Borat: Anschluss Moviefilm (2020) – Kein guter, aber ein sehenswerter Film

Rudy Giuliani, republikanischer Politiker, ehemaliger Bürgermeister von New York, Anwalt und Rechtsberater von Donald Trump liegt auf dem Bett eines Hotelzimmers. Über ihn gebeugt ist eine junge Frau, die ihm anscheinend dabei hilft, ein Ansteckmikrofon abzulegen. Und dann passiert es. Entspannt lehnt sich Giuliani zurück und greift tief in seine Hose mit anscheinend ziemlich eindeutiger Absicht. Bevor diese irritierende Szene weitergehen kann, wird sie auch schon gestört. Ein in Reizwäsche gekleideter Borat (Sacha Baron Cohen) stürmt in das Zimmer und schreit Giuliani an, die Frau sei 15, sie sei zu alt für Rudy. Er Borat würde sich an ihrer statt dem mächtigen, alten Mann hingeben. Giuliani ist verwirrt, ruft seine Security-Leute, und Borat und seine Filmtochter fliehen. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Diese kurze Episode ist nicht nur der neue Film Sacha Baron Cohens in a Nutshell, er ist auch sein zentraler Moment, sein größter Aufreger, seine Berechtigung und vermutlich auch sein stärkstes Erbe. Da kann Cohen noch so viele (insgesamt neunzig) Minuten drumherum packen, wer Borat Anschluss Moviefilm (2020) – eine Quasi-Fortsetzung von Borat – Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen (2006) – sehen will, tut dies vor allem wegen dieser einen Szene, die schon vor der Premiere der Mockumentary auf Amazon Prime keine zwei Wochen vor der US-Wahl 2020 für einige mediale Aufregung sorgte. Dementsprechend wird dieser neue Borat-Streich wohl nie ganz die Verknüpfung mit dem kleinen Giuliani-Skandal loswerden, selbst wenn er sich bemüht, deutlich mehr zu sein.

Borat (Sacha Baron Cohen) hat Mist gebaut. Nach seiner ersten Reise nach Amerika – und der daraus entstandenen Dokumentation – ist Kasachstan zur Lachnummer der ganzen Welt geworden. Außer sich vor Wut steckt der kasachische Präsident Nursultan Nazarbayev (Dani Popescu) den Journalisten in einen Gulag, wo er bis zum Ende seines Lebens schmoren soll. Es kommt allerdings anders. In den USA wird mit Donald Trump ein Mann Präsident, der offensichtlich eine Vorliebe für Diktatoren und Diktaturen aller Art hat. Borat wird aus dem Gulag freigelassen und beauftragt, dem Präsidenten ein Geschenk zu machen, um die beiden Nationen eng aneinander zu schweißen und den guten Ruf Kasachstans wiederherzustellen. Das Geschenk ist der kasachische Minister für Kultur, der Affe Johnny the Monkey. Borat fliegt nach einem kurzen Abstecher in sein Heimatdorf mit dem Affen in einer Kiste in die USA, um das Präsent Trumps wichtigstem Mann Mike Pence zu überreichen. Als er an seinem Ziel angekommen die Kiste öffnet, ist die Überraschung groß. Tutar (Maria Bakalova), Borats fünfzehnjährige Tochter, hat sich heimlich in die Kiste geschlichen, um mit ihm zusammen in das Land zu reisen, wo junge Frauen anscheinend durch die Heirat mit dem richtigen Mann zu viel Ruhm und Reichtum gelangen können. Durch großen Hunger und zwecks mangelnder Alternativen hat Tutar den als Geschenk geplanten Affen während der Reise verspeist. Borat bleibt keine andere Wahl, als seine Pläne zu ändern: Das neue Geschenk soll Tutar selbst sein. Dafür muss sie aber erst einmal mit den amerikanischen Sitten und Gebräuchen vertraut gemacht werden und braucht als Mädchen aus einfachsten Verhältnissen ein ordentliches Make Over. Gott sei Dank gibt es genug hilfsbereite Amerikanerinnen und Amerikaner, die Borat und Tutar bei ihrer Mission unter die Arme greifen.

