Die besten Tragikomödien der 90er Jahre I

So, sechs Komödienretrospektiven haben wir hinter uns gebracht (Parodien, Grotesken, Slacker, Lachen, Lachen und noch mehr Lachen…). Wenden wir uns nun der gekonnten Mischung aus Tragik und Komik zu. Wie schon bei den Komödien aufgefallen, ist es gar nicht so leicht das Genre der Tragikomödie einzugrenzen. Gelungene Komödien bieten immer auch tragische Momente, große Dramen haben auch oft genug ihre komischen Seiten. Und was sich dann genau dazwischen abspielt, ist eben oft auch eine Frage des persönlichen Geschmacks und Empfindens. Egal, diese Filme bieten – jeder für sich – genug fürs Herz, für die Sinne, zum Schmunzeln, manchmal auch zum Lachen und selbstverständlich zum Weinen. Komisch schön, tragisch schön, einfach nur schön… die besten des Jahrzehnts. Mit einem Lächeln und einer Träne Teil 1…

Arizona Dream [Emir Kusturica]

(USA, Frankreich 1993)

Zu den weniger bekannten Filmen mit Johnny Depp gehört die skurrile Tragikomödie Arizona Dream von Emir Kusturica. Kein Wunder, die Geschichte von Träumen und Sehnsüchten, die mit der harten Realität in einem verschlafenen Nest in Arizona kollidieren, ist alles andere als tragikomische Straight Forward Kost. Die Inszenierung des Bosniers Kusturica ist grotesk, oft überzeichnet, mitunter surreal und symbolistisch bis zum Unerklärbaren. Träumerische Bilder wechseln mit kargen Aufnahmen, die Geschichte selbst wird langsam und zugleich ständig versetzt von irrealen Störfaktoren inszeniert… was dabei aber herauskommt ist ein großartiger, hintersinniger und verstörender Trip in die Befindlichkeiten der Protagonisten, in eine Sicht auf die Welt, die ganz eigen ist, losgelöst von Kategorien und Normen. Arizona Dream ist nicht weniger als ein kongenialer Hybrid aus Karikatur, Tragik und surrealer Farce, die gekonnt den amerikanischen Way of Life in Frage stellt.

Kikujiros Sommer [Takeshi Kitano]

(Japan 1999)

Ähnlich abstrahierend und mit Störfeuern versetzend arbeitet auch Takeshi Kitano in seinem anrührenden Road Movie Kikujiros Sommer, der zwischen Tragik, Komik und skurrilem Märchen oszilliert. Die Reise eines ehemaligen Yakuzas zusammen mit einem kleinen Kind zu dessen Mutter schwankt ständig zwischen ungeheur poetischen, symbolistisch aufgeladenen Bildern, absurden Slapstick-Momenten und einer Geschichte, die ein ums andere Mal den Bogen vom Herzergreifenden zum Albernen bis hin zum Erschreckenden und Markerschütternden schlägt. Das ist absurd, grotesk, ruhig, wunderschön anzuschauen, tief melancholisch… aber eben auch wild, verstörend, sich selbst zerstörend und gegen Ende bei purer zutiefst bewegender Menschlichkeit ankommend. Takeshi Kitano beweist erneut sein Talent, aus traditionellen Stoffen das Unmöglichste herauszuholen.

Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten [Mark Herman]

(Großbritannien 1996)

Um die menschliche Konfrontation stolzer Arbeiter mit einer jungen, aufstrebenden Oberschicht geht es in der sehr britischen und ebenfalls sehr politischen Tragikomödie Brassed Off. Was diesen Film so groß macht ist die Verlagerung des Konflikts auf eine humanistische Ebene, fernab von Parolen und Straßenkämpfen. Der Schauplatz des Clashs ist die Blaskapelle einfacher Bergmänner, der Konflikt selbst trägt sich gleich auf mehreren Ebenen aus: Als Kampf der Geschlechter, als Generationenkonflikt, aber eben auch als traditioneller Klassenkampf. Das politische Moment ist allgegenwärtig und dennoch gelingt es dieser ebenso  liebevollen wie bissigen Tragikomödie, stets das Menschliche, Verbindende in den gesellschaftlichen Konflikten zu finden, Zerrbilder nie die Oberhand gewinnen zu lassen. Ein bewegender, warmherziger, durchaus kämpferischer Film, der seinen Protagonisten stets mit respekt und sehr viel Einfühlungsvermögen begegnet.

