Liebe – Glaube – Hoffnung – Die Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl
Ulrich Seidl gehört zu den letzten großen Avantgardisten des deutschsprachigen Kinos, er ist ein Extremist mit Kamera, der hinter nacktem, bisweilen brutalem Naturalismus große Themen versteckt, der sich nicht zu schade dafür ist einen pseudodokumentarischen Überbau zu benutzen, um dahinter große gesellschaftliche, politische und philosophische Themen zu verhandeln. So gelang es ihm in Hundstage (2001) Wien und seine Einwohner bis auf den menschlichsten allzu menschlichsten Kern zu entblättern und anhand trister Lebensbilder ein großes, urbanes Panorama zu entwerfen. Und so konnte er auch in Import Export (2007) einen Clash of the Cultures als Bühne für tiefe humanistische Fragen benutzen. Auch in seiner Paradies-Trilogie verfolgt Seidl dieses Prinzip und geht dabei bereits titeltechnisch in die Offensive: Das hier „Größeres“ erzählt werden soll, steht wohl außer Frage, wenn die drei Filme mit dem Paradies-Präfix gemeinsam den ersten Korintherbrief des Paulus zitieren, als Dreierbund die traditionellen christlichen Tugenden benennen und zudem noch Richtung Ödön von Horváth und dessen Drama Glaube Liebe Hoffnung (1932) schielen. Aber gibt es auch eine Verbindung zwischen den Filmen jenseits der Verbundenheit der Titel? Und wie funktionieren sie als einzelne Werke? Ein Blick auf einen cineastischen Kosmos zwischen Dokumentation und Transzendenz, zwischen Porträt und Satire, zwischen tristem Alltag und großen Drama:
Paradies: Liebe
(Österreich, 2012)
Der abgeschlossene Strand eines kenianischen Feriendomizils, 40 – 50jährige Frauen liegen auf ihren Handtüchern und genießen bei Cocktails und Sonne den erholsamen Urlaub, und direkt hinter dieser spießbürgerlichen Idylle, unmittelbar hinter der Grenze des Feriendomizils beginnt das vermeintlich wilde und exotische Afrika. Da stehen sie, die jungen schwarzen Männer, harren aus und beobachten, bereit zu werben, sobald eine der Urlauberinnen die Grenze überschreitet. Eine dieser abenteuerlustigen Frauen ist die 50jährige Wienerin Teresa, die neugierig durch die Erzählungen einer Freundin auch zur Sugarmama werden und sich einen exotischen, afrikanischen Mann für Nähe, Liebe und auch Körperlichkeit angeln will.
Es sind gleich zwei große thematische Horizonte, die Paradies: Liebe anreißt: Zum einen wäre da der in Prostitution transformierte Geist des Postkolonialismus, die Verführung eines durch Werbeprospekte gepredigten Exotismus, dem gerade die Biedermänner und (in diesem Fall) Biederfrauen allzu gerne verfallen und der für ganz neue Formen der Ausbeutung, des Rassismus und der Unterdrückung sorgt. Der zweite Horizont ist der der titelgebenden Liebe, im ersten Paradies-Film dargestellt als Urinstinkt, als paradiesische Prophezeiung, nach der sich alle Menschen sehnen und für die sie auch bereit sind Lug und Selbstbetrug in Kauf zu nehmen. Teresa (fantastisch gespielt von Margarethe Tiesel) wird zu Beginn in ihrer hoffnungslosen Naivität als ein Mensch charakterisiert, der schon lange nach irgendeiner Form von Liebe dürstet, sie wird in ihrer Sehnsucht als einerseits weich, andererseits aber auch überraschend zielstrebig porträtiert, weiß sie doch, wie alle anderen Sugarmamas, dass sie sich in Kenia all das leisten kann, was in Europa scheinbar längst verloren ist: Einen Mann, dem ihr Alter und ihr Aussehen egal ist, der sie auf den Händen trägt und alles für sie tut, solange sie die richtigen Gegenleistungen erbringt.
