Die besten Dramen der 2000er Jahre I

Die besten Dramen des Jahrzehnts? Aha! Höhnisch könnte man jetzt sagen: „Der ganze Rest also!“ Und genau genommen stimmt das auch ein bisschen. Viele Filme unserer bisherigen 00er-Rückblicke könnte man problemlos auch hier einordnen. Ein gelungenes Drama hat es eben auch an sich, dass es schwer zu kategorisieren ist: Mit lustigen Elementen, ohne gleich eine ausgewachsene Komödie zu sein, spannend ohne den Thrillfaktor zu sehr in den Vordergrund zu stellen, komplex, ohne den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren und ins Surreale abzudriften… Sagen wir es einfach so: Hier versammelt sich das klassische und progressive Erzählkino: Filme die Emotionen wecken, die begeistern, die faszinieren und die mitleiden und mitfreuen lassen… okay, der ganze Rest eben. Und da dieser unmöglich in einen einzigen Artikel passt, folgt demnächt auch ein kleiner Nachschlag.

Little Children [Todd Field]

(USA 2006)

Von der dunklen, aber auch ambivalenten Seele amerikanischer Vorstädte erzählt Todd Fields Little Children. Im – durch den Zuzug eines verurteilten Pädophilen – aufgeheizten Klima East Wyndams verlieben sich zwei verheiratete Eltern ineinander und beginnen eine leidenschaftliche Affäre. Doch Little Children hat weitaus mehr zu bieten als das Ringen der beiden nach Freiheit und Leben: In dem engen vorstädtischen Mikrokosmos behandelt der ebenso komplexe wie sarkastische Film Themen wie Angst, Hoffnung, das Hadern mit der Vergangenheit und die Suche nach Identität. Ähnlich wie Lars von Triers Dogville (Die besten Theaterfilme) permanent kommentiert von einem perfide sezierenden Off-Erzähler und damit fast schon so etwas wie ein Seelenporno. In erster Linie aber ein packendes, dramatisches Meisterwerk.

Zeiten des Aufruhrs [Sam Mendes]

(USA 2008)

In die Ausweglosigkeit amerikanischer Vororte der 50er Jahre entführt uns Sam Mendes (American Beauty) mit seiner emotionalen Nabelschau Revolutionary Road. Ein junges Ehepaar – bemüht unkonventionell – voller Träume und Hoffnungen, der Kampf um jedes kleine Stück Freiheit, das verzweifelte Aufbäumen gegen die Selbstaufgabe, Hoffnung, Resignation… das alles vor einer ungemein authentischen, nahezu schmerzhaften US 50’s Kulisse. Herausragend gespielt von Kate Winslet und Leonardo Di Caprio. Ein fesselnder Seelenstriptease eines aussichtslosen Ringens zwischen Konformität und Aufbruchsglauben.

Yi Yi [Edward Yang]

(Taiwan 2000)

Vom amerikanischen zum asiatischen Sittengemälde. Der epische Yi Yi (Eins Eins und eine Zwei) beleuchtet das Schicksal einer Taiwanischen Familie aus der Mittelschicht. Große Krisen, kleine Krisen, Krisen, die keine sind… immer mit direktem Blick auf den jeweils Beteiligten inszeniert und dadurch unvergleichlich empathisch, einnehmend und für sich gewinnend. Yi Yi schenkt jedem seiner Protagonisten ein Übermaß an Sympathie, kümmert sich um die kleinen Dinge des Lebens mit der selben Sorgfalt wie um die Großen, und entwickelt sich dadurch zu einem komplexen Kaleidoskop, das ebenso leichtfüßig wie tiefgründig, ebenso subtil humorvoll wie berührend und vereinnahmend ist.

Springtime in a small town [Tian Zhuangzhuang]

(China 2002)

Wir bleiben in asiatischen Gefilden und kommen zum Remake eines großen Klassikers des chinesischen Kinos. Die Neuinszenierung von Fei Mus Spring in a small town (1948) hält sich narrativ eng an die Vorlage, während sie sich dramaturgisch und inszenatorisch mehrere Freiheiten herausnimmt. Dies schadet der packenden Geschichte jedoch keineswegs, ganz im Gegenteil: Die Modernisierung des Stoffes öffnet die universellen Themen des Originals für das heutige Publikum. Es geht um das Zusammenprallen von Vergangenheit und Gegenwart, um das Abschließen und Wiederaufnehmen alter Beziehungen; um die, die mit der Vergangenheit abschließen wollen, die, die es nicht können und die, die daran zu Grunde gehen. Eine spannende, packende Tragödie voller Menschlichkeit.

Pollock [Ed Harris]

(USA 2000)

Ein sensibles Porträt des exzentrischen Künstlers Jackson Pollock ist das Regiedebüt von Ed Harris, der hier auch kongenial die Hauptrolle spielt und durch sein herausragendes Method Acting den amerikanischen Maler lebendig werden lässt. Die Biographie des verbitterten, exzessiven und eigenwilligen Künstlers Pollock (vor allem bekannt durch sein so genanntes Action Painting) ist liebevoll detailliert, sowohl dunkel als auch optimistisch und widmet sich der Kunst gleichermaßen wie den Menschen, die dahinter stehen. So gelingt dem Film gekonnt der Spagat zwischen greifbar gemachter Kulturgeschichte und bitterem menschlichen Drama. Eine mitreißende und unterhaltende Seelenschau in das Hirn, das Herz und die Hände eines faszinierenden Künstlers.

