Schlagwort: Sittengemälde

Bombshell (2019) – Toxische Maskulinität in der Nachrichtenzentrale

Können wir bitte einen kurzen Moment innehalten um Fox News zu kondolieren? Die haben es nämlich wirklich nicht leicht zur Zeit. Nachdem Trump nun endgültig, endgültig seine Wiederwahl verloren hat und die eigentlich auf der Seite des ehemaligen Hauf- und Hofsenders Trumps stehenden Demonstranten „Fox News sucks!“ gebrüllt haben, blickt das konservative Medienflaggschiff schweren Zeiten entgegen. Die rechtsextremen QAnon- und Trump-Sektierer werden der Konkurrenz am rechten Rand Newsmax und oann in die Arme getrieben, konservative Urgesteine wenden sich mit Ekel von dem Konservatismus unter Donalds Herrschaft ab, und Fox News steht irgendwo zwischen den Stühlen. Mit Schreihälsen wie Laura Ingraham, Sean Hannity und Tucker Carlson haben sie nach wie vor noch die Nestbeschmutzer an Bord, gleichzeitig müssen sie erleben, wie sich mehr und mehr Republikaner von ihrem Konzept der letzten Jahre – der bedingungslosen Trump-Folge – distanzieren. Ja, Fox hat auch noch seinen Chris Wallace, sein Nachrichtensegment, einen Rest von rationaler Würde, aber es wird hart werden, wenn sie vor der Entscheidung stehen, wie weit sie sich mit dem Ex-Präsidenten – bzw. seinen Anhängern – weiter nach rechts, beziehungsweise wie weit sie sich wieder zurück in die rechte Mitte bewegen wollen. Andererseits ist das Baby des konservativen Medienmoguls Rupert Murdoch durchaus Krisen gewöhnt. Es ist noch gar nicht so lange her, da ging das News- und Meinungsnetzwerk durch verflucht schwere Zeiten. 2016, im Jahr der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wurde das konservative Imperium von einem harten Skandal um sexuelle Belästigung, Misogynie und Machtmissbrauch durchgeschüttelt, der die Nachrichtenverbreiter selbst zur Nachricht werden ließen. Genau von jenem Skandal handelt Jay Roachs Hybrid aus Drama und Politthriller Bombshell (2019), der in gewagtem Tempo über die Abgründe der amerikanischen Medienlandschaft rauscht.

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Die besten Filme 2017: Der seidene Faden von Paul Thomas Anderson

Paul Thomas Anderson gehört zu den großen Regisseuren des amerikanischen Kinos unserer Zeit, ist vielleicht sogar derzeit der einzige Regisseur, der den Gedanken des modernen dramatischen Kinos made in USA am Leben hält. Es ist kein Zufall, dass sein erster Film Last Exit Reno (1996) professionelles Glücksspiel als Thema besitzt. P.T. Anderson ist ein Filmemacher, der mit seinen Filmen immer auf die ein oder andere Weise all in geht: Seien es gigantische Dioramen über die Pornobranche, komplexe Ensemblegeschichte, Epen über Ölunternehmer, monumentale Sektenfabeln oder zuletzt eine psychedelische Detektivgeschichte. Anderson gibt immer alles, denkt seine Sujets groß, als sei es ein persönlicher Zwang. Selbst wenn er intim und klein erzählen will, selbst wenn er subtil ist, so kommt doch immer Großes dabei heraus, Gigantomanisches im dramatischen Gewand. Aber klar, wenn man das Erbe eines Orson Welles oder Robert Altman auf seinen Schultern trägt, dann braucht man ein wenig unfreiwilligen Größenwahn. Das ist auch in seinem jüngsten Film Der seidene Faden (2017) nicht anders. Dabei schreit – oder flüstert viel mehr – die Prämisse eigentlich nach einer kleinen, intimen, zurückhaltenden Geschichte. Aber wie gesagt, Anderson ist Erzähler von Großem, und so wird auch diese Liebesgeschichte zwischen einem exzentrischen Modeschöpfer und seiner Muse zu einem existenziellen Melodram, das die ganz wichtigen menschlichen Themen auslotet.

