Patti Cake$ – Queen of Rap (2017): Deutlich mehr als ein weiblicher 8 Mile

Zwei Genres, die spätestens seit den 80er Jahren oft eng miteinander verwandt sind, sind der Musikerfilm und der Sportlerfilm. Zumindest wenn es um die klassischen Aufsteigergeschichten geht: Ein Sportler oder eine Sportlerin, ein Musiker oder eine Musikerin, gerne mit Außenseiterstatus und aus schwierigen Verhältnissen stammend kämpft für einen meistens kleinen, manchmal auch größeren Erfolg. Oft sind es Geschichten aus der Arbeiterklasse, vom White Trash, von Menschen am Rande der Gesellschaft: Rocky, der als einfacher Arbeiter und Amateurboxer die einmalige Chance für einen Weltmeisterkampf erhält, Eminem, der sich als weißer Detroiter bei einem großen Battlerap-Contest Ansehen in der Szene errappt. Alex, eine Schweißerin, der es gelingt bei einem renommierten Konservatorium vorzutanzen, Hilary Swank als Kellnerin, die durchs Boxen zum Million Dollar Baby wird. Die Parallelen sind vielfach gegeben: Es geht um den Kampf gegen die widrigen Umstände, in denen man lebt, auch ein wenig um den amerikanischen Traum, meist ist der Erfolg gar nicht so wichtig sondern das Streben nach mehr: Eminem wird in 8 Mile kein Rap-Superstar sondern verschafft sich einfach Respekt bei einem lokalen Battle, Rocky darf den entscheidenden Kampf verlieren und bei Million Dollar Baby endet die Karriere sogar in der Katastrophe. Es ist nicht wichtig, mehr zu bekommen, sondern mehr zu wollen… das ist es, was uns diese Filme erzählen. Genau in diese Sparte fällt auch die Coming-of-age Tragikomödie Patti Cake$ – Queen of Rap (2017), die Geschichte einer Rapperin, die ganz weit unten lebt, die Hoffnung und den Kampf für etwas Besseres, Größeres aber nie aufgibt.

Patti Cake$ aka Killa P (herausragend gespielt von Danielle Macdonald) heißt eigentlich Patricia Dombrowski und lebt zusammen mit ihrer Mutter Nana (Cathy Moriarty) in einer heruntergekommenen Wohnung in New Jersey. Nana war einst Musikerin ist aber mittlerweile komplett in der Lethargie ihres niedrigen sozialen Status‘ versunken. Patti, die als Kellnerin arbeitet, träumt selbst auch von einer Musikkarriere. Gemeinsam mit ihrem besten Freund Hareesh aka Jheri (Siddharth Dhananjay) versucht sie als Rapperin Fuß zu fassen und muss dabei gegen die Vorurteile kämpfen, die ihr als weiße, übergewichtige Teenagerin in der Szene entgegenschlagen. Nach einem misslungenen Auftritt lernt sie den Goth und Black Metaller Basterd (Mamoudou Athie) kennen, von dessen experimenteller Herangehensweise an die Musik – die auf nicht sehr viel Gegenliebe stößt – Patti von Anfang an fasziniert ist. Sie überredet den Außenseiter und Kauz mit Jheri und ihr zusammen zu arbeiten. Als PBNJ hoffen sie endlich den musikalischen Durchbruch zu schaffen und ihrem tristen Leben zu entkommen.

