Kurzrezensionen: Captain Phillips, 12 Years a Slave, Snowpiercer, Trance – Gefährliche Erinnerung

Unbedingt mal wieder Zeit für einen aktuellen Filmabriss… Irgendwie tut es mir derzeit um so ziemlich jeden Film leid, den ich sehe und zu dem ich es nicht schaffe, wenigstens ein oder zwei Zeilen zu Papier zu bringen; liegt nicht nur daran, dass ich das Gefühl habe, mussmansehen.de giere nach Content, sondern auch einfach weil das Niederschreiben mir selbst hilft meine Meinung zu dem entsprechenden Film zu verarbeiten und zu fixieren, auch über den (ähnlichen) Effekt eines  Nach-Kinobesuch-Gesprächs hinaus. Hier also jetzt ein paar kurze Gedanken zu einigen Filmen, die ich in den letzten Wochen/Monaten gesehen habe. Keine tiefgründige Analyse, keine umfangreiche Auseinandersetzung, nur ein oder zwei Cents, die ich glaube zu den Werken noch loswerden zu müssen. Dieses Mal sind die Big Budget Großprojekte an der Reihe: Zweimal Oscar-Gewinner in Captain Phillips und 12 Years a Slave, einmal stilsicherer Heist-Mindfuck in Trance, und einmal groteske Weltuntergangsphantasien zwischen Korea und Traumfabrik in Snowpiercer. 2014 ist btw. bis dato ein verdammt gutes Filmjahr.

Captain Phillips [Paul Greengrass]

(USA 2013)

Auf einer wahren Begebenheit basierenden Geschichte über einen Frachter-Kapitän, der im Jahr 2009 an der afrikanischen Küste von somalischen Piraten entführt wird und mit diesen bis zu seiner Rettung mehrere Tage in einem winzigen Rettungsboot ausharren muss: Unabhängig vom Wahrheitsgehalt des hier Dargestellten – mehrere in die Geschehnisse involvierte Personen widersprechen vehement den Erzählungen des echten Captain Philips, die die einzige Quelle der damaligen Ereignisse darstellen – gelingt es dem Film, ohne großes Brimborium einen bedrückend realistischen Piratenangriff inklusive anschließender Entführung zu schildern: In diesem Szenario ist dann auch kein Platz für große Heldentaten, mitreißende Action und dramatische Plottwists, stattdessen beginnt der Film äußerst nüchtern, zeichnet fast schon dokumentarisch den Überfall der Piraten auf die Maersk Alabama nach und landet über die beklemmende Ohnmacht der Opfer doch irgendwie bei großem Hollywood-Pathos. Kein Wunder, verantwortlicher Regisseur ist Paul Greengrass, der bereits mit United 93 (2006) doch recht solide wahre Katastrophe mit dramatischer Inszenierung kreuzte und dabei immer knapp an der Pietätlosigkeit vorbeischlidderte. In Captain Phillips gelingt ihm die Balance zwischen Dokumentarischem und Narrativem weitaus besser, auch wenn die Shaky-Cam zu Beginn und das große Orchester zum Schluss ein wenig Nervpotential haben:

Diese Balance verdankt er vor allem einem: Tom Hanks spielt so gut wie seit Philadelphia (1993) nicht mehr und lässt seinen Protagonisten unfassbar ambivalent und menschlich rüberkommen: Zwischen Angst, Verantwortungsbewusstsein, Ohnmacht und Ausschöpfung des eigenen Potentials in einer Extremsituation wirkt dieser Captain Phillips jederzeit verdammt menschlich, Sympathie- und Empathie-weckend. Gleiches kann man von den zweiten Protagonisten, den somalischen Piraten leider nicht behaupten: So differenziert und akribisch Captain Phillips gezeichnet ist, so sehr scheinen seine Entführer auf dem Reißbrett Hollywoods entworfen: Ein brutaler Bully, ein ängstlicher Jüngling, dessen Rolle Mitleid evozieren soll, und ein unbedarfter Simpel, dessen einzige Aufgabe darin zu bestehen scheint, die hier aufgeführten Stereotypen abzurunden. Einzig „Skinny“ Abduwali Muse bekommt etwas mehr Ambivalenz und Charakter zugeschrieben, wird von Barkhad Abdi auch fantastisch verkörpert, wird dann aber doch gegen Ende des Films dem Zentrum, Captain Phillips, geopfert.

