Filmabriss: Source Code, Paul – Ein Alien auf der Flucht, Wir sind die Nacht

Es gibt mal wieder ein paar neue – und weniger neue – Kinofilme, die durch unseren Filmriss gejagt gehören. Im letzten Filmabriss habe ich mich ja dezidiert mit Nerdfilmen auseinander gesetzt. Und Paul – Ein Alien auf der Flucht, der neue Film von und mit Simon Pegg und Nick Frost hätte auch wunderbar in diesen Artikel gepasst. Ansonsten gibt es noch Source Code, den neuen Science Fiction Mysterythriller von Duncan Jones (Moon), sowie den Vampirthriller Wir sind die Nacht, mit dem die Deutschen auch etwas von dem internationalen Vampir-Hype-Kuchen abhaben wollen. Mit Twilight hat der grimmige Berlin-Film dennoch wenig gemein…

Source Code [Duncan Jones]

(USA 2011)

Der Soldat Colter erwacht desorientiert, ohne Ahnung wie er dorthin gelangt ist, in einem Zug, der gerade durch Chicago fährt. Eine Frau, die er noch nie gesehen hat, spricht mit ihm, und nach wenigen Sekunden muss er feststellen, dass er sich auch in einem fremden Körper befindet. Ehe er die Möglichkeit hat, die Situation einigermaßen adäquat zu erfassen, bricht die Hölle los und der ganze Zug geht in Flammen auf. Corter erwacht wieder, dieses Mal in seinem richtigen Körper, gefesselt an eine High-Tech-Maschine. Soldaten reden über Monitore auf ihn ein, ob er sich erinnere, was gerade geschehen sei, mahnen ihn an die Bombe und den Bombenleger im Zug zu finden… und dann wird er auch schon wieder zurück geschickt. 8 Minuten hat er Zeit für seinen Auftrag, bei dem er nur für kurze Zeit in die Erinnerung einer Person vor deren Tod springt. Und wenn er erfolglos ist, wird er wieder zurück geschickt und wieder und muss jedes Mal die 8 Minuten vor der Explosion des Zuges erneut durchlaufen, bis sein Auftrag erledigt ist.

Und täglich grüßt das Murmeltier trifft Deja Vu. Mysterythriller trifft Zeitreise Science Fiction. Schon die Prämisse der Geschichte lässt erahnen, dass bei Source Code alles drin ist: Von langweiliger 08/15-Zeitreise bis zu gehobenem Mysterykino. Da beruhigt es doch ungemein, dass hier Duncan Jones auf dem Regiestuhl sitzt, der sich mit der bissigen Parabel Moon für einen der besten Science Fiction Filme der 00er Jahre verantwortlich zeichnet. Tatsächlich weist Source Code gleich eine ganze Reihe Parallelen zu Jones‘ Vorgängerfilm auf: Auch hier wird der Zuschauer direkt ins Geschehen geworfen, auch hier spielt die Frage zwischen Schein und Sein eine ganz wesentliche Rolle, insbesondere da Source Code nicht müde wird zu betonen, dass er eben keine Zeitreise erzählt. Dazu kommt das grundsätzlich bedrohliche, existenzielle Szenario, eine Verbündete deren Rolle zwischen Freund und Feind nie so ganz klar ist, und der philosophische, humanistische Subtext, der sich abseits der Haupthandlung allmählich herausschält.

So etabliert sich neben der klassischen Who-dunnit-Frage auch schnell eine weitere Ebene, der Colter während seines Auftrages folgt: „Für wen arbeite ich? Wie bin ich da hinein geraten? Warum erhalte ich so wenig Informationen?“ Die Auflösung dieser Fragen hat einen satten Mindfuck-Plottwist zur Folge, dessen Konsequenzen ähnlich wie bei Moon im Film selbst nie direkt abgehandelt werden, danach aber noch genug Platz fürs eigene Kopfkino lassen. Im Mittelpunkt steht derweil gehobene Science Fiction Thriller Unterhaltung. Und diese ist verdammt spannend, temporeich, unglaublich gut geschnitten und vermag es auf äußerst kurzweilige Weise zu fesseln und zu unterhalten. Die Achillesverse von Source Code ist das Ende, das allzu sehr Richtung konventioneller Science Fiction taumelt, die aufgeworfenen Fragen nicht konsequent und grimmig genug zur Konklusion bringt und alles in allem viel zu brav daher kommt angesichts des packenden, düsteren Grundtons zuvor. Man darf dieses Ende durchaus schlicht und einfach hassen. Dass der Film durch dieses dennoch nicht verhunzt scheint, spricht nur für seine vorherigen Qualitäten. Und so kann hier ohne Einschränkungen zum Kinobesuch geraten werden.

Paul – Ein Alien auf der Flucht [Gregg Motola]

(Großbritannien, USA 2011)

Simon Pegg und Nick Frost gehen fremd. Für die von Gregg Motola (Superbad) inszenierte Science Fiction Komödie verlassen sie die Insel und begeben sich nach Amerika, wo sie nach Besuch einer Comic Con und chaotischer Fahrt zu den größten Ufologie-Sehenswürdigkeiten unverhofft auf einen echten Außerirdischen treffen. Dieser, Paul, säuft, raucht wie ein Schlot, flucht… eben alles was im amerikanischen Kino herangezogen wird um eine sozial inkorrekte Person darzustellen. Paul ist aber nicht nur ein zynischer Bastard von einem Alien sondern ebenso auf der Flucht vor dem Militär, das ein erhöhtes Interesse an seinen Eingeweiden hat. Zusammen mit den beiden britischen Nerds – mit denen er schnell Freundschaft schließt – versucht er in den Süden zu gelangen, wo ihn seine Weltraumkumpanen von der Erde abholen wollen.

