Kurzrezensionen Die Haut in der ich wohne, Womb, Wrecked

Dreimal das Sujet Identität, jedes Mal auf vollkommen andere Weise verarbeitet: Während der Film von Pedro Almodóvar Die Haut in der ich wohne (2011) auf ästhetizistische, hocherotische Bilder setzt, bewegt sich Womb (2010) in den kargen, minimalistischen Gefilden klassischer Arthaus-Dramen. Und die Direct-to-DVD-Produktion Wrecked (2011) wiederum versucht sich in der Tradition, dunkler, verwobener amerikanischer Mindfuck- und Survival-Thriller. In welchem Genre hat die Thematik die Nase vorn, welchem Film gelingt es, dem Stoff neue Blickwinkel abzutrotzen, und welches Werk geht mit dem schweren Thema baden? Drei Filme, drei Rezensionen, ein Motiv: Cineastische Identitätssuche und Selbstfindung nach dem Klick…

Die Haut in der ich wohne [Pedro Almodóvar]

(Spanien, 2011)

Eigentlich war Pedro Almodóvar für mich immer der Ästhet, der warmherzige Bildverliebte und vor allem der Humanist unter den europäischen Arthaus-Regisseuren. Alles über meine Mutter, Sprich mit ihr, Volver… das sind zwar mitunter harte, schwere und auch melodramatische Stoffe, aber dem Spanier gelang es immer, diesen das Menschliche zu entlocken und damit empathische Dramen um Kommunikation, Beziehungen und Selbstfindungen zu erzählen. Und jetzt das? Ein kalter, zynischer Fashion-Thriller in sterilem und zugleich edlem Ambiente? Zumindest der Trailer und die ersten Kritiken ließen auf genau einen solchen Film schließen: Almodóvar-atypisch, böse und vielleicht sogar entmenschlicht. Das kann doch eigentlich nicht sein…

…Kann es nicht und ist es auch nicht. Trotz des düsteren Sujets um Abhängigkeiten, Verbrechen und wahnsinnige Schöpfungen, trotz einer gewissen sterilen und kalten Note, bewegt sich auch „Die Haut in der ich wohne“ in der klassischen Ästhetik und Dramaturgie, die man von dem Regisseur kennt und schätzt. Oberflächlich gesehen haben wir es mit einem klassischen, postmodernen Pygmalion-Stoff zu tun: Ein wahnsinniger Wissenschaftler (Antonio Banderas) hat sich ein wunderschönes, nahezu perfekt scheinendes Abbild seiner verstorbenen Frau geschaffen. Dieses engelsgleiche Wesen namens Vera hält er aus unbekannten Gründen in seinem gigantischen Anwesen gefangen. Wie es zu der Schöpfung kam, wer sich hinter Vera verbirgt, wird in gediegenen, ganz sachte verschachtelten Rückblenden erzählt, bis der Zuschauer schließlich der kompletten, schrecklichen Wahrheit auf den Grund kommt.

Der Weg zu dieser Wahrheit gestaltet sich für den Zuschauer ebenso betörend wie beklemmend. Almodovar nimmt einen unglaublich kalten und düsteren Ausgangsstoff und erzählt auf dessem Fundament so etwas wie ein postmodernes, ästhetizistisches Märchen, das sich nie ganz sicher ist, ob es nun Lust oder Angst erzeugen will. Das beginnt schon mit der mehr als ungewöhnlichen Struktur, die das hier und jetzt als Basis nimmt, den Ist-Zustand aber beinahe beiläufig anhand von Subplots erzählt, nur um dann zentral einen Rückblick zu installieren, der fast die gesamte Filmlaufzeit einnimmt. Obwohl beide Erzählebenen – sowohl die Gegenwärtige als auch Vergangene – streng linear, dialektisch verlaufen, entsteht dadurch ein Gefühl der Determiniertheit, das gerade im letzten, ziemlich rasant laufenden Drittel ein permanentes Unbehagen erzeugt. Auch in der Bildsprache ist „Die Haut in der ich wohne“ angenehm inkonsequent: Die Dramaturgie der kosmetischen Chirurgie wird sachte eingeführt, um in kalten, sterilen Bildern ihre düstere Seite zu offenbaren. Und zugleich ästhetiziert sich der Film zu erotischen Höhenflügen: Wenn die vernähte und gereinigte Haut in detaillierten, mikrokosmischen Aufnahmen ihre Perfektion offenbart, wenn die Hand des Schöpfers vorsichtig nach Unebenheiten tastet, um schließlich Vollkommenheit zu attestieren, spielt die Erzählung der Bilder bewusst mit Lusterzeugung und Erotik. Trotz des Sujets ist Almodovar in diesen Momenten ganz nah dran am stilverliebten, wunderschönen und hoffnungslos ergebenen Bilderreigen.

