Ass auf einem Comic, auch Scott Pilgrim kennt die Nerdkultur und setzt deren Memik und Ikonographie mehr als einmal ein. Er will ebenso nerdy, geeky und vor allem awesome sein. Im Vergleich zu der Superheldenverfilmung hat er aber einen gewaltigen Vorteil: Er schätzt seinen Protagonisten, leidet mit ihm mit und verliert nie die Empathie für dessen Sorgen und Nöte: Das ist keineswegs selbstverständlich, aber irgendwie gelingt es dem Film hinter der knallbunten Comicfassade und Videospielästhetik eine klassische Coming-of-Age-Geschichte zu erzählen, die sich abseits des gehobenen Awesome-Faktors als astreine Tragikomödie entpuppt.

Scott Pilgrim will eine Frau für sich gewinnen und muss dafür ihre sieben teuflischen Ex-Lover besiegen. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: In gigantischen Duellen, die zwischen Star Wars, Beat Em Up und genereller Videospielästhetik oszillieren. Das klingt derart Gaga, dass es schon fast an ein Wunder grenzt, wie feinfühlig der Kampf des 22jährigen gegen den Rest der Welt sein psychologisches Sujet erzählt. Nicht nur in der Rahmhandlung sondern auch in den Kämpfen selbst werden klassische Ängste und Komplexe thematisiert: Das Gefühl nicht gut genug für die Angebetete zu sein, die Angst im Schatten eines großen Ex-Lovers zu stehen, die eigene Verklemmtheit, die eigene Schüchternheit… Edgar Wright kennt sein Publikum und weiß um die Probleme der Mittzwanziger-Nerdgeneration. Dadurch erhalten die feurig bunten Schlachten eine Metaebene, die gar nicht hoch genug geschätzt werden kann: Eben nicht nur weil sie nicht mit Genrereferenzen und Geekstuff geizt (das auch), sondern primär, weil sie sich direkt in die Lebenswirklichkeit des postmodernen Nerds, jenseits von Capcom, Marvel und Tatooine begibt.

Somit gelingt es Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt die Ästhetik der Nerdkultur einzusetzen, um zu deren Exegeten vorzudringen: Zu ihrem Herz, zu ihrem Verstand, zu ihren Traumata und Wünschen. Ein gewagter Balanceakt, der vollends aufgeht: Im Gegensatz zu Kick-Ass ist die Verfilmung von Bryan Lee O’Malleys Comic awesome, aber nie zu sehr, empathisch aber nie anbiedernd, spaßig, groß, wild, jedoch ohne ihr Thema oder ihre Zuschauer zu verraten. Und gegen Ende darf man auch einfach nur berührt sein. Ein großes Geek-Fest und noch so viel mehr dahinter. Die Kombination von Nerdkultur und klassischer filmischer Narration kann eben doch gelingen. Und dafür gibts als Fazit ein hochverdientes ‚Awesome!‘.

Sucker Punch [Zack Snyder]

(USA 2011)

„Och nöö… nicht noch ein doofer Sucker Punch Verriss!“ Ja, okay. Machen wir es erst einmal kurz und schmerzlos und packen wir das Fazit gleich vornedran: Ja, Sucker Punch ist kein guter Film. Genau genommen ist Sucker Punch sogar ein ziemlich übles Machwerk: Überreizt, hysterisch, nervtötend, ohne Gespür für Atmosphäre, aufgesetzt und so weiter… aber hier soll es dennoch um ein anderes Moment von Snyders Geek-Desaster gehen. Und diese wird – auch wenn Zack Snyder sich das so sehr wünscht – den Film nicht intellektualisieren. Sucker Punch mag die Intention gehabt haben, Sexismus innerhalb der Nerdkultur zu thematisieren und zu persiflieren. Wenn es denn tatsächlich so war – wahrscheinlich ähnlich, wie Tommy Wiseau mit The Room eine schwarze Komödie inszenieren wollte – dann ist er in diesem Vorhaben grandios gescheitert. Was Sucker Punch jedoch tatsächlich darstellt, ist eine Pervertierung seines eigenen Sujets und seiner Ästhetik. Wenn dies integraler Bestandteil einer von Verteidigern des Films postulierten Metaebene sein soll, so scheitert diese genauso wie die Metaebene in „Natural Born Killers“, die als getarnte Medienkritik eben genau jener Begeisterung anheim fällt, die sie versucht zu dekonstruieren.