Vertrag mit meinem Killer [Aki Kaurismäki]

(Finnland 1990)

Aki Kaurismäki ist ein Meister des Trockenen, Spröden und zugleich Warmherzigen. Mit dieser eleganten, zurückhaltenden Mischung gelingen ihm große Filme, die schüchtern daher kommen, ihre Botschaften aber umso gewaltiger und ergreifender im Nachgang offenbaren. Ähnlich wie der bereits hier gelobte „Der Mann ohne Vergangenheit“ (Die besten Tragikomödien der 00er Jahre) ist auch „I Hired a Contract Killer“ ein karges, in der Erzählweise knappes und subtil gestaltetes Meisterwerk, das wenig zeigen muss, um eine gigantische Kraft zu entfalten. Zwischen Film Noir Thriller, melancholischer Lebensmüdigkeit und subtilem feinsinnigen Humor pendelnd ist Vertrag mit meinem Killer sparsam, zurückgezogen, teilweise auf seine nüchterne Art fast schon perfide, aber eben auch mit einer trockenen Warmherzigkeit gesegnet, detailverliebt, nuancenreich und mehreren sich überlagernden Subtexten. Reduce to the Max in Vollendung.

Luna Papa [Bachtiar Chudoynasarow]

(Russland 1999)

Wir bleiben noch kurz im Bereich der spröden und zugleich mitreißenden Meisterwerke. Die internationale Großproduktion Luna Papa erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das sich unverhofft schwanger auf die Suche nach dem Vater ihres kommenden Kindes begibt. Dabei pendelt Luna Papa auf grandiose Weise zwischen groteskem Gesellschaftsporträt, warmherziger Familiengeschichte, skurrilem Road Movie und charmant märchenhafter Tragikomödie. Er ist realistisch, nüchtern und utopisch zugleich, begibt sich in die scheinbar abstrusesten, unglaubwürdigsten Szenarien und findet darin immer das Parabolische und Realistische. Ein feiner, feister Trip und ein herausragendes Mashup aus Naturalismus, Surrealismus, postmodernem Märchen und bewegender, feinfühliger Glückssuche.

Der Engländer der  auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam [Christoph Monger]

(Großbritannien 1995)

Zurück zum anschmiegsamen Kino für die breiteren Bevölkerungsschichten. Das dies alles andere als kompromissüberladene Dutzendware von der Stange bedeuten muss, beweist der Film mit dem unmöglich langen Titel, der den Distibutoren wohl Tränen in die Augen getrieben haben dürfte: „The Englishman Who Went Up a Hill But Came Down a Mountain“ (Der Titel fast die Handlung schon sehr treffend zusammen)  ist eine liebevolle und empathische, historisch angesiedelte Tragikomödie, die die Romantik der einfachen walisischen Dorfbevölkerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu ihrem Sujet macht. Dabei pendelt der Engländer… geschickt zwischen Liebeskomödie, skurrilem Clash of the Cultures und ironischem Märchen mit Mut zum großen Pathos, der sich in kleinen, vermeintlich einfachen Dingen finden lässt.

Ed Wood [Tim Burton]

(USA 1994)

Jepp… hier haben wir wohl den besten Burton-Film der 90er Jahre, wenn nicht sogar einen der besten Filme des Regisseurs überhaupt. Tim Burton, der mit „Edward mit den Scherenhänden“ bereits für ein herausragendes Märchen verantwortlich ist, erzählt hier in schillerndem Schwarz-Weiß (Ähmm, ja, das ist möglich, wie dieser Film beweist) die Lebensgeschichte des (vielleicht) schlechtesten Regisseurs aller Zeiten. Mitunter stilisiert, mit einem exzentrischen Blick auf seinen ebenso exzentrischen Protagonisten, überschreitet Burton ein ums andere Mal die Grenze vom gewöhnlichen Biopic und landet in einer skurrilen, absurden und Grotesken Nische der Filmgeschichte, die er ebenso genüsslich frivol wie tragikomisch bebildert. Eine erlesene, durch und durch würdige Lektion in Trash-Geschichte und zudem tatsächlich auch das anrührende Porträt eines Missverstandenen, der sich selbst ebenfalls nie begriffen hat.

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