„Büro ist wie Achterbahnfahren!“ – Stromberg-Retrospektive (Staffel 1 – 4)

Ich liebe Stromberg (2004 bis heute), seitdem die Serie das erste Mal über die deutschen Fernsehbildschirme flimmerte. Das Rip-Off der (ebenfalls genialen) britischen Satire The Office (2001 – 2003) gehört für mich zu den wenigen Fällen, bei denen das Remake besser funktioniert als das Original. Vielleicht liegt es daran, dass die Mockumentary und Parodie des klassischen Büro-Muffs, die Kombination aus Biedermeierei, fehlender Sensibilität und dreister Inkompetenz noch besser zur deutschen Arbeitswelt passt als zur britischen Mentalität. Vielleicht liegt es daran, dass Autor Ralf Husmann damals genau wusste, wo er die Vorlage abändern muss, wo er konkret Dinge finden konnte, die deutsche Verhaltensauffälligkeiten perfekt persiflieren. Vielleicht liegt es auch am herausragenden Cast, von Christoph Maria Herbst bis zu Bjarne Mädel. Auf jeden Fall war Stromberg immer groß… auch in seinen schwächeren Momenten. Kurz vor der fünften Staffel, die am 8. November auf Pro Sieben startet, will ich an dieser Stelle noch einmal einen kleinen Blick auf die Vergangenheit des „schlechtesten Chefs der Welt“ werfen.

Staffel 1 (2004)

Stromberg gehört einfach mal zu jenen Serien, die mich von Beginn an in ihren Bann gezogen haben. Aber auch heute noch, habe ich immer wieder Spaß daran, mir die erste Staffel – die mittlerweile stolze sieben Jahre auf dem Buckel hat – anzusehen. Das Konzept, dass das damals noch frisch war, ist trotz seines Alters nach wie vor mitreißend und schlicht genial. Die Kombination aus Mockumentary und dreister satirischer Überzeichnung, das geschickte Wechseln zwischen Realismus und Karikatur, der Griff direkt ins Leben und die folgende Überspitzung der Geschehnisse, ohne dass der Zuschauer jemals – wenn auch kopfschüttelnd – Verständnis für die Protagonisten verliert. Ja, bereits in Staffel 1 sind alle Zutaten vorhanden, die Stromberg zu so einer großen Comedy-Serie werden lassen.

Über ihre zeitlose Klasse hinaus lebt die Premiere des Capitol’schen Büroalltags vor allem von dem herausragenden Wechselspiel zwischen dem vollkommen inkompetenten, dafür aber umso selbstverliebteren Stromberg und seiner seriösen Chefin Frau Berkel und dem nicht nur ungemein sympathischen sondern ebenso kompetenten Konkurrenten Sinan Turçulu. Dieser weitaus beliebtere und angesehenere Chef der Schadensregulierung von A-L bietet dann auch alle Möglichkeiten, um Strombergs negative Eigenschaften hervorzuholen und vorzuführen. Ausgerechnet „der Türke“  kompetenter und erfolgreicher als Bernd von M-Z, und das wird zu allem Überfluss von der Chefetage (Tuberkel) auch noch honoriert.

Dementsprechend lebt die Serie zu Beginn vom Zweikampf zwischen den beiden unterschiedlichen Versicherungstypen und dem Ringen Strombergs um Aufmerksamkeit von oben. Aber auch intern werden die Rollen schon klar vergeben: Der Büro-Aussenseiter Ernie (Bjarne Mädel) gehört mit zu den komischsten und tragischsten Figuren der Serie und darf auch gleich in der dritten Folge Mobbing für den ersten emotionalen Nackenschlag gegen die Zuschauer sorgen, wenn er während anhaltender Demütigung in Tränen ausbricht. Hier zeigt sich schon, dass Stromberg nicht nur vom Humor lebt, sondern mindestens genau so von der emotionalen Fallhöhe, von den plötzlich aufkeimenden, ungemein tragischen Ereignissen. Dies betrifft ebenso die doppelte Kündigung Erikas in Diebstahl und Die Beförderung, wie den erneuten Tränenausbruch Ernies, nachdem dieser alle Hoffnungen auf eine Romanze mit Tanja begräbt, während sie mit Ernies Peiniger Ulf eine Beziehung eingeht (Der letzte Tag).

Aber auch zu Lachen gibt es mehr als reichlich: So zum Beispiel Strombergs verzweifelter Versuch sich mit Wohltätigkeit bei der Chefetage anzubiedern (Die gute Tat), seine Verbindung aus fehlender Sensibilität und mehr als offensichtlicher Hinterfotzigkeit, wenn es um die Beschaffung eines Geschenkes für seine Vorgesetzte geht (Feueralarm) oder der schmerzhaft peinliche Auftritt beim Assessment-Center im Kampf um die Beförderung (Der letzte Tag).

