Die besten TV-Serien der 90er Jahre II

Im ersten Teil habe ich ja besonders durch die rosarote Nostalgiebrille geschrieben und empfohlen. Die gibt es dieses Mal auch, allerdings nur in einem Fall: Dem wunderbaren, cheesy 90er-Teenager-Prototypen Parker Lewis, der Coole von der Schule. Ansonsten wird es im zweiten Teil weitaus ernster und düsterer. Mit Twin Peaks und Akte X kann ich gleich zwei Mystery-Klassiker empfehlen, an die sich alle 80er Jahrgänge wahrscheinlich noch gut erinnern können und die alle zu spät Geborenen schleunigst nachholen sollten. Dazu gesellt sich mit NYPD Blue ein echter Crime-Klassiker, aus einer guten alten Zeit, in der Thriller-Serien nicht nur daraus bestanden, in Leichen rumzupuhlen. Ein bisschen Science Fiction gibt es dann auch noch mit dem zweiten großen 90er Star Trek Ableger, der umstrittenen Soap im Weltraum Deep Space Nine. Und wenn es einfach nur klassische Sitcom-Unterhaltung sein soll… kein Problem. Der Comedy-Klassiker Seinfeld zeigt allen Kings of Queens und two and a half men wie echter Humor auszusehen hat.

Twin Peaks [David Lynch, Mark Frost]

(USA 1990 – 1991)

{2 Staffeln, 30 Episoden à 45 Minuten}

Die Mutter aller 90er Jahre Mysteryserien, das Meisterwerk von David Lynch ist längst zum TV-Kultklassiker geworden. Was wie eine etwas obskure Krimiserie um die Ermittlungen im Mordfall Laura Palma beginnt, entwickelt sich sukzessive zu einem mysteriösen, hochdramatischen, hochkomplexen und ziemlich skurrilen Surrealismus-Trip der seinesgleichen sucht. Schriller schräger Humor, brutale Interludien, Comedy, Crime, Drama, und vor allem die Verwicklungen und Intrigen in dem kleinen Nest Twin Peaks, die von der Grundierung fast an Soaps erinnern und dabei immer immer absurder werdende Züge annehmen, inklusive Transgender-Thematik, Esoterik, Weissagungen, großen Riesen und kleinen Zwergen in roten Räumen. Spätestens mit Staffel 2 verlor die Serie vollkommen den Boden unter den Füßen, verlor sich in obskuren Gestaltwandlungsprozessen und außerirdischen Legenden. Was zurück blieb, waren überforderte Zuschauer und das Gefühl, dass gerade auf dem Fernsehbildschirm wirklich großartiges, unbegreifliches geschehen war, auch wenn man kein Bild davon verstanden hatte… Wahnsinn!

Parker Lewis – Der Coole von der Schule  [Clyde Phillips, Lon Diamond]

(USA 1990 – 1993)

{3 Staffeln, 73 Episoden à 25 Minuten}

Wie sieht der prototypische amerikanische Teenager der 90er Jahre aus? Wie wollten wir als Kids alle sein? Richtig, wie Parker Lewis oder zumindest wie sein Kumpel Mikey. Die comichaft überzeichnete, knallbunte, mitunter sau komische Serie definierte mindestens für eine halbe Dekade wie Coolness zu High School Zeiten auszusehen hatte. Nichts war hier real, nichts war realistisch: Von der Kleidung über den Habitus der Protagonisten bis zu den schrägen Situationen, in die sie hinein gerieten und aus denen sie sich noch schräger wieder hinaus manövrierten. Und genau das macht Parker Lewis can’t loose so besonders. Er ist einfach mal der Inbegriff des Early-90’s-Klischee, eine Comiclandschaft, die der Realität stolz den erhobenen Mittelfinger zeigt, keine Angst vor Überzeichnungen bis zum Extrem hat und dabei ungeheuerlichen Spaß macht.

Akte X  – Die unheimlichen Fälle des FBI [Chris Carter]

(USA 1993 – 2002)

