Die besten Dramen der 80er Jahre II

In der letzten 80er Dramen-Retrospektive habe ich es bereits erwähnt: Die Gefühle, die in Dramen vermittelt werden, können ebenso vielfältig sein wie die Motive, mit denen sich die Filme beschäftigen. Das Genre – wenn es denn überhaupt ein eigenständige Genre ist und sich zu anderen Filmgenres nicht viel eher verhält wie schwarz und weiß zu bunten Farben – erlaubt vieles und ist daher nie so ganz zu greifen. Daher darf auch in dieser Liste ein nostalgischer Feel Good Movie wie Cinema Paradiso neben einer depressiven fast schon dystopischen Tragödie wie Verdammnis auftauchen. Deshalb kann ein Thema wie eine ungewöhnliche, erschreckende äußere Erscheinung warmherzig und farbenfroh behandelt werden wie in Die Maske oder eben auch elegisch und melodramatisch wie in Der Elefantenmensch. Deshalb darf ein Loblied auf das Leben und den Genuss – Babettes Fest – neben einer Auseinandersetzung mit der Trostlosigkeit des Lebens am Rande der Gesellschaft stehen. Vielleicht ist es auch das, was das Genre des Dramas so auszeichnet: Nirgendwo sonst zeigt sich, innerhalb eines einzelnen Films und über dessen Grenzen hinweg im Zusammenspiel mit anderen Filmen, die Ambivalenz des Lebens und der Welt so gut wie in diesem Nicht-Genre. Begrüßen wir sie mit offenen Augen:

Cinema Paradiso [Giuseppe Tornatore]

(Italien 1988)

Der Zauber des Kinos als Metapher und Katalysator für den Zauber des Lebens. Viele Filme – vor allem aus Hollywood – haben sich an diesem Thema versucht und sind mit Krach und Kitsch daran gescheitert. Giuseppe Tornatores Cinema Paradiso ist ein wenig so etwas wie der Prototyp des Abgesangs auf den cineastischen Zauber: Zwischen Biopic und nostalgischer Filmreminiszenz, zwischen Coming-of-Age Geschichte und romantischer Geschichtsschreibung zeichnet der Film das Leben eines Jungen aus einfachen sizilianischen Verhältnissen nach, der verzaubert von der Kraft des Lichtspiels zu einem virtuosen Regisseur heranreift. Giuseppe Tornatore erzählt die Geschichte dieses fiktiven Salvatores als quasi autobiografisches Lehrstück über die Schönheit des Lebens und dessen Poesie. Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter werden dabei auf ebenso raffinierte wie emotionale Weise verknüpft, Erlebnisse werden rekurriert und gespiegelt, und am Ende steht ein kraftvolles Gedicht auf alles, was das Leben lebenswert macht. Dass dazu auch so manche Romantisierung und so manche Sentimentalitäten gehören… geschenkt. Cinema Paradiso ist einer der überzeugendsten, wenn nicht gar der überzeugendste Liebesbrief an das Kino, der jemals auf Zelluloid gebannt wurde.

Die Maske [Peter Bogdanovich]

(USA 1985)

Nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Comicverfilmung und Superheldenkomödie aus dem Jahr 1994 ist dieses große, humanistische Drama vom New Hollywood Veteranen Peter Bogdanovich. Protagonist von Mask (so der artikellose Originaltitel) ist der jugendliche Rocky, der unter der Krankheit Craniodiaphyseale Dysplasie leidet, die zu einem äußerst verformten Gesicht führt. Mit diesem Setup, das geradezu geschaffen scheint für ein klischeehaftes Melodram über Andersartigkeit, macht Bogdanovich nun etwas ganz außergewöhnliches: Auch wenn die Physiognomie Rockys zwangsweise immer ein wesentliches Thema des Dramas ist, dominiert sie nicht ausschließlich die Motivik des Films. Stattdessen erleben wir im Zentrum eine fantastische Mutter-Sohn-Geschichte (mit unglaublich viel Empathie und großartiger Chemie gespielt von Cher in ihrer vielleicht besten Rolle und Eric Stoltz, dessen Menschlichkeit nie hinter der aufwendigen Maske verschwindet), ein Drama über Beziehungen und Freundschaft und schließlich, ganz zentral, eine Geschichte über das Festhalten, Loslassen und Wiedergewinnen. So, wie sein Protagonist viel mehr ist, als sein Äußeres vermuten ließe, so ist dieser Film auch viel mehr, als man durch Prämisse und Exposé vermuten würde.