Seidl erzählt diese postmoderne Prostitutionsgeschichte mit Gender-Twist in einerseits dokumentarischen, beinahe voyeuristisch ehrlichen Bildern, spart aber auch andererseits nicht an künstlerischen Stilisierungen, die das hier porträtierte Afrika genau in das Licht rücken, in dem es Teresa so gerne sehen würde: Da ruht die Kamera ausgiebig auf den gut gebauten kenianischen Beachboys, da werden Strand und Meer als Paradies auf Erden verkauft und da scheint jeder Spaziergang außerhalb des abgeschotteten Ferienhotels zum exotischen Abenteuer zu werden. Trister, naturalistischer Dokumentarstil trifft Subjektivismus… Kann das gut gehen? Oh ja, es kann. Paradies: Liebe ist ein brutal ehrlicher Film, der sowohl in seinen Dialogen als auch in seinen Settings zu jeder Zeit plausibel und authentisch daherkommt, der knallhart auf die Situation blickt, keine Scheu davor hat, auch auf den hässlichen Erscheinungen des Sextourismus zu verweilen, diese den Zuschauern gnadenlos vor Augen zu führen. Zugleich ist er aber auch ungeheuer emphatisch, nicht nur gegenüber seiner Protagonistin sondern auch gegenüber den vermeintlichen Statisten, den kenianischen Beachboys. So wird Teresa als eine einsame Suchende charakterisiert, als eine erschöpfte, vom Leben enttäuschte Frau, der man nur zu gern etwas Glück gönnen möchte, während ihre männlichen Mitspieler als realitätsbewusste Prostituierte porträtiert werden, die in ihrer Situation zwar nicht glücklich sind, sich aber mit dem arrangiert haben, was diese neue Form von Kolonialismus ihnen ermöglichen kann. In einer der beeindruckendsten Szenen sitzt Munga nach dem Sex vor dem Bett und betrachtet rauchend die schlafende Teresa. Nachdenklichkeit, Müdigkeit und vielleicht auch ein wenig Frust spiegeln sich in seinem Gesicht wider: Keineswegs jedoch Abscheu oder theatralisch übersteigerte Verzweiflung an der Situation.
Am faszinierendsten ist jedoch, wie Seidl mit seiner Protagonistin Teresa um- und später auch ins Gericht geht. Herausragend gespielt von Margarethe Tiesel entwickelt sich die Hauptfigur von Paradies: Liebe von einer einsamen, naiven Frau, die nach Zuneigung sucht und sich gerne auch selbst betrügt, um diese zu erhalten, über eine spießige Kolonialherrin hin zu einer durch und durch beängstigenden Sadistin, die sich schlussendlich in ihrem Paradies benimmt wie in einem Gemischtwarenladen, in dem sie sich frei bei den Menschen bedienen kann. Die Entwicklung der Figur spiegelt auch die Entwicklung der Dramaturgie wider: Nachdem sanft spöttisch in das Ambiente zwischen Exotismus und Prostitution eingeführt wurde, zieht der Film nach hinten raus die Daumenschrauben an und wird zu einer brutalen Anklage gegen das herrische Verhalten der Europäerinnen in ihrem Urlaubsparadies und zur eiskalten Sektion des spießigen Hybriden aus Tourismus und Terrorismus. Gerade weil Seidl sich zu Beginn des Films seinen Charakteren so einfühlsam, ja mitleidig nähert, wirkt diese Schlusswendung umso härter und eindringlicher. Paradies: Liebe ist ein dramatisches Meisterwerk, das radikal, jedoch stets plausibel den Weg von der naiven Suche hin zum kalkulierten, brutalen Tabubruch geht und damit nicht nur eine realistische Auseinandersetzung mit seinem konkreten Topos, sondern darüber hinaus auch ein generelles, notwendiges Statement zur kolonialistischen Attitüde, die im touristischen Exotismus lauert: Einnehmend, abstoßend und gnadenlos, wenn es darum geht, den Finger auf Wunden der europäisch/afrikanischen Beziehungen zu legen.
