Die besten Filme des Jahres 2017: Lady Bird von Greta Gerwig

Ganz schön lange hat es gedauert, bis Greta Gerwigs Ladybird seinen Weg in die deutschen Kinos fand. In den USA bereits im Frühherbst 2017 angelaufen brauchte es dann doch mehrere Golden Globe Awards sowie Oscar-Nominierungen, bis der Film auch einem Publikum hierzulande präsentiert werden konnte. In der Tat ist Lady Bird dann auch einer jenen Indie-Filme, bei denen man sich durchaus vorstellen konnte, dass sie ohne den Awardsegen vom deutschen Verleih komplett ignoriert worden wäre, hebt er sich mit seinen sehr amerikanischen Themen, seiner ambivalenten, subtilen Dramaturgie und episodischen Narration doch deutlich von den großen Blockbusterdramen ab, die auch beim deutschen Publikum Anklang finden. Gott sei Dank ist es anders gekommen, und so dürfen wir uns seit April im Kino und seit August auf DVD und Blu-Ray nun auch hier über einen Film freuen, der zwar stark die amerikanische Jugend und US-Mentalität ganz allgemein seziert, dabei aber auch immer wieder den Weg zurück zu universellen gesellschaftlichen Themen findet.

„Lady Bird“ (Saoirse Ronan) heißt eigentlich Christine, ist 17 Jahre alt und wünscht sich nichts sehnlicher als nach ihrem High School Abschluss Sacramento verlassen zu können; am liebsten nach New York, am liebsten zur Ostküste, aber auf jeden Fall raus aus ihrem armen – und dadurch sozial stigmatisierten – Elternhaus, dem engen Rahmen ihrer katholischen Privatschule und vor allem dem verschlafenen Sacramento, mit dem sie eine besondere Hassliebe verbindet. Während sie fleißig Bewerbungen für die großen Colleges der US-Ostküste schreibt, streitet sie sich praktisch täglich mit ihrer aufopferungsvollen Mutter (Laurie Metcalf, bekannt als Roseannes Schwester und Sheldon Coopers Mutter), schämt sich für ihren depressiven Vater und orientierungslosen Bruder, entdeckt Liebe und Sexualität und eckt hin und wieder auch in ihrer streng religiösen Schule an. Dabei wünscht sie sich nichts sehnlicher als geachtet oder wenigstens beachtet zu werden, zu den angesagten Leuten zu gehören, aber auch gleichzeitig etwas besonders zu sein…

…der übliche Teenagerwahnsinn eben. Und wenn das in der Kurzzusammenfassung alles sehr mäandernd und unfokussiert klingt, liegt dies primär daran, dass Lady Bird genau so funktioniert. Auch wenn der Ausbruch aus dem engen Ort der Kindheit ein omnipräsentes Thema ist, kümmert sich Lady Bird nicht darum, ein klassisches Aufsteiger-, Aussteiger- oder Selbstfindungsdrama zu erzählen. Ebenso episodisch wie das Leben eines Teenagers ist, ebenso anekdotisch wird es von Greta Gerwigs Film aufbereitet. Freundschaft, Entfremdung, Beziehung, Arbeit, Familie, Schule: All diese Themen finden Platz im kleinen Kosmos Sacramentos, aber keines davon drängt sich sonderlich nach vorne. Dadurch gewinnt der Film eine ungemein attraktive Authentizität, führt er dem Publikum doch wunderbar vor Augen, dass jedes kleine Drama – mag es im Augenblick des Geschehens auch noch so groß scheinen – schon sehr bald durch das nächste kleine Drama abgelöst werden kann; oder die nächste kleine Tragödie; oder Komödie. Folgerichtig ist Lady Bird auch nie hundertprozentig komisch, nie hundertprozentig tragisch, oszilliert stattdessen zwischen den dramatischen Genres, so wie Christine zwischen ihren emotionalen Geütslagen oszilliert, auch mal egozentrisch, unsympathisch und einfach selbst ziemlich desorientiert sein kann.

Dass sich in dieser anekdotischen Coming-of-Age Geschichte dann doch noch zwei rote Fäden herauskristallisieren, ist vor allem ihren beiden wichtigsten Protagonistinnen zu verdanken. Saoirse Ronan und noch mehr Laurie Metcalf liefern hier beeindruckende Schauspielkunst ab und transformieren Lady Bird in ein herrlich unkonventionelles Sozialdrama, das eben doch einen tiefen und wahrhaftigen Kern besitzt. Denn scheint vieles, was hier erzählt wird, durch seine Unaufgeregtheit mitunter fast schon oberflächlich simpel, offenbart sich im Zusammenspiel seiner Protagonistinnen, was Lady Bird tatsächlich ist: Ein grandioses Mutter-Tochter-Porträt, das die verschiedenen Facetten in der Beziehung seiner Protagonistinnen peu à peu aufdeckt und dabei komplexer und komplexer wird. Glaubt man zu Beginn des Films noch klassische Klischees im Zusammentreffen und Aufeinanderprallen von Christine und ihrer Mutter zu entdecken, wird mehr und mehr deutlich, dass hier mehr stattfindet als eine bloße Eltern/Kind-Hassliebe. Die Konflikte, die die beiden austragen, sind echt, jenseits aller Schwarz-Weiß-Malereien, jenseits aller simplen Positionierungen, empathisch, authentisch, und dadurch ungemein mitreißend und den einfachen Anekdoten einen bestechenden menschlichen Rahmen gebend.

Summa Sumarum ist Lady Bird ein wunderschöner Film, nicht ganz Drama, nicht ganz Dramödie, nicht ganz Sozialporträt und nicht ganz Coming of Age. Aber in seinem tiefsten Kern ganz und gar die Geschichte von menschlichen Beziehungen in all ihren Facetten, und darin wiederum mit einem bestechenden Fokus auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, wie es so authentisch schon lange nicht mehr – wenn überhaupt irgendwann mal – im Kino zu sehen war.

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