Babettes Fest [Gabriel Axel]

(Dänemark 1987)

Eine Liebeserklärung an das Leben ist auch die Verfilmung von Karen Blixens Novelle Babettes Gastmahl (1958), und ebenso wie die beiden zuvor genannten Filme begnügt sich Gabriel Axels Geschichte um die vor der brutalen Niederschlagung der Pariser Kommune nach Dänemark geflohenen Babette nicht damit, ein bloßer Carpe Diem Abgesang zu sein. Stattdessen lässt das Drama französisches Savoir Vivre auf nordischen Pietismus treffen, widmet sich den daraus entwickelnden Spannungen im 19. Jahrhundert, lässt diese dabei aber nie zum überzeichneten Konflikt mutieren. Stattdessen lässt er die verschiedenen Welten nicht zusammenprallen, sondern viel mehr miteinander harmonieren. So inkompatibel und konfliktträchtig die Unterschiede zwischen Enthaltsamkeit und Lebensfreude auf dem Papier scheinen, so subtil werden sie in dieser Geschichte miteinander versöhnt. Das liegt vor allem an dem unaufdringlichen Grundton, den ebenso verschiedenen wie liebenswerten Figuren und dem gekonnten Hinarbeiten auf ein überborderndes hedonistisches und doch nicht aufdringliches Finale. Babettes Fest ist wie der Titel schon sagt, ein Fest: Ein Fest der Menschlichkeit, ein Fest des Genusses, ein Fest des Lebens.

Der Elefantenmensch [David Lynch]

(USA 1980)

David Lynch ist eigentlich nicht der Name, der einem als erstes in den Sinn kommt, wenn man an humanistische Dramen denkt. Der Meister des Makaberen, Surrealen und Bizarren war allerdings zu Beginn der 80er Jahre noch keineswegs so sehr auf seine Genres festgesetzt wie in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Der Regisseur hatte damals erst seit einiger Zeit mit seinem surrealistischen Debüt Eraserhead (1977) für Furore gesorgt, als sich dieses durch Mitternachtsführungen mit etwas Verspätung langsam in die Herzen der Fans des absurden Films spielte. Der Elefantenmensch ist anders als Lynchs grotesker Erstfilm und ebenso deutlich anders als seine späteren gefeierten Werke: Ein leises, menschliches Drama über einen Sonderling in der viktorianischen Zeit. Dabei sind durchaus so einige von Lynchs späteren Trademarks bereits hier zu finden: Die Vermischung von Fantastischem und Erträumtem mit Realem und Realistischem. Die Suche nach der Schönheit im Grotesken und die Omnipräsenz des Alptraumhaften in einem nüchternen Rahmen. Der Elefantenmensch konvertiert diese Trademarks in ein anrührendes, oft auch sentimentales magisch realistisches Drama und ist dabei ebenso poetisch wie naturalistisch.

Verdammnis [Béla Tarr]

(Ungarn 1988)

Béla Tarr ist alles andere als ein einfacher Regisseur, was nicht zuletzt an seinem distinktiven Stil liegt. Kárhozat ist der erste Film Tarrs, in dem dieser Stil entworfen wird und dennoch bereits voll zur Geltung kommt: Lange, scheinbar unbewegliche Einstellungen, kontrastreiche schwarzweiß-Bilder, die an das Kino Andrei Tarkowskis und Ingmar Bergmanns erinnern, eine trostlose, dystopische Atmosphäre und nie so ganz zu fassende Motive und Bilder zwischen Drama, Symbolismus und ein sezierender, nahezu chirurgischer Blick auf Mensch und Gesellschaft, deren Zentren und Peripherien. Verdammnis spielt am Rand der ungarischen Städte, mit all ihrer industriellen Rohheit, ihrer Hoffnungslosigkeit, ihrem sozialdarwinistischen Kampf ums Überleben. An seiner Oberfläche handelt es sich um ein Ganovenstück, eine Momentaufnahme von Kriminellen und Verstoßenen, von Jagenden und Gejagten, von Verlierern und Gewinnern, die sich allesamt selbst die nächsten sind. Hinter dieser Oberfläche verbirgt sich aber ein düsterer, fast schon sakraler Kern, die Geschichte eines erloschenen Fegefeuers, an einem Ort, der zu trostlos ist, um die Hölle zu sein, allerdings auch zu sehr in sich gefangen ist, um noch irgendeine Verbindung zur diesseitigen Welt zu haben. In seinem Herzen ist Verdammnis eine transzendentale Tragödie, die keine Hoffnung und keine Erlösung verspricht, in der die Zeit zum Stillstand kommt und der Mensch ebenso verlassen wie verloren ist. Harter Stoff, ohne Frage, aber einer der dichtesten Filme der 80er Jahre überhaupt.

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