Die besten Thriller des Jahres 2017: A Beautiful Day / You were never really here

Nicht nur – aber auch – in Blockbustern, nicht nur – aber auch – in Serien, nicht nur – aber auch – im Genrekino – hat sich in den letzten Jahren eine „düsterer ist besser“-Attitüde breit gemacht. Was den 80ern ihr Gore und den 90ern ihre Slapstickcomedy war, ist den 2010ern ihre Tristesse und ihr Pessimismus. Man kann es schon fast als Fetisch der Dekade bezeichnen, wenn so unterschiedliche Werke wie die Serie Breaking Bad, Horrorfilme wie Hereditary oder gar ehemals bunte Superheldenfilme wie die Superman-Saga sich ordentlich darum bemühen, ihr Szenario immer trostloser, kälter und deprimierender scheinen zu lassen. Wozu diese Vorrede? Nun, sollte es eine geheime Krone für den pessimistischsten cineastischen Blick auf die Welt geben, dürfte Lynne Ramsays „You were never really here“ – in Deutschland unter dem zynischen Titel „A beautiful Day“ vermarktet – ganz vorne mitspielen… Und vollkommen unabhängig davon definitiv zu den Thrillermeilensteinen des Jahres 2017 gehören.

Der von Selbstmordgedanken geplagte und durch seine Kindheit traumatisierte Söldner Joe lebt davon, entführte Kinder zu ihren Familien zurückzubringen und deren Peiniger brutal zu bestrafen. Bei seinem neuesten Auftrag soll er die dreizehnjährige Senatorentochter Nina befreien, die von einem Menschenhändlerring in einem Bordell gefangen gehalten wird. Obwohl die Rettungsaktion wie immer brutal und erfolgreich verläuft, offenbart sich schnell, dass hier weitaus mehr stattgefunden hat als eine banale Entführung. Plötzlich sieht sich Joe als einziger Beschützer des Kindes, verfolgt von mächtigen Gegenspielern und geplagt von seinen traumatischen Flashbacks, die immer schlimmer werden.

Tatsächlich lässt sich das Grundgerüst von You were never really here in wenigen Worten zusammenfassen, und der Grundplot – abgehalfterter Spezialist rettet Mädchen – ist nun auch wirklich nichts, was man nicht zuvor schon tausendfach in anderen Thrillern gesehen hätte. Das besondere an diesem wirklich großartigen Psychothriller ergibt sich aus der Art, wie er inszeniert ist: Und hierin sprengt der Film im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen. Mit den zittrigen, nervösen Flashbacks, dem kraftvollen, aggressiven Schnitt und dem permanenten Oszillieren zwischen verzweifelter Ruhe und brutaler Action liest sich Ramsays Film wie ein fiebriger Alptraum, der nie zu enden scheint. Das artifizielle Moment der Inszenierung dient dann auch nie zum Selbstzweck, sondern lässt diesen brutalen Thrillerbastard zum immersivsten Film der letzten Jahre werden: Sounddesign, Schnitttechnik, Farbgebung und Pacing wirken unfassbar harmonisch zusammen, um gemeinsam eine alles andere als harmonische Welt zu zeichnen. Der Zuschauer fühlt sich unmittelbar in das Seelenleben des geschlagenen, gejagten und gehetzten Protagonisten hineinversetzt. Joaquin Phoenix‘ überragendes Spiel tut sein übriges, um den Film zu einem wahren Alptraum zu machen.

Damit wohnt der Zuschauer eben nicht nur einem gewöhnlichen Actionthriller-Flick bei, sondern einem verfilmten Trauma, einer akuten Psychose, in der Außen- und Innenwelt aufs gemeinste miteinander verschachtelt werden, in der exogener und endogener Horror stets zusammen gedacht werden. In der Tat ist das dann motivisch sehr dicht dran an den Psychothrillern des New Hollywood der 70er Jahre, transformiert aber deren Prämissen mit den Möglichkeiten postmoderner Filmtechnik zu einem Stück genuinen, höchstgradig progressivem Filmerlebnis. Insofern können die in der Presse angestellten Vergleiche mit Taxi Driver nur unterschrieben werden, aber auch nur mit der notwendigen Ergänzung, dass A Beautiful Day so viel mehr macht, als seinen großen Vorbildern zu huldigen. So frisch und mutig hat man Scorsese auf jeden Fall seit seiner großen Zeit nicht mehr gesehen (und wird man wohl auch nicht mehr).

Selbstredend, dass You were never really here dank seiner kompromisslosen Herangehensweise an sein Sujet ziemlich schwer zu ertragen ist. Serviert wird hier absolut harter Tobak, der gerne auch mal einfach nur kalt, schroff und erbarmungslos ist. Aber gerade das macht den Film eben auch so packend und immersiv. Der Zuschauer wird durchgeschüttelt, geschlagen und getreten und fühlt sich von Regie, Kamera und Sound ständig durch die Mangel gezogen. Ein ganz und gar harter Film, im besten Sinne des Wortes, der im Gegensatz zu den Exploitations von Nicolas Winding Refn nicht zur unmenschlichen, abgehobenen Kunst verkommt, sondern immer die Erzählung und das Erfahren des Zuschauers in den Mittelpunkt stellt. Zumindest ein bisschen Optimismus blitzt dann doch noch in der ein oder anderen Szene durch; ein Moment zum Durchatmen, ein Moment von Schönheit, der aber wie alles andere in diesem dunklen Meisterwerk in ein zynisches, brutales Korsett gezwängt wird. You were never really here ist ein Pflichtprogramm für jeden Cineasten und einer der stärksten, kompromisslosesten Genrebeiträge der letzten Jahre. Man muss sich aber darauf einstellen von einer tristen und bösartigen Welt gefangen genommen zu werden, die einen so schnell nicht mehr loslässt.

A Beautiful Day bei Amazon (Partnerlink)

Ähnliche Artikel