Family Guy… oder: Wie man geschickt die Simpsons dekonstruiert

Zum Diskurs über die schwarzhumorige Zeichentrickserie Family Guy gibt es ein äußerst aussagekräftiges Zitat, ausgerechnet in der ebenfalls schwarzhumorigen Konkurrenzserie South Park. In der Folge Cartoon Wars beschwert sich Eric Cartman lautstark darüber, dass alle automatisch davon ausgehen, er müsse doch Family Guy mögen, schließlich träfe die Familie Griffin genau seine Art von Humor. Im folgenden Pamphlet echauffiert sich der Antiheld Cartman darüber, dass seine Witze kontextbezogen, sinnvoll in eine Geschichte eingebettet seien, während Family Guy nur aus der Aneinanderreihung sinnloser Clips bestünde. Im Verlauf der selben South Park Folge wird schließlich aufgedeckt, dass die Autoren von Family Guy Seekühe sind, die per Random-Prinzip sinnlose Clips zusammenstellen aus denen später jeweils die Folgen bestehen.

Jeder der Family Guy schonmal gesehen hat, muss bei dieser satirischen Bloßstellung fast zwangsläufig zustimmend nicken. Family Guy hatte es niemals leicht bei Publikum und Kritikern. So wurde die 1999 gestartete Serie bereits nach drei Staffeln wegen schlechter Quoten vorübergehend eingestellt. Erst vier Jahre später – Dank erheblicher Protestwellen von Fans, Onlinepetitionen und den guten Einschaltquoten der Wiederholungen – wurden weitere Staffeln produziert. Trotzdem haftete Family Guy immer der Ruf an, ein schlechtes Simpsons-Rip-Off zu sein. Gelästert wurde ohnehin immer viel über die anarchische Serie, lieferte diese doch auch genug Steilvorlagen für die Kritiker: Infantiler Humor, endlos gestreckte Fäkalwitze, sinnlose episodische Einschübe, Geschichten ohne narrativen Zusammenhang und vor allem im Gegensatz zu den Simpsons aber auch South Park ein konsequenter Verzicht auf Moral und Botschaft.

Kommen wir nochmal zurück zu den Parodien auf Family Guy. Auch die Simpsons-Macher haben sich heirzu einen kleinen Scherz erlaubt. In der Halloween-Episode „Send in the Clones“ wird Homer durch eine Hängematte gleich dutzend Male geklont. Einer dieser Klone ist eine unverhohlene Anspielung auf Family Guy, sieht er doch genau so aus, wie dessen Protagonist Peter Griffin. So humorvoll dieser Seitenhieb auch sein mag, er könnte nicht weiter von der Realität entfernt sein. Die vorgeworfene und tatsächlich evidente Ähnlichkeit zwischen den gelben Springfieldianern und den knuffigen Figuren aus Quahog ist keineswegs Plagiatismus. Was viele Kritiker und Lästerer nicht erkannt haben, Family Guy ist eine direkte Parodie auf die Simpsons, mehr noch eine Parodie auf den schwarzhumorigen, anarchistischen – in letzter Konsequenz aber dennoch didaktischen, pädagogischen und  moralisierenden – Zeichentrickhumor für Erwachsene schlechthin.

Das beginnt schon bei den dargestellten Figuren: Die Familie Griffin besitzt alle Familienmitglieder, die auch aus den Simpsons bekannt sind. Jedoch wird der klassische Simpsons-Habitus auf brutale Weise gebrochen. Das Familienoberhaupt Peter ist wie Homer eine Satire auf den durchschnittlichen, amerikanischen Familienvater: Fett, faul, gefräßig. Er hasst seinen Job, ist retardiert, verbringt seine Zeit am Liebsten zu Hause vor dem Fernseher. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zwischen den Beiden. Homer Simpsons ist läuterungsfähig. Er verzichtet auf seine Klimaanlage zu Gunsten von Lisas Piano, hält eine aufopferungsvoller Rede für den Respekt vor Frauen (Homer’s Night out), entfernt auf Anraten Lisas den heißgeliebten illegalen Kabelanschluss (Homer vs. Lisa and the 8th Commandment) und findet nach einer „atheistischen Phase“ schließlich zur Kirche zurück (Homer the Heretic). Im Gegensatz dazu bleibt Peter Griffin ungeläutert, mehr noch, seine moralischen Verfehlungen dienen zwar als Ausgangspunkt vieler Episodenhandlungen, bleiben aber im folgenden unreflektiert, bzw. werden nur indirekt mit einer moralischen Läuterung verknüpft (so z.B. wenn er seine Tochter an den Nachbarn verkauft – Simple Rules for Buying My Teenage Daughter).