Dass es dabei nie zu sehr Richtung Softerotik-Kitsch abdriftet ist nicht nur der herausragenden Thrillerdramaturgie sondern ebenso den geschickten, dekonstruktivistischen Einschüben zu verdanken. Almodovar hat keine Angst vor der Albernheit, vor der Bloßstellung atavistischer, menschlicher Züge und breitet diese Lust genüsslich in gleich mehreren Subplots aus: Fragile Erotik wird gebrochen von hemmungslosem, animalischem und dabei beinahe lächerlichem Sex. Die Faszination der Grausamkeit geht immer mit einem Stück Menschwerdung einher, und die Rolle von Opfer und Täter, Verführendem und Verführtem, Peiniger und Freund wechseln stetig. Dazu gehört unter anderem der mehr als spannende – fast schon zu beiläufig erzählte – Plot um Marilia, die abwechselnd Despotin, Ersatzmutter, Freundin und tragische Liebende ist.

So darf der Zuschauer den Kinosaal mit einem guten, kathartischen Gefühl verlassen. Trotz der gesehenen Schrecken scheint irgendwie, irgendwo die Menschlichkeit obsiegt zu haben. Identitäten gingen verloren wurden wiedergefunden, wurden begraben und sind doch wieder zum Leben erwacht. Die Haut in der ich wohne ist ein exquisites, erotisches, wunderschönes – hin und wieder auch kaltes – aber immer faszinierendes Filmerlebnis. Ein kleiner Arthaus-Juwel und zugleich einer der besten Filme Almodovars, dessen Filmographie keineswegs arm an Meisterwerken ist: Die Identitätssuche als vordergründig kalte, letzten Endes warmherzige und sogar humanistische Reise in menschliche Abgründe, in denen sich eben doch nicht nur vordergründig pure Schönheit finden lässt. Mehr als sehenswert.

 

Womb [Benedek Fliegauf]

(Deutschland 2010)

Karge Landschaften, langsame und ruhige Bilder, Blicke in stumme Gesichter, die alles erzählen, indem sie nichts erzählen… Ja, wir sind mitten drin im deutschen Arthaus-Kino der 00er-Prägung. Daran kann auch der internationale Cast, unter anderem mit der großartigen Eva Green und Matt Smith, nichts ändern. Benedek Fliegauf erzählt seine Geschichte über Genetik, geklonte Menschen und inzestuöse Gefühle mit der ruhigen Hand eines europäischen Filmmachers, ohne große Aufregung, allerdings mit mitunter prätentiös wirkender Distanz zu dem gesamten Geschehen.

Dieses kommt entsprechend gediegen und stilverliebt daher: Eine unschuldige Kinderliebe, geprägt von der präpubertären Ahnung von Zärtlichkeit und Sexualität. Auch wenn Rebecca und Tommy sich nur ein paar Tage als Kinder sehen, scheint dies doch die große Liebe zu sein. Rebecca muss mit ihrer Mutter nach Japan und sie sehen sich fast zwanzig Jahre nicht mehr. Bei ihrer Wiederkehr scheint trotzdem alles wie damals: Die Liebe flammt erneut auf, die beiden scheinen sich endgültig und für immer gefunden zu haben und doch schlägt das Schicksal wieder erbarmungslos zu. Ein verheerender Unfall, Tommy stirbt und Rebecca ist wieder allein mit ihren Gefühlen, mit ihrer Sehnsucht und Liebe. Sie trifft die folgenschwere Entscheidung, Tommy zu klonen, das daraus entstandene Kind selbst zu gebären und wie ihren eigenen Sohn groß zu ziehen. Je älter der neue Tommy wird, umso stärker wallen ihre alten Gefühle wieder auf.

Womb erzählt im Grunde genommen eine klassische Klon-Geschichte, verzichtet dabei auf jeden Science Fiction Ballast und präsentiert sich stattdessen als leise Tragödie, die mit pygmalion’schen und ödipalen Motiven spielt. Ohnehin versteht sich Womb in erster Linie als psychoanalytischen Film. Das beginnt bereits bei den impressionistischen – wunderschön fotografierten – Landschaftsaufnahmen, die auch immer ein wenig das Seelenleben ihrer Protagonisten offenbaren wollen, das geht weiter in der traumatischen, langsam zirkulierenden Erzählweise und mündet schließlich in zahllose erotisierte Symbolismen. Bereits das erste Viertel des Films, die Liebesgeschichte der beiden Kinder ist zersetzt von erotischen und freudianischen Symbolen, von sexualisierten Bildern und unkonkreten Andeutungen. Das ist zwar schön anzusehen, wirkt aber in seinem Schwelgen in kindlicher Präsexualität mehr als einmal grenzwertig, bis hin zur pädophilen Bildsprache.