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Paradies: Glaube
(Österreich 2012)
Paradies: Glaube ist anders als sein Vorgänger. Wo Seidl die Sehnsucht nach Liebe primär mit dem scharfen Messer des Naturalisten seziert, bewegt er sich in der Auseinandersetzung mit dem Glauben in überspitztere, partiell surreale, mitunter gar satirische Gefilde. Im Mittelpunkt steht die Schwester der Teresa aus Paradies: Liebe. Anna Maria (grandios: Maria Hofstätter) ist eine durch und durch gläubige Frau, die ihre Religion zu Hause zwischen Entzücken, Askese und Masochismus pflegt und gleichzeitig immer wieder ausfährt um mit ihrer wandernden Marienstatue die Nachbarschaft zu missionieren. Dieses persönliche Glaubensparadies wird erheblich gestört als ihr querschnittsgelähmter und muslimischer Ehemann nach langjährigem Aufenthalt in Ägypten nach Hause heimkehrt. In Marias Wohnung entbrennt ein Kleinkrieg zwischen den beiden, um Glaubensfragen. Liebesfragen und das gemeinsame miteinander sowie gegeneinander.
Seidl inszeniert diesen Kleinkrieg als groteske Farce, in der sich stille, bedrückende Momente mit schreiend komischen Absurditäten abwechseln.Im Gegensatz zu Paradies: Liebe setzt Seidl dabei weniger auf eine allmähliche Eskalierung der Situation, sondern langt gleich von Beginn an in die Vollen: Wenn Anna Maria sich in einem kargen Zimmer vor dem Kruzifix selbst geißelt, wenn sie schreit, flucht, fleht und kämpft, um sich ihren eigenen Mikrokosmos zu bewahren, dann bleibt wenig Platz für eine subtile Charakterentwicklung. Auch wenn die Protagonistin dabei immer komplex und diversifiziert dargestellt wird, so kann doch keine Empathie für ihre Situation aufkommen. Stattdessen versammeln sich in ihr gleich mehrere Kriege: Tradition gegen Moderne, Westen gegen Osten, Christentum gegen Islam… Seidl geizt an dieser Stelle nicht mit großen Gesten und provokanten Bildern.
So wie dadurch die Empathie verloren geht, macht dies allerdings auch die Stärke dieses gnadenlosen Films aus. Im Gegensatz zum Liebespanoptikum ist Paradies: Glaube angriffslustig, kennt kein Erbarmen, weder mit seiner Protagonistin noch mit den Zuschauern, und hält so auch ohne Rücksicht mit der Kamera drauf, wenn Anna Maria ihren Glauben ins Sexuelle pervertiert, bis hin zu einer eindringlichen Szene, in der das Gottesbild zum Masturbationswerkzeug wird. Hofstätter lässt sich auf diese Charakterisierung dankenswerterweise voll ein und liefert ein faszinierendes Vexierspiel zwischen Verzweiflung, Hoffnung und krankhaftem Wahn. Vor allem ihr ist es zu verdanken, dass die Glaubensfarce nie zum platten blasphemischen Pamphlet wird.
Während die Protagonistin eine faszinierende – allerdings nie zur Identifikationsfigur taugende – Karikatur einer Gläubigen wird, sorgt Nabil Saleh für die erheiternden, auflockernden und vor allem auch emphatischen Momente des Films. Dem Glaubenswahn seiner Frau fassungslos gegenüberstehend, nimmt er dennoch den hoffnungslosen Kampf gegen ihre Götzen auf. Dabei kann der Zuschauer gar nicht anders als den liebevollen, leicht tyrannischen Mann mit Schalk im Nacken irgendwann sympathisch zu finden und sich mit seinem Kampf zu identifizieren. Wie bereits im ersten Teil der Trilogie sorgt hier der Vorurteils-Twist, einen konservativen, fundamentalistischen „Westen“ mit einem aufgeklärten, säkularisierten „Osten“ zu konfrontieren, für eine spitzbübige Note, die das Thema fernab bekannter Klischees behandelt. Trotzdem ist Paradies: Glaube alles in allem zu karikaturistisch, zu überzeichnet, um die Intensität von Paradies: Liebe zu erreichen. Kein Meisterwerk wie sein Vorgänger, aber immer noch eine dichte – herrlich provokante – Auseinandersetzung mit Spiritualität und Religiosität, sowie ein bissiger, amüsanter Rosenkrieg, dem etwas weniger Symbolismus und etwas mehr Empathie gut getan hätte.