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Staffel 2 (2005)

Die zweite Staffel präsentiert Stromberg auf dem Höhepunkt seines Humors, seiner Tragik, seiner Charakterzeichnung, seiner… die zweite Staffel ist einfach die beste der Serie überhaupt. Und das verdankt sie vor allem einem Namen: Herr Becker, der neue Vorgesetzte der gesamten Schadensregulierung. Das Außergewöhnliche an Stromberg ist ja immer der Kontrast zwischen Karikatur und Authentizität gewesen. Das karikierende Moment zeigt sich in den Protagonisten, die prototypische Verhaltensmuster an den Tag legen und dadurch schmerzhaft direkt und ungemein komisch Spiegelbilder der Gesellschaft werden: Ulf der Kerl, Tanja die hilflose Nette, Ernie der schräge Außenseiter etc… Für die Authentizität sorgt für gewöhnlich das normale Büropersonal, die Statisten, die in kleinen Momenten, dem gesamten Stromberg-Setting Leben und Realismus einhauchen. Die Entscheidung einem „realistischen“ Charakter eine Hauptrolle zu geben, gehört mit zu den stärksten Entscheidungen des gesamten Serie. Timo Becker ist einfach echt: Ein Normalo, ein Chef, der meistens nett ist, versucht sich mit seinen Kollegen und Untergebenen zu arrangieren, aber auch ein Mensch, der mal aus der Haut fahren kann, laut und rücksichtslos wird.

Dieser realistische Charakter wird nun auf Stromberg losgelassen… oder besser gesagt, umgekehrt. Stromberg darf herrlich fies gegen den Sympanten von der Ecke intrigieren, lästern und hetzen. Urkomisch sind die daraus entstehenden Situationen: Die Fassungslosigkeit Beckers angesichts Strombergs peinlichen Auftretens in der Folge Bowling („Ich hab mich nur geschämt!“), der Kampf zwischen purer Antipathie und der Hoffnung sich mit dem inkompetenten Kollegen doch noch arrangieren zu können (Männerfreundschaft), aber auch das realistisch harte Durchgreifen, wenn es tatsächlich ernst wird (Die Putzfrau). Angeheizt durch den neuen Widersacher trumpft auch die Figur Strombergs in der zweiten Staffel so richtig auf… in jederlei Hinsicht. Unglaublich bewegend, dieser emotionale Ausbruch, wenn Stromberg für einen Moment seine Maske fallen lässt und einen halben Nervenzusammenbruch erleidet (Der Kurs), urkomisch wie Stromberg frisch von seiner Frau getrennt nach Liebe Sex (Badminton), beruflicher Anerkennung (Die Kündigung) und Sinn in seinem Leben (Tag der offenen Tür) sucht.

Auch die Nebenfiguren dürfen in dieser Staffel so richtig glänzen: Ernie entwickelt sich vom Versager zum – nicht respektierten – Bürotyrannen und Streber, darf zwischendurch noch eine ungemein hübsche und charmante Freundin abgreifen, während er die Karriereleiter emporklettert. Dass er es sich am Schluss alles durch seinen eigenen, übertriebenen Ehrgeiz verscherzt (Tag der offenen Tür) ist nur konsequent und offenbart wieder einmal die erschütternde – und tragikomische – Brutalität, mit der die Macher diese Figur erzählen. Auch die Beziehung zwischen Ulf und Tanja bekommt eine ganze Reihe neuer Facetten, spätestens durch den misslungenen Heiratsantrag und das mindestens genau so misslungene Ja-Wort.

Die zweite Staffel ist nicht nur der Höhepunkt stromberg’scher Erzählkunst sondern gehört auch mit zu den besten Momenten im deutschen Fernsehen überhaupt.

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Staffel 3 (2007)

In der dritten Staffel offenbart Stromberg zum ersten Mal kleine Schwächen. Wie bereits die große Klasse in der zweiten Staffel ist auch dies mit einem Namen verbunden: Hans-Jürgen Wehmeyer. Simon Licht macht seine Sache als neuer Vorgesetzter von Becker und Stromberg zwar gut, der neuen Figur gelingt es aber nicht die Akzente zu setzen, die die großen Nebencharaktere zuvor etablieren konnten. Zu schwammig, zu unspezifisch ist die Mischung aus Macher und großspurigem Marketingmenschen, zu unlogisch scheint mitunter die Verteidigung Strombergs, zu ikonsistent der Wandel vom Bernd-Fan zum Bernd-Hasser. Trotzdem hat auch die dritte Staffel ihre starken Momente zu bieten, allen voran die potentielle Krebserkrankung Strombergs in der Folge Fasching. Diese eröffnet wieder einmal hervorragende Möglichkeiten für emotionale und sogar pathetische Momente, dievon den Machern auf kongeniale Weise genutzt werden. Die Szene mit Ernie und Bernd im Büro, in der voller Ernst der Name  „Berthold“ benutzt wird, gehört mit zu den ergreifendsten Momenten der Serie überhaupt. Die Romanze mit der leider etwas stereotyp bleibenden Nicole hat ebenfalls ihre bewegenden Momente, auch wenn sie letzten Endes zu schnell vorbei ist, um Strombergs Charakter tatsächlich neue Facetten abzugewinnen.