{9 Staffeln, 202 Folgen à 45 Minuten}

Wenn Twin Peaks die Mutter aller 90er Jahre Mysteryserien ist, so ist Akte X das große Vorbild für alle 00er Ausreißer des Genres. Fast zehn Jahre hielt sich die Serie zwischen Ermittlungsthriller, Verschwörungstheorien, Science Fiction, Horror und Mystery-Drama im Programm. Genug Zeit, um so richtig abzudrehen und keinen vernünftigen Abschluss zu finden (auch hierin ist sie Vorbild für so manche 00er-Serie). Aber vergessen wir die letzten Folgen, die ohnehin nicht mehr in unser Jahrzehnt fallen. Davor war Akte X wegweisend… nicht immer, aber oft genug. Mal auf Einzelepisoden und grandiose Fantasy-Ideen konzentriert, mal obskur-geheimnisvoll dem großen Ganzen folgend, tatsächlich einen fortlaufenden Plot kreierend. Klar, da verlor man als Zuschauer hin und wieder den Überblick, wie jetzt Fox‘ Schwester von welchen Außerirdischen zu welchem Genklon mit welchem Kettenraucher… ach, whatever. Akte X war große, epische Mystery Sci-Fi-Unterhaltung immer zwischen tiefer, dramatischer Ernsthaftigkeit und gaga’nen Plot-Twists. Und das Duo Mulder/Scully, haarscharf getrennt durch Gläubigkeit und Skepsis gehört nach wie vor zu den stärksten TV-Teams aller Zeiten. Gerade durch seine kollegial-distanzierte Coolness ungemeine Empathie weckend und zum Mitfiebern einladend. Akte X war groß, ohne Zweifel… und irgendwie ist dann doch auch keiner der 00er Epigonen an das Original ran gekommen.

Star Trek: Deep Space Nine [Rick Berman, Michael Piller]

(USA 1992 – 1999)

{7 Staffeln, 176 Folgen à 45 Minuten}

Jaja, die Soap im Weltraum. Ich lästere auch immer wieder gerne über die Raumstation mit ihren Alltagsgeschichten und die Bordmitglieder mit ihren persönlichen Dramen… Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass DS9 (wie der echte Trekkie sagt) eine würdige Fortsetzung der Enterprise-Mythologie darstellt. R.I.P. Gene Roddenberry auch an dieser Stelle, der vor zwanzig Jahren gestorben ist und auf Deep Space Nine keinen Einfluss mehr hatte. Deren Konzept lebt dann auch tatsächlich weniger von der Weltraum-Action als viel mehr der Politik und dem alltäglichen Drama, das ein stationärer Föderationsort nunmal mit sich bringt. Trotzdem gibtes auch ein paar großartige Kreuzüber zu TNG, das zur selben Zeit spielt, wodurch die ruhigere aber auch komplexe und intelligente Serie das Star Trek Universum um zahlreiche Facetten erweitert. Das Weltall wird größer durch die DS9, auch bedrohlicher, düsterer, verworrener… und gerade dadurch hat sie – auch retrospektiv betrachtet – eine Menge für den Gesamtkosmos Enterprise geleistet.

NYPD Blue [Steven Bochco, David Milch, Paris Barclay]

(USA 1993 – 2005)

{12 Staffeln, 261 Folgen à 45 Minuten}

Bevor das ganze CSI-Gedöns angefangen hat, gab es noch eine amerikanische Krimiserie, in der Ermittler des Morddezernats noch echte Kerle sein durften, in der die Welt nicht nur den High-Tech-Look einer forensischen Investigation gesehen wurde und in der der polizeiliche Alltag von Gewalt, Sex und einem rüden Umgangston bestimmt war. Jepp, NYPD Blue – New York Cops ist alles andere als leichte Kost für den TV-Durchschnittszuschauer: Die wackelige Kameraführung, der räudige Blick auf New York, der harte Umgangston… entlohnt dafür aber mit spannenden Geschichten, einer ambivalenten Charakterzeichnung und den besten Darstellern, die man damals im TV sehen durfte. Vollkommen zurecht gewann das düstere Cop-Drama dann auch eine ganze Reihe an Awards und gehört mit einer Laufzeit von 12 Jahren zu den ausdauerndsten US-Serien überhaupt. Auf die Knie CSI irgendwas Gedöns.

Seinfeld [Larry David, Jerry Seinfeld]

(USA 1989 – 1998)

{9 Staffeln, 180 Folgen à 25 Minuten}

Und dann gab es doch auch tatsächlich noch eine richtig gute amerikanische Sitcom, die vollkommen zurecht einen enormen Kultfaktor entwickelt hat: Suppennazis, Großstadtneurosen, echte Freundschaften, die sich auch mal im Masturbationsenthaltsamkeits-Wettstreit messen… und Kramer. Ohja, vor allem dieser verrückte, scheinbar nichtsnutzige sau komische Kramer! Aber auch die anderen Charaktere mit ihren mal realistischen, mal wirren Geschichten sind Gold wert. Seinfeld lebt einfach von dem gewissen, notwendigen Hauch Authentizität, von dem schnoddrigen, verspielten NY-Humor, von der riesigen Zahl an absurden Momenten… und eben auch von der Menschlichkeit, die die Serie in jeder Minute ausstrahlt. Eine der besten Sitcoms ever und der beste Beweis dafür, dass Lachen aus der Dose durchaus auch großes TV generieren kann.

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Erstveröffentlichung: 2011