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Knives Out (2019) – Endlich mal wieder ein sehenswertes Murder Mystery Puzzle

Psst… Heh, du! Ja, genau du. Bist du nicht der riesige Agatha Christie und Arthur Conan Doyle Fan, der vor kurzem darüber jammerte, dass Krimis nicht mehr das sind, was sie mal waren? Ja, ja, ja, ich weiß. Es sieht derzeit ziemlich traurig aus auf dem Gebiet. Weder die Sherlock Holmes Serie noch die andere Sherlock Holmes Serie geschweige denn der Guy Ritchie Film konnten die Atmosphäre der großartigen Whodunit-Rätsel der Klassiker vernünftig einfangen. Und überhaupt, gibt es im Genre überhaupt noch was vernünftiges zu finden, wenn man Spaß am Rätseln hat? Wo sind sie, die verwobenen Miss Marple-, Hercules Poirot- oder Sherlock Holmes-Abenteuer? Die Geschichten an deren Beginn eine Leiche steht und ein Dutzend Verdächtige? Die Filme, in denen es jeder hätte sein können, und der aufmerksame Zuschauer am Ende triumphierend ausrufen darf: „Hah! Ich wusste es!“? Nichts mehr davon zu sehen! Die einzigen brauchbaren Murder Mystery Filme der letzten Jahrzehnte waren ausgerechnet die Slasher-Vertreter. Aber ganz im Ernst, wir wollen kein Blut, keine Gewalt und keinen Horror. Wir wollen einfach nur ein schönes Rätsel mit skurrilen Charakteren in gediegener Atmosphäre. Eine einzige Leiche reicht völlig, und ein intelligenter Detektiv beziehungsweise eine intelligente Detektivin. Den Rest sollen der Plot und unsere Spürnasen übernehmen. Psst… Ich habe hier was für dich, für uns: Knives Out (2019) von Rian Johnson, dem es vor 15 Jahren mit dem Neo Noir Thriller Brick, ja schonmal gelang, ein totgeglaubtes Genre zu reanimieren, ebenfalls ein Krimi-Subgenre, und ebenfalls mit der richtigen Mischung aus Tradition und Dekonstruktion. Da kann doch eigentlich nichts schief gehen…

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Die besten Dramen der 2000er Jahre I

Die besten Dramen des Jahrzehnts? Aha! Höhnisch könnte man jetzt sagen: „Der ganze Rest also!“ Und genau genommen stimmt das auch ein bisschen. Viele Filme unserer bisherigen 00er-Rückblicke könnte man problemlos auch hier einordnen. Ein gelungenes Drama hat es eben auch an sich, dass es schwer zu kategorisieren ist: Mit lustigen Elementen, ohne gleich eine ausgewachsene Komödie zu sein, spannend ohne den Thrillfaktor zu sehr in den Vordergrund zu stellen, komplex, ohne den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren und ins Surreale abzudriften… Sagen wir es einfach so: Hier versammelt sich das klassische und progressive Erzählkino: Filme die Emotionen wecken, die begeistern, die faszinieren und die mitleiden und mitfreuen lassen… okay, der ganze Rest eben. Und da dieser unmöglich in einen einzigen Artikel passt, folgt demnächt auch ein kleiner Nachschlag.

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Die besten Filme 2015: Das bizarre Sittengemälde High-Rise von Ben Wheatley

Das Konzept der Wohnmaschine reicht fast 100 Jahre zurück. Bereits in den 1920er Jahren arbeitete der französische Architekt und Künstler Le Corbusier an den Plänen für einen Gebäudetypus, in dem vielen Menschen ein komfortables Wohnen ermöglicht werden sollte. Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts waren schließlich die Zeit, in der das Konzept erprobt und massenhaft umgesetzt wurde. So genannte Unités d’Habitation sind Wohngebäude, in denen nicht nur viele Menschen auf engstem Raum zusammenwohnen, sie sollen als große Einheiten zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit Kleinstädte in Häuserform sein: Neben Wohnungen befinden sich in ihnen Supermärkte, Cafés, Schwimmbäder… der Gestaltung sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Das in Deutschland berühmteste nach diesem Konzept entstandene Gebäude dürfte das Corbusierhaus im Westen Berlins sein, das 1957 als bundesrepublikanische Antwort auf die DDR-Plattenbauten errichtet wurde und bis zum heutigen Tag bewohnt ist. Gut zwanzig Jahre nach dem größten Hype um Le Corbusiers Gebäude, verarbeitete der experimentelle Science Fiction Autor James Graham Ballard diese utopischen Wohnvorstellungen in dem dystopischen Roman Der Block (1975). Und wenn wir noch einmal 40 Jahre draufpacken, sind wir im 21. Jahrhundert angekommen und bei der Verfilmung von Ballards Roman High-Rise (2015) durch Ben Wheatley (Kill List, A Field in England). Es ist unbestreitbar, dass Le Corbusier, der 1965 gestorben ist, Zeit seines Lebens viel Kritik einstecken musste. Und seine Architektur zwischen freier Gestaltung, Brutalismus und holistischem Größenwahn gilt schon lange als überholt. Also bleibt die Frage ob die Verfilmung eines 1975 geschriebenen Buches über ein 50er Jahre Bauphänomen uns überhaupt etwas neues über unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben erzählen kann. Wie zeitgemäß kann eine solche Geschichte überhaupt sein? Und wenn sie es nicht ist, besitzt sie einen davon unabhängigen Wert?

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