Ansonsten sind es in der Dritten vor allem die Nebenfiguren, die Stromberg auf gewohnt hohem Niveau präsentieren. Die Entwicklung von Ernie zum depressiven, gebrochenen Menschen wird konsequent – und ziemlich brutal – durchgezogen. Die Reaktionen der Abteilung auf Strombergs plötzlichen Wandel zum Gutmenschen (Der Protest) gibt zahllose Möglichkeiten auch die Mitarbeiter (ehemals Statisten) in den Mittelpunkt zu rücken. Und dann stehen da natürlich noch Krankheit (Herr Loehrmann) und Tod (Erika) im Mittelpunkt der dritten Staffel. Dass dies erwartbar ist, angesichts der Tatsache, dass die Produzenten gezwungen sind, neue narrative Möglichkeiten auszuprobieren… geschenkt. Trotzdem wirken gerade die letzten Folgen der Staffel in ihrem dunklen Pathos beinahe ein wenig überkandidelt, etwas zu sehr auf die großen Affekte der Protagonisten und Zuschauer ausgelegt. Zu lachen gibt es aber Gott sei Dank auch mehr als genug: Ein Hund im Büro (Lulu), Image-Aufpolierungen und Homophobien (Jochen) präsentieren oft genug den herrlich dreckigen, grimmigen Humor, für den man Stromberg einfach nur lieben kann. Damit liegt die dritte Staffel immer noch ordentlich über der sonstigen TV-Comedyware, gehört aber alles in allem nicht zu den Glanzlichtern der Serie.

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Staffel 4 (2009)

Nicht ganz so stark wie Staffel eins und zwei, aber wieder weitaus origineller und spannender als beim dritten Streich präsnetiert sich Stromberg in neuer Umgebung in Staffel 4. Die Strafversetzung nach Finsdorf, die den Großteil der 2009er Episoden ausmacht gehört zu den großen Glücksgriffen der Serie. Herrlich charmant werden Eigenheiten und Skurrilitäten der „Dörfler“ gezeigt und karikiert. Dabei pendelt die Darstellung Finsdorfs stets zwischen überraschend geerdetem Realismus und dreister – alles andere als feinfühliger – Karikatur: Vom Dorfstammtisch (Seelsorge), über die bauernschaluen Einwohner, die Stromberg – Gott seis gedankt – nicht auf den Leim gehen (Herr Nehring) bis zur gemütlichen, ländlichen Langsamkeit (Finsdorf) gibt es genug großer Momente, die Idylle und Wahnsinn abseits der Stadt charakterisieren. Auch darüber hinaus trumpft die vierte Staffel auf: Die Beförderung Tanjas zur Chefin – die eigentlich viel zu gut für diesen Sauhaufen von Abteilung ist – sorgt für eine Menge Zündstoff und interessante Subplots. Vor allem die Ausarbeitung des bis dato eher stereotypen Charakters Ulf zum Beziehungsmenschen und gar Romantiker (Pärchenabend) eröffnet überraschende, neue Facetten der Nebenprotagonisten. Und mit der Episodenrolle des Gernot gibt es auch endlich mal eine Figur, die noch unsympathischer, noch arschiger und noch prolliger ist als Bernd himself.

Neben den Höhepunkten hat Strombergs vierter Auftritt eine Menge solider Momente zu bieten, denen es aber nicht gelingt, die Genialität früherer Tage zu erreichen: Die Geschichte Ernies scheint irgendwie zu Ende erzählt, und selbst drastische Maßnahmen der Autoren (Der Suizidversuch in der Folge Finsdorf) können nichts daran ändern, dass dieser Charakter sich ein wenig in eine Sackgasse manövriert. Die Romanze Strombergs mit Jennifer… naja, ist okay, passt aber nicht so recht zu den beiden Figuren, auch wenn die Präsentation ihres Sohnes Helge dem Bernd neue interessante Facetten abgewinnen kann. Alles in allem ist Staffel 4 grundsolide, weder im negativen noch besonders positiven Sinne. Sie ist gewohnt gute Stromberg-Kost, die jeden Fan der Serie zu unterhalten weiß und unter Beweis stellt, dass die Büroserie auch in ihrem vierten Jahr noch ausgesprochen gut funktioniert.

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And then…

Die DVD der fünften Staffel ist bestellt. Die erste Folge gestern hat mich nicht vom Hocker gehauen… Das haben die ersten Episoden der Staffeln aber nie. Erfahrungsgemäß dreht Stromberg immer erst gegen Mitte der Staffel so richtig auf. Ich bin also optimistisch und freue mich bereits auf den 11.11., an dem die DVD veröffentlicht wird und hoffentlich auch schnell den Weg zu mir findet.

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