So bleibt die Darstellung der Entführung ein kleines postkoloniales Ärgernis, in dem die „Nordwestler“ Charakter zugesprochen bekommen, während der Süden relativ gesichtslos bleibt. Das würde einem komplett die Freude an Captain Phillips vermiesen, wenn dieser nicht so verdammt packend und bewegend wäre. Über die gesamte Laufzeit wird permanent eine Atmosphäre der Angst, Beklemmung und Hilflosigkeit aufrechterhalten, inklusive hochemotionaler, perfekt kalkulierter Epic-Moments. Insbesondere das Ende spielt hier alle Trümpfe eines großen Dramas aus und findet sogar, nach dem erschreckend realistischen „Showdown“ ein wenig Zeit, die in Hollywoodfilmen viel zu oft vernachlässigten, posttraumatischen Emotionen auf Leinwand zu bannen. Es gehört schon einiges an Mut dazu, das vermeintliche Happy End als Tragödie darzustellen und darin so viel menschliche Schwäche zu offenbaren. Allein damit hat Paul Greengrass alles richtig gemacht und vermag es so auch sein Publikum beeindruckt zurückzulassen… auch wenn Captain Phillips in letzter Konsequenz Priveligiertenkino für Priveligierte ist, das dem Nord-Süd-Gefälle nichts anzuhaben vermag; eher im Gegenteil.

12 Years a Slave [Steve McQueen]

(Großbritannien 2013)

Stärker ist da schon Steve McQueens 12 Years a Slave, da sich dieser konsequent der „schwarzen“ Perspektive seines historischen Stoffes – ebenfalls auf einer wahren Geschichte basierend – annimmt. Protagonist ist  Solomon Northup, der in den USA Mitte des 19. Jahrhunderts aus Washington entführt und in die Südstaaten verkauft wird, wo er trotz seiner Herkunft als freier Mann als Schwarzer fortan – über eine Dekade lang – das Leben eines Sklaven führen muss. Steve McQueen versucht dabei den ohnehin schon bedrückenden Realismus der verfilmten Autobiographie nicht künstlich aufzuwerten, verzichtet auf Shaky Cam und anderes Pseudo-Dokumentations-Gedöns und nutzt stattdessen alle Mittel, die das dramatische Kino hergibt. Heraus kommt ein unfassbar bewegender Film, der das Grauen und Unrecht der Sklaverei mal in enervierenden Zeitraffern, zumeist aber in quälend langsamen Szenen erzählt, auch keine Scheu davor hat lange auf den sadistischen Praktiken der Sklavenhalter zu ruhen und so sein Publikum automatisch in die Lebenswirklichkeit der Südstaaten hineinzuziehen.

Unterstützt wird er dabei von einem durch die Bank, bis in die kleinste Nebenrolle überzeugenden, Ensemble, von Paul Dano als von Minderwertigkeitskomplexen geplagter Aufseher über Michael Fassbender als brutaler Plantagenbesitzer mit Hang zu absurden, sadistischen Inszenierungen bis zu Lupita Nyong’o als Sklavin zwischen Stolz und Selbstaufgabe. Das Zentrum des Films gehört aber voll und ganz Chiwetel Ejiofor, der den Protagonisten Solomon mit großer Leidenschaft verkörpert und emotional alles auffährt, was es aus dieser Rolle herauszuholen gilt: Kampfwille, Angst, Trauer, Resignation, Stolz… in der Hauptfigur versammelt sich das gesamte Spektrum menschlicher Emotionen und Verhaltensweisen, und wir als Zuschauer können gar nicht anders als mitzuleiden, mitzukämpfen, mitzuhoffen… 12 Years a Slave findet dabei immer die richtige Balance zwischen Naturalismus, der unter die Haut geht, und künstlerischer Aufarbeitung, die sich immer wieder in elegische Rückblicke flüchtet, in angespannten Momenten verharrt und in all dem Schrecken auch immer wieder Bilder von bloßer Schönheit aus dem Hut zaubert.

