Mystery in Moll– Rezension zu Richard Kellys „The Box – Du bist das Experiment!“

Im Jahr 2001 wirbelte ein junger Regisseur den Filmmarkt gehörig durcheinander. Richard Kellys „Donnie Darko“, der in den amerikanischen Kinos nur mäßig angelaufen war und in Deutschland Direct-to-DVD veröffentlicht wurde, entwickelte sich dank einer beispiellosen Mund-zu-Mund-Propaganda schnell zum Geheimtipp und Kultfilm in Cineastenkreisen. Das in den 80er Jahren angesiedelte Mystery-Drama bot in seiner Kombination aus Lyncheskem Surrealismus, Gesellschaftssatire und Coming Of Age Drama die perfekte Mischung, um sowohl das jugendliche als auch erwachsene Publikum prächtig zu unterhalten. Angesichts des ab einer gewissen Zeit äußerst penetrant werdenden Hypes vergisst man nur allzu gerne, dass der in diesem Fall tatsächlich berechtigt ist, handelt es sich doch bei „Donnie Darko“ um einen perfekt inszenierten Hybriden aus unzähligen Genres und einen der besten Filme des vergangenen Jahrzehnts.

Bei einem solchen Überraschungserfolg stellt sich natürlich immer die Frage, ob man es mit einem One-Hit-Wonder, einer Eintagsfliege zu tun hat, oder ob dem Meisterwerk weitere grandiose Glanztaten folgen. Ähnlich wie bei Shymalan, der nach dem Hit „The sixth sense“ mit dem ungeheuer biederen, unfreiwillig komischen „The Happening“ und dem kitschigen „Das Mädchen aus dem Wasser“ den Karren seines filmischen Rufs mit Karacho gegen die Wand fuhr, schien es nach „Donnie Darko“ auch um Richard Kelly ziemlich ruhig zu werden. Das krude Weltuntergangsepos „Southland Tales“ (mit „The Rock“ in einer zentralen Hauptrolle) wurde von Kritikern verlacht und vom Publikum geächtet. Und auch der dritte Langfilm des Amerikaners erscheint die Tage in Deutschland ohne Umweg über die Filmpaläste direkt auf DVD, nachdem er bereits in den USA für nur erschreckend kurze Zeit im Kino lief.

Wie bereits in „Donnie Darko“ begibt sich Richard Kelly auch in „The Box“ auf eine Zeitreise. Diesmal geht es jedoch nicht in die spießigen 80er Jahre Vororte, sondern in ein ähnliches Familienidyll in den 70ern: Schicke Vorgärten, gemusterte Polstermöbel, Raumfahrtprogramme der Nasa und Diskussionen über Jean Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ bilden den Nährboden für die kommenden Mysterien. Diese kündigen sich in Form des unheimlichen, von Brandnarben entstellten Arlington Stewart (Frank Langella) an. Jener konfrontiert das Durchschnittspaar Norma (Cameron Diaz) und Arthur (James Madsen) mit einem unmoralischen Angebot. Für genau 24 Stunden überlässt er ihnen eine geheimnisvolle Box, die mit einem roten Schalter ausgestattet ist. Wenn sie den Schalter drücken, geschehen genau zwei Dinge: Irgendwo auf der Welt stirbt eine ihnen vollkommen unbekannte Person und sie erhalten 1 Million Dollar in bar. Angesichts der Tatsache, dass sich ihre Schuldenberge türmen und die Kosten für die Privatschule ihres Sohnes Walter kaum zu stemmen sind, hadern die beiden mit ihrem Gewissen und den moralischen Implikationen dieser folgenschweren Wahl. Gleichzeitig versuchen sie herauszufinden, was hinter dem ominösen Angebot, dem seltsamen Überbringer und der Organisation steckt, für die dieser arbeitet.