Das scheint erst einmal alles wie gehabt, wie man es von Sacha Baron Cohens Filmen und Shows kennt. Getarnt als kasachische Hinterwäldler sucht der Regisseur und Hauptdarsteller diverse Menschen auf, lässt sie im Glauben, sie wären Teil einer echten Dokumentation, und versucht ihnen Dinge zu entlocken, die sie sonst nie von sich geben würden. Leider hat sich dieses Konzept nicht nur etwas überholt, zudem ist es gar nicht mehr so einfach, unbedarfte Teilnehmer für Cohens böse Streiche zu finden. Der erste Borat-Film war einfach zu erfolgreich. Wenn Cohen in der Maskerade des tumben Journalisten über die amerikanischen Straßen spaziert, wird er erkannt: Leute jubeln ihm zu, Leute wollen Autogramme, Leute verfolgen ihn… Borat Subsequent Moviefilm ist zugute zu halten, dass er gar nicht erst versucht, die dadurch entstehende Erschwerung der filmischen Mission zu verbergen. Im Gegenteil, er thematisiert sie transparent und offensiv. Er zeigt sogar einige fehlgeschlagene Inkognito-Momente Cohens, an deren Ende Schauspieler Sacha wie Figur Borat verzweifelt vor einer ganzen Meute schaulustiger Fans fliehen. Somit gibt sich der Film dann auch selbst die Berechtigung, Cohens Maskeraden-Arsenal zu erweitern und eine zweite große Rolle einzuführen. Die bulgarische Schauspielerin Marija Bakalowa hat es als Borats Tochter dabei erwartungsgemäß schwer, neben dem in Maskerade, Persiflage und Improvisation geübten Cohen zu bestehen, liefert dafür aber einen exzellenten Job ab. Ja, es gibt sogar Momente, in denen sie dem großen Maestro die Show stiehlt, in denen Cohen für einen Augenblick selbst verblüfft zu sein scheint, welch derbe Späße seine fiktive Filmtochter aus dem Stegreif bringen kann.

Mit dieser Rekonfiguration der Ausgangslage begibt sich Borat dann doch noch auf eine Reise, die dem ersten Teil in vielfacher Hinsicht ähnelt: Eine Reise ins konservative Amerika, um dieses bloßzustellen, vorzuführen – beziehungsweise ihm die Chance zu geben, sich selbst vorzuführen – und ganz generell auf den Arm zu nehmen. Sie besuchen einen Debütantinnenball und führen dort einen (lange im Gedächtnis bleibenden) Periodentanz auf, sie lassen sich Make Up- und Verhaltenstipps von einer Influencerin geben, Tutar wird von einer gläubigen Babysitterin betreut, Borat begibt sich mit zwei QAnon-Anhängern in Covid-Quarantäne, fragt in einer Synagoge nach, ob der Holocaust tatsächlich stattgefunden hat, stürmt in Trump-Verkleidung einen Parteitag der Republikaner, und alles kumuliert schließlich in dem Giuliani-Interview, bei dem Tutar als nationalistische aber auch naive Journalistin auftritt, der es anscheinend recht leicht gelingt Rudys Eros zu wecken. Auf dem Papier klingt das erst einmal großartig, und in der Tat bieten einige – wenn auch nicht alle – dieser Episoden den klassischen Verve, den man bereits beim ersten Borat-Film zu schätzen wusste. Bittere Erkenntnisse aus Borats Begegnungen mit der amerikanischen Rechten sind unter anderem, dass rassistische Lieder bei einer March for Our Rights-Demo relativ gut ankommen, dass evangelikale Prediger auch von einer Abtreibung des Kindes abraten, wenn der Vater zugleich der Großvater ist, und dass man mit einem Ku Klux Clan Kostüm auf einer Republikanerveranstaltung nur irritierte Blicke erntet, während man im Trump-Outfit (inklusive Maske) sofort von der Security rausgeschmissen wird. Das alles garniert von der unterhaltsamen Portion Rest-Ungewissheit, was hier denn nun gestellt, was inszeniert und was real ist.

