Die besten Filme der 90er Jahre: Zumindest beachtenswert – „The Brave“ (1995) von und mit Johnny Depp

Vielleicht nicht gerade einer der besten Filme der 90er, aber allemal sehens- und erinnerungswert ist das Regiedebüt von Johnny Depp, in dem der talentierte Allrounder nicht nur die Inszenierung sondern auch gleich die Hauptrolle übernahm und somit eine gediegene und interessante One-Man-Show ablieferte. Wer bei One-Man-Show in Verbindung mit dem Namen „Johnny Depp“  nur an Fluch der Karibik oder Dead Man denkt, sollte sich durch „The Brave“ von 1997 umgehend eines Besseren belehren lassen. Der von Depp verkörperte Protagonist dominiert auf eine originelle – dem Sterbenden in Dead Man nicht ganz unähnliche Art und Weise – den gesamten Film. Sprich, wir sehen hier den ruhigen, sensiblen, melancholischen,  Johnny Depp, der zugleich als aufopferungsvoller Kämpfer für das Wohl seiner Familie agiert.

Raphael (Johnny Depp) führt ein tristes Leben voller Entbehrungen. In einem Reservat, das auf einer Mülldeponie liegt, versucht er durch Gelegenheitsjobs, öfter am Rande der Legalität, seine Frau (Elpidia Carillo) und seine beiden Kinder zu ernähren. Noch schwerer als sein harter Alltag, der von schwerer Arbeit und suspekter Gesellschaft geprägt ist, wiegt für ihn allerdings das Wissen, dass auch seine Nachkommen wahrscheinlich nie ein besseres Leben als er haben werden als er selbst. Mit dem Mut der Verzweiflung geht er ein folgenschweres Geschäft ein: Der alte, zurückgezogen lebende Großstädter McCarthy (Marlon Brando) bietet ihm 50.000 Dollar für seine Familie in bar. Die Gegenleistung von Raphael: Nach einer Gnadenfrist von einer Woche muss er sich in einem alten Fabrikgebäude von dem sadistischen Kauz zu Tode foltern lassen. Für die Zukunft seiner Familie stimmt Raphael dem morbiden Geschäft zu und erlebt eine letzte Woche, in der er versucht alles Notwendige für seine Kinder zu regeln, mit alten Fehlern aufzuräumen und sein Leben noch einmal zu reflektieren. Den nahenden Tod hat er dabei ständig im Nacken.

Dass Johnny Depp nicht nur ein Frauenschwarm, sondern auch ein schauspielerisches Allround-Talent ist, das sich mit den großen Namen der Filmgeschichte messen kann, dürfte allgemein bekannt sein. Genau so wie sein Tick, zwischen Hollywood-Blockbustern und Independent-Filmen zu alternieren, was einige seiner ‚Groupies‘ das ein oder andere mal verwirrt haben dürfte, wenn sie sich plötzlich in einem Film befanden, den sie nicht erwarteten. In die Reihe solcher Filme fällt auch „The Brave“. Depp gibt sich hier weder extravagant, noch exzentrisch oder unterhaltend. Der Film lebt zwar von der ständigen Präsenz seines Hauptakteurs und doch bleibt dieser angenehm subtil, hintergründig, diffus und die meiste Zeit über sogar sehr handlungsarm. Anstatt die Geschichte in einen eiskalten Thriller oder eine spannende Fluchtgeschichte umzusetzen, konzentriert sich Depp vollkommen auf die Darstellung der letzten Tage seines resignierenden Protagonisten. Gezeigt werden lange Streifzüge durch die karge Steppenlandschaft, durch hochtechnisierte und trotzdem verwahrloste Großstädte, durch schäbige Kneipen und schmutzige Hinterhöfe. Gezeigt werden Menschen, die vieles durchlebt haben, ohne darüber sprechen zu müssen, gezeigt wird charakteristische Stille, unprätentiöse Aufopferungsbereitschaft und eine traurige Lebensmüdigkeit.

Dank seiner fabelhaft ruhigen Inszenierung, seines trostlosen Szenarios, seiner Hoffnungslosigkeit und ständigen Anwesenheit des Todes, dürfte „The Brave“ mit zu den deprimierendsten Filmen der 90er Jahre gehören. Der Film atmet Vergänglichkeit wo er nur kann. Hier ergeben sich aber auch zwei nicht wegzuleugnende Schwachpunkte. Das erste wäre die Handlungsarmut, nicht unbedingt wegen ihres spröden Charmes, der so ganz und gar nicht massenpublikumstauglich ist, sondern vor allem wegen des damit einhergehenden – mitunter prätentiösen – Ästhetizismus, der visuell aus dem vollen schöpft und immer wieder die Narration vernachlässigt. Johnny Depp ist zwar kein Gus Van Sant, aber als Regisseur hat er ein ähnliches Faible dafür, Situationen minutenlang auszuschlachten. So gibt es in „The Brave“ monotone Einstellungen, langsame Kamerafahrten, ewig andauernde Naturbetrachtungen und ähnliches zu bestaunen, einerseits sehr gut die Todesnähe symbolisierend, andererseits aber enorm narzistisch in seinem symbolistischen, metaphorischen Eskapismus. Der zweite Schwachpunkt wiegt stärker: Johnny Depp ist von seinem Protagonisten viel zu sehr begeistert, um ihn ambivalent und facettenreich zu erzählen. Die Figur des Raphael ist dermaßen überstilisiert, dass es fast schon schmerzt: Ein einsamer Krieger, ein reuiger Sünder, ein Mensch, der alles aufgibt, nur um seinen Nächsten zu helfen, ein Mann von Ehre, der sein Wort hält (selbst wenn dies den Tod bedeutet), ein Altruist wie er im Buche steht. Obwohl seine Schwächen wie die frühere Kriminalität oder die Alkoholabhängigkeit thematisiert werden, steht er immer im strahlenden Licht da, sobald die Kamera auf ihn gerichtet ist. Die Fehler die er besitzt, existieren nur auf einer abstrakten Ebene, in einer vergangenen Zeit, die keine Rolle in seinem aktuellen Leben bzw. Sterben spielt. Sie dienen der Filmhandlung letzten Endes als Werkzeuge, um den Protagonisten noch strahlender erscheinen zu lassen. Ein paar mehr Ecken und Kanten hätten dem Charakter sicherlich gut getan, vor allem da auf der visuellen Ebene seine Charakterisierung allzu oft nicht über  Heldenmut,  Nachdenklichkeit und seinen halbnackten muskulösen, Körper hinauskommt..

Trotzdem ist „The Brave“ ein  empfehlenswerter Film. Nicht der beste mit Johnny Depp, nicht der beste Film, der den Tod thematisiert, keiner der besten Filme der 90er… aber doch eine interessante mitunter zu lange mitunter zu kitschige Reise, die faszinierende Vorführung eines großen Schauspielers, ein spröder, ästhetizistischer Independentfilm, der nie mehr sein will, als er ist; und zudem ein zutiefst trauriges Statement zur untergehenden indianischen Kultur. Am Ende steht der Tod, nicht nur der des Protagonisten, sondern auch der einer wichtigen Seite Amerikas. Das Indianer-Reservat auf dem Schrottplatz wird abgerissen, ganze Lebenswege werden zerstört. Ein Tor schließt sich mit einem lauten Ruck und zurück bleibt das Antlitz der Vergänglichkeit… vielleicht auch ein kleiner Funken Hoffnung.

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