Leider ist Paul kein Hot Fuzz auf amerikanischem Grund geworden (Fairerweise sollte hinzugefügt werden, dass der Film nie als Weiterführung der aburden schwarzhumorigen britischen Parodien angelegt war) sondern eher ein Men in Black mit zwei Briten. Richtig laut gelacht werden, darf so gut wie nie. Kleine und auch größere Schmunzler sind selbstverständlich immer drin, aber im Vordergrund steht doch die leider wenig originelle Geschichte des fliehenden Aliens. Paul ist der ernsteste Film, an dem Pegg und Frost bisher beteiligt waren und folgerichtig spielen sie auch keine überzeichneten Zerrbilder sondern irgendwie… naja, sich selbst. Es macht gerade zu Beginn höllisch Spaß, die beiden leicht verklemmten britischen Nerds und besten Freunde auf ihrer Reise durch unbekanntes Territorium zu begleiten. Spätestens mit dem Auftreten Pauls legt sich dieses Vergnügen und das klassische Science Fiction Komödien Programm wird abgespult.

Paul hat zwar seine Anspielungen, seine nerdy Momente, diese werden aber anschmiegsam in die Geschichte eingebettet. Und mehr als bekannte ET-Anspielungen – die es auch schon in einem Dutzend anderer Science Fiction Filme zu beäugen gab – hat er leider nicht zu bieten. Am ehesten begeistert noch der Disput mit der fanatischen Christin Kristen Wigg, deren Rolle aber auch viel zu früh als klassische Love Interest verspielt wird. Irgendwie stolpert der Film ansonsten so mittelmäßig amüsant zu seinem Finale, ohne jemals wirklich begeistern zu können, ohne jemals richtig awesome zu sein. Paul ist mit Sicherheit nicht schlecht, dafür sind Pegg und Frost einfach zu cool, dafür hat der sympathische Außerirdische zu viele greifende Oneliner. Aber letzten Endes bleibt das mulmige Gefühl, dass da einfach so viel mehr drin gewesen wäre. Knapper Überdurchschnitt und damit leider schon eine semiherbe Enttäuschung.

Wir sind die Nacht [Dennis Gansel]

(Deutschland 2010)

Vampiristische Romantik aus Deutschland im Jahr 2010… natürlich ordentlich gefördert und mit düsterem Trailer vermarktet. Da besteht schon ein wenig die Angst vor einem einheimischen Twilight-Rip-Off. Es darf beruhigt werden. Mit der zahmen Vampirromantik Biss zum Morgengrauen hat „Wir sind die Nacht“ wenig gemein. Das Thrillerdrama um weibliche Vampire bewegt sich viel mehr auf einer Ebene zwischen „Interview mit einem Vampir“-Melancholie und „Near Dark“-Dunkelheit, inklusive einem kleinen – zu kleinen – Schuss „So finster die Nacht“-Ambivalenz. Die Vampirinnen sind reich, edel und blutdürstig, sie genießen das Leben der Nacht in vollen Zügen zwischen wilden Technobeats, Drogen und sexuellen Ausschweifungen.

„Wir sind die Nacht“ setzt diese postmoderne Berline Vampirgeschichte in schicken, düsteren und dekadenten Großstadtgemälden um. Die Atmosphäre ist stimmig, ebenso das Spiel der jungen Schauspielerinnen, allen voran Karoline Herfurth, die entgegen potentieller Befürchtungen keineswegs unterfordert ist, sondern während des Films in der Wandlung von der Punkerin und Strauchdiebin zur verwöhnten und schließlich unsicheren Vampirin ihr herausragendes Schauspieltalent voll zur Geltung bringen kann. Auch Jennifer Ulrich und Anna Fischer leisten gute Arbeit als kindlich verspielte Nachwuchsvampirin und düstere Konkurrentin mit selbstdestruktiver Ader. Nur Nina Hoss bleibt als Obervampirin etwas blass und weit unter ihren Möglichkeiten, was nicht zuletzt der eindimensional angelegten Rolle verschuldet ist.

Ansonsten krankt „Wir sind die Nacht“ ähnlich wie andere Filme Gansels (Die Welle) unter der allzu hohen Montagefreudigkeit. Viel zu viele Geschehnisse werden als schnelle Zeitraffer mit mal dröhnender mal poppiger Musik abgehandelt, praktisch jedes länger dauernde Ereignis verdient seine eigene Montage. Das stört vor allem, da  die Atmosphäre des Films gerade in den ruhigen langsamen Szenen besonders zur Geltung kommen kann, im Zeitraffer aber schnell zum beliebigen 08/15-Effektgewitter mutiert. Auch die Handlung ist alles andere als herausragend. Eine vorhersehbare Entwicklung, keine großen Plottwists, alles schon irgendwie mal da gewesen. Und der interessante homosexuelle Subtext wird gegen Ende von einer viel zu klassischen „Der Held rettet das Mädchen“-Narration abgelöst. Trotzdem ist „Wir sind die Nacht“ ein grundsolider, dichter Vampirthriller, der insbesondere durch das hervorragend fotografierte Berlinsetting sowie die düstere, gefällige Atmosphäre zu begeistern weiß. Kein Meistwerk, aber auf jeden Fall besser als die meisten Vampirthriller made in USA der letzten Jahre. Für den gemütlichen Filmabend zu Hause zweifelsohne empfehlenswert.

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Erstveröffentlichung: 2011