Die besten Filme 2017: Lady MacBeth

Lady MacBeth gehört wohl zu den spannendsten und zugleich furchteinflößendsten Figuren, die William Shakespeare jemals erdichtet hat. Die Lady Macbeth von Mzensk ist der Titel einer 1865 von Nikolaj S. Leskow geschriebenen russischen Novelle, die in der von Dostojewski redigierten Zeitschrift Epocha zum ersten Mal veröffentlicht wurde, 1934 zu einer Oper adaptiert und schließlich im Jahr 2016 von William Oldroyd (ziemlich frei) verfilmt. Jene letzte Adaption – erstaunlicherweise das Langfilmdebüt ihres Regisseurs – brauchte ein gutes Jahr, bis sie in die amerikanischen und deutschen Kinos kam. Und auch wenn der Film zumindest in Großbritannien einige Auszeichnungen einheimsen durfte, scheint er bei der Frage nach den besten Filmen der letzten Jahre ein wenig untergegangen zu sein. Das ist mehr als bedauerlich, verbirgt sich doch unter seiner ruhigen Fassade ein kleiner Filmjuwel und zudem eine ziemlich brutale, verstörende Tragödie, die in sich das Potential birgt, – nicht nur im positiven Sinne – kontrovers rezipiert zu werden.

England im 19. Jahrhundert. Die junge Katherine (Überragend: Florence Pugh) wird an einen älteren Ehemann verkauft, der ihr weder Liebe noch Leidenschaft schenken kann oder will. Stattdessen sperrt er sie wie eine Bedienstete in seinem Haus ein, wo sie von einem distanzierten Dienstmädchen und ihrem herrsch- und kontrollsüchtigen Schwiegervater rund um die Uhr überwacht wird. Als ihr Ehemann zu einer Dienstreise antritt, nutzt sie die Gelegenheit ihren Käfig aufzubrechen, streift auf dem Hof umher und lernt dabei den Knecht Sebastian kennen, für dessen archaisches, wildes Gemüt sie schnell Zuneigung und Begehrlichkeiten entwickelt. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre, der Katherines Schwiegervater aber schnell auf die Spur kommt. Um die Freiheit, von der sie zum ersten Mal kosten konnte, zu verteidigen, greift Katherine zu drastischen Mitteln.

Gerade im ersten Drittel liest sich die Narration von Lady MacBeth wie eine traditionell realistische Novelle des 19. Jahrhunderts, ganz im Geiste Dostojewskis oder – wenn man zu den deutschen Pendants schauen will – Storm oder Fontane. All die klassischen Tropes des Realismus sind hier vorhanden: Die Affäre, die einer ungeliebten, unliebenden, zwangsverheirateten jungen Frau neues Leben einhaucht, das rach- und kontrollsüchtige Patriarchat, der Konflikt zwischen reichem Besitzbürgertum und Patriarchat, das Aufbrechen der Rollenmuster und der Kampf gegen deren Fesseln. Diese Element werden zugleich aber in der filmischen Inszenierung radikal aufgebrochen. Lady MacBeth befreit die Geschichte nämlich von jeder Restromantik, die die Erzählungen dieser Zeit – in der der Film auch spielt – noch aufweisen: Es gibt hier keinen Pathos, keinen moralischen Kompass, keine Sehnsucht, keine Hoffnung und auch keinen ethischen Diskurs. Stattdessen steuert die Tragödie kalt, komprimiert und ohne Schnörkel ihrem Ziel entgegen. Lady MacBeth ist ein unfassbar kompakter Film, hat kein Gramm zu viel auf den Rippen; jede Szene dient der Geschichte, jeder von der Kamera eingefangene Moment hat seine Bewandtnis, jede Kadrage hat ihren Platz im großen Gesamtrahmen.

Genau dies macht die ganze Inszenierung so verführerisch und immersiv. Und dies ermöglicht der ganzen Erzählung dann auch ihren Haken zu schlagen, den man, zumindest sofern man die Vorlage nicht kennt und auf den Titel nicht zu sehr achtet, nicht kommen sieht: So wird Lady MacBeth nämlich vom kaltherzigen, dunklen Historiendrama zum umso düstereren umso kaltherzigeren Thriller. Und wahrscheinlich ist das genau der Punkt, an dem der geneigte Leser und die geneigte Leserin einmal wissen sollten, dass Lady MacBeth wirklich zu den besten Historien- und Kostümdramen der letzen Jahre gehört und unbedingt angesehen werden sollte. Aber, und das sei dazugesagt, besitzt der Film auch einen dunklen, ziemlich harten Kern, der ihn nicht nur extrem sondern auch ziemlich kontrovers werden lässt. Und auf diesen muss ich an dieser Stelle einfach eingehen. Es folgen also gleich Spoiler, die niemandem, der den Film noch sehen will, zugemutet werden sollten. Dafür sind seine Überraschungsmomente einfach zu stark, trotz des knisternden Determinismus, dafür ist sein Strudel einfach zu gewaltig, wenn man ohne Vorkenntnisse hineingezogen wird. Also ab ins Kino (bzw. zum Streamingdienst eurer Wahl) und wenn ihr den Film dann gesehen habt, dürft ihr gerne weiter lesen.