Aber das ist leider nur die eine Seite dieser Mockumentary, der man leider ansieht, dass es den Machern äußerst wichtig war, das Teil noch vor der US-Wahl herauszuhauen. Das größte Problem an Borat 2 ist ohne Zweifel seine fehlende Balance aus Story- und Doku-Elementen. Da Cohen deutlich weniger in seiner Borat-Maskerade an- und ausrichten kann als noch im ersten Teil (Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan), baut er eine deutlich komplexere Geschichte um die amüsanten, ethnologischen Beobachtungen. Und wie schon im ersten Teil bringt diese Geschichte ihren ganz eigenen Rattenschwanz an Problemen mit sich. Man kann sich als Zuschauer darüber lustig machen, dass Amazon Prime in seiner Content-Warnung vor dem Film auch den Begriff Blackface aufführt, aber genau das ist die Figur des Borats. Da kann man sich noch so sehr dahinter verstecken, dass die karikierte Figur eines kasachischen Journalisten ein Mittel ist, um amerikanischen Rechten ihre merkwürdigen Ansichten zu entlocken, sie bleibt dennoch dies: Eine Karikatur, mit allen rassistischen, xenophoben und generell herablassenden Implikationen, die diese mit sich bringt. Und gerade, weil ihre Geschichte – vollkommen losgelöst von den Veralberungen des US-Konservatismus und Rechtspopulismus – einen so großen Raum im Film einnimmt, muss sich Borats Streich die Frage gefallen lassen, ob der Zweck hier noch die Mittel heiligt. Wenn die Figur Borat durch die verwahrlosten Dörfer eines komplett erfundenen Kasachstan läuft, wenn er seine Tochter als im Käfig gehalten inszeniert und als zentralasiatischer Hinterwäldler Angst vor einer Vagina Dentalis äußert, trifft die Satire eben nicht die Reichen und Mächtigen jenseits des Atlantik, sondern die, die sich genau von diesen ohnehin schon eine Menge Spott und Herablassung gefallen lassen müssen. Immer wenn Borat 2 seine eigentliche Geschichte erzählt – und das tut er viel zu häufig und viel zu ausgiebig -, wird er zu einem infantilen, rassistischen und leidlich witzigen Kolonialismusstück. Immer wenn er Film mit Handlung sein will, verliert er sich vollkommen in einer Karikatur, die das ins Zentrum rückt, was er eigentlich nicht karikieren will.

Vielleicht liegt es wirklich daran, dass Cohen Dank seiner Popularität zu wenig Gelegenheit gefunden hat, unwissenden, unbedarften Amerikanern zu begegnen. Vielleicht liegt es auch daran, dass er seiner Mitschauspielerin Maria Bakalova doch zu wenig zugetraut hat, beziehungsweise zu wenig zumuten wollte. Wie dem auch sei, die quasi-dokumentarischen Stücke sind zu wenige und zu kurz. Einige die mit aufgenommen wurden, wie zum Beispiel der Tanz beim Debütantinnenball, bieten nicht einmal einen Mehrwert über die Karikierung der Borat-Figur hinaus. In anderen Stücken wiederum werden die Figuren Borat und seine Tochter Tutar derart überzeichnet, dass die eigentlichen Ziele der Travestie als Sympathieträger daherkommen. Dies betrifft vor allem zwei Auftritte, zum einen Borats Besuch in einer Synagoge, wo der Charakter dann Gott sei Dank relativ schnell einfach nur leise ist und zuhört, als eine Holocaust-Überlebende die Geschichte ihrer Familie erzählt, zum zweiten die Episode mit der Babysitterin, die als äußerst starke Frau so ziemlich alle archaischen Sexismen in Zweifel zieht, mit denen sie von Borat und Tutar konfrontiert wird. Beides sind insofern Schlüsselszenen des Films, da sie erstens die Grenzen dieser Travestie aufzeigen, Momente des Scheiterns der Cohen’schen Komik bedeuten, und weil sie zweitens ein spannendes emotionales Gegengewicht zu den sonst üblicherweise persiflierten Statisten bieten. Cohens Opfer werden in diesen Momenten – auch von Cohen selbst – vermenschlicht, und wir erfahren deutlich mehr über den emotionalen Status des heutigen Amerikas als in den derben revuehaften Momenten.