Patti Cake$ – Queen of Rap ist eine einzige große Liebeserklärung an musikalische Träume. Natürlich ist das, was das ungewöhnliche Trio schließlich als PBNJ fabriziert eine äußerst seltsame Mischung aus verschiedenen Stilen: Patti ist die toughe Battle Rapperin der Combo und bringt ohne Zweifel die größte musikalische Begabung mit, während Jheri tief in hitverdächtigem Pop badet und The Antichrist Basterd harte metallene Klänge in den Ring wirft. Dennoch steht nie außer Zweifel, dass unser Herz dieser herausragenden Patti Cake$ gehört: Ihre Verse sind hart, atmen den Duft der Straße, besitzen aber im Gegenteil von den Raps ihrer Konkurrenten eine Menge Seele und intelligenten Witz. Danielle Macdonald spielt ihre Killa P. mit unfassbar viel Leidenschaft, einer gut versteckten subtil eingeflochetnen Unsicherheit, mit großer Klappe und einem gerechten – manchmal auch selbstgerechten – Zorn, der immer Gefahr zu laufen scheint, alles unter sich zu begraben. Nicht nur der Film gehört dieser faszinierenden Frau, sondern auch wir sind ihr, ihrem Blick und ihrer Wahrnehmung verfallen. Patti Cake$ ist ein radikal subjektiver Film, die Wertung der Protagonistin ist auch immer unsere Wertung, ihre blinden Flecken sind auch unsere blinden Flecken. Wir folgen ihr durch ihren beschwerlichen Alltag, in das Fieber der Bühne und schließlich sogar in ihre wilden wie romantischen Träume.

Trotz dieser sehr subjektiven Perspektive und obwohl Patti Cake$ in vielen Dingen der Formel klassischer Musiker-Erfolgsgeschichten folgt, ist er deutlich mehr als eine weibliche Version von 8 Mile. Das liegt in erster Linie daran, dass er an vielen kleinen, aber entscheidenden Punkten aus seinem filmischen Milieu ausbricht: Patti Cake$ nimmt sich viel Zeit das Leben außerhalb des künstlerischen Strebens zu zeigen, und ist dabei deutlich mehr als ein Sozialdrama, das eine Welt zeigt, die die Künstlerin überwinden will. So steht die Freundschaft zwischen Patti, Jheri und Basterd immer wieder im Mittelpunkt des Geschehens, ist nicht bloß Vehikel für die eigentliche Erfolgsgeschichte, sondern besitzt auch immer einen angenehm sympathischen, geerdeten Selbstzweck. Mindestens genau so wesentlich ist die Beziehung zwischen Patti und ihrer Mutter Nana, die zu Beginn noch als klassische elterliche Antagonistin scheint, von der Geschichte jedoch mehr und mehr vermenschlicht wird und gegen Ende schließlich für den emotionalsten und schönsten Moment des Films verantwortlich ist. Neben dem dicken Herzen von Patti$ besitzt der Film auch deutlich mehr Humor und Selbstironie als die Konkurrenz. Die Ernsthaftigkeit oder Aggressivität eines 8 Mile oder Whiplash gehen ihm komplett ab. Auch wenn er das Drama schätzt und bewusst auf der Gefühlsklaviatur spielt, findet er doch immer wieder ironische, verspielte Momente, in denen er den Publikum zuzuflüstern scheint: Heh, nimm das alles nicht zu ernst. Ich tue es auch nicht!

Diese Kombination aus erwachsener, ehrlicher Emotionalität und charmantem Augenzwinkern macht Patti$ Cake zu einem ungemein warmherzigen, liebenswerten Film. Auch wenn es oft ruppig, dreckig, sozial authentisch und mitunter auch ziemlich ziemlich deprimierend zugeht, so ist Geremy Jaspers Film doch in erster Linie ein wunderschönes, ein optimistisches Werk, das seinen Protagonistinnen und Protagonisten viel Respekt, Empathie und Liebe entgegenbringt. Er nimmt sein Sujet sehr ernst, spielt aber auch damit, er bildet soziale Wirklichkeit ab, lässt sich von dieser aber nie unterkriegen, und findet neben seiner realistischen Milieustudie, seiner emotional mitreißenden Coming-of-age Geschichte auch immer genug Zeit für Skurrilitäten, Schrulligkeiten und einen süffisanten, eigenen Humor. Damit ist die Queen of Rap ein wundervolles Kontrastprogramm zu den ernsteren, melodramatischeren Genregeschwistern und ohne Zweifel einer der schönsten Musiker*Innen-Filme der 2010er Jahre.

Ähnliche Artikel