Also wie bereits gesagt, ist Lady MacBeth ein unglaublich kompakter, fokussierter und vor allem auch konzentrierter Film. Alles konzentriert sich in der hervorragend gespielten und herausragend inszenierten Figur der Katherine, deren Perspektive nur in ganz wenigen minimalen Szenen verlassen wird. Diese Protagonistin eignet sich nicht als Heldin, nicht einmal als Antiheldin, weil sie in ihrer Fokussiertheit von Minute zu Minute kälter und berechnender zu werden scheint. Dabei ist die Perversion ihres Freiheitskampfes natürlich ein Produkt ihrer Zeit und Umstände. Sie ist das, was das Patriarchat des 19. Jahrhunderts aus ihr gemacht hat, sie wird nicht einfach nur so, wie sie ist, sie wird auch und in erster Linie so gemacht; der Kontext zwingt sie zum Verbrechen. So zumindest die feministische Lesart. Der Film bietet aber en passant auch noch eine zweite Lesart an, die in der Analogisierung des 19. mit dem 21. Jahrhunderts geradezu konservativ wenn nicht sogar regressiv, reaktionär daherkommt. Ist die Perversion ein Ergebnis der Unterdrückung oder nicht viel mehr ein Ergebnis des Freiheitskampfes? fragt der Film an dieser Stelle. Führt die Emanzipation der Protagonistin gleichzeitig zum Erwachen ihres dämonischen Inneren? Waren die Fesseln, die ihr angelegt wurden nicht sogar notwendige Fesseln um das ihrer Weiblichkeit immanent Böse in Zaum zu halten?

Man könnte es sich leicht machen und den Film verteidigen, in dem man diese Interpretationsebene ignoriert oder gar als Ergebnis einer nervösen Überinterpretation abtut. Aber angesichts ihrer Möglichkeit fallen dann eben doch auch die anderen regressiven Momente der Erzählung ins Auge: So zum Beispiel der Beginn der verheerenden Affäre, der nahezu ärgerlich konservativ das klassische Rape Culture Märchen von der überrumpelnden, fast vergewaltigten und diese Vergewaltigung schließlich genießenden und sogar fordernden Frau kolportiert. Oder auch das Motiv des Weiblich Urbösen, das sich zu Beginn in einem zynischen Lächeln angesichts einer demütigenden Erfahrung äußert, später in aller Deutlichkeit durchbricht, wenn die Protagonistin ihren Ehrgeiz tatsächlich zu titelgebendem MacBeth’schem Extrem treibt. „Sie ist eine Seuche!“ schreit in diesem Moment einer der Protagonisten heraus, während Katherine wie ein eiskalter Sukkubus daherkommt, dem nichts Menschliches mehr eigen ist. Am Schluss ist diese Lady MacBeth in erster Linie eben doch Täterin; ohne Reue, ohne Moral, eine Täterin die jegliche Anteilnahme des Zuschauers auf dem vom Film entworfenen Tableau für ihre Ziele geopfert hat. Katherine kann nicht mehr, will nicht mehr verstanden werden, stattdessen wird sie zu einer Art Reinkarnation des sich befreienden Bösen, ein gefallener Engel, ein weiblicher Luzifer, der auch die Unschuld – zuerst in Form eines weißen Pferdes, dann in Form eines Kindes – tötet. In seiner regressiven Lesart ist Lady MacBeth auch ein unheilvoller konservativer Moralporno, der es dem Zuschauer ermöglicht, sich mit Schaudern von der Protagonistin abzuwenden, und zugleich morbide Freude am Ausschlachten seiner verbrecherischen Handlung hat. Geht man mit diesem Urteil mit dem Film zu hart ins Gericht? Vielleicht, bleibt er doch bis zu seiner letzten Minute edel, fokussiert und visuell und inszenatorisch erstklassig. Dieser dunklen narrativen (Anti)-Seele dieses schließlich vollends zum kontroversen Thriller mutierten Dramas muss man sich aber stellen, wenn man ihn in seiner Gänze würdigen will.

Am Ende bleibt der kalte Blick der Protagonistin und das eisige Schweigen des Films, der damit seiner eigenen potentiellen Rohheit auch irgendwie entkommt: Immerhin wurde hier nicht kommentiert, nur geschildert, nicht gewertet, nur erzählt. Schmerzhaft bleibt dieses eiskalte Ende aber auch in Erinnerung. Vielleicht werden sich Kritiker in ein paar Jahren dem Film nochmal an- und dieses Moment genauer auseinandernehmen. Vielleicht wird er dann wieder neu entdeckt, vielleicht auch neu diskutiert. Denn tatsächlich steckt unter seiner schnörkellosen, meisterhaften Oberfläche weitaus mehr narrative Kontroverse als in vielen anderen vermeintlich extremen Filmen der letzten Jahre.

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