Noch stärker fällt diese moralische Kontrastierung bei der Gegenüberstellung der weiblichen Protagonistinnen Marge und Lois  auf. Marge ist das emotionale, intuitiv moralische Gewissen der Simpsons. Sie ist in den Läuterungsvorgang Homers oft fest integriert, will immer moralisch richtig handeln, stellt viel von dem im Simpsonskosmos üblichen Anarchismus und Hedonismus in Frage. Auch Lois entspricht diesem instinktiv moralischen, weiblichen Protypen. Jedoch wird ihr natürlicher Moralismus an zahlreichen Stellen fast schon grotesk verzerrt aufgebrochen. Sie entwickelt kleptomanische Züge (Breaking Out Is Hard to Do), offenbart unzählige sexuelle Perversionen (Perfect Castaway) und wirkt mitunter ihrem jüngsten Spross gegenüber mehr als abweisend (Stewie Loves Lois). Die Kinder sind sowieso nochmal ein Fall für sich: Wo bei den Simpsons Außernseiterin Lisa als intelligentes, ethisch korrektes, von der Familie geliebtes Mädchen inszeniert ist, bleibt bei Family Guys Meg nur noch das Außenseitertum übrig, das sogar so weit geht, dass sie selbst von der eigenen Familie zutiefst verachtet wird. Der Lausbub-Prototyp Bart Simpson wird bei Family Guy zum unbeholfenen, vertrottelten und psychotischen Teenager Chris, der Angst vor einem imaginären Affen hat. Das Baby Maggie – das bei den Simpsons fast eine Art stummen, begleitenden Chor darstellt – bekommt die krasseste Kontrastfigur spendiert: Im exzentrischen, egomanischen, verklemmt homosexuellen Stewie, der seine Mutter töten und die Welt beherrschen will.

Neben dieser bissigen Dekonstruktion der Simpson’schen Stereotypen ist es auch der Humor, der sich vielfach bei dem der Simpsons bedient, diesen aber pervertiert und so letzten Endes karikiert. Das betrifft besonders die hier wie da vorkommenden Slapstick-Einlagen. Die Situationskomik der Simpsons lebt davon, klassischen amerikanischen Slapstickhumor aufzugreifen und diesen entweder durch Ausdehnung, Brechung oder Verzerrung zu karikieren. Besonders offensichtlich zum Beispiel im ersten Trailer zum Simpsons-Kinofilm. Klassischer Cartoonslapstick wird aufgegriffen und in seiner Redundanz karikiert, als Homer von einer riesigen Abrissbirne gleich fünf Mal hin und hergewirbelt und gegen besonders absurde „harte“ Objekte gestoßen wird. Zum krönenden Abschluss fällt Homer dann auch noch im Black mit der Abrissbirne zu Boden. Diese Überzeichnung klassischer Situationskomik erschafft etwas neues Unerwartbares durch die pure Übersteigerung. So gelingt es den Simpsons Comic-Slapstick zu bringen, ohne in abgedroschene Tom & Jerry oder Roadrunner Gefilde abzurutschen.

Was macht nun Family Guy? Es bedient sich eben bei genau diesem Prinzip und pervertiert es erneut. Die Übersteigerung der Übersteigerung. Eine Karikatur der Karikatur und damit eine Ausdehnung des Witzes über Grenzen des Lustigen und wieder Lustigen, aber selbst über Grenzen des Unlustigen hinaus, irgendwo dahin, wo es merkwürdigerweise wieder komisch ist. So zum Beispiel in einer fast schon legendär gewordenen Kotzszene, in der der Zuschauer den Protagonisten volle zwei Minuten beim Brechen zusehen darf. Ebenso legendär geworden, die vollkommen sinnlosen Chickenfights, die sich als running gag gleich in mehreren Episoden wiederfinden. Family Guy ist bei derartigen Sinnloselementen eindeutig inspiriert von den Simpsons, kostet diese Elemente jedoch gegen jede dramaturgische Regel endlos lange aus.

Tatsächlich persifliert, karikert und dekonstruiert Family Guy im Folgenden sogar schwarzen amerikanischen Humor an und für sich. Wenn Die nackte Kanone, Monty Python und Mel Brooks als Opfer herhalten, scheint es der Serie plötzlich nicht mehr um die Komik sondern gar um eine Kampfansage gegen den Humor zu gehen. Family Guy macht sich über ein Phänomen des anarchischen Humor lustig, indem es ihn übernimmt und karikiert. Komische Elemente aus beißenden Satiren wie zum Beispiel die berühmt berüchtigte Naked Gun Eröffnungssequenz werden frei interpretiert und in das Niveau von Family Guy eingebettet (PTV). Dass eben genau in jeder Parodie auf die Parodie am Ende des Intros Homer Simpson überfahren wird, gelangweilt kommentiert mit der Frage „Who’s that guy“ kann nur spärlich als Zufall betrachtet werden. Wo die klassische Parodie davon lebt, dass sie ihren Opfern vermeintlich Respekt entgegenbringt, schleudert ihr Family Guy die bittere Wahrheit ins Gesicht: Es ist Verarsche und nichts anderes als Verarsche. Zu diesem Konzept gehört dann auch zwingend die vollkommene Respektlosigkeit gegenüber dem eigenen Vorbild.

Mit dieser Respektlosigkeit wird Family Guy zum Antagonisten seiner Vorbilder und seiner selbst. Family Guy Humor ist auch immer Anti-Humor, indem er den Anti-Humor seiner Ikonen entlarvt und pervertiert. Der Spaß, der sich aus dieser Bewegung ergibt hat ein zutiefst selbstreflexives, selbstironisches, in extremster Ausprägung gar autoaggressives Moment. Family Guy destruiert seine Vorbilder, schont sich selbst in dieser Destruktion auch nicht und wird so durch die respektlose (Eigen)referenz zur Satire der Satire der Satire…. Wenn die Simpsons die Dekonstruktion der klassischen amerikanischen Familie sind, dann ist Family Guy die Dekonstruktion der Simpsons und des mittlerweile ebenso klassischen schwarzen Zeichentrickhumors made in USA.

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Erstveröffentlichung: 2010