Aber nochmal von vorne: Wir sehen Babydoll, wie sie nach einem vollkommen überzogenen Intro in eine geschlossene Anstalt eingeliefert wird, versucht aus dieser zu fliehen und sich dabei in eine Fantasywelt flüchtet, in der sie zur Herbeischaffung der notwendigen Fluchtutensilien tanzen muss… was eine weitere Fantasyebene erzeugt. Metameta… und so weiter. Das Problem des Films besteht insbesondere darin, dass bereits die erste Ebene – die eigentliche Realität – ein vollkommen überzeichnetes Fantasygebilde darstellt, nicht näher an der Realität als die wilden Drachen- und WWI-Kämpfe der dritten Ebene. Vor allem aber ist diese erste Ebene bereits eine verstörende Mischung aus Nerd- und Bravoästhetik. Schnelle Schnitte, heiße Frauen, gemasht mit Videospielflair. und dazu ertönt eine vollkommen glattgebügelte Barbie-Pop-Version von Sweet Dreams. Die gefangenen Mädchen weinen oft und ausgiebig zwischen den Schlachten. Der Nerdy-Awesome-Faktor, der sich unter anderem in dem Gemetzel zwischen unzähligen Zombiesoldaten äußert, wird stets von Bravo-Girl-Romantik und eindimensionalen Foto-Love-Story-Narrationen unterbrochen.

Wie Kick-Ass will Sucker Punch awesome sein, will Sucker Punch Nerd sein und Geek, und sowieso und überhaupt. Aber er will eben auch mehr, mehr von allem: Emo, Gothic, Harry Potter (nicht nur das Filmplakat sondern auch der epische Drachentanz entlarvt die kindlich-naive Fantasyanbiederung), Bravo, MTV, Gesellschaftskritik, ein bisschen Borderline, viel Tagebuchpoesie… Es ist fast schon erschreckend, wie Sucker Punch aus dem Fundus der jugendlichen Subkulturen schöpft. Ohne Rücksicht auf ihre Befindlichkeiten navigiert er die Protagonistinnen wie Puppen durch grotesk überzeichnete Szenarien, Eskapismus über Eskapismus und erliegt dabei der Lust am voyeuristischen Puppenspiel. Und ja, das besitzt eine gewisse Metadurchsetzung. Es ist die Pervertierung des Mashups, das Mehr des Mehr. Es ist die Romantisierung eines wesentlichen Momentes der Nerd-Kultur. In Sucker Punch wird der Eklektizismus der Generation zur Ideologie. Wo Werke wie Scott Pilgrim mit ihren Motiven spielen, diese fallen lassen und nie zu ernst nehmen, erhebt Sucker Punch sie zur Religion. Er ist nicht nur eine Transzendentalisierung der Nerdwelt sondern zugleich deren Universalisierung und Instrumentalisierung.

Kein Wunder also, dass ausgerechnet die Vertreter der Nerd-Kultur besonders erbost auf diesen Film reagierten. Eben nicht, weil er ihnen einen Spiegel vorhält, sie mit ihrem eigenen Chauvinismus konfrontiert, sondern weil er das Spiel zu blutigem Ernst werden lässt (übrigens vollkommen ohne Blut, was dem Bravo-Moment des Films verschuldet ist). Sucker Punch will die kulturellen Motive vereinen. Er ist der pathetische Künstler, der mit den Waffen der Kultur in den Krieg zieht… und dadurch letzten Endes auch ein perfides, böses Werk. Eine Transformation des Dekonstruktivistischen der Nerdkultur in eine Art postmodernen Universalismus. Und damit erschreckend nah dran an den holistischen Kunstvorstellungen der Moderne. In seinem Kern ist Sucker Punch durch diese Zertrümmerungen der Metaebenen ein regressiver, romantischer und (Zack Snyder wies diese Tendenz schon immer auf) totalitärer Film… weniger Spiegelbild einer kulturellen Epoche als viel mehr der Versuch deren Vereinnahmung und Weiterführung… in die komplett falsche Richtung.

Fazit:

Der bewusste Nerdfilm steckt – im Gegensatz zum unbewussten Nerdfilm, den es schon seit Jahrzehnten gibt – noch in seinen Kinderschuhen und leidet dementsprechend unter den hier prognostizierten Schwächen. So lange sich die Schöpfer dieser Filme nicht darauf konzentrieren, neben dem Awesome-Faktor vernünftige Geschichten zu erzählen und mehr zu bieten als knallende Settings und ‚coole‘ Action, wird er es sowohl bei dem handelsüblichen Kinogänger als auch – und insbesondere – bei dem anvisierten Zielpublikum ziemlich schwer haben. Es reicht eben nicht, durchgeknallt, eklektisch, postmodern und verspielt – schlicht awesome – zu sein. Gegen Ende gilt doch das Primat des filmischen Erlebnisses. Und gerade das Zielpublikum, die postmodernen Nerds, lässt sich dies bezüglich nicht so leicht verarschen.

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Erstveröffentlichung: 2011