Direct to DVD/BluRay Geheimtipp: Colossal von Nacho Vigalondo

Manchmal muss man sich doch ganz schön an den Kopf fassen, welche charmanten Filme in Deutschland keinen ordentlichen Kinorelease spendiert bekommen und stattdessen gleich in Videotheken bzw. Streamingservices landen, um dort vom Publikum viel zu oft ignoriert zu werden. Nacho Vigalondos 2016 im US-Kino – unter leider ebenfalls mäßigem Erfolg – gelaufene schwarze Fantasykomödie Colossal ist ein solcher Fall. Umso tragischer, weil bereits ein Vorgängerfilm des Regisseurs, der kleine fiese Science Fiction Thriller Timecrimes (2007), hierzulande unter dem Radar lief und auch zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung maximal als Genre-Geheimtipp hin und wieder Erwähnung findet. Es ist nicht schwer auszumalen, dass Colossal ein ähnliches Schicksal blüht, obwohl er mit Anne Hathaway recht prominent besetzt ist und Dank guter Special Effects und einer schnittigen Inszenierung auch visuell so einiges auf seiner Habenseite hat. Colossal besitzt zwar nicht ganz die Klasse von Guillermo Del Torros Meisterwerk Shape of Water, bewegt sich aber in (Pun intended) genretechnisch ähnlichen Gewässern und ist dabei wirklich ein ganz und gar bezaubernder skurriler Fantasyfilm und zudem ein Kandidat für die größte Direct to DVD/BluRay Verschwendung des Jahres 2017.

Die arbeitslose Gloria (bezaubernd: Anne Hathaway) schafft es einfach nicht ihr Leben in den Griff zu kriegen. Die Tage verbringt sie mit Rumhängen und Nichtstun, während sie sich die Nächte mit Hilfe eines ordentlichen Alkoholismus um die Ohren schlägt. Auch ihr Freund, der ihren Lebensstil lange mitfinanziert hat, hat irgendwann die Schnauze voll von ihrem Slacker-Dasein und wirft sie kurzerhand vor die Tür. In ihrer Verzweiflung zieht Gloria zurück in das verlassene Haus ihrer Eltern in ihrer Heimatstadt, wo sie durch Zufall einen Sandkastenfreund begegnet, der ihr einen Job in seiner Bar verschafft. Dort führt sie ihr Leben im Prinzip so weiter wie zuvor: Trinken, die Nacht durchfeiern, den Tag durchschlafen. Doch plötzlich wird ihr Leben auf den Kopf gestellt, als in Seoul wie aus dem Nichts ein gigantisches Monster auftaucht, dass die Stadt gleich an mehreren Tagen in Schutt und Asche legt. Denn Gloria muss schnell erkennen, dass sie eine geheimnisvolle Verbindung zu dem Monster hat, die sie zu einer Gefahr für ganz Korea werden lässt.

Auch wenn sich die Geschichte so liest, sollten die Zuschauer an dieser Stelle keine epische, fantastische Groteske erwarten. Trotz der bizarren Prämisse ist Colossal eigentlich ein ziemlich straight forward erzählter Mix aus Fantasy, Märchen, Tragikomödie und Parabel. Das überraschendste an Colossal ist es wohl in der Tat, wie er es schafft trotz grotesker Schlagseite und skurriler Charaktere ziemlich unterhaltsam und auch blockbustertauglich daher zu kommen. Natürlich wird hier in erster Linie die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die darum bemüht ist, ihr Leben in den Griff zu kriegen und daran doch immer und immer wieder scheitert. Colossal macht aber auch keinen Hehl aus diesem Umstand und hält sich dementsprechend von Anfang bis Ende zurück, was die Darstellung des Monsters und dessen Zerstörungswut betrifft. Auch wenn schließlich – ziemlich früh sogar – eindeutig erzählt wird, inwieweit Gloria mit dem Monster in Verbindung steht, führt das keineswegs dazu, dass sich Colossal zu einem Godzilla-Streifen entwickelt. Viel mehr ist er sogar darum bemüht, die bei seinem Konzept gezwungenermaßen existierenden Desasterszenen so zu inszenieren, dass sie nur indirekt zu sehen sind, was ihm größtenteils auf ziemlich clevere und auch furiose Weise gelingt.

Leider begeht Colossal den Fehler, im letzten Drittel ein wenig zu viele Kapriolen zu schlagen und dabei auch in eine überflüssige Überlängenfalle zu tappen. Was sich bereits in einem ziemlich unplausiblen Charakterwandel gegen Mitte des Films angedeutet hat, wird zum Ende derart ausgereizt, dass der davor angenehm geradlinige Film ganz schön ins Schlingern gerät und dabei sogar ein wenig langatmig wird. Hier hätte er durchaus ein bisschen mehr Mut für eine Geschichte ohne Villain und ohne klassischen Superheldenkonflikt beweisen können, gerade weil er davor so wunderbar schlank und kurzweilig erzählt wurde. Irgendwie mag der nach hinten hinaus etablierte düstere, dramatische und auch ziemlich brutale Stimmungswechsel nicht so ganz zur zuvorigen märchenhaften Atmosphäre und den ebenso märchenhaften Charakteren passen. Vor allem die Wandlung eines Protagonisten geschieht viel zu abrupt, viel zu radikale und dabei viel zu wenig plausibel.

Klar, kann man dem Film zu Gute halten, dass er dadurch unberechenbar und überraschend bleibt und auch in den letzten Minuten nicht abgedroschen wirkt, ein bisschen schlanker, kompakter und vielleicht auch warmherziger hätte ihm aber deutlich besser zu Gesicht gestanden. Gerade weil es dunkle Twists im Fantasykino dieses Jahrzehnts mehr als genug zu sehen gab. Trotzdem darf hier ohne Bedenken eine Sehempfehlung ausgesprochen werden, bleibt Colossal doch – trotz düsteren Twists – von Anfang bis Ende skurril, putzig, bizarr, zuckersüß und dabei vor allem liebenswert. Zwar kein Meisterwerk, aber doch ein kleiner Filmjuwel, definitiv viel zu schade für eine Direct to DVD Veröffentlichung, und viel zu einzigartig, um am Gros des Publikums vorbei zu rauschen.

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