Be seeing you, Number Six! – Das “The Prisoner” Remake von 2009

Be seeing you! – war der geflügelte Abschiedsgruß der Einwohner des namenlosen Dorfes „The Village“ in der britischen Serie „The Prisoner“ (Lief im deutschen Fernsehen unter dem Titel „Nummer 6“). Die psychedelische, surreale Agentenserie von 1967 ist mehr als nur eine von vielen Schirmen, Charmeuren und Melonen. Sie ist der Prototyp der modernen Mysteryserie, die heuer eine abermalige Renaissance erlebt. Wer sich jemals fragte, was eigentlich hinter dem mysteriösen weißen Ballon steckt, wer immer schon wissen wollte, wer nun tatsächlich die ominöse Number One ist und wer immer wieder den Sinn eines Heile-Welt-Gefängnisses inklusive nummerierter Bewohner hinterfragt hat, der weiß, dass die ganzen X-Akten, Losts, Outer Limits und Twin Peaks nichts anderes sind als Epigonen. All die Mysterien, obskuren Ereignisse und ungelösten Irrealitäten der jüngsten TV-Geschichte wären unvorstellbar ohne das britische Vorbild.

Und was passiert nun? Ein Remake! Eine nur sechsteilige Miniserie (Das Original brachte es immerhin auf 17 Episoden) und dann auch noch ausgerechnet aus den USA, der Albtraumfabrik für Remakes, die ihrem Original Schande bereiten. Das kann doch nur in die Hose gehen. Oder?

Tatsächlich ist das erste Gefühl, das sich bei dem Prisoner-Piloten von 2009 einstellt, Wehmut. Man vermisst. Man vermisst den britischen Charme des Originals. Während in der 67er Serie Nummer 6 von einem coolen, rauhbeinigen Patrick McGoohan als waschechter britischer Antiheld dargestellt wurde, stolpert im Remake ein hysterischer und verwirrter James Caviezel als amerikanischer Hero durch das Geschehen. Man vermisst den schnittigen, grotesken Humor, den das obskure Dorf im Original ausstrahlte. Man vermisst die psychedelische Kameraführung und die bunten überladenen Bilder, die immer einem Drogentrip nahe kamen. Stattdessen ist man konfrontiert mit einem hektischen Schnitt, nie ruhenden Einstellungen und einer kühlen High-Tech-Optik, die auch hinter dem kitschigen, bewusst nostalgisch gehaltenen Dorf immer sichtbar bleibt. Ja, „The Village“ ist amerikanisiert worden. Die Lakonie, die Skurrilität und der wahnwitzige Pfiff des Originals sind verschwunden. Stattdessen dominieren ein düsterer Score, eine zutiefst pathetische Inszenierung und viele hitzige Actionszenen das Geschehen. Ironischerweise klaut das Remake hier von den Epigonen des Originals. Mehr als einmal fühlt man sich an Lost, Heroes und Konsorten erinnert. Die Entscheidung der Macher, die interpretatorische Offenheit des Originals einem relativ klaren, alles andere als originellen Mindfuck-Plot zu opfern, verstärkt den Missmut darüber umso mehr.

Dabei ist der Versuch, der Vorlage gerecht zu werden, durchaus zu erkennen. Die Geschichte ist von ihrer Anlage erst einmal die selbe. Der namenlose Protagonist wacht völlig verstört mit einem Blackout von mindestens 24 Stunden an einem mysteriösen Ort auf. Wie im Original bilden Erinnerungsfetzen im Vorspann einen gewissen Rahmen, der der Serienhandlung vorausgeht. Unser Protagonist arbeitete früher für das obskure Unternehmen Summakor (Im Original war er noch Geheimagent im Dienste ihrer Majestät). Diesen Job hat er – aus welchen Gründen auch immer – mit einer theatralischen Geste gekündigt, indem er die Firmenwände mittels Spraydose mit dem Wort „Resigned“ verschandelte. Das ist bei seinen Arbeitgebern wohl nicht besonders gut angekommen, und so haben sie ihn an den Ort verbannt, an dem er sich nun befindet: Ein kleines Dorf, dass direkt aus einem Rentnerimmobilienprospekt zu kommen scheint, umgeben von einer kargen Wüstenlandschaft. Die Bewohner des Dorfes haben keine Namen, tragen stattdessen Nummern zur Identifikation. Unser Protagonist ist die Nummer 6, sein offensichtlicher Widersacher und Dorfherrscher die Nummer 2, die heimliche Love Interest Nummer 313, und so weiter und so fort. Während Nummer 6 das Gefühl hat ein Gefangener zu sein und so schnell wie möglich aus dem Dorf verschwinden will, legen die anderen nummerierten Einwohner äußerst merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag: Sie pendeln zwischen Resignation und unnatürlicher Fröhlichkeit, Angst und perfekter Harmonie, scheinen teilweise unter Drogen zu stehen, lieben ihr Gefängnis und haben keine Ahnung davon, dass es überhaupt so etwas wie eine Außenwelt gibt. Nummer 6, der gegen seinen Willen immer weiter in das Dorfgeschehen integriert wird, versucht verzweifelt eine Fluchtmöglichkeit zu finden. Aber eine unheimliche Macht schützt und bewacht das Dorf und seine Einwohner.

