Die besten Dramen der 2000er Jahre II
Ohne große Vorrede…. Teil 1 gibt es hier, Teil 3 folgt in Kürze, nach einem kurzen Klick geht es währenddessen mit Teil 2 weiter….
Schmetterling und Taucherglocke [Julian Schnabel]
(Frankreich 2007)
Nach einem Schlaganfall litt der 43jährige Elle-Chefredakteur Jean-Dominique Bauby unter dem Locked-in-Syndrom, war unfähig mit seiner Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Der schmerzhafte Umgang mit der Gefangenheit im eigenen Körper, die Hoffnungslosigkeit, die Flucht in Erinnerungen und Träume aber auch leise Hoffnungsschimmer hat er in einer Autobiographie festgehalten, die er mit mühsamem Buchstabe-für-Buchstabe Augenblinzeln seiner Logopädin diktiert hat. Die bewegende Geschichte dieser Autobiographie hat Julian Schnabel auf beeindruckende Weise auf die Leinwand gebracht. Kontemplativ, isoliert, beklemmend und zugleich optimistisch und voller Lebensfreude ist Schmetterling und Taucherglocke geworden. Immer zwischen den Extremen der emotionalen Bandbreite pendelnd und den Zuschauer in jede Gefühlslage mitentführend. Ein meisterhaftes, bewegendes Drama zwischen Biopic und introspektiver Krankheitsgeschichte.
Monster’s Ball [Marc Forster]
(USA 2001)
Im Süden der USA: Eine Familie von Henkern im amerikanischen Strafvollzug, eine Frau deren Ex-Mann gerade hingerichtet wurde, zwei Welten, die scheinbar unüberbrückbar voneinander getrennt sind. Krisen, Katastrophen, Gewalt, Reue, Verzweiflung, die Suche nach menschlicher Nähe… und dadurch schließlich eine kaum zu glaubende Grenzverschiebung, Grenzverwischung. Marc Forsters großes Südstaatendrama steckt voller menschlicher Abgründe, ist schmerzhaft realistisch, spart nicht an grauenhaften Ereignissen und scheut sich auch nicht davor, die dunkelsten Seiten seiner Protagonisten offenzulegen. Aber unter, hinter, über und direkt in den Abgründen schimmert immer wieder Licht auf: Hoffnung, das Losreißen aus der eigenen Starre und schließlich sogar Menschlichkeit. Monster’s Ball ist eine ungemein differenzierte Tragödie, ein meisterhaft erzähltes Sozialdrama, das immer wieder zwischen Resignation und Hoffnung pendelt und dabei bei universellem Humanismus angelangt.
Das Leben der Anderen [Florian Henckel von Donnersmarck]
(Deutschland 2006)
Oscarprämiertes aus Deutschland. Und das vollkommen zurecht. Während viele deutsche Regisseure die 00er Jahre nutzten um alberne – bestenfalls nette – Ostalgiekomödien zu drehen, inszenierte Florian Henckel von Donnersmarck mit Das Leben der Anderen ein subtiles, nachdenkliches Stasidrama, in dem nicht die Überwachten sondern der Überwacher selbst im Mittelpunkt steht. Und zwar als Mensch mit Schwächen, Ängsten aber auch Moral und Menschlichkeit. Dadurch wird Das Leben der Anderen zur spannenden Geschichtsstunde und weit darüber hinaus zu einem ergreifenden Drama um das Leben in einer Überwachungsmaschinerie, irgendwo zwischen Macht, Verantwortung und Einsamkeit.
19 [Kazushi Watanabe]
(Japan 2000)
Das japanische Neo-Noir Drama 19 wirkt nach wie ein verfilmtes Stockholm-Syndrom: Ohne ersichtlichen Grund wird ein Student von drei jungen Männern entführt, zu einem obskuren Ausflug gezwungen und verbrüdert sich dabei mehr und mehr mit seinen „Peinigern“, bis diese schließlich ein weiteres Opfer finden. Erzählt wird dieses kafkaeske Gesellschaftsstück in faszinierenden, ausgebleichten Digitalaufnahmen, unterlegt von einem ultracoolen Score, mit viel schwarzem Tarantinoesken Humor und zugleich mit merkwürdigen, beängstigenden Grenzverschiebungen. Vieles lässt der ruhige, trockene Film offen. Fragen und Optionen interessieren ihn mehr als klare Statements und so weiß er trotz langsamer Narration die gesamte Laufzeit über zu unterhalten und zu verblüffen.