Der eigentliche Hauptteil des Films kann dann leider wenig neues erzählen: Zwischen gediegenen Bildern und einer beklemmenden inzestuösen Atmosphäre erzählt Womb seine Motive solide zu Ende. Überraschungen gibt es da weniger, stattdessen das klassische Arthaus-Programm: Nachdenklich, symbolistisch, ein wenig gesellschaftskritisch, aber sowohl in Bildsprache als auch offensichtlicher Narration viel zu sehr an der Oberfläche kratzend. Dazu gehören dann ebenfalls die eingeplanten Provokationen, die aber auch irgendwie abfallen, nicht nur weil sie vorhersehbar sind sondern auch allzu routiniert runtergespult werden. Womb ist kein schlechter Film, weiß allein durch seine Aufnahmen und seine Subtexte gefällig zu unterhalten. Alles in allem bleibt es aber ein dröges, unentschieden zwischen spröde und ästhetizistisch torkelndes, Arthaus-Drama, das dem Thema keine neue Facetten abgewinnt und ziemlich schnell wieder vergessen ist: Die Identitätssuche als karges Arthaus-Drama und menschliche Tragödie, die schön anzusehen ist, dem Thema aber nur an der Oberfläche gerecht wird.

 

Wrecked [Michael Greenspan]

(Kanada 2011)

Ein Mann wacht in einem Auto auf, ohne Erinnerung daran was geschah, wo er herkommt und wer er ist. Offensichtlich wurde er in einen Unfall verwickelt. Um ihn herum ist nichts außer einer gigantischen Waldlandschaft, das Auto hängt zertrümmert zwischen den Bäumen, und auf dem Rücksitz liegt eine Leiche. Die einzige Gesellschaft für den Unbekannten sind ein herumstreunender Hund und das Autoradio, das zu allem Überfluss noch von einem Bankraub berichtet und der Fahndung nach dem Wagen, der die temporäre Unterkunft des Verlorenen ist. Dieser befindet sich nun nicht nur auf der Suche nach sich selbst, sondern muss zudem in der erbarmungslosen Natur um das nackte Überleben kämpfen.

Joa… soweit so gut. Wrecked kreuzt den mittlerweile klassischen, postmodernen US-Mindfuck-Thriller mit einem Survival-Drama und Motiven des Kampfes „Geist gegen Materie“, „Mensch gegen Natur“. Dabei gelingt es ihm aber weder als spannendes Thriller-Drama noch als parabolische Identitätssuche zu überzeugen. Problem Nummer eins: Wrecked präsentiert ein spannendes Fundament und konzentriert sich dann doch fast vollkommen auf das Survival-Moment der Geschichte. Das funktioniert leider nur bedingt, da die Zivilisation nie allzu fern scheint, da die gezeigten kanadischen Wälder nie die Beklemmung einer atavistischen Hölle darstellen, die für diese Form von spannendem, mitreißenden Überlebenskampf notwendig ist. Problem Nummer zwei: So bleibt der Kampf ums Überleben ein ziemlich langweiliges über den Waldboden Robben. Eine wirkliche Bedrohung scheint so gut wie nie zu bestehen, stattdessen verschwendet der Film unendlich viel Zeit mit bedrohlichen Naturaufnahmen, unterlegt von einem unglaublich nervigen, permanent dröhnenden Thriller-Score.

Problem Nummer drei: Der Protagonist – hervorragend gespielt von Adrien Brody – bietet weder Identifizierung noch Sympathie. Dafür verhält er sich einfach zu dämlich, vermutlich ein Versuch der Dramaturgie-Abteilung doch noch spannende Momente zu erzeugen. Das gelingt aber nicht, wenn jede konstruierte Gefahr auf der Unachtsamkeit und dem unlogischen Verhalten des Protagonisten fußt. Man fiebert einfach nicht gerne mit, wenn sich jeder dramatische Moment durch gesunden Menschenverstand hätte umgehen lassen. Stattdessen gibt es dann eher ein „Selbst schuld!“ oder noch schlimmer, ein verzweifeltes „Warum bist du so dämlich?“. Auch die Auflockerungen durch – vollkommen deplatzierte, spartanische – Flashbacks und symbolüberfrachtete Visionen kann daran nichts ändern. Wrecked bleibt ein langweiliger bis ärgerlicher B-Movie-Thriller. Sehr gute Bilder, sehr gutes Spiel, nerviger Schnitt, nerviges Soundmastering, nervige Geschichte, banale Plot-Twists und eine ungeheuerlich vergeigte Dramaturgie. Ist im Direct-to-DVD-Bereich bestens aufgehoben und taugt gerade mal als durchschnittlich unterhaltsame B-Movie-Ware. Die Identitätssuche als Survival-Thriller Dutzendware von der Stange ohne Gefühl für die Möglichkeiten der Motive und des Genres.

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Erstveröffentlichung: 2012