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Paradies: Hoffnung
(Österreich 2013)
Vielleicht sind es die Twists der Narrationsebenen, die alle drei Filme von Seidls Trilogie am stärksten auszeichnen: Im ersten Teil Paradies: Liebe ist es der Gendertwist, der die Frauen als Freier und die Männer als Prostituierte dokumentiert. In Paradies: Glaube ist es der ethnische Twist, der den Westen fundamentalistisch und traditionell, den Osten aufgeklärt und säkular inszeniert. In Paradies: Hoffnung ist es ein gewisser Alterstwist, der die Jugendliche zur Verführerin und den älteren Herrn zum Bedrängten macht. Dabei sieht es am Anfang ganz anders, fast schon klassisch erzählt aus. Die übergewichtige Melanie, die Tochter der Teresa aus dem ersten Film, ist in ihren Sommerferien in einem Diätcamp, in dem mit knallharten Drill den adipösen Teenagern an die Pfunde gegangen werden soll. Melanie hat jedoch weniger Augen für die harten sportlichen Betätigungen und den strengen Ernährungsplan als viel mehr für den fast 60jährigen Arzt, der das Camp leitet. Und gegen alle Wahrscheinlichkeiten kommt es tatsächlich zu einer körperlichen und emotionalen Annäherung der beiden.
Diese Annäherung ist zu Beginn merkwürdig, fast schon grotesk inszeniert. Es schwelt ein Missbrauch in der Luft, eine Ausnutzung der Situation durch einen möglicherweise gar Perversen, die Zerstörung eines jugendlichen Gemüts… und dann, mit fast schon beängstigender Leichtigkeit wechselt Paradies: Hoffnung plötzlich radikal seine Narration und wird zum emphatischen Porträt einer jungen Liebe, das sich weder Verurteilung noch Urteil anmaßt und tief hineinblickt in die Seelenwelt seiner Protagonisten. Im Zentrum steht natürlich die jugendliche Melanie, wie in den beiden Filmen herausragend inszeniert und gespielt (von Melanie Lenz), irgendwo zwischen Aufbegehren und Resignation, Gier nach Leben und naivem Geschehenlassen der Ereignisse. Mindestens genau so viel Respekt gebührt jedoch Joseph Lorenz, der als Arzt zu Beginn suspekt, angsteinflößend wirkt und sich peu à peu zu einem komplexen Charakter zwischen Pflichtbewusstsein und Verführung entwickelt.
So sexualisiert die Annäherung der beiden ungleichen Protagonisten zuerst scheinen mag, so überraschend entwickelt sie sich dann in eine ganz andere Richtung. Nicht nur der Twist, dass die Jugendliche den Erwachsenen in ihre Vorstellung von Romantik manövriert, auch dass diese von Sekunde zu Sekunde unschuldiger wirkt, sorgt hier für eine komplexe Doppelstruktur. Das Lolita-Motiv wird enterotisiert, die Annäherung auf eine merkwürdige Art asexuell entkörperlicht. Zugleich behält sie immer diese unangenehmen, physischen Durchbruchsmomente, die allerdings weniger übergriffig als viel mehr verzweifelt verklemmt und doppelbödig inszeniert werden. Es ist schwer zu umschreiben, wie Seidl hier mit seinen Motiven spielt, wie er die Protagonisten aneinander annähert und voneinander entfernt… nur so viel sei gesagt: Es gelingt ihm auf erstaunlich originelle Weise.