So gelingt 12 Years a Slave das Kunststück, nicht nur zu empören, sondern auch emotional zu involvieren, im humanistischsten Sinne: Der Mensch bleibt trotz politischen Themas das Zentrum des Films, Grundemotionen wie Mitleid und Verzweiflung gegenüber der sklavischen Ohnmacht bilden das Fundament für eine bewegende Biographie, die bis in ihre letzte Minute hinein atemberaubend emotional ist und sich dabei jedoch nie in kalkulierte Hollywood-Sentimentalitäten abdriftet: Definitiv der beste „Oscar“-Film dieser Periode, und den Academy Award für best Picture hat sich dieses Drama redlich verdient.

Trance – Gefährliche Erinnerung [Danny Boyle]

(Großbritannien 2013)

Style over Substance Meister Danny Boyle hat wieder einmal zugeschlagen: Trance handelt von einem missglückten Bilderraub, einer großen Erinnerungslücke des Protagonisten und der Hypnose, mit der er diese Lücke füllen will, um das Beutegut zu finden und nicht von seinen Auftraggebern getötet zu werden. Um dies gimmickgerecht zu erzählen wagt Danny Boyle einmal den ganz großen Spagat, beginnt mit einer augenzwinkernden Heist-Erzählung, auf die auch ein Steven Soderbergh mehr als stolz wäre, knickt dann Richtung Mindfuck-Thriller ab, um sich den Inception-Gedächtnispreis abzuholen, nur um kurz darauf jegliche Genrekonventionen über Bord zu werfen und im surrealen Mystery-Ambiente anzukommen. Dass dann am Schluss noch eine gehörige Portion Psychodrama und Psychothriller draufgepackt wird? Dass der Plot irgendwann so viele Haken schlägt, dass dem Zuschauer schwindelig wird? Dass die Logik irgendwann im Hypnose-Pool zusammen mit den Protagonisten baden geht? Geschenkt! Denn seien wir mal ehrlich: Was bei einem solchen Gimmick-Thriller zählt ist die Inszenierung nicht der dahinter stehende löchrige Plot.

Und diese Inszenierung beherrscht Danny Boyle wie kein Zweiter. Trotz vermehrter Mindfucks, Ausflüge in die Ästhetik-Geschichte, aufgesprengter Köpfe und wallendem Schamhaar gelingt es Trance stets die Contenance zu bewahren: Egal wie viele Meta-Ebenen und Meta-Meta-Ebenen er aufwirft, er bleibt stets seinem Design und Stil verpflichtet, elegant und leichtfüßig; trotz Gewalt, trotz wirklich dunkler Plottwists ist es stets ein exquisiter Genuss, dem konfusen Treiben auf der Leinwand zuzusehen. Gleichzeitig schmeckt das Ergebnis aber doch erschreckend fade: So sehr sich Boyle auch bemüht eine narrative Achterbahnfahrt zu entwerfen, so bieder tuckert der Kahn schließlich seinem Finale entgegen. Zu viel Stil sieht nämlich nicht nur gut aus, er federt potentielle Mindfuck-Momente auch viel zu stark ab. So schräg die Ereignisse in Trance sind, so brav werden sie auf die Leinwand gebracht: Denn der Surrealismus reicht nur so weit es der Set-Designer und Kameramann zulassen, alles, was etwas mehr Schmutz, etwas mehr WTF in den Film bringen könnte wird vom Gourmet Boyle in seiner Eleganz zu Nichte gemacht. Ergebnis: Man ist nie richtig involviert, nie richtig abgestoßen, nie richtig verletzt… das irre Geschehen lässt den Zuschauer in seiner Design-Vernarrtheit viel zu oft viel zu kalt. Anyway, wer darüber hinwegsehen kann, wird eine Menge Spaß mit diesem kleinen Genre-Miststück haben. Nicht der größte Wurf Boyles, nicht gerade ein Freund der Logik, aber alles in allem schön abgefuckte Thriller/Heist/Mystery Unterhaltung mit nettem Plottwist. Kann man sich ansehen.

