Kurzrezensionen: Tulpenfieber, Die Verführten

Es gibt Genrekategorien, die mir immer ein Rätsel sein werden. Eines davon ist das Genre des Kostümfilms. Das Problem dieser Schublade ist vor allem, dass sie durch einen anderen Begriff nicht nur besetzt sondern auch weitaus besser repräsentiert scheint, nämlich den des Historienfilms. Sobald ein Film in einem historischen Setting spielt, gibt es selbstverständlich einen Fokus auf Kostüme und Sets, die der Zeit entsprechen; egal ob es sich um das chinesische Kaiserreich oder die deutsche Gründerzeit handelt. Warum also eine Kategorisierung benutzen, die ihren Fokus einzig auf die Kostümierung setzt und alle anderen wichtigen Eigenschaften von Filmen mit historischem Stoff ignoriert? Vielleicht, weil es manche Filme selbst so machen… Folgt man Wikipedia, dann ist ein Kostümfilm ein Film, „der sich durch überdurchschnittlich hohe Produktionswerte bei Dekorationen, Bauten, Kostümen und Requisiten auszeichnet.“. Man darf hier gut und gerne das Wort „primär“ ergänzen und man kommt der Wahrheit und dem pejorativen Moment, das in dem Begriff Kostümfilm mitschwingt schon näher. Niemand würde auf die Idee kommen, Stanley Kubricks Spartacus (1960) als Kostümfilm zu bezeichnen, einfach weil seine Größe mit Sicherheit nicht durch die hübschen Kostüme definiert wird. Andererseits fühlt es sich komisch an, den Heimatfilm-Blockbuster Sissi (1955) als Historienfilm zu bezeichnen, weil er in jeder Sekunde wirkt, als wäre den Produzenten eine schöne Optik und eine romantisierende Atmosphäre wichtiger gewesen als das akkurate Porträt einer genau genommen ziemlich düsteren und grausamen Epoche. Besonders beim historischen Heimatfilm der 50er und 60er Jahre scheint die Kategorie Historienfilm so fehlangebracht wie die Kategorie Katastrophenfilm für für das Trashwerk Sharknado.

Aber wo ist die Grenze? Wann hört der Historienfilm oder das historisch verortete Drama auf und wann beginnt der Kostümfilm? Eine eigene Betrachtung wäre vielleicht sogar das sexistische Moment der Kategorie Kostümfilm wert. Es scheint der Fall zu sein, das tendenziell Filme mit weiblichem Lead Cast und „weiblichen Themen“ gerne als Kostümfilm kategorisiert werden, selbst wenn sie weitaus eher tiefgründiges Drama sind als ihre männlichen Gegenparts. So würden wohl nicht wenige Kinogänger das herausragende Drama Sinn und Sinnlichkeit (1995) als Kostümfilm bezeichnen, während der um einiges flachere Robin Hood (1991) weitaus bessere Chancen hat, entweder als Abenteuerfilm, Actionfilm oder gar Historienfilm kategorisiert zu werden. Diese – auf jeden Fall diskutable – Beobachtung wird auch bei den folgenden Rezensionen eine Rolle spielen. Denn bei beiden Filmen handelt es sich um historisch verortete Dramen, deren Fokus eindeutig auf Frauen liegt. Und im Gegensatz zum großartigen Lady MacBeth (2017) stehen auch durchaus eher die Schauwerte in ihrem Mittelpunkt. Um es sich darüber hinaus um sehenswerte Dramen/Historienfilme/Thriller oder ähnliche handelt, folgt nach dem Klick.

Die Verführten [Sofia Coppola]

(USA 2017)