Juhu! Da ist er! Rover! Der anfängliche Missmut über die Amerikanisierung des Originals scheint erst einmal wie weggefegt, wenn der Zuschauer mit dem selben – leicht lächerlich aussehenden, nichtsdestotrotz höchst gefährlichen – weißen Ballon konfrontiert wird wie 1967. Ein wohliges Gefühl von Nostalgie macht sich breit, wenn das aus dem Original bekannte Ungetüm zum ersten Mal die Bildfläche betritt. Trotz Computeranimation ist Rover nach wie vor der Selbe. Er schwebt bedrohlich langsam, von sich allmählich hochpeitschender Musik begleitet, in Richtung seiner Opfer. Nach wie vor sind seine Motivation, Funktion und Auswirkungen  nie zu 100% klar, nach wie vor ist es eine helle Freude, dem bedrohlichen, kugeligen Weiß bei der Arbeit zuzusehen. Neben Rover bildet Number Two, verkörpert von Ian McKellen (bekannt als Gandalf aus „The Lord of the Rings“), den zweiten großen Lichtblick mit Nostalgiefaktor. Dem englischen Schauspieler gelingt es durch seine ironisch, distanzierte Art, ein Stück britischen Spleen des Originals in die Neuauflage zu integrieren. Trocken, sarkastisch, mit wunderbar süffisantem, übertrieben jovialen Auftreten ist der scheinbare Oberbösewicht der perfekte Kontrapunkt zum enttäuschenden Protagonisten Number 6. Auch die Settings können hin und wieder den Charme des Originals einfangen. Wenn 6 und 313 sich konspirativ in einer Swimmingpoolbar treffen – Tische, Stühle, Sonnenschirme alle halb unter Wasser – fühlt man sich angenehm an die Skurrilität der 67er Serie erinnert. Ebenso die kitschigen Parks, das merkwürdige Psychiaterzwillingspaar und die leider viel zu selten einsetzenden psychedelischen Farbspiele lassen Nostalgikerherzen höher schlagen. Und natürlich erscheinen auch immer wieder Szenen und Ereignisse, die nahezu 1:1 von dem britischen Original adaptiert wurden.

Aber trotz dieser immer wieder eingesetzten Referenzen und Reminiszenzen an das Original will die gewünschte Nostalgie nie so richtig entfacht werden. Viel zu actionreich, zu düster und zu pathetisch ist das Geschehen. Wo das Original vieles offen, dem Zuschauer eine Menge Interpretationsspielraum ließ, wird hier allzu oft mit dem Holzhammer gearbeitet. Das betrifft die nervöse, spannungsforcierende Inszenierung ebenso wie einige höchstgradig peinliche Szenen wie der überzogene Dornröschenkuss oder die romantischen Verwicklungen mit 415 und 313, denen Nummer 6 ausgesetzt ist. Nostalgiker und Fans des kultischen Originals werden sich dabei ein ums andere Mal die Haare raufen, insbesondere da die Geschichte des 270Minüters den denkbar ungünstigsten Weg geht, indem Number 2 niemals ausgetauscht wird – und der Antagonist trotz fehlender Nummer 1 somit immer offensichtlich bleibt – und indem die Macher das obskure Geschehen unbedingt aufklären wollen, dieses in eine sattsam bekannte Mindfuckrichtung lenken und nahezu alle Fragen beantworten. Wo das Original aussparte und offen ließ, wird hier erzählt und erzählt und erzählt, bis nichts mehr von dem Mysterium des Dorfes übrig bleibt. Besonders deutlich wird dies an übernommenen Motiven wie dem der Doppelgängergeschichte, die hier nicht im Geringsten die Intensität des 30 Jahre alten Pendants erreicht.