Snowpiercer [Bong Joon-ho]

(Südkorea, USA 2013)

Dem Style over Substance Vorwurf muss sich auch Bong Joon-hos dystopischer Endzeitthriller Snowpiercer stellen, denn immerhin nutzt dieser fast seine gesamte Laufzeit, um seine Protagonisten wie sein Publikum von einem schrägen Set zum nächsten zu jagen. Die Welt in einer postapokalyptischen Zukunft: Der Versuch den Klimawandel umzukehren ist fehlgeschlagen und die Verantwortlichen haben es geschafft, den gesamten Erdball förmlich im Eis ersticken zu lassen. Die letzten Überlebenden der Menschheit fristen ihr Dasein in einem gigantischen, utopischen Zug, der einsam seine Runden über dem vereisten Erdball dreht. Das Innenleben des Zuges ist streng hierarchisch gegliedert: Während im hinteren Abteil die Unterschicht ihr träges, von Entbehrungen geprägtes Leben fristet, lässt es sich die Oberklasse vorne gutgehen. Bis zu dem Tag, an dem einer der Unterdrückten den Aufstand probt und sich gemeinsam mit seinen Gefolgsleuten nach vorne kämpft, um dem Beherrscher der Maschine entgegenzutreten. Auf dem Weg vom hintersten ins vorderste Abteil sehen sie immer mehr von der perfiden Logik der gigantischen Maschine und offenbaren dabei auch manch anderes dunkles Geheimnis.

Hölle! Snowpiercer! Was für ein Trip! Anders kann man es nicht ausdrücken. Nachdem die Prämissen knapp abgefrühstückt wurden, geht es los, von hinten nach vorne, direkt durch Hölle, Vorhölle, bis zum vermeintlichen Paradies. Und ab diesem Zeitpunkt gibt es kein Atemholen mehr. Stattdessen stürzt sich die Inszenierung auf alles, was die Genre-Wundertüte hergibt: Groteske Absurditäten, auf die ein Terry Gilliam der 80er Jahre mehr als stolz wäre, atemberaubende Kampf- und Actionszenen, die sich locker mit dem Blockbusterkino made in USA messen können, enervierende Horrormomente, sowie ein fantastischer Science Fiction Look irgendwo zwischen Jules Verne Steampunk, Shadowrun Cyberpunk und Dante Dividia Commedia Punk. Und dabei gilt tatsächlich: Der Weg ist das Ziel, das Medium ist die Message, das Bild ist der Inhalt. Bong Joon-ho streut zwar philosophische und politische Querverweise, aber vor allem hat er Spaß daran, sein Publikum mit Bildern zu verzaubern, zu betören, zu verstören und von einer genialen Idee zur nächsten zu jagen. Snowpiercer ist ein eklektisches Feuerwerk, ein Mashup aus bekannten Genremomenten und anarchischen Neuinterpretationen, aus Tradition, Post- und Postpostpostmoderne, aus Augenzwinkern und purem Wahnsinn, inklusive Pathos, Absurditäten und gigantischen Action-Protzereien.

Und als wäre das nicht schon schön genug, als wäre das nicht schon allein ein Fest für jeden Freund des Genre-Kinos, zieht dieses Meisterwerk gegen Ende noch einmal richtig die Daumenschrauben an, pfeift auf seinen Eskapismus und präsentiert uns eine Auflösung die tief hinein greift in den politisch/gesellschaftlichen Diskurs. Mit dem Outcome und Subtext der Geschichte muss man dabei keineswegs übereinstimmen, um festzuhalten, dass sie einen nicht kalt lassen kann. Denn in den letzten Offenbarungen präsentiert sich Snowpiercer als astreiner Meta-Diskurs der politischen Philosophie mit düster misanthropischer Stoßrichtung: Jepp, da hat einer seinen Hobbes und seinen Nietzsche aber genau gelesen, und hat keine Angst vor kontroversen Statements. Die Aufdeckung der letzten Geheimnisse funktioniert als anarchistisches Fegefeuer ebenso gut wie als beinahe Faschismus-Apologie, als Schlag in die Magengrube politischer Idealisten, aber auch als Hoffnungsschimmer einer durch und durch verdorbenen Spezies. Wie gesagt, dass ist harter Tobak; die Frage, wie autokratisch und technokratisch das Fundament der gesamten Erzählung ist, bleibt aber ambivalent genug, um auch der Diskussion danach eine Menge Zündstoff zu geben… und damit bleibt einfach mal festzuhalten: Snowpiercer ist wohl einer der besten Beiträge zum Sci-Fi-Kino der letzten Jahre: Kompromisslos, bunt, laut, düster, atemberaubend und in seiner Quintessenz verdammt clever die Ambiguitätstoleranz seines Publikums herausfordernd. Ein Meilenstein, der definitiv das Zeug zum Genre-Klassiker und zur cineastischen Legende hat.

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