Mit Marie Antoinette (2006) hat Sofia Coppola ja bereits einen historischen Film im Portfolio, der mehr als offensichtlich und mit stolzgeschwellter Brust die Schauwerte über den Inhalt stellt. Oberflächlichkeit würde dieser Regisseurin aber so schnell niemand vorwerfen. Erst Recht nicht, wenn sie sich einen Stoff vorknüpft, der bereits einmal verfilmt wurde und zwar derart exzessiv oberflächlich, dass auch ein Remake ihm nicht mehr viel anhaben kann. Der Stoff ist in dem Fall die Novelle The Beguiled (1966) von Thomas P. Cullinan; und die erste gleichnamige Verfilmung von Don Siegel ist eine maximal vergnügliche Polarisierung der düsteren Vorlage. The Beguiled (1971) kommt im Ansatz als großes, historisches Thrillerdrama daher und wandelt sich dann doch ziemlich radikal zum dreckigen Horrorschinken, in dem ein hysterischer Clint Eastwood Opfer von rachsüchtigen Südstaatenladies wird. Ein bisschen Pulp, ein bisschen Revengethriller, ein bisschen Western, ziemlich konsequent aus der Perspektive des männlichen Protagonisten erzählt und dabei nicht mit immersiven Nahaufnahmen sparend. Man muss gar nicht so weit gehen, dem Film Misogynie vorzuwerfen, um zu sehen, dass er vor allem ein Schocker ist, der mit den Ängsten eines männlichen Publikums spielen will, ganz gleich ob er diese nun evoziert oder dekonstruiert.

Sofia Coppola geht in ihrem Remake dankenswerterweise einen anderen Weg. Sie gibt dem Stoff seine Erhabenheit und Würde zurück. Wo das Original kreischt, beginnt das Remake zu flüstern, wo das Original den Schrecken in radikalen Nahen widerspiegelt, spielt das Remake vor allem mit Auslassungszeichen, spärlich ausgeleuchteten Szenen, die immer ein bisschen mehr verbergen als sie zeigen. Besonders wird Die Verführten vor allem dadurch, dass er sich dem melodramatischen Moment der Erstverfilmung konsequent entzieht: Das Drama konzentriert sich auf seinen düsteren Hintergrund, während im Vordergrund vieles angenehm entdramatisiert wird. Zur Stärke finden dabei vor allem die im Zentrum stehenden Frauenfiguren – herausragend gespielt von Nicole Kidman, Kirsten Dunst und Elle Fanning -, während der einzige Mann am Set, Colin Farrell, auf unfassbar amüsante Weise die (eher weniger intendierte) Entmännlichung Clint Eastwoods aus dem Original aufgreift und zu ihrem Kern führt: Dem weinerlichen, schwachen Zerrbild eines Soldaten, der auf (ihn überraschend) starke, selbstbewusste Frauen nur mit Hilflosigkeit, Zorn und Hysterie reagieren kann.

Allerdings verlässt sich der Film ein bisschen zu sehr auf diese Konstellation und den (gerne auch mal amüsanten) Geschlechterkrieg und schafft es dadurch nicht, seiner Geschichte mehr Tiefe zu entlocken. So albern man die Holzhammerinszenierung des Originals, inklusive sexistischer Urängste, auch finden mag, der Film hatte zumindest einen Standpunkt. Das Remake mäandert zwischen subtilem Thrillerdrama und – damn it! – seichtem Kostümfilm, dem seine Subtilität mehr als einmal zur Falle wird. Gerade nach hinten hinaus will das Geschehen doch ein wenig zu schön und zu würdevoll sein und verliert dadurch das Potential, zum wirklich radikalen Gegenentwurf zu seinem 70er Jahre Pendant zu werden. Das ist dann auch eine Form von nicht zu leugnender Oberflächlichkeit, die den Film zu brav und zu durchschaubar werden lässt. Ein interessanter, auch irgendwie zeitgemäßer, Beitrag zum Genre bleibt er aber allemal. Ein Film, dem es nicht wehtut „Kostümfilm“ genannt zu werden, der aber auch mehr kann und noch mehr könnte, wenn er sich nur getraut hätte.

Tulpenfieber [Justin Chadwick]

(USA, GB, 2017)

Im Zuge des Tulpenimports aus dem Südosten kam es im 17. Jahrhundert in den Niederlanden zu einer wahren Tulpenmanie: Die Blumen waren nicht mehr nur Dekorationsobjekt, sondern mehr und mehr Projektions-, Sehnsuchts- und daraus resultierend auch Spekulationsobjekt. An den Tulpenbörsen wurden mitunter absurde Preise für die prestigeträchtigen Pflanzen erzielt und der Handel mit ihnen konnte sowohl Reichtum als auch Bankrott versprechen. Dieser Wahnsinn diente Deborah Moggach als Hintergrund für ihren Roman Tulpenfieber (1999), der nun von Justin Chadwick verfilmt wurde.