Also, bevor das hier in einen Verriss ausartet – von denen es in der US-Presselandschaft reichlich hagelte – verabschieden wir uns von dem Gedanken, einen psychedelischen, surrealen, nostalgischen Trip zu erleben. Denn unabhängig von der schweren Bürde, Remake einer absoluten Kultserie zu sein, hat „The Prisoner“ so manches zu bieten. Gerade die Orientierung am aktuellen Mysterykino sorgt für manch spannende Momente. Die vermeintlichen Flashbacks – natürlich ein LOST-Diebstahl erster Güte – sind geschickt in das Geschehen integriert und enthüllen sukzessive die Vorgeschichte der Gefangenschaft. Die Zeit, die der Film Number 2 widmet, ist nicht verschwendet: Hinter der Fassade des coolen, britischen Oberbösewichts offenbaren sich Abgründe aber vor allem auch Ängste und Sehnsüchte, die in der Beziehung zu seiner sedierten Frau und seinem rebellischen Sohn immer wieder zum Vorschein kommen. Hier wird nicht nur ein obskurer Verschwörer dargestellt, sondern ein alter, resignierter Mann, der versucht das zusammenzuhalten was er erschaffen hat. Darüber hinaus liegt in dem Telenovelaprinzip ein großer Vorteil: „The Prisoner“ läuft niemals Gefahr wie Akte X oder LOST zu viele Mysterien aufzubauen und dadurch inkonsistent und überladen zu werden. Stattdessen folgt die Geschichte, trotz vieler Mysterien und obskurer Geschehnisse, einer klaren Logik, ist stringent und läuft auf ein eindeutiges Ziel hinaus.

Vielleicht war dies dann auch den Machern doch zu eindeutig, so dass sie sich dazu entschlossen, ihr Baby in den letzten Folgen ins Surreale abgleiten zu lassen. Die Inspirationsquelle eines David Lynch ist hier unverkennbar. So geradlinig die Entwicklung des Dorfes und des Protagonisten ist, so sehr wird sie am Ende durch eine abstrakte und konfuse Erzählweise in den Bereich des Irrealen und Unerklärbaren gehoben. Was stilistisch erst einmal eine feine Sache ist, weckt es doch wieder Erinnerungen an das Original, hinterlässt den schalen Beigeschmack eines forcierten Chaos. Gegen Ende verliert sich „The Prisoner“ allzu sehr in einer prätentiösen Parabelhaftigkeit, erzählt seine Geschichte viel zu aufgesetzt konfus und surreal, als wolle er noch einmal Fans des Originals zufrieden stellen. Dies gelingt ihm allerdings auch an dieser Stelle nicht. Am Schluss ist das 2009er Remake weder Fisch noch Fleisch. Eine spannende, nicht maßlos originelle amerikanische Mysteryserie, die gerne Nostalgie, gerne Parabel, gerne surreales Panorama wäre, aber dennoch nicht aus ihrer Haut als US-Thrillerkost hinauskommt. Irgendwie zwischen den Stühlen, ab und zu nostalgische Gefühle weckend, ab und zu angenehm verwirrend, letzten Endes dann aber doch nicht mehr als ganz gute Mystery-TV-Kost. Diese allerdings weiß über die Gesamtlaufzeit zu unterhalten, zu fesseln und zu begeistern. Vielleicht nicht so gut wie erhofft, aber auch nicht so schlimm wie befürchtet. Wahrscheinlich schnell wieder vergessen und dennoch rätselhafter Thrill auf recht hohem Niveau. 270 Minuten, die trotz diverser Schwächen nicht verschwendet sind.

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Erstveröffentlichung des Textes: 2010