Wie schon im Anriss der Geschichte ersichtlich, wird es wieder einmal mysteriös. Dabei ist die Prämisse von „The Box“ weitaus klarer als die „Donnie Darkos“ oder „Southland Tales“. Wo die beiden anderen Mystery-Epen Kellys gleich mit einer ganzen Staffage an Geheimnissen, kruden Geschehnissen und merkwürdigen Hintergründen aufmarschierten, erzählt „The Box“ seine Geschichte erst einmal ungewöhnlich stringent, fast schon massenpublikumstauglich. Relativ schnell werden die Geschehnisse der Vorlage und Inspirationsquelle – die Kurzgeschichte Button Button von Richard Matheson – abgehandelt. So viel sei verraten, die eigentliche Entscheidungsfindung und die moralische Frage um das Drücken oder Nichtdrücken des Buttons nimmt nur einen sehr geringen Teil des Films ein. Was danach folgt und darüber hinaus gezeigt wird, ist einmal mehr Kelly voll und ganz in seinem Element. Anstatt sich mit einer geradlinigen Science Fiction Geschichte zufrieden zu geben, baut Kelly das Geschehen ins Epische aus, entwirft surreale Subplots zwischen Traum und Wirklichkeit, generiert Bedrohungen und Verschwörungen, die über alles Menschliche hinausgehen und lässt die individuellmoralische Frage zu einer düsteren Apokalypse um das Schicksal der gesamten Menschheit werden.

Dass sich der Film dabei zwischendurch vollkommen in absurden, kafkaesken Geschehnissen verliert und seine eigentlich recht simple Geschichte unnötig aufplustert gehört wohl mit zum Konzept und wäre an und für sich ganz gut zu verkraften. Weitaus schwerer wiegt allerdings die Tatsache, dass Richard Kelly im Laufe der letzten Jahre offensichtlich vollkommen der Humor abhanden gekommen ist. Reicherte „Donnie Darko“ seinen tragisch, düsteren Weltuntergangsstoff mit reichlich bissigen satirischen Spitzen gegen die USA der 80er Jahre an und badete „Southland Tales“ in herrlich naivem Blödsinn und albernen Trash, so nimmt „The Box“ sich und sein Thema ernst… viel zu ernst. Eine bleischwere Dunkelheit liegt über den Ereignissen, in den Blicken der Protagonisten und in jeder noch so kleinen Belanglosigkeit. Alles ist irgendwie tragisch und aussichtslos und wenn mal ausnahmsweise nicht, dann zumindest tiefschürfend und pathetisch. Die Lockerheit, die Kelly sonst so wohltuend von anderen Mysterienerbauern abhob, geht der düsteren Parabel um Altruismus und Egoismus vollkommen ab.

Was aber nach wie vor unbestreitbar ist: Richard Kelly beherrscht sein Handwerk. Mit verspielter Raffinesse montiert, parallelisiert und konterkariert er. Der Spaß an der Inszenierung, dem Spiel mit den Bildern ist in jede Szene eingeschrieben. Beklemmende Nahaufnahmen wechseln sich mit hektisch verwackelten Schnitten und ruhigen, meditativen Animationen ab, so dass es trotz fehlenden Witzes wieder mal eine Freude ist in die Kellyschen Bilderwelten einzutauchen. Auch die Schauspieler legen eine hervorragende Arbeit ab. Diaz und Madsen überzeugen als biederes und dennoch liebenswertes Ehepaar, Langella gibt seiner mysteriösen, gruseligen Figur eine wohltuende britische Gentleman-Note und auch Sam Oz Stone kann als neunmalkluger Sohn so sehr überzeugen, dass man ihm weitaus mehr Leinwandzeit wünscht.

Alles in allem ist „The Box“ wie schon „Southland Tales“ kein Meisterwerk geworden. Auch hier gilt: Ungewöhnlichkeit macht noch keinen hervorragenden Film. So wohltuend sich Kellys schräge Vision durch ihre surreale Konzipierung und Inszenierung von den Genrekollegen abhebt, so sehr verheddert sie sich auch in ihrer eigenen Konfusion und allzu ernstem Pathos. Ganz nett scheint angesichts der Tatsache, dass hier einiges Phantastisches und Originelles geschieht, ein ziemlich hartes Fazit zu sein. Aber wenn man gegen Ende trotz bitterböser Schlusspointe das Gefühl hat, der Film sei mal eben so an einem vorbeigerauscht ohne tiefer zu bewegen, muss man – trotz Sympathie für das Werk und seine Ideen – dieses enttäuschende Urteil stehen lassen. Richard Kelly wird sich beim nächsten Film ranhalten müssen, damit ihm nicht ein ähnliches Schicksal blüht wie Kollege Shymalan.

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Erstveröffentlichung des Textes: 2010