The man who wasnt there [Joel & Ethan Coen]
(USA 2001)
Die Coens fühlen sich in ziemlich vielen Genres wohl, ziemlich leicht ersichtlich hier oder hier. Beim Neo-Noir-Thrillerdrama The man who wasn’t there üben sich die beiden in grotesk gebrochener Tragik. Trotz des immer wieder aufkeimenden schwarzen Humor hat das Drama um einen ständig scheiternden, scheinbar verfluchten Friseur weitaus mehr von einer klassischen griechischen Tragödie als einem postmodernen Spielspektakel. Immer wieder wird der Protagonist mit Ausweglosigkeiten konfrontiert, der unterkühlte, langsam erzählte Streifen ist brutal deterministisch, nimmt sich seine Figuren und setzt sie schonungslos vielfachen Schicksalsschlägen aus. The man who wasn’t there ist vielleicht nicht einer der besten Coens, beweist aber eindrucksvoll wie vielfältig ihre Mittel – trotz ähnlich gelagerter Thematiken sind.
Der Pianist [Roman Polanski]
(Frankreich, Polen 2002)
Sollte man in der künstlerischen Verarbeitung der Shoa nach Schönheit und Menschlichkeit suchen? Hollywood hat diese Frage schon lange – nicht erst seit Spielbergs „Schindlers Liste“ – mit Ja beantwortet. Aber auch Hollywood-Exilant Roman Polanski verpflichtet sich in seinem Holocaustdrama Der Pianist weniger erschreckendem Realismus als vielmehr einer Ästhetisierung und Vermenschlichung. Warum dies trotzdem funktioniert, warum kein relativierender Schmu dabei herauskommt, liegt an der hervorragenden Kontrastierung von Kunst und Gewalt, an der angenehmen Subtilität und nicht zuletzt am hervorragenden Agieren des Hauptdarstellers Adrien Brody. Die verfilmte Autobiographie des Pianisten Władysław Szpilman wird so zum ergreifenden, mitunter sentimentalen, aber immer berührenden Drama zwischen Schrecken und Schönheit.
Half Nelson [Ryan Fleck]
(USA 2006)
Voll rauer Schönheit steckt die Geschichte eines drogensüchtigen Lehrers Half Nelson. Dabei gelingt es dem spannenden Film niemals in eine triviale Problemfilmecke abzurutschen: Er vermeidet größtenteils sowohl „Club der toten Dichter“-Romantik als auch 187-Thrill und findet stattdessen einen ungezwungenen, realistisch ambivalenten und dennoch mitreißenden Blick auf seine Protagonisten. Ebenso verzichtet er auf einen allzu korrekt erhobenen Zeigefinger und erfreut sich stattdessen viel lieber am rauen, knochigen Charme des Milieus, dessen Licht- und Schattenseiten er detailliert nachzeichnet. So wird Half Nelson zum packenden Brooklyn Outsiderdrama, ebenso stilsicher wie atmosphärisch, ebenso provozierend wie Sympathie weckend.
Brokeback Mountain [Ang Lee]
(USA, Kanada 2005)
Kaum zu glauben, dass die Darstellung zweier schwuler Cowboys in konservativen Kreisen Amerikas immer noch für Aufregung sorgen kann… Sei es drum. Ang Lees leisem, anrührenden Spätwestern geht es nie um die Provokation, nie um den plumpen Effekt. Mit äußerster Sensibilität nähert es sich der Unsicherheit und wachsenden Liebe seiner Protagonisten, taucht deren erwachenden Gefühle in hochästhetische Landschaftsaufnahmen und widmet viel Zeit nur den beiden. Aber auch neben dieser wunderschönen, mitunter fast schon zu sentimentalen Romanze vermag es der Film zu fesseln, spätestens dann wenn die Grenzen und Schranken der Außenwelt auf das kurzlebige Glück der beiden prallen. Im Laufe der Handlung entwickelt sich Brokeback Mountain so zur fesselnden Tragödie und zum spannenden, klischeefreien Gesellschaftsporträt. Ein ebenso warmherziges wie kaltblütiges Meisterwerk der postmodernen amerikanischen Narration.
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Erstveröffentlichung: 2010
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