Sprich mit ihr [Pedro Almodóvar]

(Spanien 2002)

Pedro Almodóvar ist der neu entdeckte Liebling der europäischen Arthouse Kritiker… das es dabei ab einem gewissen Punkt auch Spott hageln muss, ist fast schon zwingend. Sei es drum. Die extravaganten Filme des spanischen Regisseurs bewegen sich in originellen, genuinen Grauzonen zwischen Emotionalität, Verkopftheit und Exzentrik. So auch das sensible, zurückhaltend beobachtende Drama Sprich mit ihr. Rund um die Suche nach dem Anderen, die Suche nach dem Erwachen oder Mitschlafen, jongliert die komplexe Geschichte mit dem Schicksal, den Sorgen und Wünschen ihrer Protagonisten, ohne sie jemals bloßzustellen. Almodóvar erweist sich dabei erneut als herausragender Beobachter aber auch Arrangeur, Strippenzieher und kreativer, verspielter Puppenmeister. Heraus kommt ein verträumtes, immer leicht irreal angehauchtes Drama zwischen tiefsitzender Schwermut, Hoffnung und leichtfüßiger Vitalität.

Maria voll der Gnade [Joshua Marston]

(Kolumbien 2004)

Maria voll der Gnade ist ein ebenso packendes wie authentisches Porträt einer jungen Kolumbianerin aus einfachen Verhältnissen, die versucht aus ihrem tristen Alltag auszubrechen und so schließlich zur Drogenschmugglerin wird. Das mitreißende Drama lebt vor allem von der Ausdrucksstärke seiner Hauptdarstellerin, weiß aber auch darüber hinaus durch seine intelligente und brisante Geschichte sowie die naturalistische Inszenierung mitzureißen. Diese blickt sowohl genau als auch emphatisch auf das Schicksal seiner Protagonistin, stellt diese ambivalent dar, scheut sich allerdings auch nicht vor dunklen – mehr als dunklen – Facetten und bringt dennoch genügend Sympathie auf, um den Zuschauer mitfiebern und mitleiden zu lassen. Ein großes menschliches Drama, das gerade Dank seiner Unterdramatisierung überstarke Gefühle transportiert.

Monster [Patty Jenkins]

(USA 2003)

Weniger um Sympathie als viel mehr die Darstellung eines schmutzigen, obszönen und destruktiven Milieus geht es dem Biopic Monster, das vom Leben der Serienmörderin und Prostituierten Aileen Wuornos handelt. Charlize Theron spielt die vom Leben gezeichnete Aileen mit maximalem Mut zur Hässlichkeit, mit einem akribischen Blick für menschliche, unmenschliche Abgründe und verleiht ihr gekonnt eine rohe, ambivalente Wirkung zwischen Abstoßung, Mitleid und Erschrecken. Monster ist ein Film der tief unter die Haut geht, direkt ins Fleisch hineinschneidet, auszieht, seziert, immer in der Hoffnung unter Traumata, purer Bösartigkeit und Zerstörungswut so etwas wie eine Seele zu finden oder zumindest Menschlichkeit. Gerade die Szenen, in denen er dabei erfolgreich ist, machen ihn zu einem unvergesslichen, tiefschürfenden, alptraumhaften Erlebnis.

Vera Drake [Mike Leigh]

(Großbritannien 2005)

Tiefschürfend auf ganz andere Weise ist das in den 50er Jahren angelegte Porträt der Engelmacherin Vera Drake. Mike Leigh inszeniert die Geschichte einer starken Frau ungemein detailliert, mit einem feinfühligen Blick für die Ängste und Nöte, die mit der heimlichen Arbeit der Protagonistin verbunden sind. Dabei gelingt ihm perfekt der Ballanceakte zwischen sensiblem, ruhigen Drama, das der Befindlichkeit eines Menschen auf den Grund geht und komplexer Sozial- und Millieustudie. Vera Drake ist sowohl leises Drama als auch hingebungsvolle Gesellschaftskritik, ist sowohl Zeitporträt als auch universell, humanistische Parabel. Ein beklemmender, trauriger und zugleich wunderschöner Film.

Mystic River [Clint Eastwood]

(USA 2003)

Nach seiner Karriere als Schauspieler ist Clint Eastwood in der Riege der großen amerikanischen Regisseure angelangt. Sein düsteres Thrillerdrama Mystic River ist klassisches, episches Erzählkino in einer Filmtradition die leider mehr und mehr am Aussterben ist. Virtuos komponiert Eastwood sein Setting, jongliert geschickt mit Charakteren, Typen und Handlungssträngen und findet so schließlich zu einem faszinierenden Gesamtkunstwerk. Mystic River ist eine packende Auseinandersetzung mit Traumata, Gewalt, gesellschaftlichen Missständen und Narben, die auch nach Jahrzehnten nicht verblassen: Gewaltig, episch, raffiniert erzählt und zugleich sensibel, subtil und mikroskopisch genau.

Capote [Bennett Miller]

(Kanada, USA 2005)

Im literarischen Bereich gehört Truman Capote zu den großen, narrativen Meistern Amerikas. Bennett Millers Biopic des außergewöhnlichen Schriftstellers widmet sich voll und ganz dessen Recherche zum 1966 veröffentlichten Tatsachenroman Kaltblütig. Dabei verwebt er geschickt Capotes eigenen narrativen Strategien des New Journalism, bedient sich dafür sogar direkt bei Capotes Werk selbst, ergänzt diese aber zugleich durch ein kritisches sowie stimmiges Porträt des exzentrischen Autoren. Philip Seymour Hoffman verkörpert die daraus entstehende, ambivalente Figur auf kongeniale Weise. Millers Film ist somit eine einzigartige Auseinandersetzung mit dem großen Erzähler: Nüchtern realistisch und zugleich dramatisch, bewegend und mitreißend… ganz in der stilistischen Tradition des Dargestellten.

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Erstveröffentlichung: 2010