Rezension zu Noah Baumbachs 2005er Drama "Der Tintenfisch und der Wal"
Einen Film über Familienprobleme und Scheidung zu drehen, dürfte wohl mit zu den schwierigsten Aufgaben überhaupt gehören. Immerhin muss der zuständige Regisseur den schmalen Grad zwischen Spannung und Realismus, zwischen Alltag und Tragik beherrschen, ohne dabei in Kitsch oder Beliebigkeit abzurutschen. Und dann gibt es natürlich noch das Problem mit dem Referenzwerk: Was damals bei „Kramer gegen Kramer“ für Aufsehen sorgte, ist mittlerweile nicht nur überholt, sondern gar als abgedroschen definiert, umso schlimmer, da sich Filme zu dem Thema nach wie vor an dem 80er Drama messen müssen. Eine Hürde, an der schon viele große Regisseure gescheitert sind. Noah Baumbachs „Der Tintenfisch und der Wal“ gelingt es, diese Probleme zu meistern, obwohl oder gerade weil er in seiner teils drastischen, teils lakonischen Darstellung sich erheblich von dem Referenzwerk unterscheidet, und auf seine ganz eigene Art zu den anrührendsten Dramen der 00er Jahre gehört. „Der Tintenfisch und der Wal“ ist eine bitterböse, süße Tragikomödie, die sich nicht nur mit „Kramer gegen Kramer“ messen kann, sondern diesen in einigen Punkten sogar problemlos überflügelt.
Bernard Berkmann (Jeff Daniels) und seine Frau Joan (Laura Linney) haben sich ganz langsam, aber unwiderrufbar in eine handfeste Ehekrise hineinmanövriert. Während der ehemalige Erfolgsschriftsteller mittlerweile im Schatten seiner begabten Gattin steht, und dadurch immer verbitterter und gehässiger wird, vertröstet diese sich mit diversen Affären innerhalb der näheren Umgebung. Als die Situation schließlich ausweglos wird, beschließen sie sich zu trennen und das Sorgerecht für ihre beiden Söhne zu splitten: Jeder darf sie drei Tage in der Woche sehen, und der Donnerstag wird aufgeteilt. Was wie ein gut ausgetüftelter Friedensvertrag wirkt, entpuppt sich als schreckliche Zerreißprobe für die beiden Jungs. Der 12jährige Frank (Owen Kline) beginnt sich zu betrinken, masturbiert in der Schule und versucht alles, um ein anderer Mensch als sein Vater zu werden. Sein 16jähriger Bruder Walt (Jesse Einstein) fängt an zu lügen und zu betrügen und distanziert sich mehr und mehr von ihrer gemeinsamen Muter, die er für die Trennung verantwortlich macht. Dabei werden die beiden immer wieder zwischen ihren Eltern hin- und hergerissen, die verzweifelt um die Liebe ihrer Kinder kämpfen und dabei mitunter zu hinterhältigen, bösartigen Mitteln greifen.
Die Stars des Films, sind ganz eindeutig die beiden Kids, grandios dargestellt von Kline und Einstein. Jeder der beiden versucht auf seine Weise mit der neuen Situation umzugehen, und beide geraten dabei immer weiter in die Zwickmühle zwischen Liebe, Hass, Verantwortung und Resignation. Der Kampf der beiden Elternteile überträgt sich 1:1 auf den inneren Kampf, den jedes der beiden Kinder mit sich selbst auszutragen hat. So übernehmen diese nicht nur die Verhaltensweisen ihrer Eltern (z.B. das obszöne Fluchen), sondern konterkarieren und überspitzen sie auch. Walt, der verzweifelt versucht seinem Vater zu gefallen, wandelt sich mehr und mehr vom stillen Einzelgänger zum Hochstapler, Frauenhelden und Bildungsfetischisten. Auch Frank scheint wie aus seinem Alter herausgerissen, orientierungslos im Raum stehend: Er betrinkt sich, flucht wie ein Schwerverbrecher und scheint nichts sehnlicher zu wollen, als seinen kindlichen Körper zu verlassen. Aber auch die Eltern kämpfen, nicht nur gegeneinander, sondern auch mit der emotionalen Achterbahnfahrt, die sie durchleben. Trotz der daraus entstehenden drastischen Situationen ist „Der Tintenfisch und der Wal“ alles andere als eine effekthascherische Tragödie. Der Film arbeitet mit leisen Tönen und subtilen Schnitten. Die schlimmsten Streitereien der Eltern vor der Trennung werden nur aus der Distanz gezeigt, als geflüsterte Wortduelle, so wie sie von den Kindern wahrgenommen werden. Dramatische Tränenausbrüche gibt es keine, keine physische Gewalt und auch keine direkten Vorwürfe. Stattdessen zeigt sich das Familiendrama so, wie es wirklich abläuft: Subtil, differenziert, als alltägliche, schleichende Katastrophe. Ein enormer Vorteil ist dabei, dass das ganze im bildungsbürgerlichen Milieu angesiedelt wurde. Dadurch wird die Alltäglichkeit der Ereignisse umso greifbarer. Joan und Bernard sind gebildete Menschen, die mitten im Leben stehen, mit beiden Beinen auf der Erde, die wissen was sie wollen und brauchen; und trotzdem scheitern sie an ganz alltäglichen Situationen. Gerade die Hilflosigkeit dieser vermeintlich starken Menschen gibt dem Film eine besondere Note und schwindelerregende Tragik.
Da tut es der Geschichte nur gut, dass auch auf trockenen, lakonischen Humor nicht verzichtet wird. Wie von Zauberhand verhindert Baumbach allzu schwere Kost zu präsentieren, indem er jede noch so tragische Szene geschickt mit bissigem, teilweise bösartig sarkastischen Humor durchbricht. Jeder Ansatz von Kitsch oder übertriebener Tragik wird dadurch geschickt aufgelöst und der Streifen kommt so weitaus bissiger und mutiger daher, als der vergleichsweise brave „Kramer gegen Kramer“. Die Schauspieler spielen alle sehr gut und geben ihren Charakteren die nötige Tiefe und ein gekonnten Augenzwinkern. So wird in jeder Szene deutlich, dass wir es hier nicht mit Prototypen, sondern echten Menschen zu tun haben, die eine Vergangenheit und vor allem Herz besitzen. Der Zuschauer spürt die Zerrissenheit, die jeden der Protagonisten beherrscht, am eigenen Leib, denn man entwickelt ohne Probleme Empathie für jede der Figuren, mitsamt ihren Schwächen und Fehlern: Denn obwohl die Sympathie im Laufe des Films dann doch eindeutig zu Gunsten eines der Beteiligten umzuschlagen droht, bleibt die Inszenierung ambivalent genug, um diese Entwicklung nachvollziehbar zu machen.
„Der Tintenfisch und der Wal“ ist ein wunderbarer Film, der ein Lächeln auf das Gesicht des Zuschauers zaubert und zugleich zu Tränen rühren kann. Ein kleines, stilles Meisterwerk und zudem eine Geschichte, die nicht nur „Scheidungsopfern“ zu empfehlen ist, sondern jedem, der sich gerne sowohl unterhalten als auch mitreißen und bewegen lässt.
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Erstveröffentlichung des Textes: 2010
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