Die titelgebende Hoffnung bleibt dabei lange ein Abstraktum: Im Kosmos zwischen hartem sportlichen Drill, großen einsamen Räumen und unerfülltem Begehren scheint kein Platz für sie zu sein; maximal vielleicht als pubertäre Utopie, die durch ihre Irrationalität stets satirisch gebrochen ist. Aber keine Sorge… sie kommt, und sie schließt die Trilogie ungemein einfühlsam ab. Tatsächlich ist Paradies: Hoffnung der wärmste Film der Reihe, der versöhnlichste, der Film, der dich nach der Tortur der ersten beiden Werke in den Arm nimmt und flüstert: „Keine Sorge. Alles wird gut!“ Und dieser Eindruck kulminiert in der fantastischen, leisen, subtilen und zugleich emotional gewaltigen Schlussszene. Paradies: Hoffnung wird in dieser zum humanistischen Manifest, das der Komplexität der vorherigen Handlungen (sowohl von sich selbst als auch den anderen beiden Paradies-Filmen) die so simple und so schlüssige Aussage entgegenschleudert, dass es vielleicht nur die kleine menschliche Geste braucht, um Hoffnung zu machen. Ein Telefonat, ein kleiner Satz, ein offenes emotionales Eingeständnis; mehr braucht es nicht und der Zuschauer muss Seidls filmischen Kosmos nicht ganz traumatisiert und desillusioniert verlassen. Und ja, nach all dem brutalen Naturalismus, Zynismus, den großen und kleinen Spießertragödien war das auch dringend nötig.
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Liebeglaubehoffnung…
Was bleibt abschließend zu sagen? Vielleicht könnte man die Struktur der Trilogie als Ganzes noch betrachten. Tatsächlich waren die drei einzelnen Filme zuerst als ein Episodenfilm geplant (ähnlich wie Hundstage). Erst im Laufe seiner Produktion offenbarte sich Seidl die Möglichkeit drei lose zusammenhängende Filme aus den Stoffen zu machen. Das scheint den einzelnen Filmen gutgetan zu haben. Die einfachen Dispositionen in Verbindung mit dem breiten Raum für Narration und Dramaturgie ermöglichen die Zeichnungen komplexer Charakterporträts. So holt Seidl aus seinen Setups das Maximum heraus: Die Protagonisten werden beleuchtet und durchleuchtet, immer wieder aufgebrochen und erweitert, so dass alle drei Filme faszinierend mehrdimensional daherkommen. Auch inszenatorisch gibt sich Seidl wie immer keine Blöße: In allen drei Filmen ist viel Platz für ruhige Einstellungen, nachdenkliche Bildaufbauten, eindringliche Fotografien und ausdauernde Szenen.
Dabei entwickelt sich vom Paradies der Liebe über den Glauben bis hin zur Hoffnung eine spannende Dramaturgie, die vom rein Naturalistischen über die überspitzte, apokalyptische Satire hin zur sanftmütigen Utopie führt. Paradies: Liebe ist der ehrlichste der drei Filme, Paradies: Glaube der Angriffslustigste, Bösartigste, und Paradies: Hoffnung schließlich der Versöhnlichste: Ein Weg von der Erde über das Fegefeuer durch die Hölle bis schließlich doch noch, zumindest andeutungsweise in das allen dreien titeltechnisch gegebene Paradies. So verführerisch diese Lesart ist, sie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle Filme ganz schön harte Kost sein können: Jeder hat seine dunklen, brutalen kaum auszuhaltenen Momente. Jeder hat seine Spitzen, seine Nadelstiche und auch seine Daumenschrauben.
Ulrich Seidl rechnet in allen drei gnadenlos auf drei sehr unterschiedliche Herangehensweisen mit der österreichischen Gesellschaft ab. Dass das Gesamtergebnis dennoch einen homogenen Kosmos zeichnet ist seiner virtuosen Inszenierung und seinem Gespür für die richtigen, gerne auch mal länger dauernden Momente zu verdanken. Summa Sumarum ist die Paradies-Trilogie trotz leichter Schwächen in der Subtilität bei Teil 2 und leichter Schwächen in der Narration von Teil 3 ein Lichtblick des Kinojahrs 2013. Alle drei Filme haben ihre Berechtigung, alle drei können jeweils als Einzelwerk (Paradies: Liebe gar bedingungslos) empfohlen werden. Zusammen, als Gesamtwerk, als Porträt des Zeitgeistes sind sie jedoch mehr als das: Ein diversifizierter und zugleich stimmiger Gesamtkosmos und als solcher sowohl ästhetisch als auch gesellschaftlich bitter notwendig.
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Erstveröffentlichung: 2014
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