Die Geschichte ist eigentlich ziemlich typisch für ein Historical Period Drama (die weitaus neutralere Bezeichnung, die die englische Sprache für das Genre des Kostümfilms verwendet): Junge Frau aus Waisenhaus (Alicia Vikander) heiratet gezwungenermaßen einen weitaus älteren, gut betuchten aber ziemlich langweiligen Mann (Christoph Waltz) und verliebt sich im Laufe ihrer eher unglücklichen Ehe natürlich in einen jungen, wilden Künstler. Als Nebenhandlung dient die Liebesgeschichte ihrer Magd mit einem Fischhändler, der sich auf das riskante Gebiet der Tulpenspekulation begibt. So stereotypisch die Grundkonstellation der Geschichte ist, so atypisch ist dann doch vieles in ihrer Aufführung: Als erstes wäre da der von Alicia Vikander hervorragend gespielte Charakter Sophia: Vikander läuft hier nie Gefahr, ihre Protagonistin zur passiv schmachtenden, geknechteten Ehefrau werden zu lassen. Dafür gibt sie ihr viel zu viel Härte, Kälte und auch Selbstbewusstsein mit auf den Weg. Ebenfalls mehr als überzeugend ist Christoph Waltz. Auch sein Cornelis wird nie zum eindimensionalen Haustyrannen. Ganz im Gegenteil: Unter der Haut des drögen Patriarchen verbirgt sich ein spitzbübiger, ja mitunter sogar ziemlich emotionaler, etwas einfältiger Kaufmann, der immer wieder mit unerwarteten Charakterzügen zu überraschen weiß. Gerade weil man Waltz in den letzten Jahren oft als gehässigen Fiesling gesehen hat, ist es eine angenehme Überraschung, ihn weitaus subtiler und zurückhaltender zu erleben.

Was in der Charakterzeichnung ausgesprochen gut funktioniert, verliert sich allerdings schnell im etwas konfusen, mitunter arg konstruierten Plot. Diesem hätte eine Schere doch des öfteren ganz gut getan. Obwohl der Fokus sauber auf die romantische Viererkonstellation gesetzt ist, verliert sich die Geschichte allzu oft in Nebensächlichem, schlingert etwas unbeholfen durch ihr Szenario ohne eine stringente Geschichte zu erzählen. Schlimmer noch: Auf der Suche nach Komplexität entwirft sie immer wieder neue Unabwägbarkeiten, Unglaubwürdigkeiten, abstruse Zufälle und ziemlich dreist forcierte Dramen. Dieses Stolpern von erzwungenem Progress zu erzwungenen Pogress gibt dem Film leider nicht mehr Tiefe sondern schafft viel mehr eine Atmosphäre der Beliebigkeit. Dass der Film sich seiner Story selbst nicht so sicher ist, wird deutlich an der Bilderflut, die er insbesondere in den letzten Akten über sein Publikum wirft. Atemlos folgt er seinem Cast durch die engen Gassen von Amsterdam, badet in dunklen, biedermännischen Bildern und feiert das hektische Treiben der Amsterdamer Tulpenmanie. Dabei ist er so verliebt in seine Sets, seine Zeit und sein Milieu, das kein Raum für gesellschaftskritische, politische oder gar parabolische Motive bleibt, obwohl die Niederlande des 17. Jahrhunderts davon mehr als genug hergeben sollten. Und so bleiben eben doch vor allem die zugegeben prächtigen Kostüme, die zugegeben beeindruckenden Sets und die zugegeben sehr immersiv umgesetzte Atmosphäre der damaligen Zeit. Tulpenfieber ist kein schlechtes Drama, aber dann doch eines, indem die Schauwerte deutlich stärker sind als die Handlung, nicht weil diese zu flach wäre, sonder gerade weil diese zu forciert komplex und bemüht ausufernd ist. Es kann einem daher auch ein wenig Leid tun, dieses Urteil zu fällen, aber ja: Tulpenfieber ist ein gelungener Kostümfilm, aber ein arg durchschnittliches Drama, das sich in seinem eigenen Anspruch verliert.

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