Borat Anschluss Moviefilm ist kein guter Film. Man sieht ihm viel zu sehr die Hast an, mit der er produziert wurde. Er wirkt mitunter unvollständig, wild zusammengestückelt, abgesehen von dem gruseligen Giuliani-Stück fehlen ihm die großen, wirklich erschreckenden Momente, die den Vorgänger auszeichneten. Das ist aber nicht allein die Schuld Cohens und seiner Figur Borat. Die Welt hat sich in den letzten fünfzehn Jahren verändert: Um aus Rechten die Worte herauszukitzeln, zu denen 2005 noch eine Kunstfigur wie Borat notwendig war, braucht es heute nur noch eine kleine oder große Öffentlichkeit. Ein Ergebnis des Trumpism ist ja auch, dass Dinge gesagt werden, die früher nur unter vorgehaltener Hand (oder eben in Kontakt mit einem schrägen, noch derberen Gegenüber) gesagt wurden. Die Grenzen haben sich einfach derart verschoben, dass das politisch Bizarre, Erschreckende, Absurde und Groteske auch außerhalb eines solchen Versuchsaufbaus stattfinden kann. Borat 2 wirkt überholt, weil seine bizarrsten Momente, seine merkwürdigsten Szenen nicht krasser sind, als das, was wir seit fünf Jahren permanent in ganz normalen Nachrichtensendungen oder im Internet zu sehen bekommen: Trumps Locker-Room-Talk, die Tiraden eines Alex Jones, die rassistischen Entgleisungen einer Roseanne Barr oder die Verschwörungstheorien eines Kanye West… das ist die Realität 2020, das braucht kein Script, kein Herauskitzeln, kein aufwändiges Fake-Setup. In Zeiten von Youtube, Facebook, QAnon, den Foxnews Trump’scher Prägung, Trumps Twitter-Auftritten und Alex Jones‘ Podcast wirkt Borat fast wie ein Anachronismus, ein wehmütiger Blick auf eine bessere Zeit, als man so jemanden wie Borat brauchte, um so etwas zu hören, wie es heute von der (amerikanischen) Rechten permanent zu hören ist.

Trotzdem und genau deswegen ist Borat Anschluss Moviefilm sehenswert: Weil er uns zeigt, wie abgebrüht wir mittlerweile sind, was verbale Entgleisungen betrifft. Weil er uns zeigt, wie sehr wir uns an den politischen Ausnahmezustand gewöhnt haben. Weil er uns damit konfrontiert, wie öffentlich übelster Sexismus mittlerweile ist, und weil er uns daran erinnert, wie tief die amerikanische Rechte in der Trump-Ära gesunken ist. Borat ist ein sehenswerter Film, gerade weil er seine eigene Überholung beinhaltet. Er ist auch ein sehenswerter Film, weil er uns vor Augen führt, wie sensibler wir heute gegenüber problematischen, rassistischen Elementen sind, selbst wenn sie gut gemeint daherkommen. Er ist auch ein sehenswerter Film, weil er in seiner Zerhackstückelung, in seiner Hektik und in seinem Dilettantismus wie Arsch auf Eimer auf dieses verkorkste Jahr 2020 passt. Und er ist auch ein sehenswerter Film, weil er wenige Tage vor der Wahl allen nochmal in den Arsch tritt, die glauben, Trump und all das was er mit sich bringt, wäre nichts weiter als eine weitere Facette amerikanischer, konservativer Politik. „Now vote! Or you will be execute!“ ist die finale Botschaft des Films (inklusive Rechtschreibfehler). Besser konnte es nicht auf den Punkt gebracht werden.

 

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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